T 0363/01 () of 15.7.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T036301.20040715
Datum der Entscheidung: 15 Juli 2004
Aktenzeichen: T 0363/01
Anmeldenummer: 94202508.1
IPC-Klasse: C23C 16/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schneidwerkstoff
Name des Anmelders: CERATIZIT Austria Gesellschaft m.b.H.
Name des Einsprechenden: Widia GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag - verneint)
Während mündlicher Verhandlung erstmals vorgelegter Hilfsantrag - (prima facie nicht gewährbar - nicht zugelassen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 643 152 Beschwerde eingelegt.

Mit dem Einspruch der Einsprechenden war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß das Patent mangels erfinderischer Tätigkeit des Schneidwerkstoffs gemäß Anspruch 1 im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D5 bzw. D6 nach Artikel 100 a) EPÜ zu widerrufen sei.

II. Am 15. Juli 2004 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

i) Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang mit den Ansprüchen 1-8, wie mit Brief vom 11. Mai 2001 eingereicht, oder hilfsweise auf der Basis des Anspruchs 1, eines während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags, aufrechtzuerhalten.

ii) Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

III. Die folgenden Dokumente werden als besonders relevant erachtet:

D1 = EP-A-0 492 059

D4 = EP-A-0 031 805

D5 = US-Re-29 420

D10 = EP-B- 0 440 157

D11 = Kenneth J.A. Brookes, World Dictionary and Handbook of Hardmetals and Hard Materials, 5th Edition, 1992, International Carbide Data, Seite D381

D12 = Dr.-Ing. Wolfgang Schedler, Hartmetall für den Praktiker, VDI-Verlag, Düsseldorf, Seiten 1-17

IV. Der am 14. Mai 2001 mittels Schreibens vom 11. Mai 2001 eingereichte geänderte unabhängige Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Schneidwerkstoff, bestehend aus einem Cermet- Grundmaterial mit, im Wesentlichen, mehr als 8 und bis zu 25 Gew.% Nickel oder einer Mischung aus Nickel und Kobalt, bis zu 1 Gew.% Aluminium, 10 - 70 Gew.% Titan, bis zu 9 Gew.% Zirkon, bis zu 9 Gew.% Hafnium, bis zu 19 Gew.% Tantal, bis zu 9 Gew.% Niob, bis zu 4 Gew.% Vanadium, bis zu 3 Gew.% Chrom, bis zu 20 Gew.% Molybdän, bis zu 33 Gew.% Wolfram, bis zu 10 Gew.% Stickstoff, Rest Kohlenstoff, wobei der Kohlenstoff und/oder Stickstoff im wesentlichen in Form von einem oder mehreren Karbiden und/oder Nitriden und/oder Karbonitriden vorliegt; sowie aus einer auf dem Grundmaterial mittels des CVD-Verfahrens aufgebrachten Hartstoffbeschichtung mit einem mehrlagigen, mindestens eine Oxidschicht aus der Gruppe Aluminiumoxid, Zirkonoxid und deren Mischungen aufweisenden, Schichtaufbau, der neben der bzw. den Oxidschichten ein oder mehrere Schichten aus der Gruppe Titankarbid, Titannitrid, Titanborid, Titanoxid, Zirkonkarbid, Zirkonnitrid und deren Mischungen, aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die unmittelbar an das Grundmaterial angrenzende Schicht eine Titannitridschicht und/oder eine Titankarbonitridschicht der Zusammensetzung Ti(C1-xNx) mit x>=0.2 ist und die Oxidschicht bei einer Beschichtungstemperatur von mindestens 900°C abgeschieden ist."

V. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung betraf nur die Kobalt-Alternative (vgl. Entscheidung, Kapitel 5), die vom vorliegenden Anspruch 1 des Hauptantrags nicht mehr umfaßt wird. Der Begriff "Cermet" von Anspruch 1 sollte gemäß dem deutschen Sprachgebrauch interpretiert werden, so daß keine reinen Hartmetalle darunter verstanden werden sollen, sondern nur solche Substrate, die Nitride und Karbonitride in Bindermetallen von Nickel oder von Nickel und Kobalt enthalten (vgl. D11, Seite D381). Allerdings fallen unter Anspruch 1 des Hauptantrags auch reine Karbid-Zusammensetzungen, die nicht dieser engen Bedeutung des Begriffs "Cermet" entsprechen. Das Dokument D1 weist alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 auf (vgl. Patent, Seite 2, Zeilen 47-53) und die zu lösende Aufgabe entspricht der im Streitpatent angegebenen (vgl. Patent, Seite 3, Zeilen 9-10). Der in der Literatur bisher nicht vorbeschriebene Effekt, nämlich die wesentlich vorteilhaftere Barrierewirkung einer TiN-Schicht gegenüber Ni-Binder bei Temperaturen oberhalb 900°C im Vergleich zu einer TiC-Schicht, wurde zur Grundlage des Streitpatents gemacht (siehe auch die Vergleichsversuche vom 22.08.97). Eine Vermeidung der Diffusion der Bindermetalle durch Anwendung niedrigerer Temperaturen bei der Beschichtung erfolgt z. B. gemäß Dokument D10 durch den Zusatz von Acetonitril oder durch Plasma-CVD. Gemäß Dokument D10 sind bewußt keine Oxidschichten aufgebracht worden, um die Bindermetalldiffusion zu vermeiden. Die bei niedrigen Temperaturen abscheidbaren Al2O3-Modifikationen unterscheiden sich von den Al2O3-Modifikationen die bei hoher Temperatur abgeschieden wurden. Gemäß Streitpatent wird Alpha- Al2O3 und nicht Kappa- Al2O3 gewünscht, wie dies durch das Merkmal "mindestens 900°C" von Anspruch 1 zum Ausdruck gebracht wird. Im übrigen erfolgt gleichzeitig eine Diffusion des Kohlenstoffs (daraus resultiert eine unerwünschte Epsilon-Phase) und des Bindermetalls. Im Dokument D5 wird nicht zwischen TiC und TiN als erster auf dem Cermet abgeschiedener Schicht unterschieden. Außerdem sind die in Dokument D5 gemachten Aussagen bezüglich Co nicht auf Ni übertragbar, weil Ni die größte Diffusivität aufweist. Die Beispiele 1-7 gemäß Dokument D5 sind mit Standard-Hartmetallen gemacht worden, die kein Ni enthalten. Deshalb ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag durch den überraschenden Effekt erfinderisch.

Der Hilfsantrag sollte trotz seines verspäteten Einreichens zugelassen werden, da er lediglich eine Einschränkung von Anspruch 1 gemäß der engen - im Sinne des deutschen Sprachgebrauchs - Interpretation des Begriffes "Cermet" darstellt und damit die Anwesenheit von Karbonitriden im Substratkörper zwingend macht. Es sollte auch erlaubt werden, weitere Änderungen im Anspruch 1 des Hilfsantrags vorzunehmen, um allfällige formale Beanstandungen der Beschwerdegegnerin im Hinblick auf Artikel 84 oder 123 EPÜ auszuräumen.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Es bestehen keine Einwände bezüglich des Hauptantrags im Hinblick auf die Artikel 123, 84 und 54 EPÜ. Dem Gegenstand von Anspruch 1 mangelt es aber an der notwendigen erfinderischen Tätigkeit.

