T 0841/00 () of 5.4.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T084100.20020405
Datum der Entscheidung: 05 April 2002
Aktenzeichen: T 0841/00
Anmeldenummer: 96115194.1
IPC-Klasse: F16C 33/14
B21K 1/76
F16C 11/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines Gelenkgehäuses
Name des Anmelders: TRW Fahrwerksysteme GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Lemförder Metallwaren AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 96 115 194.1 wurde das europäische Patent Nr. 0 766 015 erteilt, dessen Anspruch 1 wie folgt lautet:

"Verfahren zur Herstellung eines mit einem angeformten Schaft (9) mit Innengewinde zur Aufnahme eines Axialzapfens versehenen Gelenkgehäuses (8), insbesondere für Spurstangen von Kraftfahrzeugen, insgesamt durch Kaltumformung aus einem an einem Ende mit einer kugelartigen Verdickung (V) versehenen, vorzugsweise aus Drahtmaterial hergestellten Rohling (R), wobei als erstes durch Napfrückwärtsfließpressen im Schaft des Rohlings (R) eine axiale Vertiefung (1) mit einem den Durchmesser des Innengewindes übersteigenden Durchmesser und einer die axiale Länge des Gewindebereiches übersteigenden Länge hergestellt und anschließend nur der Gewindebereich unter gleichzeitigem Verformen der Mantelfläche zu einer Schlüsselfläche (2) auf den Gewindekerndurchmesser (3) reduziert wird und anschließend durch quer zur Achsrichtung im Bereich der Verdickung (V) erfolgendes Anstauchen, Napfen, Lochen und Kalibrieren sowohl die Außenkontur als auch die Innenkontur des Gelenkgehäuses (8) hergestellt werden."

II. Der von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) eingelegte, auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende erfinderische Tätigkeit) gestützte Einspruch, in dem zum Stand der Technik u. a. auf die im Beschwerdeverfahren wieder aufgegriffenen Druckschriften

D1: Vortragstexte des Symposiums "Neuere Entwicklungen in der Massivumformung" in Fellbach/Stuttgart am 13. und 14.06.1995 unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Klaus Siegert, Institut für Umformtechnik der Universität Stuttgart

D2: JP-A-59/10440

verwiesen wurde, wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 28. Juni 2000 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin unter rechtzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr am 21. August 2000 Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung ist am 30. Oktober 2000 eingegangen.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Antrag auf mündliche Verhandlung wurde ihrerseits nicht gestellt.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

V. Die Argumentation der Beschwerdeführerin läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Einleitung der D1 enthalte die Anregung, ein Gelenkgehäuse mit einem daran angeformten Schaft insgesamt durch Kaltumformung herzustellen. Somit sei die ebenfalls eine Kaltumformung betreffende erste Merkmalsgruppe des Anspruchs 1 des Streitpatents bekannt. Weiterhin offenbare die D1 einen mit einer kugelartigen Verdickung versehenen Rohling und eine in dessen Schaft eingebrachte axiale Vertiefung. Dabei seien auch deren konstruktive Auslegung, nämlich die axiale Länge des Gewindebereichs und der Durchmesser im Prinzip mit offenbart. Die Überlänge der axialen Vertiefung ergebe sich aus fertigungstechnischen Gründen, um einen Freiraum hinter dem Gewindeabschnitt zum Abtransport der Späne und zum Auslauf des Werkzeugs zur Verfügung zu haben. Weiter gehöre das beim Streitpatent für die Fertigung der axialen Vertiefung beanspruchte Napfrückwärtsfließpressen zum allgemeinen Fachwissen und sei demnach zusammen mit dem in der D1 vorgestellten Verfahren zu lesen. Somit sei auch die zweite Merkmalsgruppe des Anspruchs 1 des Streitpatents aus der D1 bekannt. Da auch der Inhalt der letzten Merkmalsgruppe des Anspruchs 1 des Streitpatents, nämlich das Anstauchen, Napfen, Lochen und Kalibrieren aus dem Bild 1 der D1 zu entnehmen sei, verbleibe als Unterschiedsmerkmal gegenüber dem beanspruchten Verfahren lediglich das Teilmerkmal, nach dem "nur der Gewindebereich unter gleichzeitigem Verformen der Mantelfläche zu einer Schlüsselfläche auf den Gewindekerndurchmesser reduziert wird".

