T 0081/01 () of 19.11.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T008101.20021119
Datum der Entscheidung: 19 November 2002
Aktenzeichen: T 0081/01
Anmeldenummer: 95107789.0
IPC-Klasse: C08K 5/51
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Mineralisch gefüllte, flammgeschützte Formmassen auf Basis von Polyalkylenterephtalat
Name des Anmelders: BAYER AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Rechtliches Gehör (nein)
Wesentlicher Verfahrensfehler (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja)
Orientierungssatz:

T 0170/87, T 951/92, T 0323/97

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende am 18. Oktober 2000 eingegangene Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 6. September 2000, mit der die Europäische Patentanmeldung No. 95 107 789.0, angemeldet am 22. Mai 1995 unter Beanspruchung einer DE Priorität vom 3. Juni 1994 und veröffentlicht unter der No. 0 685 518, zurückgewiesen wurde.

Die Beschwerdegebühr wurde gleichzeitig mit der Einlegung der Beschwerde entrichtet; die schriftliche Beschwerdebegründung ist am 21. Dezember 2000 eingegangen.

II. Die angefochtene Entscheidung beruht auf den mit Schriftsatz vom 20. September 1999 eingereichten Ansprüchen 1 bis 11, dessen unabhängiger Anspruch 1 wie folgt lautet:

"1. Thermoplastische Formmassen enthaltend

A) 30 bis 98,9 Gew.-Teile Polyalkylenterephthalat

B) 0 bis 50 Gew.-Teile Polycarbonat

C) 0 bis 30 Gew.-Teile Pfropfpolymerisat

D) 0,1 bis 20 Gew.-Teile einer oligomeren Phosphorverbindung der Formel (I),

FORMEL

worin

R1, R2, R3, R4 unabhängig voneinander C1-C8-Alkyl, C5-C6-Cycloalkyl, C6-C10-Aryl oder C7-C12-Aralkyl, n unabhängig voneinander 0 oder 1, N eine Durchschnittszahl von 0,5 bis 5 und X einen ein- oder mehrkernigen aromatischen Rest mit 6 bis 30 C-Atomen bedeuten,

oder 0,1 bis 20 Gew.-Teile einer Mischung aus oligomeren Phosphorverbindung der Formel (Ia) und Phosphorverbindung der Formel (Ib)

FORMEL

worin

R5 Methyl und m die Zahlen 0 bis 5 sind, wobei die Menge an Phosphorverbindung der Formel (Ib) in der Phosphatmischung (bezogen auf 100 Gew.-% an Phosphorverbindung der Formel (Ia) und (Ib) 1 bis 50 Gew.-% beträgt,

E 1) 1 bis 60 Gew.-Teile mineralische Füllstoffe und

E 2) 0 bis 30 Gew.-Teile Füll- und Verstärkungsstoffe, verschieden von E 1),

ausgenommen sind Formmassen enthaltend halogenierte Flammschutzmittel oder Melamin-Cyanurat-Produkte."

Die Ansprüche 2 bis 9 sind von Anspruch 1 abhängig, die Ansprüche 10 und 11 beziehen sich auf die Verwendung der Formmassen gemäß Anspruch 1 zur Herstellung von Formkörpern bzw. auf diese Formkörper selbst.

III. Die angefochtene Entscheidung wies die vorliegende Anmeldung mit der Begründung zurück, daß das dem ursprünglichen Anspruch 1 zur Herstellung der Neuheit gegenüber den Entgegenhaltungen D1 (EP-A-0 386 916) und D4 (JP-A-5070671 gemäß WPI-Abstract und Patent Abstracts of Japan) hinzugefügte Merkmal "ausgenommen sind Formmassen enthaltend halogenierte Flammschutzmittel oder Melamin-Cyanurat-Produkte" zusätzliche Information darstelle, die über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe und somit die Bestimmungen von Artikel 123 (2) EPÜ verletze. Dies folge aus der Tatsache, daß dieses Merkmal ein allgemein gefaßter Disclaimer zum Ausschluß bestimmer Klassen von Komponenten sei, wobei aber ein direkter Bezug auf bestimmte Offenbarungen der Entgegenhaltungen D1 und D4 nicht vorliege.

IV. In der Beschwerdebegründung stellte die Beschwerdeführerin inter alia fest, daß die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruhe, weil sie sich entgegen den Bestimmungen von Artikel 113 EPÜ auf Gründe stütze, zu denen sie sich nicht habe äußern können. Die der Entscheidung zugrundeliegende Feststellung, daß der Disclaimer eine unzulässige Erweiterung darstelle, sei nämlich unmittelbar nach der Vorlage neuer, durch den Disclaimer ergänzter Ansprüche nach nur einem Bescheid der Prüfungsabteilung ergangen.

Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin Sätze eines Haupt- und eines Hilfsantrags ein, deren Ansprüche 1 sich von dem entsprechenden Anspruch der zurückgewiesenen Fassung einerseits durch einen sich präziser am Wortlaut der Entgegenhaltungen D1 und D4 orientierenden Flammschutzmittel-Disclaimer (Hauptantrag) unterscheiden und anderseits (Hilfsantrag) durch den Ausschluß der in D1 und D4 offenbarten Polyester-Massen.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt

(i) die Aufhebung der Zurückweisungsentscheidung,

(ii) die Erteilung des Patents auf der Grundlage der mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2000 vorgelegten Ansprüche des Haupt- oder Hilfsantrags,

(iii) die Rückzahlung der Beschwerdegebühr und

(iv) hilfsweise die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Unabhängig von der Frage ihrer sachlichen Richtigkeit, muß die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden, weil sie sich auf Gründe stützt, zu denen sich die Beschwerdeführerin/Anmelderin nicht äußern konnte.

Dies folgt ohne weiteres daraus, daß der Disclaimer, dessen behauptete Unzulässigkeit den Grund der Zurückweisung darstellt, in den Anspruch 1 erst mit Schriftsatz der Anmelderin vom 20. September 1999 (und zwar in Reaktion auf Neuheitsvorwürfe im ersten und einzigen Bescheid der Prüfungsabteilung vom 20. Mai 1999) eingeführt wurde, auf den unmittelbar die Zurückweisung folgte.

3. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern stellt die Nichtbeachtung der Forderung des Artikels 113 (1) EPÜ einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der neben der Aufhebung der fehlerhaften Entscheidung auch die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ rechtfertigt (siehe z. B. T 951/92 Abl. EPA 1996, 53).

4. Zur Frage der Zulässigkeit der (nunmehr gemäß Haupt- und Hilfsantrag geänderten) Disclaimer, die gegenüber D1 und D4 Neuheit herstellen sollen, bemerkt die Kammer folgendes:

4.1. Abgesehen von der in der Entscheidung T 323/97 (Abl. EPA 2002, 476; Gründe 2) ausgedrückten Meinung zur Frage, ob Disclaimer, deren Inhalt in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart ist, den Bedingungen des Artikels 123 (2) EPÜ unterliegen, kann gemäß der T 170/87 (Abl. EPA 1989, 441) folgenden, auch in T 323/97 nicht in Frage gestellten Praxis der Kammern, ein Disclaimer nicht dazu verwendet werden, eine naheliegende Lehre erfinderisch zu machen. Damit scheidet grundsätzlich die Anwendung von Disclaimern zum Ausschluß und/oder zur Distanzierung eines Standes der Technik aus, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevant ist.

4.2. D1 bezieht sich auf thermoplastische Polyestermassen enthaltend halogenhaltiges Flammschutzmittel, anorganischen Füllstoff und einen oligomeren Phosphorsäureester, die guten Flammschutz und gute mechanische Eigenschaften, wie Zugfestigkeit, Dehnung und Schlagzähigkeit, aufweisen (Anspruch 1; Seiten 8 und 9, Tabellen 1 und 2).

Da sich der Gegenstand der vorliegenden Anmeldung auch auf flammgeschützte Polyester-Formmassen aus Polyalkylenterephthalat mit guter Zähigkeit und Dehnbarkeit bezieht (Titel der Anmeldung; Anspruch 1; Seite 3, Zeilen 10 bis 12), scheint die Zulässigkeit eines Disclaimers zur Herstellung der Neuheit gegenüber D1 aus den vorstehend genannten Gründen fraglich.

4.3. Auch D4 bezieht sich auf flammgeschütze Massen aus Polyalkylenterephthalat, wobei ihr praktischer Nutzen gemäß WPI-Abstract im Bereich elektrischer Anwendungen liegt. Da solche Anwendungen auch anmeldungsgemäß vorgesehen sind (Seite 10, Zeilen 51 bis 52: Steckerleisten und Leuchtensockel) sowie auch im Hinblick auf die fehlende Kenntnis der Gesamtoffenbarung von D4, stellt sich auch hier aus den genannten Gründen das Problem der Zulässigkeit einer Neuheitsherstellung mittels Disclaimer.

5. Bei dieser Sachlage hält es die Kammer für zweckmässig, von der ihr gemäß Artikel 111 (1) EPÜ verliehenen Befugnis der Zurückverweisung der Sache zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die Prüfungsabteilung Gebrauch zu machen (cf. Artikel 10 VerfOBK).

6. Zwar konnte mithin die Beschwerde nicht in dem von der Beschwerdeführerin beantragten Umfang der Erteilung eines Patents aufgrund der neu eingereichten Ansprüche Erfolg haben, da die angefochtene Entscheidung jedoch durch die Zurückverweisungsentscheidung der Kammer aufgehoben und die Anmeldung jedenfalls nicht zurückgewiesen wird, brauchte eine mündliche Verhandlung, wie im Antrag VI(iv) hilfsweise begehrt, nicht anberaumt zu werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts 4. Auflage, 2001, Seite 314).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angordnet.

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