Da Anspruch 1 reine Hartmetalle nicht ausschließt, wird Dokument D5 im Hinblick auf die angelsächsische Interpretation des Begriffs "Cermet" als sehr relevant betrachtet. Die Definition nach Dokument D11 wird nicht als allgemein anerkannt akzeptiert. Ein Schneidwerkstoff gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1 ist in Dokument D1 offenbart, das Cermets mit einer Binderphase von insbesondere 10-20 Gew.% von zumindest Co und Ni und deren Beschichtung mit TiC, TiN, oder TiCN oder Al2O3 mittels CVD-Verfahrens beschreibt (vgl. Ansprüche 1-4 und 12; Seite 8, Tabelle 2). Das Dokument D1 erwähnt auch schon das Problem der Bindermetall-Diffusion (vgl. Seite 4, Zeilen 22-25) sowie von Mehrfachbeschichtungen (vgl. Seite 4, Zeilen 34-35). Al2O3-Schichten sind sowohl mit Niedertemperatur-CVD oder Mitteltemperatur- CVD als auch mit Hochtemperatur-CVD herstellbar, wobei Anspruch 1 nicht zwingend Alpha- Al2O3 definiert. Der Fachmann kennt diese Temperaturen und die entsprechenden Al2O3-Modifikationen. Dokument D1 erwähnt keine konkreten Temperaturen und die Reihenfolge von TiC, TiN oder TiCN auf der Substratoberfläche ist nicht erwähnt. Selbst wenn TiC für Ni weniger geeignet ist, als für Co, dann ist nur eine Auswahl aus den verbleibenden bekannten Barrierematerialien, nämlich TiN und TiCN, möglich. Anspruch 1 umfaßt Mischungen von Co und Ni, ohne aber einen hohen Ni-Anteil zu definieren. Gemäß dem Beispiel 2 von Dokument D5 wird TiN direkt auf das Substrat aufgebracht, um die Bindemitteldiffusion zu unterbinden (vgl. Zusammenfassung; und Spalte 5, Zeilen 36-54). Zudem werden die TiN-Schichten als besonders vorteilhaft für die weitere Abscheidung des Oxides (Al2O3 oder ZrO2) auch bei hohen Temperaturen beschrieben (vgl. Spalte 3, Zeilen 3-15). Auch wenn Dokument D5 nicht zwischen TiC und TiN differenziert, stellt die Auswahl von TiN aus nur zwei Möglichkeiten ein naheliegendes Handeln für den Fachmann dar. Zumal die Diffusionsneigungen bei Kobalt und Nickel gleichermaßen vorhanden ist und Kobalt in D5 nur beispielhaft erwähnt wird (vgl. Spalte 2, Zeilen 33-38). Hartmetalle und Cermets weisen eine Binderphase auf, die von der Zusammensetzung her (nämlich Co, Ni und/oder Fe, sowie Mischungen davon) vergleichbar ist. Hinsichtlich der bei höheren Temperaturen drohenden Binderdiffusion ist es daher egal, ob die Hartstoffphase aus Karbiden oder Karbonitriden besteht (vgl. z. B. D4, Seite 4, dritter Absatz). Das Problem der Epsilon-Phasen liegt auch bei den Substraten gemäß Anspruch 1 vor. Ein überraschender bzw. besonderer Effekt kann eine erfinderische Tätigkeit nicht belegen, wenn der Stand der Technik den Fachmann zu der aufgefundenen Lösung führt (vgl. Singer/Stauder, 2. Auflage, Artikel 56, Rd. 100; und T 296/87, Nr. 8.4). Am Prioritätstag waren bereits entsprechend beschichtete Substrate bekannt, ebenso wie die Gefahr, daß die Bindermetalle, nämlich Kobalt und Nickel, bei den höheren Beschichtungstemperaturen dazu neigen, in die Oberflächenschichten zu diffundieren. Dem Fachmann war ebenfalls bekannt, daß dieser Diffusion mittels Barriereschichten, z. B. TiN wirksam entgegengewirkt werden konnte. Dem Argument einer Auswahl aus bekannten Diffusionsbarrieren steht entgegen, daß letztlich nur TiC, TiN und TiCN-Schichten zur Debatte standen und somit das Ausprobieren, welche dieser Schichten am geeignetsten ist, im rein handwerklichen Bereich liegt. Anspruch 1 beinhaltet daher keine erfinderische Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Lehren der Dokumente D1 und D5.

Auch eine Kombination der Offenbarung von Dokument D10, das Cermets mit einer Beschichtung von TiN und TiCN offenbart, mit z. B. der Offenbarung von Dokument D4 führt zum Gegenstand von Anspruch 1. Der Fachmann wird die gemäß Dokument D10 fehlende Al2O3-Schicht dann aufbringen, wenn diese für eine bestimmte Anwendung benötigt wird. Eine Beschichtung bei einer Temperatur von 1000°C stellt die Urvariante der Al2O3-Beschichtung dar (vgl. D4, Anspruch 10; und Seite 9, Zeile 19).