Dieses Merkmal stelle jedoch eine fertigungstechnisch bedingte Notwendigkeit beim Anbringen einer axialen Vertiefung durch Napfrückwärtsfließpressen dar, denn der nach einer solchen Bearbeitung notwendigerweise nicht homogene Werkstoff müsse, nachdem die axiale Vertiefung eingebracht worden sei, noch kalibriert, verjüngt oder eingezogen werden. Aus diesem Hintergrundwissen folge, daß der Innendurchmesser der axialen Vertiefung zwangsläufig größer gewählt werden müsse als der Gewindekerndurchmesser. Durch das Nachkalibrieren werde die axiale Vertiefung dann auf den im Streitpatent genannten Gewindekerndurchmesser reduziert. Weiterhin liege auch das gleichzeitige Anformen der Schlüsselfläche in der Natur der Sache, denn jeder weitere Umformvorgang würde zu einer Maßabweichung der Innenbohrung führen. Es sei somit zwangsläufig erforderlich, während des Nachkalibrierens gleichzeitig die Schlüsselfläche anzuformen. Das einzige Unterschiedsmerkmal des beanspruchten Verfahrens gegenüber der D1 sei somit naheliegend.

Auch die D2 offenbare die Herstellung eines Gelenkgehäuses, bei dem in einen insgesamt durch Kaltumformung hergestellten Rohling eines Gelenkgehäuses eine axiale Vertiefung eingebracht sei. Die Herstellung sowohl der Außenkontur als auch der Innenkontur des Gelenkgehäuses erfolge ebenfalls durch Anstauchen, Napfen, Lochen und Kalibrieren wie beim Streitpatent. Die Mantelfläche werde zwar zunächst an einem Rohteil aus Vollmaterial zu einer Schlüsselfläche umgeformt, jedoch habe im Vergleich zum Streitpatent bei der D2 lediglich eine Vertauschung von Arbeitsschritten stattgefunden, nämlich daß im Gewindebereich die Mantelfläche des Schaftes vor Einbringung der axialen Vertiefung in den Schaft zu einer Schlüsselfläche umgeformt worden sei. Die Umkehrung dieser Bearbeitungsschritte wie sie im Anspruch 1 angegeben sei, beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentiert in etwa wie folgt:

In den Druckschriften D1 und D2 seien insbesondere die im Anspruch 1 aufgeführte Herstellung und Bemessung der axialen Vertiefung und die anschließende Reduktion des Gewindebereichs auf den Gewindekerndurchmesser gleichzeitig mit dem Verformen der Mantelfläche zu einer Schlüsselfläche nicht offenbart. Die D1 zeige lediglich das Kaltumformen eines Gelenkkopfes, ohne Angaben zur Ausbildung einer mit Innengewinde versehenen axialen Vertiefung innerhalb des Schaftes zu machen. Die D2 beschreibe in diesem Zusammenhang nur die Ausbildung einer axialen Vertiefung durch Bohren.

Es sei aus keiner der beiden Entgegenhaltungen auch nur ansatzweise ein Hinweis zu entnehmen, das beanspruchte Verfahren nachzuvollziehen. Vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents habe man die axiale Vertiefung in Form einer Sacklochbohrung durch spanabhebende Bearbeitung erzeugt und es gebe kein Vorbild dafür, daß dieses herkömmliche Verfahren zwecks Reduzierung des Herstellungsaufwandes im Sinne des Streitpatents durch Anwendung des Napfrückwärtsfließpressens zu ersetzen sei. Die Beschwerdeführerin bediene sich im übrigen einer nicht zulässigen rückschauenden Betrachtungsweise und interpretiere beim Vergleich des Streitpatents mit dem Stand der Technik Kenntnisse aus der Erfindung in den Stand der Technik hinein. Eine Zurückweisung der Beschwerde sei demnach begründet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ. Sie ist zulässig.

