European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T088400.20030428 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 28 April 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0884/00 | ||||||||
Anmeldenummer: | 93110555.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61F 13/15 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Wegwerfwindel | ||||||||
Name des Anmelders: | UNI-CHARM CORPORATION | ||||||||
Name des Einsprechenden: | The Procter & Gamble Company | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Zulässigkeit der Ansprüche - ja Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 30. Juni 1993 unter Inanspruchnahme einer japanischen Priorität vom 1. Juli 1992 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 93 110 555 wurde das europäische Patent Nr. 0 581 044 erteilt.
II. Gegen das erteilte Patent legte die Beschwerdegegnerin (Einsprechende), gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikel 100 a), b) und c) EPÜ, Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents.
III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2000 verkündeten und am 5. Juli 2000 zur Post gegebenen Entscheidung.
Sie kam zu dem Ergebnis, dass der erteilte Anspruch 1 gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen in unzulässiger Weise geändert worden war (Artikel 123 (2) EPÜ) und dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhte (Artikel 52 (1), 56 EPÜ).
IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 31. August 2000 beschwert und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit der am 18. Oktober 2000 eingereichten Beschwerdebegründung hat sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang oder hilfsweise auf der Basis der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 oder 2 aufrechtzuerhalten.
V. Die Beschwerdekammer hat in ihrer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung vom 18. Februar 2003 darauf hingewiesen, dass der erteilte Anspruch 1 im Hinblick auf die Offenbarung der Erfindung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu diskutieren sein werde. Die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von der Einspruchsabteilung betrachteten D3 und D4 schienen demselben Gebiet der Wegwerfwindeln anzugehören, so daß unter diesem Punkt auch die Kombination dieser Druckschriften zu berücksichtigen sein werde.
VI. Am 28. April 2003 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche und Beschreibungsunterlagen vorlegte. Von den im Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen wurden nur noch die folgenden aufgegriffen:
D3: EP-A-0 359 410
D4: ES-A-2 022 026 mit englischer Übersetzung
D5: EP-A-0 382 022
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit folgenden Unterlagen:
- Patentansprüche 1 bis 4 und
- Beschreibung, Spalten 1 bis 4, wie während der mündlichen Verhandlung überreicht;
- Figuren 1 bis 3, wie erteilt.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
Der Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Wegwerfwindel mit einer ersten flüssigkeitsdurchlässigen oberen Lage (1), einer flüssigkeitsundurchlässigen unteren Lage (2) und einem flüssigkeitsabsorbierenden Körper (3), der sandwichartig zwischen den genannten Lagen eingelegt ist, wobei diese Lagen eine Windelgrundstruktur bilden, und mit einer zusätzlichen flüssigkeitsdurchlässigen oberen Lage (7), die über die erste flüssigkeitsdurchlässige obere Lage (1) gelegt ist und an ihren in Längsrichtung einander gegenüberliegenden Enden an der genannten Windelstruktur befestigt ist und in der eine Öffnung ausgebildet ist, wobei die zweite flüssigkeitsdurchlässige obere Lage (7) aus einer sowohl in Längsrichtung als auch in Querrichtung dehnbaren Lage (7) besteht und in in Längsrichtung gedehntem Zustand an der genannten Windelstruktur befestigt ist,
dadurch gekennzeichnet,
daß die zweite flüssigkeitsdurchlässige Lage (7) auch in in Querrichtung gedehntem Zustand nur an den genannten Stellen befestigt ist und an Stellen, die den Urinalorganen und dem Anus eines Trägers entsprechen, mit voneinander unabhängigen Öffnungen versehen ist."
VII. Die Beschwerdeführerin führte aus, der neue Patentanspruch 1 sei formal zulässig und sein Gegenstand neu und erfinderisch.
Im Gegensatz zu den aus dem Stand der Technik bekannten Wegwerfwindeln sei bei ihrem Produkt die in Längs- und Querrichtung dehnbare obere Lage nur an den in Längsrichtung gegenüberliegenden Enden der Windelstruktur befestigt und nicht im Bereich der Seitenränder. Durch die Vorspannung in Längs- und Querrichtung ergebe sich daher eine besonders gute Paßform. In Kombination mit dieser guten Paßform sei die Abdichtung im Schrittbereich gewährleistet und die Öffnungen würden optimal gegenüber dem Urinalorgan und dem Anus positioniert.
