T 0674/00 () of 9.1.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T067400.20030109
Datum der Entscheidung: 09 Januar 2003
Aktenzeichen: T 0674/00
Anmeldenummer: 95902041.3
IPC-Klasse: B22D 11/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung zum Stranggießen von Stahl
Name des Anmelders: Mannesmann AG
Name des Einsprechenden: VOEST-ALPINE Industrieanlagenbau GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. In der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2000 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch der Fa. VOEST-Alpine Industrieanlagenbau GmbH (Einsprechende II) gegen das europäische Patent Nr. 0 732 978 zurückgewiesen. Die schriftliche Entscheidung erging am 23. Mai 2000 und war u. a. gestützt auf

(D1) DE-A-2 248 066

(D2) CH-A-377 053 und

(D5) EP-A-0 468 607.

II. Gegen vorgenannte Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Einsprechende II - nachfolgend Beschwerdeführerin - am 9. Juni 2000 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 20. September 2000 dahingehend begründet, daß die Abgrenzung gegen (D1) unvollständig sei und daß Kombinationen vorstehender Druckschriften das Beanspruchte nahelegten.

III. Nach vorbereitender Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 11. (2) VOBK fand am 9. Januar 2003 eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, in der die Patentinhaberin - nachfolgend Beschwerdegegnerin - neue Ansprüche 1 bis 5, eine revidierte Beschreibung und eine geänderte Zeichnung vorlegte.

IV. Der überreichte unabhängige Anspruch 1 hat nachfolgenden Wortlaut:

"1. Einrichtung zum Stranggießen von Stahl, bestehend aus einer in Gießrichtung oszillierenden Stranggießkokille vom Bogentyp mit gekrümmter Längsachse, wobei

die Kokille an quer zur Gießrichtung sich erstreckenden, beidendig eingespannten Federn (8) gelagert und mit einem an einem Tragrahmen (1) fest verbundenen Oszillationsantrieb verbunden ist,

die Servo-Hydraulikzylinder (3) des Oszillationsantriebes in einer durch die Stranggießkokille gelegten gekrümmten Längsschnittebene seitlich neben der Stranggießkokille angeordnet mit dem Tragrahmen (1) spielfrei fest verbunden sind,

die Stranggießkokille an den Federn (8) in einem Punkt befestigt ist und die Enden der Federn (8) mit dem Tragrahmen (1) in fester Verbindung stehen und die tragenden Federn (8) im Bereich der Oberkante und der Unterkante der Stranggießkokille angeordnet und in ihrer Längserstreckung so ausgerichtet sind, dass sich ihre Fluchtlinien in einer durch den Krümmungsmittelpunkt (15) der Kokillenlängsachse gelegten Geraden schneiden."

V. Die Parteien brachten in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgende Argumente vor:

a) Beschwerdeführerin:

- der nächstkommende Stand der Technik sei mit (D1) gegeben; danach sei es bekannt den Oszillationsantrieb benachbart zur Stranggießkokille vorzusehen; diese Antriebsausgestaltung führe erkennbar zum Verkanten der Stranggießkokille gegenüber dem zu gießenden Strang;

- bei Anwendung der Aufgabe-Lösung-Beurteilungsmethode sei somit die zu lösende technische Aufgabe darin zu sehen, das Verkanten der Stranggießkokille zu vermeiden;

- die Lösung dieser Aufgabenstellung mit Federn, die auf den Krümmungsmittelpunkt der Stranggießkokille konvergierten, sei ein Muß und z. B. aus Figur 7 der (D5) dem Fachmann nahegelegt, so daß die Kombination von (D1) und (D5) dem Gegenstand des Anspruchs 1 die erfinderische Eigenart nehme;

- im übrigen führe auch eine Kombination von (D1) und (D2) in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1, weil aus (D2) eine Zylinderanordnung wie beansprucht bekannt sei, nämlich von den Kurzseiten der Stranggießkokille beabstandet und in der Ebene eines Längsschnittes durch die Stranggießkokille liegend.

b) Beschwerdegegnerin:

- die Neufassung des Anspruchs 1 beseitige jegliche Klarheitseinwände bezüglich der Definition der Längsschnittebene und der Bedeutung der seitlichen Anordnung von Hydraulikzylindern;

- das Beanspruchte sei einerseits ursprungsoffenbart und andererseits einschränkend gegenüber dem erteilten Schutzbegehren, da nunmehr eine Beschränkung auf eine Bogenstranggießkokille vorgenommen worden sei;

- die beanspruchte Stranggießeinrichtung löse die der Streitpatentschrift entnehmbare Aufgabe und sei vom zu berücksichtigenden Stand der Technik nicht nahegelegt;

- die Antriebszylinder gemäß (D1) widersprächen der beanspruchten Anordnung und (D5) beträfe nur einen einzigen Antriebszylinder, der zudem nicht in einer Ebene mit der Stranggießkokille liege; auch (D2) mit ihren zwar seitlich neben der Stranggießkokille angeordneten Zylindern könne nicht auf die nunmehr beanspruchte Anordnung von Federn und Zylindern bei einer Bogenstranggießanlage hinlenken, so daß das Beanspruchte neu und erfinderisch sei.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 732 978.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Basis der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1. Der einteilig gefaßte Anspruch 1 ist klar, weil in seiner geltenden Fassung der Oszillationsantrieb zunächst offen läßt wie er aufgebaut ist und erst dann von einer Mehrzahl von Servo-Hydraulikzylindern "3" die Rede ist.