2. Die Neuheit des Verfahrens nach dem Anspruch 1 ist offensichtlich gegeben und von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Die Beschwerdekammer stimmt mit den Ausführungen der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung vom 2. April 2001 hinsichtlich der Erläuterung des Gegenstands des Streitpatents überein, insbesondere was den Fertigungsschritt zur Erzeugung der axialen Vertiefung (1) des Gelenkgehäuses (8) und die Anbringung des für das später einzuschneidende Innengewinde vorgesehenen Bereichs der axialen Vertiefung betrifft. Diese im Anspruch 1 neben weiteren Fertigungsschritten angegebenen Bearbeitungsstufen, nach denen

"als erstes durch Napfrückwärtsfließpressen im Schaft des Rohlings (R) eine axiale Vertiefung (1) mit einem den Durchmesser des Innengewindes übersteigenden Durchmesser und einer die axiale Länge des Gewindebereiches übersteigenden Länge hergestellt und

anschließend nur der Gewindebereich unter gleichzeitigem Verformen der Mantelfläche zu einer Schlüsselfläche (2) auf den Gewindekerndurchmesser (3) reduziert wird",

vermeiden offensichtlich die zeit- und kostenaufwendige spanende Ausarbeitung einer langen Axialbohrung und eines relativ langen Gewindeabschnitts im Schaft des Gelenkgehäuses, denn beim Streitpatent ist nur der reduzierte, relativ kurze Gewindekernbereich mit Innengewinde zu versehen.

3.2. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, daß es im Offenbarungsbereich der D1 liege, die axiale Vertiefung mit einer die axiale Länge des Gewindebereichs übersteigenden Überlänge herzustellen und hierfür aus den Fertigungsverfahren des Druckumformens das Napfrückwärtsfließpressen auszuwählen, kann die Beschwerdekammer aus den folgenden, in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin schon im wesentlichen vorgebrachten Gründen nicht beitreten:

3.2.1. In der D1 wird in der Beschreibungseinleitung zwar auf eine fünfstufige Kaltumformung verwiesen, jedoch fehlen jegliche Angaben, in welcher Weise die mit Innengewinde versehene axiale Vertiefung innerhalb des Gelenkgehäuseschaftes hergestellt wird.

Nach der D2 wird die axiale Vertiefung offensichtlich erst in der letzten Fertigungsstufe, wie die Abbildungen 7A und 7B der D2 zeigen, eingebracht. In einer ersten Prozeßstufe (vgl. die Figuren 1 bis 5) erfolgen das Abschneiden des Materials, die Querschnittsreduzierung, das Pressen durch Gesenkschmieden, das Formen des kugelförmigen Kopfes und das hexagonale Abtragen des Endteiles zwecks Bildung einer Schlüsselfläche. In einer zweiten Prozeßstufe wird eine Temperatur- und Oberflächenbehandlung durchgeführt und in einer dritten Prozeßstufe erfolgt das Fertigformen durch Kaltpressen (Figuren 6A bis 6D). Erst danach wird durch mechanische Bearbeitung die axiale Vertiefung mit einem über ihre Wirklänge eingebrachten Gewinde gefertigt.

Die Fertigung der axialen Vertiefung mit den im Anspruch 1 angegebenen Bemessungen durch Napfrückwärtsfließpressen ist daher den Entgegenhaltungen D1 und D2 nicht entnehmbar und auch vom Fachmann nicht, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, aus dem Offenbarungsinhalt mitlesbar.

3.2.2. Dies gilt ebenfalls für das zweite Teilmerkmal aus dem vorstehend zitierten Textteil (siehe Punkt 3.1) aus dem Anspruch 1 des Streitpatents.

Wie die Beschwerdeführerin selbst anführt, geht dieses Merkmal nicht in identischer Weise aus der D1 hervor. In der D1, in der im einzelnen lediglich die Bearbeitungsstufen für den Spurstangenkopf des Gelenkgehäuses beschrieben sind, sind keine Angaben gemacht, ob und wie an der Mantelfläche des Gelenkgehäuseschaftes eine Schlüsselfläche angebracht wird und wie sich deren Bearbeitung auf eine eventuell schon vorhandene axiale Vertiefung im Schaft auswirken würde.