Die Einreichung eines Hilfsantrags in der mündlichen Verhandlung ist eindeutig verspätet. Der Hilfsantrag hätte bereits vor einem Monat eingereicht werden können. Falls dieser Hilfsantrag zugelassen wird, wird eine Rückkehr ins schriftliche Verfahren und ein Kostenantrag vorbehalten. Im übrigen ist Anspruch 1 auch nicht prima facie gewährbar, da das Weglassen des Begriffs "Cermet" einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ bedeuten würde, wenn der Begriff eine fest umrissene Bedeutung hat. Der Einschub in der 3. Zeile "mit nicht vernachlässigbarem Ni-Anteil" stellt einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) und Artikel 84 EPÜ dar (vgl. Bescheid der Kammer vom 27. Juni 2003). Auch die geänderte Formulierung "Kohlenstoff und Stickstoff ... in Form von einem oder mehreren Karbiden" macht Anspruch 1 unklar. Abgesehen davon beruht der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 aus den im wesentlichen gleichen Gründen wie der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hilfsantrag sollte daher nicht zugelassen werden.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen (Artikel 123 EPÜ)

Der neue unabhängige Anspruch 1, eingereicht am 14. Mai 2001, (Hauptantrag) beruht auf einer Kombination der Ansprüche 1 und 5 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Die Formel des Titankarbonitrids "Ti(C1-xNx) mit x>=0.2" im kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 stellt eine zulässige Verallgemeinerung der Mindeststickstoffkonzentration gemäß eingereichtem Anspruch 5 sowie den Beispielen dar, wobei der Wert 0.2 (entsprechend 20 At.%) von den Mustern A1 und A2 der Tabelle 1 übernommen wurde. Anspruch 1 ist auch bezüglich der Einschränkung durch die Streichung einer Alternative (wonach "nur Kobalt" als Bindermetall gemäß der "und/oder" Definition von Anspruch 1 in der erteilten Fassung möglich war) weder unter Artikel 123 (2) noch (3) EPÜ zu beanstanden.

Die abhängigen Ansprüche 2 und 4 sind analog auf "Nickel oder einer Mischung aus Nickel und Kobalt" eingeschränkt worden und sind daher ebenfalls nicht unter Artikel 123 EPÜ zu beanstanden.

2. Neuheit

Der Begriff "Cermets" von Anspruch 1 des Hauptantrags läßt je nach Sprachgebrauch zwei Interpretationen zu (vgl. D11, Seite D381; D12, Seite 2, erster Absatz), nämlich, einerseits im deutschen Sprachgebrauch, einen Werkstoff aus metallischen und keramischen Bestandteilen, andererseits, im angelsächsischen Sprachgebrauch, eines Werkstoff aus Hartstoffen und Hartmetallen (vgl. dazu auch z. B. D1, Tabellen 1-2, Cermets enthalten 9-15 Gew.% WC; oder D10, Seite 2, Zeilen 15-19 und Tabelle 1, Cermets enthalten 10-16 Gew.% WC).

2.1. Zwischen dem Wortlaut von Anspruch 1 ("Schneidwerkstoff bestehend aus einem Cermet-Grundmaterial mit ... bis zu 33 Gew.% Wolfram ... wobei der Kohlenstoff ... im wesentlichen in Form von einem oder mehreren Karbiden ... vorliegt"), der die Anwesenheit des Wolframs in Form von reinem WC - das auch als eigene Phase vorliegen kann - nicht ausschließt, und der Definition von "Cermets" gemäß dem deutschen Sprachgebrauch besteht daher eine Unstimmigkeit, wie letztlich von der Beschwerdeführerin zugestanden wurde.

Gemäß dem Streitpatent weisen Cermets "vielfach Hartstoffe in Form von Nitriden und/oder Karbonitriden auf und "der Anteil an Wolframkarbid ist sehr klein" (vgl. Patent, Seite 2, Zeilen 13-15). Die zitierte Passage zeigt schon alleine durch den Ausdruck "vielfach", daß diese Definition nicht allgemein gültig ist.

