European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T116300.20030324 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 24 März 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1163/00 | ||||||||
Anmeldenummer: | 93104144.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B23Q 1/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Aus Baugruppen zusammengesetztes Bearbeitungszentrum | ||||||||
Name des Anmelders: | EMAG MASCHINENFABRIK GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Zulässigkeit der Änderungen - ja Neuheit - ja Erfinderische Tätigkeit - ja |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent 0 568 798 wurde auf die am 14. März 1993 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 10. April 1992 eingereichte europäische Patentanmeldung 93104144.6 erteilt.
II. Gegen das erteilte Patent wurde Einspruch eingelegt, gestützt auf die Gründe des Artikels 100 a) EPÜ, weil der Gegenstand des angegriffenen Patents nicht neu sei bzw. nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer am 29. November 2000 zur Post gegebenen Entscheidung. Sie kam zu dem Ergebnis, daß in Anbetracht des aus den Dokumenten
E8: WO-A-85/03 893 und
D2: US-A-4 534 686
bekannten Standes der Technik der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 2. Dezember 2000 beschwert und am 5. Dezember die Beschwerdegebühr bezahlt.
In ihrer am 1. Februar 2001 eingegangenen Beschwerdebegründung führte die Beschwerdeführerin aus, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu und erfinderisch. Mit dem am 23. November 2001 eingegangenen Schriftsatz vom 16. November 2001 reichte sie zwei Hilfsanträge ein.
V. Die Einsprechende hat mit ihrem am 6. November 2002 eingegangenen Schreiben vom 5. November 2002 ihren Einspruch gegen das europäische Patent 0 568 798 zurückgezogen.
VI. Die Kammer teilte in einem Bescheid vom 3. März 2003 mit, daß sie bezüglich des Hauptantrages keine andere Beurteilung als die der Einspruchsabteilung habe. Die zwei Hilfsanträge erschienen in Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ als unzulässig.
VI. Am 24. März 2003 wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten, in der von den im Einspruchsverfahren behandelten Entgegenhaltungen nur noch die folgenden von Bedeutung waren:
E1: EP-A-0 088 645 und E8.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents aufgrund folgender Unterlagen:
- Patentansprüche 1 bis 45 und
- Beschreibung, Spalten 1 bis 18 mit Einfügungsseiten 1, 2 und 3,
wie in der mündlichen Verhandlung überreicht, sowie
- Beschreibung Spalten 19 bis 31 und
- Figuren 1 bis 34, wie erteilt.
Der Patentanspruch 1 lautet:
"Aus Baugruppen zusammengesetzte Bearbeitungszelle, mit einem Maschinengrundkörper (6), dem eine Arbeitsraumverkleidung zugeordnet ist, und einem Arbeitsraum (34), wobei der Maschinengrundkörper (6) den Arbeitsraum (34) auf zumindest zwei Seiten umschließt und der Aufnahme von Werkzeugträgern und/oder Revolvern als feststehende Einheit dient, mit einer vertikal hängend geführten, als Motorspindel (3) ausgebildeten Hauptspindel, die zusammen mit einem als Kreuzschlitten ausgebildeten, mit einem Abdeckblech versehenen Mehrachsschlitten (5) eine Spindelstockeinheit bildet, wobei dem Maschinengrundkörper (6) oben die Führungen (24, 25) in einer Bewegungsrichtung für den Mehrachsschlitten (5) zugeordnet sind und die Motorspindel (3) zum Greifen, Spannen und Ablegen sowie zum Antreiben von Werkstücken oder Werkzeugen dient und CNC-gesteuert ist."
VII. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei der Gegenstand nach diesem Anspruch jedenfalls neu und durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt. Mit der neuen Bearbeitungszelle sei es erstmals gelungen, in Modulbauweise auf engstem Raum je nach Bedarf verschiedene Baueinheiten anzuordnen und sämtliche Bearbeitungsfunktionen einschließlich Greifen und Ablegen des Werkstückes nur mit Hilfe der Hauptspindel durchzuführen. Hierzu fehle in den Entgegenhaltungen jegliches Vorbild.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Nach der Rücknahme ihres Einspruchs ist die vormalige Einsprechende nicht mehr am Verfahren beteiligt.