3.2.3. Der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung bezüglich der angeblich naheliegenden Anwendung des Napfrückwärtsfließpressens zwecks Anbringung der axialen Vertiefung, woraus sich nach ihrer Ansicht die fertigungstechnisch bedingte Notwendigkeit ergäbe, den für das Innengewinde vorzusehenden Innendurchmesser der axialen Vertiefung zwecks Homogenisierung des Werkstoffs nachträglich zu kalibrieren (oder zu "verjüngen" bzw. "einziehen"), vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Die Beschwerdeführerin beurteilt den in Rede stehenden Fertigungsschritt in rückschauender Betrachtungsweise, indem sie zunächst eine naheliegende Anwendung des Napfrückwärtsfließpressens voraussetzt, und dann von der daraus resultierenden, angeblich nicht absolut homogenen Werkstoffbeschaffenheit (an der Wandung der axialen Vertiefung) die Notwendigkeit ableitet, die Innenwandung weiterzuverformen und deren Durchmesser zu verringern. Aus diesen Überlegungen müßte nach Auffassung der Kammer allenfalls der Schluß gezogen werden, daß der Fachmann aufgrund einer nach dem Arbeitsgang des Napfrückwärtsfließpressens möglicherweise vorhandenen Inhomogenität des Werkstoffes diese Art der Kaltverformung nicht ohne weiteres in Betracht gezogen hätte.

Der Gedanke, durch Verformung der äußeren Mantelfläche in der Länge des Gewindebereichs zu einer Schlüsselfläche ohne zusätzlichen Fertigungsaufwand eine gleichzeitige Reduzierung des Durchmessers der durch Napfrückwärtsfließpressen erzeugten axialen Vertiefung im Gewindebereich auf den Gewindekerndurchmesser zu ermöglichen, wodurch aufgrund der verbleibenden Überlänge der axialen Vertiefung ein radial nicht reduzierter Bereich verbleibt, der die Anbringung des Gewindes begünstigt (Bohrerauslauf, Spanaufnahme), ist der D1 nicht zu entnehmen und wird durch sie auch nicht nahegelegt.

3.2.4. Dies gilt auch für das in der D2 beschriebene Herstellungsverfahren, bei dem, wie schon erörtert, die axiale Vertiefung ungestuft ausgebildet ist und erst in der letzten Bearbeitungsstufe offenbar durch Bohren erzeugt wird, d. h. nach den Kaltpreß- und Verformungsschritten, in denen u. a. die Schlüsselfläche am äußeren Mantel des vollen (noch nicht mit einer axialen Vertiefung versehenen) Gelenkgehäuseschaftes angebracht wurde. Der D2 ist auch kein Hinweis dahingehend zu entnehmen, daß eine Umformung des Schaftendteiles zur Erzeugung der hexagonalen Schlüsselfläche im Gegensatz zu der in den Figuren dargestellten und im einzelnen beschriebenen Fertigungsfolge nach dem Einbringen der axialen Vertiefung nur in dem axialen Erstreckungsbereich eines relativ kurzen Innengewindes unter Durchmesserreduzierung des Innengewindebereichs erfolgen soll. Bei der D2 ist nur von einem hexagonalen Abtragen (Figuren 5A, B) die Rede, das offensichtlich vor dem Anbringen der axialen Vertiefung (siehe die Figuren 7A, B) erfolgen soll. Außerdem ist der Figur 7A der D2 zu entnehmen, daß sich die hexagonal abgetragene Mantelfläche (Schlüsselfläche) axial nur über einen Teil des Gewindebereichs der axialen Bohrung erstreckt. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß ausgehend von der D2 selbst eine Vertauschung der Reihenfolge von Bearbeitungsschritten nicht zwangsläufig zu dem im Streitpatent beanspruchten Herstellungsverfahren geführt hätte.

4. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß sich das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, so daß es als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend anzusehen ist (Artikel 56 EPÜ).

Das Patent hat daher auf der Basis der erteilten Unterlagen Bestand.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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