Die Kammer legt daher den Begriff "Cermets" in der breitesten Form aus, d. h. gemäß der angelsächsischen Interpretation, welche die Hartmetalle einschließt. Im übrigen ist das Substrat des Schneidwerkstoffs gemäß Anspruch 1 bereits durch die angegebene Zusammensetzung definiert.

2.2. Die Neuheit wurde von der Beschwerdegegnerin nicht mehr bestritten.

Die Kammer stimmt mit der Einspruchsabteilung überein, daß keine Entgegenhaltung ersichtlich ist, welche ein Schneidwerkzeug mit allen Merkmalen des unabhängigen Anspruches 1 des Hauptantrags offenbart (vgl. Entscheidungsgründe, Punkt 4).

2.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Nächster Stand der Technik

Das Dokument D1 wird als nächstkommender Stand der Technik erachtet. Es offenbart ein Verfahren zum Beschichten von Cermet-Schneidkörpern mit Hartbeschichtungen, wobei das Cermet insbesondere 10-20 Gew.% von zumindest einem von Co und Ni enthält (vgl. Ansprüche 1-4). Die Hartbeschichtung wird mittels CVD oder PVD aufgetragen und wird z. B. durch Ti- Verbindungen wie TiC, TiN oder TiCN, und/oder Al2O3 gebildet (vgl. Seite 4, Zeilen 18-35; und Anspruch 12). Die einzigen Beispiele mit einer CVD-Al2O3-Schicht gemäß Dokument D1 weisen keine TiN- oder TiCN-Schicht direkt auf dem Substrat auf (vgl. Tabellen 5-6, Beispiel 4). Gemäß Dokument D1 ist es bevorzugt, daß die CVD- Beschichtung bei niedriger Temperatur erfolgt, um eine Diffusion der Bindermetalle in die Beschichtung zu vermeiden. Diese Diffusion würde nämlich zu einer Verschlechterung der Verschleißfestigkeit führen (vgl. Seite 4, Zeilen 22-25).

3.2. Aufgabe

Der Schneidkörper gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von dem durch das Verfahren nach dem Dokument D1 hergestellten Schneidkörper durch:

a) eine TiN oder TiCN-Schicht, die direkt auf dem Cermet- Substrat abgeschieden wurde, und

b) einer bei mindestens 900°C abgeschiedenen Al2O3- Schicht.

Die gegenüber dem Stand der Technik nach dem Dokument D1 zu lösende Aufgabe wird daher darin gesehen, Cermet- Schneidwerkstoffe bereitzustellen, die kostengünstig mit Al2O3 und/oder ZrO2 beschichtet sind und dennoch ein ausgezeichnetes Verschleißverhalten aufweisen (vgl. Patent, Seite 3, Zeilen 9-11).

3.3. Lösung der Aufgabe

Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt durch den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags.

3.4. Diese Lösung wird durch den Stand der Technik aus folgenden Gründen nahe gelegt.

3.4.1. Der Fachmann, der die im oberen Punkt 3.2 definierte Aufgabe lösen soll, wird auf ein übliches Standard-CVD- Verfahren zur Abscheidung von Al2O3 oder ZrO2 zurückgreifen, da dieses am günstigsten im Hinblick auf die Kosten für die Beschichtung ist (vgl. Patent, Seite 2, Zeilen 29-32). Bei diesem Standard-CVD-Verfahren wird das Al2O3 bei ca. 900°C- 1100°C abgeschieden (vgl. z. B. D4, Seite 8, Zeilen 5-6; Beispiele 1 und 3; Anspruch 10).

