T 0994/00 (Digitales zellulares Mobilkommunikationsnetz/DETECON) of 5.5.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T099400.20040505
Datum der Entscheidung: 05 Mai 2004
Aktenzeichen: T 0994/00
Anmeldenummer: 92120615.7
IPC-Klasse: H04B 7/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Betrieb eines digitalen, zellularen Mobilkommunikationsnetzes und ein nach dem Verfahren arbeitendes Mobilkommunikationsnetz
Name des Anmelders: DETECON DEUTSCHE TELEPOST CONSULTING GmbH
Name des Einsprechenden: Robert Bosch GmbH
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel
Zulässigkeit des Vorbringens (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0326/87
T 1002/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, derzufolge das europäische Patent Nr. 546 445 in geänderter Form die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Die Änderungen entsprechen dem Hauptantrag des Patentinhabers vor der Einspruchsabteilung und betreffen nicht die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 des Patents (siehe Annex der Niederschrift).

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte mit Schreiben vom 7. September 2000 Beschwerde ein, die in einem weiteren Schreiben vom 21. November 2000 begründet wurde, und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt. In ihrer Begründung bezog sich die Beschwerdeführerin auf die schon im Einspruchsverfahren berücksichtigte Druckschrift

D1: JP-A-3 179 820,

der eine Übersetzung ins Englische beigefügt wurde. Alle nachfolgenden Verweise auf D1 beziehen sich auf diese englische Übersetzung.

Die Beschwerdeführerin führte aus, daß der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 9 aus D1 bekannt sei oder durch D1 zumindest nahegelegt werde.

III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) argumentierte in ihrem Antwortschreiben vom 23. März 2001 zu Gunsten der Patentfähigkeit der Patentansprüche des Streitpatents. Sie beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und, hilfsweise, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

IV. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2003 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen. In einem Anhang zur Ladung nahm die Kammer zu dem strittigen Sachverhalt vorläufig Stellung.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte in einem Schreiben vom 31. März 2004, die weiteren Dokumente

EP-A-0 415 897

EP-A-0 411 463

in das Verfahren aufzunehmen, und führte aus, daß der in den Ansprüchen 1 und 9 beanspruchte Gegenstand nicht erfinderisch gegenüber einer Zusammenschau dieser Dokumente sei.

VI. Die Beschwerdegegnerin beantragte mit Schreiben vom 27. April 2004, diese weiteren Dokumente als verspätet vorgebracht vom Verfahren auszuschließen. Hilfsweise wurde die Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents auf der Basis eines Hilfsantrags beantragt.

VII. Anspruch 1 des Patents lautet:

Verfahren zum Betrieb eines digitalen zellularen Mobilkommunikationsnetzes zur Versorgung von an ständig wechselnden Orten befindlichen Mobilstationen (MS) von Funkfeststationen aus über gemultiplexte Signalströme, wobei umgekehrt auch die einzelnen Mobilstationen (MS) jeweils einen Signalstrom zur Funkfeststation senden, wobei die von der Feststation ausgesendeten Signalströme auf ihrem Weg zur jeweiligen Mobilstation Laufzeitunterschiede durch Mehrwegeausbreitung erfahren, die durch einen Entzerrer vor der Verarbeitung in der Mobilstation ausgeglichen werden können, wobei zur Bestimmung der Laufzeitunterschiede der Signale zwischen der Mobilstation und der Feststation die Laufzeiten der von der Mobilstation zur Feststation gesendeten Signale in der Feststation gemessen werden und daß in Abhängigkeit von den gemessenen Laufzeiten der Mehrwege ein in der Feststation angeordneter Sendevorverzerrer angesteuert wird, der dem ausgesendeten Signalstrom eine zur Kompensation der gemessenen Laufzeitunterschiede entsprechende Verzerrung zuordnet, wobei die Sendevorverzerrungen durch die Messung in den Sprachkanälen realisiert wird, dadurch gekennzeichnet, daß der Entzerrer für die Dauer einer Sprach- oder Datenübertragung über Sprachkanäle abgeschaltet oder in einen stromsparenden Modus geschaltet wird.

Der unabhängige Anspruch 9 des Patents bezieht sich auf ein digitales zellulares Kommunikationsnetz, das die entsprechenden Merkmale aufweist.

VIII. Während der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin bestätigte ihren Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Entscheidungsgründe

