T 1202/00 () of 4.9.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T120200.20030904
Datum der Entscheidung: 04 September 2003
Aktenzeichen: T 1202/00
Anmeldenummer: 95100809.3
IPC-Klasse: C08L 83/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kovalent-nucleophil selbsthärtende Systeme
Name des Anmelders: FRAUNHOFER-GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG DER ANGEW. FORSCHUNG E.V.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja) - nicht naheliegende Alternative
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende am 8. September 2000 eingegangene Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 14. Juli 2000, mit der die Europäische Patentanmeldung Nr. 95 100 809.3, angemeldet am 21. Januar 1995 unter Beanspruchung einer DE Priorität vom 18. Februar 1994 und veröffentlicht unter der Nr. 0 668 326, zurückgewiesen wurde. Die Beschwerdegebühr wurde gleichzeitig mit der Einlegung der Beschwerde entrichtet. Die schriftliche Beschwerdebegründung ist am 23. November 2000 eingegangen.

II. Die angefochtene Entscheidung beruht auf den mit Schriftsatz vom 24. Februar 2000 eingereichten Ansprüchen 1 bis 13, dessen unabhängige Ansprüche 1 und 13 wie folgt lauteten:

"1. Kovalent-nucleophil selbsthärtendes System auf der Basis polymerisierbarer und hydrolytisch kondensierbarer und/oder hydrolytisch kondensierter Siliciumverbindungen, bestehend aus einer Komponente 1 und einer Komponente 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Komponente 1 eine oder mehrere Silicium-Verbindungen der Formel I und/oder von diesen abgeleitete Vorkondensate und/oder Kondensate enthält,

{XaRbSi[R'A](4-a-b)}xB (I)

in der die Reste und Indices gleich oder verschieden sind und

A gleich O, S, PR", POR", NHC(O)O oder NHC(O)NR" bedeutet, mit R" gleich Alkyl oder Aryl,

B ein geradkettiger oder verzweigter organischer Rest ist, der sich von einer Verbindung B' mit mindestens einer (für NHC(O)O oder NHC(O)NR") bzw. mindestens zwei C=C-Doppelbindungen und 5 bis 50 Kohlenstoff- Atomen ableitet,

R gleich Alkyl, Alkenyl, Aryl, Alkylaryl oder Arylalkyl ist,

R' gleich Alkylen, Arylen oder Alkylenarylen ist,

X gleich Wasserstoff, Halogen, Hydroxy, Alkoxy, Acyloxy, Alkylcarbonyl, Alkoxycarbonyl oder NR"2 ist, mit R" gleich Wasserstoff, Alkyl oder Aryl,

a gleich 1, 2 oder 3,

b gleich 0, 1 oder 2, mit a+b gleich 1, 2 oder 3, und

x gleich einer ganzen Zahl, deren Maximalwert der Anzahl von Doppelbindungen in der Verbindung B' minus 1 entspricht, bzw. gleich der Anzahl von Doppelbindungen in der Verbindung B' ist, wenn A für NHC(O)O oder NHC(O)NR" steht,

wobei die obigen Alkyl- bzw. Alkenyl-Reste gegebenenfalls substituierte geradkettige, verzweigte oder cyclische Reste mit 1 bzw. 2 bis 20 Kohlenstoff- Atomen sind, Aryl für gegebenenfalls substituiertes Phenyl, Naphthyl oder Biphenyl steht und sich die obigen Alkoxy-, Acyloxy-, Alkylcarbonyl-, Alkoxycarbonyl-, Alkylaryl-, Arylalkyl-, Arylen-, Alkylen- und Alkylenaryl-Reste von den oben definierten Alkyl- und Aryl-Resten ableiten,

und dass die Komponente 2 eine oder mehrere Verbindungen der allgemeinen Formel II und/oder III und/oder IV und/oder V und/oder VI und/oder von den Verbindungen der Formeln V und VI abgeleitete (Vor)Kondensate enthält,

FORMEL (II), (III), (IV), (V), (VI)

in denen die Reste R' und R" gleich oder verschieden sind, R' und a wie im Falle der allgemeinen Formel I definiert sind, R" Wasserstoff, Alkyl oder Aryl bedeutet, R, R4 und R5 einen gegebenenfalls substituierten Alkylen-, Arylen-, Arylenalkylen- oder Alkylenarylen-Rest mit 1 bis 20 Kohlenstoff-Atomen darstellen, der geradkettig, verzweigt oder cyclisch ist, wobei Aryl für gegebenenfalls substituiertes Phenyl, Naphthyl oder Biphenyl steht, und in denen die Amino-Gruppen an einem oder an verschiedenen Kohlenstoff- Atomen sitzen."