Die oberen Lagen mit Öffnungen gemäß D3 und D4 seien längs der gesamten Peripherie an der Windelstruktur befestigt. Die obere Lage der D5 sei zwar nicht an den Seitenrändern befestigt, weise aber keine Öffnungen auf, so daß eine Kombination mit den anderen Entgegenhaltungen nicht naheliege.
VIII. Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, die vorgenommenen Änderungen seien nicht ursprünglich offenbart und die Lehre des Patents sei in sich widersprüchlich, da mangels Befestigung der oberen Lage an den Seitenrändern kein geschlossener "Raum" gebildet werde. Der Begriff "dehnbar" sei zu weit gefaßt, da die zusätzliche obere Lage nur dann ihren Zweck erfülle, wenn sie "elastisch" sei, d. h. nach Entspannung ihre ursprüngliche Form wieder annehme.
Die aus D3 bekannte obere Lage sei ebenfalls in Längs- und Querrichtung dehnbar und bilde durch ihre periphere Befestigung an der Windelstruktur einen solchen Raum, so daß hier kein prinzipieller Unterschied zur beanspruchten Windel erkennbar sei. Diese Entgegenhaltung offenbare außerdem bereits eine Kombination von Öffnungen, wie etwa von Löchern und Schlitzen, so daß bereits die Neuheit zweifelhaft sei. Jedenfalls gelange der Fachmann ausgehend von D3 aufgrund der Hinweise aus D4 ohne erfinderische Tätigkeit zur beanspruchten Lösung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Klarheit des Anspruchs 1
Gemäß Artikel 84 EPÜ muß in den Ansprüchen deutlich angegeben werden, was unter Schutz gestellt werden soll. Danach ist die obere zusätzliche Lage dehnbar in Längs- und Querrichtung. Zwar ist in der Beschreibung nicht ausdrücklich offenbart, daß die Dehnbarkeit gleichzusetzen ist mit Elastizität, jedoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Beschreibung (insbesondere Spalte 3, Zeilen 26 bis 27), daß die obere Lage eine gewisse Elastizität haben muß, denn wäre sie nur dehnbar ohne eine Kraft in Richtung ihrer ungedehnten Gestalt auszuüben, so hätte sie keine Spannung im Bereich der angegebenen Werte von 20 bis 197 g/cm. Da der Begriff "dehnbar" jedenfalls den Begriff "elastisch" umfaßt, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 ausreichend definiert.
3. Änderungen
3.1. Gemäß Artikel 123 (2) EPÜ dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden, daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
3.2. Der Patentanspruch wurde im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ gegenüber der erteilten Fassung dahingehend präzisiert, daß die obere Lage an ihren in Längsrichtung gegenüberliegenden Enden an der Windelstruktur befestigt ist. Im kennzeichnenden Teil wurde eingefügt, daß sie auch in in Querrichtung gedehntem Zustand nur an den genannten Stellen befestigt ist. Diese Merkmale sind in der Patentschrift (Spalte 2, Zeile 57 bis Spalte 3, Zeile 12) und in den ursprünglich eingereichten Unterlagen (Seite 4, letzter Absatz) klar und eindeutig offenbart. Die Änderungen bedeuten auch eine Einschränkung des Schutzumfangs, so daß sie auch im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ zugelassen werden können.
3.3. Die Beschreibung wurde an den neuen Anspruch 1 angepaßt und in der Figurenbeschreibung wurde ein offensichtlicher Fehler korrigiert, was ebenfalls nicht zu beanstanden ist.
4. Neuheit
4.1. Aus der zur Neuheit zitierten D3 ist eine Wegwerfwindel mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents bekannt. Von dieser Windel unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die kennzeichnenden Merkmale.
Die zusätzliche obere Lage 12 ist gemäß D3 an der untersten Lage zumindest teilweise, vorzugsweise vollständig peripher befestigt (Spalte 4, Zeilen 40 bis 43). Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß die Befestigung zwar unterbrochen sein kann, jedoch nicht in der Weise, daß sie nur an den in Längsrichtung gegenüberliegenden Enden erfolgt.
4.2. Die Öffnung in der oberen zusätzlichen Lage wird in D3 definiert als Löcher, Schlitze oder Kombinationen davon; vorzugsweise ist die Öffnung ein ovales Loch (Spalte 4, Zeilen 4 bis 8). Diesem Zusammenhang ist allenfalls entnehmbar, daß die Öffnung aus mehreren, nahe zusammen liegenden Löchern oder Schlitzen gebildet wird, aber keine Anordnung derart, daß es sich um voneinander unabhängige Öffnungen jeweils im Bereich des Urinalorgans und des Anus handelt.