Technischer Hintergrund

1. Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zum Betrieb eines digitalen, zellulären Mobilkommunikationsnetzes, wie es allgemein bekannt ist. In solchen Kommunikationsnetzen kommt es aufgrund von Mehrwegeausbreitungen der Nutzsignale zu Verzerrungen in den Mobilstationen. Diese werden bekanntermaßen durch entsprechende Entzerrer in den Mobilstationen ausgeglichen. Weiterhin ist aus dem Dokument D1 bekannt (siehe Seite 7, Absatz "Working"), die durch Mehrwegeausbreitungen verursachten Verzerrungen durch eine adaptive Vorverzerrung in der Feststation auszugleichen, so daß in der Mobilstation kein Entzerrer mehr nötig ist (erstes Ausführungsbeispiel von D1, Seite 7, letzte Zeile - Seite 11, Zeile 6 in Verbindung mit Figur 1), oder durch eine adaptive Vorverzerrung in der Feststation soweit auszugleichen, daß in der Mobilstation nur noch ein weniger aufwendiger Entzerrer nötig ist (zweites Ausführungsbeispiel von D1, Seite 11, Zeile 7 - Seite 13, Zeile 9 in Verbindung mit Figur 3). Im Vergleich zu den allgemein bekannten Kommunikationssystemen löst das aus D1 bekannte Kommunikationssystem die Aufgabe, daß der Entzerrer in der Mobilstation entfallen kann oder zumindest kleiner und weniger aufwendig gestaltet werden kann und der Stromverbrauch in der Mobilstation verringert wird (siehe D1, Seite 6, Zeile 3-12).

2. Neuheit

2.1. Das in Anspruch 1 des Patents definierte Kommunikationssystem unterscheidet sich von dem aus D1 bekannten im wesentlichen dadurch, daß der Entzerrer in der Mobilstation für die Dauer einer Sprach- oder Datenübertragung über Sprachkanäle abgeschaltet oder in einen stromsparenden Modus geschaltet wird. Dadurch wird die Aufgabe gelöst, den Stromverbrauch in der Mobilstation zu verringern (s. Spalte 1, Zeile 43-48 des angegriffenen Patents). Das Verfahren in der allgemeinen Ausführungsform nach Anspruch 1 des Patents verzichtet zugunsten eines besseren Ausgleichs von Verzerrungen außerhalb einer Sprach- und Datenübertragung, also insbesondere während der Übertragung von Statusinformationen, auf den Vorteil einer kleineren oder weniger aufwendigeren Mobilstation, der durch das aus D1 bekannte Kommunikationssystem erreicht wird.

2.2. Die Kammer betrachtet es als unerheblich, ob D1 alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Patents zeigt, da, wie im folgenden gezeigt wird, das kennzeichnende Merkmal dieses Anspruchs sowohl die Neuheit als auch die erfinderische Tätigkeit im Sinne der Artikel 52 (1), 54 (1), 54 (2) und 56 EPÜ begründet.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Das kennzeichnende Merkmal von Anspruch 1 erfordert zum einen, daß der Entzerrer (in der Mobilstation) abschaltbar oder in einen stromsparenden Modus schaltbar ist. Ein solches Merkmal ist aus D1 nicht direkt zu entnehmen.

3.2. Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß die beiden Ausführungsbeispiele von D1, nämlich ein Kommunikationssystem ohne Entzerrer in der Mobilstation und ein Kommunikationssystem mit einem weniger aufwendig gestalteten Entzerrer in der Mobilstation, vom Fachmann als Äquivalent zu einer Mobilstation mit abschaltbarem Entzerrer verstanden würden. So wäre es für den Fachmann naheliegend, ausgehend von dem zweiten Ausführungsbeispiel mit einem Entzerrer in der Mobilstation unter Berücksichtigung der in D1 zu lösenden Aufgabe einer Verringerung der elektrischen Last (Seite 6, Zeile 9-12), das Abschalten des Entzerrers in Betracht zu ziehen. Somit würden in naheliegender Weise die Vorteile dieses zweiten Ausführungsbeispiels mit denen des Kommunikationssystems ohne Entzerrer (erstes Ausführungsbeispiel von D1) verbunden.

3.3. Dem kann die Kammer im gegebenen Zusammenhang nicht folgen.

Zum einen ist es neben der Verringerung der elektrischen Last eine Teilaufgabe von D1, eine kleine und einfache Mobilstation zur Verfügung zu stellen (siehe Seite 6, erster vollständiger Absatz). Dem widerspricht es, die Mobilstation mit einem Entzerrer auszurüsten, der zwar abschaltbar ist, aber nicht notwendigerweise ein weniger aufwendig gestalteter Entzerrer ist. Eine solche Vorrichtung würde die in D1 gestellte Aufgabe nicht vollständig lösen. Nach dem zweiten Ausführungsbeispiel von D1 wird diese Aufgabe nur durch die spezielle Form eines weniger aufwendig gestalteten Entzerrers in der Mobilstation gelöst. Somit wäre die Verwendung eines abschaltbaren Entzerrers, wenn überhaupt, nur in einer weniger aufwendigen Form wie im zweiten Ausführungsbeispiel von D1 für den Fachmann nahegelegen.

Jedoch ist der Entzerrer des zweiten Ausführungsbeispiels von D1 ein Entzerrer, der seine Entzerrungsdaten von der Feststation erhält (siehe Seite 12, Zeile 16 - Seite 13, Zeile 9) und somit von dieser ferngesteuert wird. Insbesondere werden diese Daten zu jedem Sendezeitpunkt von der Feststation zur Mobilstation übertragen (ibidem). Diese Tatsache legt dem Fachmann ein Abschalten des Entzerrers, wenn es dadurch nicht schon ausgeschlossen wird, doch wenigstens nicht nahe. Das von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, das in Spalte 4, Zeilen 11-17 des Streitpatents beschriebene Senden eines Trainingssignals sei mit der aus D1 bekannten Fernsteuerung gleichzusetzen, überzeugt nicht. Nach dem Verständnis der Kammer bezieht sich die zitierte Passage auf den Austausch von Trainingssignalen nach dem allgemeinen Stand der Technik, wie er im angegriffenen Patent betrachtet wird. Der Austausch von Trainingssignalen erfolgt üblicherweise gelegentlich und kann nicht mit einem permanent gesendeten Signal einer Fernsteuerung im Sinne von D1 gleichgesetzt werden.