3.4.2. Da bereits im Dokument D1 auf die Problematik der Diffusion der Bindermetalle bei der CVD-Abscheidung bei hohen Temperaturen hingewiesen wird (vgl. Seite 4, Zeilen 22-25), wird der Fachmann daher die allgemeine Lehre von Dokument D5 heranziehen, um diese Problematik der Bindermetalldiffusion zu vermeiden. Die allgemeine Lehre von Dokument D5 wird darin gesehen, daß Zwischenschichten von Karbiden und/oder Nitriden, wie z. B. TiC oder TiN, die direkt auf dem Hartmetallsubstrat aufgetragen werden, als Barriereschichten sowohl gegen die Bindermetalldiffusion als auch die Kohlenstoffdiffusion wirken und damit ein haftfestes Aufbringen von Oxidschichten wie Al2O3 oder ZrO2 bei Abscheidetemperaturen von 1000°C ermöglichen (vgl. Beispiele 1-7). Durch diese gute Haftung der Oxidschicht gemäß Dokument D5 wird ein ausgezeichnetes Verschleißverhalten des Schneidwerkzeugs bewirkt (vgl. Spalte 2, Zeile 29 bis Spalte 3, Zeile 10).

3.4.3. Die Beschwerdeführerin argumentierte zwar, daß der Fachmann die allgemeine Lehre von Dokument D5 nicht auf Nickel anwenden würde, da nur Kobalt offenbart sei. Die Kammer kann sich dieser Sicht nicht anschließen, da im Dokument D5 tatsächlich ganz allgemein von "Bindermetallen" gesprochen wird und Kobalt lediglich beispielhaft erwähnt wird (vgl. Spalte 2, Zeilen 33-49; Spalte 3, Zeilen 11-15). Dem Fachmann auf dem Gebiet der Schneidwerkzeuge ist allerdings bekannt, daß als Bindermetalle im allgemeinen die Metalle Fe, Co und/oder Ni verstanden werden (vgl. dazu D12, Seite 1, dritter Absatz), auch wenn die Beispiele gemäß Dokument D5 lediglich Kobalt offenbaren (vgl. Beispiele 1-7).

3.4.4. Der Fachmann wird daher, gemäß der allgemeinen Lehre des Dokuments D5, Schichten von TiC und/oder TiN direkt auf dem Cermet-Substrat von Dokument D1 aufbringen, um die Diffusion der Bindermetalle bei der nachfolgenden CVD-Abscheidung von Al2O3 oder ZrO2 bei 1000°C zu unterbinden. Das CVD-Verfahren zur Abscheidung der Oxide bei 1000°C gemäß Dokument D5 entspricht dem im oberen Punkt 3.3.1 genannten Standardverfahren. Die Cermet-Substrate gemäß Dokument D1 enthalten als Hauptbestandteile bevorzugt TiCN und TaC sowie Mo2C sowie als Bindermetalle Mischungen von 14-18 Gew.% Co und Ni (vgl. Tabellen 1-2).

Wenn der Fachmann z. B. ein Schneidwerkzeug gemäß dem Beispiel 4 von Dokument D1, d. h. einen Schichtaufbau von TiC/TiCNO/Al2O3 (vgl. D1, Tabelle 5) auf einem Cermet-Substrat (enthaltend [in Gew.%] 59 TiCN, 9 TaC, 14. WC, 9 Co und 9 Ni; siehe Tabelle 2) unter Berücksichtigung der allgemeinen Lehre von D5 herstellt, wird er anschließend feststellen, daß das TiC als Barrierematerial nicht ausreichend geeignet ist.

Der Fachmann wird daher die anderen in Dokument D5 genannten Alternativen für die Barriere-Zwischenschicht direkt auf dem Cermet-Substrat abscheiden, d. h. TiN bzw. Mischungen von TiC und TiN (entsprechend dem "und/oder"), insbesondere die stöchiometrische Mischung von TiC und TiN, d. h. TiCN. Damit würde der Fachmann in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gelangen, da er mit diesen Schichten von TiN und TiCN (entspricht Ti(C1-xNx) mit x=0.5) die im oberen Punkt 3.2 gestellte Aufgabe lösen kann.

3.4.5. Die Argumente der Beschwerdeführerin betreffend die Kohlenstoffdiffusion werden als nicht relevant angesehen, da diese Problematik aufgrund der möglichen Anwesenheit von Metallkarbiden auch bei den Substraten gemäß Anspruch 1 auftreten kann bzw. auftreten wird.