3. Zulässigkeit des neuen Antrags
3.1. Die Kammer kann verspätet oder zu kurzfristig eingereichte Anträge zurückweisen, wenn ihre Berücksichtigung die Gegenseite unangemessen benachteiligen oder das Verfahren unnötig verzögern würde (Artikel 114 (2) EPÜ). Da die Einsprechende nicht mehr am Verfahren beteiligt ist, kann sie durch die Vorlage des neuen Antrags nicht beeinträchtigt sein.
Nachdem eine erste Überprüfung ergeben hat, daß der neu vorgelegte Antrag voraussichtlich gewährbar sein würde und darüber unmittelbar entschieden werden könnte, konnte die Kammer diesen neuen Antrag als Grundlage für ihre Entscheidung akzeptieren (vgl. auch die Entscheidung T 468/95).
3.2. Der geltende Anspruch 1 wurde aus den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 sowie der abhängigen Ansprüche 2 (teilweise), 3 und 17 gebildet. Die Offenbarung dieser Merkmale im jeweiligen Zusammenhang gibt keinen Anlaß zu Beanstandungen im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ. Die weiter eingefügten Merkmale, nämlich einerseits der vertikal hängend geführten Hauptspindel und andererseits, daß dem Maschinengrundkörper oben Führungen in einer Bewegungsrichtung für den Mehrachsschlitten zugeordnet sind, ergeben sich eindeutig und unzweifelhaft aus den Figuren 3 bis 18, 20, 30 bis 34. Sie werden durch die Beschreibung gestützt (Patentschrift Spalte 5, Zeilen 16 bis 27; ursprüngliche Anmeldeunterlagen Seite 9, letzter Absatz bis Seite 10, 2. Absatz). Durch die eingefügten Merkmale wird der Schutzbereich des Anspruchs 1 eingeschränkt, so daß die Änderungen auch mit Artikel 123 (3) EPÜ im Einklang stehen.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 45 gehen auf die erteilten Ansprüche 2 (mit Ausnahme der in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale), 4 bis 16 und 18 bis 47 zurück, wobei die Rückbeziehungen angepaßt und korrigiert wurden.
Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepaßt und die Würdigung des Standes der Technik in der Beschreibungseinleitung ergänzt (Regel 27 (1) b) EPÜ). Daher bestehen gegen die Zulässigkeit des geänderten Patents seitens der Kammer keine Bedenken.
4. Neuheit
Im Einspruchsverfahren spielte bei der Beurteilung der Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 nur die Druckschrift E1 eine Rolle, die jedoch nicht explizit eine Motorspindel offenbart. Von den übrigen Entgegenhaltungen weist keine alle Merkmale des Gegenstandes des Anspruchs 1 auf. Nachdem der geltende Anspruch 1 gegenüber der Fassung weiter eingeschränkt worden ist, die der Einspruchsentscheidung zugrundelag, besteht an der Neuheit der beanspruchten Bearbeitungszelle kein Zweifel, so daß die Erfordernisse des Artikels 54 (1) EPÜ erfüllt sind.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1. Die Erfindung geht aus von einer Bearbeitungsmaschine, wie sie aus E1 bekannt ist. Dort ist die vertikal hängende Hauptspindel 12 mittels eines Kreuzschlittens 11. an einem mit dem Maschinenbett 13 verbundenen turmartigen Support geführt und dazu geeignet, sowohl Werkzeuge als auch Werkstücke aufzunehmen. Das Maschinenbett umfaßt eine Bearbeitungseinheit 18 und eine Lager- oder Magazineinheit 17, die relativ zur Hauptspindel entlang des Maschinenbettes bewegbar sind.
5.2. In der Patentschrift (Spalte 3, Zeilen 13 bis 18) ist als Aufgabe angegeben, ein Bearbeitungszentrum so auszugestalten, daß sich einfache, aber auch komplizierte Bearbeitungsmaschinen, auch wenn deren Verkettung zu Transferstraßen oder flexiblen Fertigungssystemen gewünscht wird, baueinfach und relativ preiswert herstellen lassen.
Dieses technische Problem wird nach Überzeugung der Kammer durch die aus Baugruppen zusammengesetzte Bearbeitungszelle mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst.