"13. Verwendung der kovalent-nucleophil selbsthärtenden Systeme nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 12 als Vergussmassen, Klebstoffe, Dichtungsmassen, Beschichtungsmassen, in Formgebungsverfahren, zur Füllstoffherstellung, als Komposit oder Bindemittel, in der Abform- und Verbindungstechnik und zur Herstellung von Fasern oder Folien."

III. In der angefochtenen Entscheidung wurde festgestellt, daß der Gegenstand von Anspruch 1, dessen Unterscheidungsmerkmalen gegenüber

D1: US-A-4 698 406 und

D2: EP-A-0 451 709

kein technischer Effekt zugeordnet werden könne, nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Ausgehend von D2, die gemäß der Prüfungsabteilung den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, sei es naheliegend, die dort offenbarten Verbindungen der Formel I, die mit den anmeldungsgemäß verwendeten identisch seien, statt über eine UV-induzierte C-C- Verknüpfung durch Michael-analoge Reaktion mit den aus D1 bekannten aminhaltigen Polysiloxanen zu vernetzen.

Auch ausgehend von D1 beruhe der beanspruchte Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil es naheliege, die dort offenbarten härtbaren ungesättigten Polysiloxane, die keine hydrolysierbaren Gruppen aufweisen, durch die aus D1 bekannten Siliziumverbindungen mit hydrolisierbaren Gruppen zu ersetzen.

IV. In der Beschwerdebegründung stellte die Beschwerdeführerin fest, daß erfindungsgemäß gegenüber D2 die Aufgabe bestehe, für die dort offenbarten Verbindungen der Formel I eine nicht über photochemische oder thermische Mechanismen funktionierende Vernetzungsmethode bereitzustellen. Es sei nicht naheliegend, diese Aufgabe in Art der Michaelreaktion durch Verwendung einer zweiten Reaktivkomponente zu lösen. Weder enthalte dazu D2 selbst eine Anregung, noch sei eine solche aus D1,

D3: EP-A-0 230 342 oder

D4: US-A-4 579 782

zu entnehmen.

D1 offenbare die Herstellung von Elastomeren durch Michael-Addition von jeweils sehr breit definierten aminofunktionellen an acrylfunktionelle Organopolysiloxane. Die die aminofunktionellen Silane der Formeln (II) und (III) von D1 bildenden Einheiten seien in mehreren Listen definiert, wobei nicht jede mögliche Einheiten-Kombination als offenbart gelten könne. Die einzige konkrete Offenbarung betreffe den Einsatz langkettiger Aminosiloxane mit mindestens vier Aminogruppen. Der Einsatz solcher langkettiger Aminosiloxane als Härter für die in D2 offenbarten Acrylatsilane führe aber nicht zur beanspruchten Erfindung, denn dazu müßten diese D1-Aminosiloxane entweder ersetzt werden durch die rein organischen Silane mit 2 bis 4 Aminogruppen und einer maximalen Kettenlänge von 20 C-Atomen gemäß den anmeldungsgemäßen Formeln II bis IV oder durch die silanhaltigen Aminoverbindungen der anmeldungsgemäßen Formeln V oder VI. Dies sei nicht naheliegend, weil der Fachmann in beiden Fällen einen weiten gedanklichen Weg mit vielen Schritten gehen müßte, wobei im zweiten Fall auch noch die zusätzliche erfindungsgemäße Teilaufgabe der Bereitstellung toxikologisch unbedenklicher Massen zu berücksichtigen sei.

Auch eine Kombination von D2 mit D3 oder D4 führe nicht zur beanspruchten Erfindung, weil D3 nur die Herstellung von acrylfunktionellen Siliconverbindungen aus aminofunktionellen Siliconen mit organischen Diacrylaten offenbare und D4 zwar, wie die vorliegende Erfindung, organische Diamine verwende, jedoch zur Herstellung von Bisaspartimiden aus aromatischen Bismaleimiden.