3.4. Das Merkmal eines abschaltbaren Entzerrers ist insbesondere in Verbindung mit dem weiteren Merkmal, daß der Entzerrer während der Dauer einer Sprach- und Datenübertragung über Sprachkanäle abgeschaltet wird, nicht naheliegend. Auch dieses weitere Merkmal ist aus D1 nicht direkt zu entnehmen.

3.5. Die Beschwerdeführerin brachte in diesem Zusammenhang vor, daß das Kommunikationssystem nach D1 nicht zwischen verschiedenen Kanälen unterscheide (siehe Seite 1, Zeile 8) und daher eine Abschaltung, wenn sie der Fachmann in Betracht zöge, zwangsläufig während einer Übertragung über den Sprachkanal erfolge. Auch wenn man dieses Argument akzeptiert, folgt daraus nicht, daß die Abschaltung während der Sprach- und Datenübertragung erfolgt. Denn in einem Kommunikationssystem werden bekanntlich notwendigerweise auch Statusinformationen übertragen, die sich im Falle von D1 den Sprachkanal mit anderen Daten teilen müssen. Dem Merkmal der Abschaltung während der Sprach- und Datenübertragung liegt jedoch die Erkenntnis zu Grunde, daß die Sprach- und Datenübertragung während einer Duplexverbindung zwischen Mobilstation und Feststation stattfindet und nur während einer Duplexverbindung die Auswertung der Laufzeitverzerrungen und die Anpassung der Vorzerrungen genügend oft und schnell erfolgen, so daß eine ausreichende Entzerrung auf Seiten der Mobilstation erreicht werden kann (siehe Spalte 2, Zeilen 52- 55. des Streitpatents). Da diese Einsicht in D1 fehlt, ist nicht nachzuvollziehen, warum der Fachmann die Abschaltung des Entzerrers gerade während der Sprach- und Datenübertragung in Betracht ziehen würde.

3.6. Aus vorstehenden Gründen war es für den Fachmann nicht naheliegend, ausgehend von D1 einen abschaltbaren Entzerrer in der Mobilstation vorzusehen und diesen während der Sprach- und Datenübertragung abzuschalten.

3.7. Der unabhängige Anspruch 9 des Patents bezieht sich auf ein digitales zellulares Mobilkommunikationsnetz mit Merkmalen, die denen des Verfahrens nach Anspruch 1 des Patents entsprechen. Daher erfüllt auch der Gegenstand dieses Anspruchs nach Überzeugung der Kammer die Erfordernisse der Artikel 52 (1), 54 (1), 54 (2) und 56 EPÜ. Gegen die Patentierbarkeit der Erfindung nach Anspruch 9 wurden auch keine weiteren, speziellen Einwände erhoben.

4. Verspätet eingereichte Dokumente

4.1. Die beiden Dokumente EP-A-0 415 897 und EP-A-0 411 463 wurden erst etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht. Da die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 des Patents seit Einlegen des Einspruchs etwa fünf Jahre vor der mündlichen Verhandlung nicht geändert worden sind, ist das Einreichen dieser Dokumente nicht durch veränderte Umstände bedingt und ist daher als verspätet anzusehen. Nach ständiger Rechtsprechung sind in Ausübung des Ermessens nach Artikel 114 (2) EPÜ Beweismittel zu einem solch späten Zeitpunkt nur dann in das Verfahren zuzulassen, wenn sie zumindest "hochrelevant" sind und der Aufrechterhaltung eines europäischen Patents höchstwahrscheinlich entgegenstehen (siehe T 1002/92, ABl. EPA 1995, 605, Punkt 3 der Gründe, und T 326/87, ABl. EPA 1992, 522, Punkt 2 der Gründe). Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß das im vorliegenden Fall nicht zutrifft.

4.2. EP-A-0 415 897, das ein Kommunikationssystem mit einem Mobilteil mit abschaltbarem Entzerrer, jedoch ohne Vorverzerrung in der Feststation zeigt, weist in Spalte 8, Zeilen 36-39 darauf hin, den Entzerrer im Sprachmodus nicht abzuschalten. Somit weist dieses Dokument von dem kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 weg.

4.3. EP-A-0 411 463 entspricht im wesentlichen der Druckschrift D1. Hinsichtlich des kennzeichnenden Merkmals des Anspruchs 1 des Patents ist diesem Dokument nichts zu entnehmen.

4.4. Beide Dokumente sind somit nicht "hochrelevant" und werden nicht in das Verfahren aufgenommen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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