3.4.6. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, daß ein besonderer Effekt nicht erkennbar ist, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die - bereits erstmalig im Prüfungsverfahren - mit Schreiben vom 22.08.97 von der Beschwerdeführerin eingereichten Vergleichsversuche. Diese Vergleichsversuche wurden mit vier verschiedenen Cermet-Substraten (mit ansteigendem Nickelgehalt bei nicht konstantem Gesamtbindermetallgehalt für die vier Substrate, der auch nicht auf Co und Ni beschränkt ist) und zwei darauf abgeschiedenen unterschiedlichen Beschichtungssystemen von TiC/Ti(C0.4N0.6)/TiN bzw. TiN/Ti(C0.8N0.2)/Ti(C0.4N0.6)/Ti(CNO)/Al2O3/Ti(CNO)/ Al2O3 (mit ungleichen Schichtdicken der Barriereschichten, die im übrigen auch nicht bei identischen Temperaturen abgeschieden wurden; vgl. Schreiben vom 22.08.97, Seiten 2-3) ausgeführt.

Diese "Vergleichsversuche" genügen daher nicht dem Kriterium, wonach ein Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein muß, daß die Wirkung überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung zurückgeführt werden kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage, 2001, Kapitel I.D.7.7.2). Auch in Hinblick auf die Zusammensetzung der Ti(C1-xNx)-Schicht mit x>=0.2 ist kein Effekt nachgewiesen worden, da nicht gezeigt wurde, daß dieser Grenzwert kritisch ist.

Im übrigen könnte auch ein - nicht nachgewiesener - Effekt das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht belegen, da der Stand der Technik den Fachmann zu der aufgefundenen Lösung führt (vgl. T 296/87, Entscheidungsgründe, Punkt 8.4).

3.5. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 beinhaltet daher keine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.

4. Zulässigkeit des verspätet vorgebrachten Hilfsantrags

4.1. Die Beschwerdeführerin legte erstmalig während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer einen Hilfsantrag mit einem modifizierten Anspruch 1 vor. Die Änderungen sollten eine Präzisierung des nicht eindeutigen Begriffes "Cermet" durch den Ausschluß der reinen Karbid-Variante und der zwingenden Anwesenheit von Karbonitriden im Substratgrundmaterial gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1 bewirken.

4.2. Die Kammer hatte bereits in ihrem Bescheid vom 27. Juni 2003 ihre ablehnende Haltung zu einer engen Interpretation des Begriffes "Cermet" von Anspruch 1 im Sinne der Auslegung der Beschwerdeführerin dargelegt (vgl. Bescheid vom 27. Juni 2003, Punkt 4) und diese Haltung in der Anlage zur Ladung zu mündlichen Verhandlung bekräftigt (vgl. Mitteilung vom 13. Mai 2004, Punkt 3).

4.3. Die Beschwerdeführerin hätte daher dieser angekündigten - weiten - Interpretation des Begriffs "Cermet" wesentlich früher in Form eines Hilfsantrags Rechnung tragen können, wie dies von der Beschwerdegegnerin zu Recht beanstandet wurde. Dieser Hilfsantrag der Beschwerdeführerin ist daher als verspätet zu betrachten.

4.4. Die Kammer hat daher in Ausübung ihres Ermessens überprüft (vgl. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 4. Auflage 2001, Kapitel VI.C.6), ob dieser Hilfsantrag prima facie gewährbar sein könnte.

Die Kammer konnte allerdings nicht erkennen, daß die vorgenommenen Änderungen im Oberbegriff von Anspruch 1 dieses Hilfsantrags zu einer anderen Bewertung der erfinderischen Tätigkeit führen würde, als die Bewertung des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags ergeben hat.

Da dieser Hilfsantrag - selbst ohne Berücksichtigung der von der Beschwerdegegnerin gemachten Beanstandungen unter Artikel 84 und 123 (2) EPÜ - daher prima facie nicht gewährbar ist, entscheidet die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, diesen Hilfsantrag gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht zuzulassen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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