Der beanspruchte Gegenstand sei daher erfinderisch gegenüber D2 allein oder in Kombination mit D1, D3 und/oder D4.

D1 komme als nächstliegender Stand der Technik nicht in Frage, weil sie sich auf das entferntere Gebiet der Elastomere beziehe. Ginge der Fachmann dennoch von dieser Entgegenhaltung aus, gelange er jedoch auch nicht zur Erfindung, weil es einer nicht-naheliegenden Auswahl bedürfe, um aus der breiten Offenbarung von D1 zu den anmeldungsgemäß verwendeten acrylgruppenhaltigen Siloxanen zu gelangen, in denen jedes Siliciumatom einen Rest mit mindestens zwei C=C-Doppelbindungen enthalte.

V. Der Berichterstatter der Kammer hat am 30. Oktober 2002 folgenden Bescheid gemäß Artikel 110 (2) EPÜ erlassen, dessen relevante Passagen (Punkte 1 bis 7) wie folgt lauten:

"Vorläufiger Kommentar des Berichterstatters:

1. Die Zurückweisung der Anmeldung erfolgte im wesentlichen wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit gegenüber D1 (US-A-4 698 406) bzw. D2 (EP-A-0 451 709).

2. Die Entgegenhaltung D2, die den nächstliegenden Stand der Technik bildet, offenbart die acrylfunktionelle Siloxan-Komponente 1 des vorliegenden Anspruchs 1 und beschreibt auch die Möglichkeit ihrer zweifachen Vernetzung: anorganisch über die Hydrolyse der X-Si-Bindungen, organisch durch die thermisch oder photochemisch ausgelöste Vernetzung der Acrylat- Gruppen (D2: Ansprüche 1, 10, 11; Seite 10, Zeile 48 bis Seite 11, Zeile 1). D2 offenbart nicht die Möglichkeit der organischen Vernetzung der acrylfunktionellen Siloxan-Komponente über eine Michael-Additionsreaktion der C=C-Doppelbindungen mit aminofunktionellen Verbindungen.

3. Die angefochtene Entscheidung hält eine solche Modifikation der Lehre von D2 aber für naheliegend, weil D1 die Herstellung von vernetzten Organopolysiloxanen durch Michael-Additionsreaktion von aminofunktionellen Organopolysiloxanen an acrylfunktionelle Organopolysiloxane offenbart (D1: Anspruch 1; Spalte 3, Zeilen 56 bis 59).

4. Die Beschwerdeführerin macht geltend, daß es Aufgabe der beanspruchten Erfindung sei, Organopolysiloxan- massen bereitzustellen, deren Vernetzung nicht auf photochemische oder thermische Mechanismen mit den durch diese Techniken beschränkten Einsatzmöglichkeiten reduziert sei.

5. Gemäß den patentgemäßen Beispielen 2 bis 4 erfolgt zusätzlich zur Amin-Vernetzung eine UV-induzierte radikalische Vernetzung (siehe auch Seite 12, Zeilen 48. bis 50 der Beschreibung). Gemäß Beispiel 4 führt die doppelte Vernetzung (radikalisch + Amin) zwar zu einem niedrigeren E-Modul als eine radikalische Vernetzung allein, dies beweist aber nicht, daß die Amin-Vernetzung ohne die zusätzliche radikalische Vernetzung "bessere" Ergebnisse bewirkt als die radikalische Vernetzung allein. Es ist deshalb zweifelhaft, ob die anmeldungsgemäße Möglichkeit des Verzichts auf eine (zusätzliche) Vernetzung über photochemische oder thermische Mechanismen ein Teil der objektiven Aufgabe des Anmeldungsgegenstands ist. Dies mag aber dahinstehen, weil gemäß folgendem Punkt 6. eine erfinderische Tätigkeit schon für die weniger anspruchsvolle Aufgabe der Bereitstellung einer alternativen Vernetzung anerkannt werden kann.

6. Gegenüber dem zitierten Stand der Technik scheint die anmeldungsgemäße Lösung dieser Aufgabe aus folgenden Gründen nicht naheliegend:

6.1. Die aminofunktionellen Organopolysiloxane gemäß D1 unterscheiden sich von den anmeldungsgemäß verwendeten aminofunktionellen Verbindungen (II) bis (IV) einerseits durch fehlende Siloxan-Einheiten und anderseits auch durch ihren monomeren Charakter.