5.3. Die Spindel 12 gemäß der Druckschrift E1 ist zwar auch dazu geeignet, ein Werkstück 16 aufzunehmen und numerisch gesteuert eine Drehbearbeitung mittels eines Werkzeugs 19 durchzuführen, jedoch zeigt die ausladende Gesamtanordnung dieser Bearbeitungsmaschine, daß ein modulartiger Aufbau, der mit den Merkmalen des Anspruchs 1 angestrebt wird, dort nicht möglich ist. Insbesondere ist E1 keine Anregung entnehmbar, den Maschinengrundkörper in der Weise zu gestalten, daß er den Arbeitsraum auf mindestens zwei Seiten umschließt, was wieder die Voraussetzung dafür ist, daß er als feststehende Einheit für die Aufnahme von Werkzeugen und/oder Revolvern dienen kann. Die Anordnung der Führungen für den Mehrachsschlitten oben an dem dafür ausgebildeten Maschinengrundgestell unterstützt eine stabile und weitgehend schwingungsfreie Lagerung der Hauptspindel, wozu E1 ebenfalls keinen Hinweis enthält.
Auch kann die numerische (NC-) Steuerung der E1 keinen zielführenden Anstoß geben, die Motorspindel zum Greifen, Spannen und Ablegen sowie zum Antreiben von Werkstücken oder Werkzeugen CNC-gesteuert zu betreiben, da eine computergestützte CNC-Steuerung technisch unterschiedliche Voraussetzungen bedingt als die konventionelle NC-Steuerung.
Daher ist die Kombination der Merkmale des Anspruchs 1 durch E1 allein nicht nahegelegt.
5.4. E8 offenbart eine Bearbeitungsmaschine, deren Bearbeitungsraum vom Maschinengrundgestell 1, 2 auf zwei Seiten umschlossen ist, wobei die Führungen 12 für den die Spindelstockeinheit tragenden Mehrachsschlitten oben am Maschinengrundgestell angeordnet sind. Ein Werkstück, das auf einem dreh- und schwenkbaren Werkstückträger 6 im Bearbeitungsraum angeordnet ist, kann mittels des an einer hängend geführten Hauptspindel 25 aufgenommenen Werkzeugs 26 einer Bohr- oder Fräsbearbeitung unterworfen oder durch ein auf einem Schlitten neben der Hauptspindel angeordnetes spanendes Werkzeug drehbearbeitet werden, wobei die Bearbeitung numerisch gesteuert ausgeführt werden kann.
Abgesehen davon, daß die Hauptspindel nicht wie bei der Erfindung als Motorspindel ausgebildet ist, ist es mit dieser Anordnung auch nicht möglich, ein Werkstück an der Spindelstockeinheit aufzunehmen.
Aufgrund der ganz unterschiedlichen Maschinenkonzepte der E1 und der E8 ergibt sich für den Fachmann kein Anlaß, Aufbau und Funktion der Komponenten dieser beiden Bearbeitungsmaschinen im einzelnen zu analysieren und sodann einzelne Merkmale mosaikartig neu zu kombinieren. Selbst bei einer versuchten neuen Kombination der Merkmale der E1 und der E8 käme der Fachmann nicht zur beanspruchten Lösung, da keine der Entgegenhaltungen eine CNC-gesteuerte Motorspindel offenbart oder einen zielführenden Hinweis auf dieses Konstruktionselement enthält. Somit ist die Merkmalskombination des Anspruchs 1 auch durch eine Zusammenschau von E1 und E8 nicht nahegelegt.
5.5. Die übrigen im Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften liegen dem nunmehr beanspruchten Gegenstand des Anspruchs 1 ferner als der oben diskutierte Stand der Technik und können deshalb auch in Kombination nicht zur Lösung gemäß der Erfindung anregen. Die von der Einspruchsabteilung für relevant erachtete D2 zeigt zwar, daß der Einsatz von Motorspindeln an sich bekannt ist, sie gibt jedoch, wie oben unter 5.4 dargelegt, keinen Hinweis auf die besondere Gestaltung des Maschinengrundkörpers.
Da auch nicht erkennbar ist, wie der Fachmann durch sein allgemeines Wissen und Können zu den beanspruchten Maßnahmen gelangen konnte und, wie ausgeführt, ein entsprechender Anstoß durch den Stand der Technik fehlt, mußte der Fachmann zum Auffinden des Gegenstandes des Anspruchs 1 erfinderisch tätig werden (Artikel 56 EPÜ).
5.6. Zusammen mit dem Hauptanspruch können die abhängigen Ansprüche 1 bis 45, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls bestehen bleiben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Patentansprüche 1 bis 45 und
- Beschreibung, Spalten 1 bis 18 mit Einfügungsseiten 1, 2 und 3,
jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung,
- Beschreibung Spalten 19 bis 31 und
- Figuren 1 bis 34, wie erteilt.