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu (Artikel 54 (1) EPÜ).
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1. Der nächstkommende Stand der Technik wird ebenfalls durch D3 repräsentiert.
Die zusätzliche obere Lage 12 kann dort aus einem in einer Richtung oder aus in zwei Richtungen dehnbarem Material bestehen (Spalte 2, Zeile 6 bis 9) und ist teilweise oder vollständig an der äußeren Lage befestigt (vgl. oben 4.2), d. h. sowohl an den Längsenden als auch an den Seitenrändern der Windel. Zwar ist davon auszugehen, daß die obere Lage ebenfalls in vorgespanntem Zustand befestigt ist, damit sich die in Figur 2 dargestellte gekrümmte Form ausbildet. Da jedoch eine andere Art der Befestigung als die periphere nicht vorgesehen ist, kann diese Konstruktion nicht dazu anregen, die obere Lage nur an den Längsenden zu befestigen.
Auch kann die Windel gemäß D3 nicht dazu anregen, die obere Lage mit zwei voneinander unabhängigen Öffnungen zu versehen, da hierzu jeglicher Hinweis fehlt.
5.2. Die aus D4 bekannte Wegwerfwindel besteht aus einer oberen Lage 1 und einer flüssigkeitsundurchlässigen unteren Lage 4, die mit der oberen Lage peripher verbunden ist. Diese untere Lage bildet einen Sammelbehälter, der mit absorbierendem Material gefüllt ist. Die obere Lage weist zwei Öffnungen auf, die dem Anus und Urinalorgan des Trägers gegenüberliegen. Eine weitere obere Zwischenlage, die den Saugkörper abdeckt, ist nicht vorhanden.
5.3. Stellt sich dem Fachmann das Problem, ausgehend von D3 die Aufnahme von Ausscheidungen des Trägers in der Windel zu verbessern, so kann es durchaus als naheliegend angesehen werden, die zwei separaten Öffnungen der D4 aufzugreifen und die obere zusätzliche Lage gemäß D3 entsprechend auszubilden. Jedoch führt diese Kombination nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1, wonach die zusätzliche obere Lage in Längs- und Querrichtung vorgespannt nur an den Längsenden der Windelstruktur befestigt ist.
5.4. Aus D5 ist weiterhin eine Wegwerfwindel mit einem ähnlichen Aufbau bekannt. Sie besteht aus einer flüssigkeitsdurchlässigen obere Lage 12, einer flüssigkeitsundurchlässigen Rückseitenlage 13, die absorbierendes Material einhüllen, und einer zusätzlichen oberen Lage 15, die nur an den Längsenden der Windelstruktur befestigt ist, dort aber ersichtlich nicht in in Querrichtung vorgespanntem Zustand (Figuren 1 und 2). Da diese Windel keine Öffnungen in der zusätzlichen oberen Lage 15 hat, arbeitet sie nach einem unterschiedlichen Prinzip der Aufnahme von Ausscheidungen, denn diese müssen durch die oberste Lage 15. dringen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Wirkungsweise hat der Fachmann zunächst keinen Anlaß, diese Windel aufzugreifen und einzelne Merkmale daraus mit der aus D3 bekannten Windel zu kombinieren.
Selbst wenn er eine Kombination versuchen würde, käme er nicht zur beanspruchten Lösungskombination, denn D5 enthält keine Anregung, die zusätzliche obere Lage in Längs- und Querrichtung vorgespannt nur an den Längsenden zu befestigen. Da die spezielle Ausbildung gemäß der Erfindung somit durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist und auch nicht erkennbar ist, wie der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zur beanspruchten Kombination hätte gelangen können, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
5.5. Zusammen mit dem Anspruch 1 können die abhängigen Ansprüche 2 und 3 ebenfalls aufrechterhalten werden.
Der Anspruch 4 bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung einer Wegwerfwindel nach einem der Ansprüche 1. bis 3 und enthält somit die Merkmale des Anspruchs 1, so daß die Patentfähigkeit dieses Verfahrensanspruchs durch die erfinderische Qualität des Gegenstandes des Anspruchs 1 impliziert ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent aufgrund folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Patentansprüche 1 bis 4 und
- Beschreibung, Spalten 1 bis 4, wie während der mündlichen Verhandlung überreicht;
- Figuren 1 bis 3, wie erteilt.