6.2. Die anmeldungsgemäß alternativ eingesetzten aminofunktionellen Verbindungen (V) und (VI) ähneln zwar in Form ihrer (Vor)Kondesate den aminofunktionellen Organopolysiloxanen gemäß D1, letztere unterscheiden sich aber von ersteren in zwei wesentlichen Punkten: erstens enthalten sie keine hydrolysierbaren Si-Substituenten zur anorganischen Vernetzung (Seite 8, Zeile 46 bis Seite 9, Zeile 16 der vorliegenden Anmeldung) und zweitens besitzen gemäß D1 nur wenige Si-Atome Aminosubstituenten (D1: Spalte 4, Zeile 65 bis Spalte 5, Zeile 49; Spalte 15, Beispiele 7 und 8), während bei den anmeldungsgemäßen (Vor)kondensaten der Verbindungen (V) und (VI) jedes Si-Atom einen Aminosubstituenten besitzen muß.

6.3. Der Fachmann kann dem Stand der Technik (inklusive D3: EP-A-0 230 342 und D4: US-A-4 579 782) keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Verwendung der anmeldungsgemäß beanspruchten aminofunktionellen Verbindungen (II) bis (VI), die sich, wie vorstehend dargelegt, strukturell erheblich von denen gemäß D1 unterscheiden, zur Michael-Addition an acrylfunktionelle Organopolysiloxane entnehmen.

6.4. Nach vorläufiger Meinung des Berichterstatters ist dem beanspruchten Gegenstand eine erfinderische Tätigkeit auch ausgehend von D1 zuzuerkennen, weil selbst die in D2 offenbarte Einführung von hydrolysierbaren Silylfunktionen S-X in die acrylfunktionellen Organopolysiloxane gemäß D1 noch nicht zur beanspruchten Erfindung führen würde, weil dazu noch die genannten strukturellen Modifikationen (cf. Punkte 6.1 und 6.2) der aminofunktionellen Verbindungen von D1 erforderlich wären, zu denen der Fachmann aber im zitierten Stand der Technik keine Anregung findet.

7. Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt somit die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ. Dasselbe trifft a fortiori auch auf die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 12 und auf den auf die Verwendung der Massen gemäß Anspruch 1 gerichteten Anspruch 13 zu."

VI. Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2003 hat die Beschwerdeführerin geänderte bzw. neue Beschreibungsseiten 2, 2a, 3, 4, 4a, 7, 13, 14 und 15 eingereicht. In Reaktion auf einen weiteren Bescheid des Berichterstatters vom 22. Mai 2003 hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 17. Juli 2003 einen geänderten Anspruch 1 und erneut geänderte Beschreibungsseiten 3, 4 und 4a eingereicht.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt

- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

- die Erteilung eines Patentes auf folgender Grundlage:

- Anspruch 1 eingereicht mit Schriftsatz 17. Juli 2003,

- Ansprüche 2 bis 13 eingereicht mit Schriftsatz vom 24. Februar 2000,

- Beschreibung:

- Seiten 1, 5, 6, 8 bis 12, 16 bis 32 der ursprünglichen Anmeldung,

- Seiten 2, 2a, 7, 13, 14 und 15 eingereicht mit Schriftsatz vom 20. Februar 2003,

- Seiten 3, 4 und 4a eingereicht mit Schriftsatz vom 17. Juli 2003.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Artikel 123 (2) EPÜ

Anspruch 1 stützt sich auf seine ursprüngliche Fassung sowie, bezüglich der Komponente 2, auf die ursprünglichen Ansprüche 8 (Formel II), 9 (Formel III), 10. (Formel IV), 11 (Formel V) und 12 (Formel VI); Anspruch 2 bezieht sich auf Fakultativmerkmale des ursprünglichen Anspruchs 1; die Ansprüche 3 bis 6 bzw. 7 bis 13 stützen sich auf die ursprünglichen Ansprüche 2 bis 5 bzw. 14 bis 20.

3. Neuheit

3.1. Entgegenhaltung D1

3.1.1. Anspruch 1 dieser Entgegenhaltung betrifft eine härtbare Zusammensetzung enthaltend

(i) ein aminfunktionelles Organopolysiloxan mit Einheiten der Formel

FORMEL

wobei X eine aminofunktionelle organische Gruppe mit mindestens einer -NHR"-Gruppe (R" = Wasserstoff oder ein C1-C6 Alkyl), R (Halo)Alkyl, Cycloalkyl oder (Halo)Aryl, a gleich 0, 1, 2 oder 3, b gleich 0, 1 oder 2 und (a + b) kleiner als 4 ist, und wobei durchschnittlich pro Molekül mindestens zwei X-Gruppen vorliegen, und

(ii) ein acrylfunktionelles Organopolysiloxan mit Einheiten der Formel

FORMEL

wobei Z eine acrylfunktionelle organische Gruppe mit mindestens einer Gruppe ausgewählt aus (Meth)Acryloxy- und Acrylamid, R wie unter (i), c gleich 0, 1, 2 oder 3, d gleich 0, 1 oder 2 und (c + d) kleiner als 4 ist, und wobei durchschnittlich pro Molekül mindestens zwei Z- Gruppen vorliegen, und wobei mindestens eines der Organopolysiloxane (i) und (ii) durchschnittlich mehr als zwei X- oder Z-Gruppen pro Molekül aufweist.

Die Beispiele 4, 5 und 6 beschreiben die Herstellung von acrylfunktionellen Polydimethylsiloxanen mit 14 (Beispiele 4 und 5) bzw. 98 Einheiten =SiMe2O und endständigen Gruppen (Z') der

Formel -(CH2)3OCH2CH(OA)CH2OA, wobei A die

Formel -C(O)CH=CH2 aufweist.

Die Beispiele 7 und 8 beschreiben jeweils die Härtung eines acrylfunktionellen Polydimethylsiloxans (gemäß Beispielen 6 bzw. 4) mit aminofunktionellen Polydimethylsiloxanen, die 2 bzw. 10 Einheiten der Formel =Si(Me2)(O)(CH2CH[CH3]CH2NHCH2CH2NH2 aufweisen.

3.1.2. Der Gegenstand der vorliegenden Anmeldung ist gegenüber der Offenbarung von D1 u. a. deshalb neu, weil weder deren acrylfunktionelle Siloxane (ii), noch deren aminofunktionelle Siloxane (i), die strukturähnlich zu den aminofunktionellen Verbindungen (V) und (VI) des Anspruchs 1 sind, hydrolysierbare Reste aufweisen, die den Resten X dieses Anspruchs entsprechen (Wasserstoff, Halogen, Hydroxy, Alkoxy, Acyloxy, Alkylcarbonyl, Alkoxycarbonyl oder NR"2; die Reste R gemäß D1 sind dagegen (Halo)Alkyl, Cycloalkyl oder (Halo)Aryl). Darüber hinaus weisen eventuell vorhandene (Vor)Kondensate der anmeldungsgemäßen Verbindungen (V) und (VI) an jedem Si-Atom aminofunktionelle Reste auf, was gemäß D1 nicht der Fall ist.

3.2. Entgegenhaltung D2

3.2.1. Der Anspruch 1 dieser Entgegenhaltung betrifft Silane der allgemeinen Formel:

{XaRbSi[R'(A)c](4-a-b)}xB (I)

in der die Reste und Indices folgende Bedeutung haben:

X: Wasserstoff, Halogen, Hydroxy, Alkoxy, Acyloxy, Alkylcarbonyl, Alkoxycarbonyl oder -NR"2;

R: Alkyl, Alkenyl, Aryl, Alkylaryl oder Arylalkyl;

R': Alkylen, Arylen oder Alkylenarylen;

R": Wasserstoff, Alkyl oder Aryl;

A: O, S, PR", POR", NHC(O)O oder NHC(O)NR";

B: geradkettiger oder verzweigter organischer Rest, der sich von einer Verbindung B' mit mindestens einer (für c = 1 und A = NHC(O)O oder NHC(O)NR") bzw. mindestens zwei C=C-Doppelbindungen und 5 bis 50 Kohlenstoffatomen ableitet;

a: 1, 2 oder 3;

b: 0, 1 oder 2;

c: 0 oder 1;

x: ganze Zahl, deren Maximalwert der Anzahl von Doppelbindungen in der Verbindung B' minus 1 entspricht, bzw. gleich der Anzahl von Doppelbindungen in der Verbindung B' ist, wenn c = 1 und A für NHC(O)O oder NHC(O)NR" steht.

Die Ansprüche 10 und 11 betreffen Homo- oder Copolymere bzw. Homo- oder Cokondensate dieser Silane, wobei die Kondensationsreaktion über die Hydrolyse der Si-X Gruppe und die Polymerisationsreaktion über die C=C Doppelbindungen verläuft und thermisch oder photochemisch initiiert werden kann (Seite 10 Zeile 48 bis Seite 11, Zeile 1).

3.2.2. Die in dieser Entgegenhaltung offenbarten Silane entsprechen zwar denen der vorliegenden Anmeldung, D2 offenbart aber nicht die Verwendung von aminofunktionellen Härterkomponenten. Der Gegenstand der vorliegenden Anmeldung ist daher neu gegenüber dieser Entgegenhaltung.

3.3. Entgegenhaltung D3

3.3.1. Anspruch 1 dieser Entgegenhaltung betrifft ein Polysiloxan mit zumindest einem Si-gebundenen acrylfunktionellen Radikal mit mindestens einer Kohlenstoff- Stickstoff-Kohlenstoff Bindung und einer (Meth)Acrylat- oder (Meth)Acrylamid-Gruppe, sowie inter alia gegebenenfalls hydrolysierbaren Si-Substituenten.

Diese Verbindungen werden durch eine Michael- Additionsreaktion hergestellt aus einer Siliciumverbindung mit zumindest einer primären oder sekundären Aminogruppe und einer Verbindung mit mindestens zwei (Meth)Acrylat- oder (Meth)Acrylamid- Gruppen (Anspruch 13; Seite 4, zweiter Absatz; Seite 12, zweiter Absatz bis Seite 16, Mitte).

3.3.2. Die Neuheit des Gegenstands der vorliegenden Anmeldung gegenüber D3 ergibt sich u. a. daraus, daß die gemäß dieser Entgegenhaltung verwendete Verbindung mit mindestens zwei (Meth)Acrylat- oder (Meth)Acrylamid- Gruppen im Gegensatz zur anmeldungsgemäßen Verbindung (I) keine Si-Einheiten enthält.

3.4. Entgegenhaltung D4

3.4.1. Diese Entgegenhaltung betrifft ein faserhältiges Laminat, das als polymeren Binder thermisch vernetzbare Bisaspartimide mit aromatischen Amin-Endgruppen enthält, die durch Reaktion von zwei Mol aromatischem Diamin mit einem Mol Bismaleimid hergestellt werden (Anspruch 1; Spalte 2, Zeile 63 bis Spalte 3, letzte Zeile).

3.4.2. Da D4 Siliciumverbindungen der Formel I gemäß vorliegendem Anspruch 1 nicht offenbart, ist auch diese Entgegenhaltung für den beanspruchten Gegenstand nicht neuheitsschädlich.

4. Naheliegen

Wie in dem in obigem Paragraph V referierten Bescheid festgestellt, offenbart die Entgegenhaltung D2 den nächstliegenden Stand der Technik (Punkt 2 des Bescheids), demgegenüber die anmeldungsgemäße Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen Vernetzungsmethode besteht (Punkte 4 und 5 des Bescheids). Die Lösung dieser Aufgabe durch die Modifikation des Härtungssystems durch Verwendung von Siliciumverbindungen der Formel I, die eine Michael- analoge Vernetzungsreaktion mit den Aminverbindungen II bis VI ermöglichen, ist durch die zitierten Entgegenhaltungen nicht nahegelegt (Punkt 6 des Bescheids). Es kann somit anerkannt werden, daß die Gegenstände des vorliegenden Anspruchs 1, der davon abhängigen Ansprüche 2 bis 12 und des auf die Verwendung der Massen gemäß Anspruch 1 gerichteten Anspruchs 13 auf erfinderischer Tätigkeit beruhen (Punkt 7 des Bescheids).

5. Die Ansprüche und die (geänderte) Beschreibung erfüllen auch alle anderen Anforderungen des EPÜ, insbesondere die des Artikels 84 EPÜ.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in der in vorstehendem Punkt VII angegebenen Fassung zu erteilen.

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