Die Definition der durch die Stranggießkokille gelegten gekrümmten Längsschnittebene reduziert die Auslegungsmöglichkeiten auf eine einzige Ebene, wie sie in den Ursprungsunterlagen definiert und dargestellt wurde, vgl. WO-A-95/15232, Seite 3, Absatz 2 ("In Figur 4 ist die gekrümmte Längsschnittebene 14 ... gelegt ...") und Figur 4, Bezugszeichen "14".

2.2. Damit erfüllt Anspruch 1 die Erfordernisse von Artikel 84 (Klarheit) und 123 (2) EPÜ (Ursprungsoffenbarung), aber auch von Artikel 123 (3) EPÜ, da Anspruch 1 beschränkt ist auf eine Bogen-Stranggießkokille, bei der die Federn ausgerichtet sind auf deren Krümmungsmittelpunkt "15", vgl. Figur 4 und Spalte 2, Zeilen 22 bis 26 der Streitpatentschrift, wodurch der Schutzumfang des erteilten Anspruchs 1 nicht erweitert wurde.

3. Neuheit

Die Frage der Neuheit des beanspruchten Gegenstandes war zwischen den Beteiligten nicht strittig und ist auch nach Überzeugung der Kammer gegeben, so daß sich ins Detail gehende Erörterungen erübrigen.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Der nächstkommende Stand der Technik ist mit (D1) gegeben; daraus ist eine Bogenstranggießkokille bekannt, die von oberen und unteren Federpaketen "12, 13" gehalten und von Servozylindern "21" schwingend angetrieben ist.

4.2. Erkennbar ist bei dieser Antriebs/Federanordnung die Gefahr gegeben, daß es zum Verkanten von Stranggießkokille und gegossenem Strang kommt, so daß es Aufgabe der Erfindung ist, vgl. EP-B1-0 732 978, Spalte 1, Zeilen 28 bis 30, eine weitere Vereinfachung und Verbesserung der Oszillation der Stranggießkokille zu erreichen.

4.3. Gelöst ist diese Aufgabe bei einer Stranggießkokille vom Bogentyp durch die Merkmale des Anspruchs 1. Im einzelnen wird im Anspruch 1 die Anordnung von Federn und Servo-Hydraulikzylindern umrissen, dergestalt, daß die Servo-Hydraulikzylinder, das Verkanten der Stranggießkokille ausschließend, in einer definierten Ebene ("gekrümmte Längsmittelebene der Stranggießkokille") angeordnet sind und weiterhin eine Zuordnung der Feder- und der Kokillenausrichtung vorgeschrieben ist, nämlich einheitlich auf den Krümmungsmittelpunkt "15" der Stranggießkokille hin, vgl. diesbezüglich auch Figur 4 und Spalte 2, Zeilen 20 bis 26 der Streitpatentschrift, wo das Beanspruchte näher beschrieben und zeichnerisch dargestellt ist.

4.4. Mit der Aufgabenlösung gemäß Anspruch 1 wird erreicht, daß sich die interessierenden Kokillenpunkte näherungsweise auf Geraden (Tangenten des Gießbogens) bewegen und in etwa mit dem Gießradius identisch sind, vgl. Streitpatentschrift Spalte 2, Zeile 53 bis Spalte 3, Zeile 17, wobei hinzu kommt, daß die Tiefe der Hubmarken verringert und die Oberflächengüte des gegossenen Stranges verbessert wird.

4.5. Aus den nachfolgenden Überlegungen heraus führt der zu berücksichtigende Stand der Technik gemäß (D1), (D2) und (D5) weder einzeln noch in Kombination in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.

4.5.1. Die außermittige, einseitige Antriebsanordnung gemäß (D1) ist im Hinblick auf die Führung des Stranges in der ihn umgebenden Kokille nachteilig, weil es zum Verkanten des Stranges in der Stranggießkokille kommen kann, zumal (D1) nichts über eine zusätzliche Führungseinrichtung für die Stranggießkokille aussagt oder die Orientierung der oberen und unteren Federn im Hinblick auf die Führung der Stranggießkokille spezifiziert.

4.5.2. Selbst bei Anwendung der Aufgabe-Lösung-Beurteilungsmethode, also der Herausarbeitung der gegenüber der (D1) erfindungsgemäß zu lösenden technischen Aufgabe und der Untersuchung der erfinderischen Qualität der beanspruchten Aufgabenlösung im Lichte des einschlägigen Standes der Technik, führt kein direkter Weg von (D1) zum Gegenstand von Anspruch 1, da (D1) in einer Mehrzahl von Schritten hätte abgeändert werden müssen, um das Beanspruchte zu erhalten. Zunächst liegt für den Fachmann, der die Erfindung nicht kennt, kein Anreiz vor, (D1) in Richtung einer erfindungsgemäßen Zuordnung von Federn und Kokillenantrieb abzuändern, dergestalt, daß der Antrieb in Richtung der Kokillenmitte verschoben würde - gemäß Figur 2 der (D1) also nach links - und daß zudem die oberen und unteren vorbekannten, die Stranggießkokille abstützenden Federn ebenso auf den Krümmungsmittelpunkt der Stranggießkokille ausgerichtet würden, wie die (bogenäußere) Innenwand der Stranggießkokille.

4.5.3. Die gedankliche Abänderung des Gegenstandes gemäß (D1) in Richtung der beanspruchten Stranggießeinrichtung ist demnach als komplette Neukonstruktion und nicht als "Muss für den Fachmann" - wie die Beschwerdeführerin meinte - anzusehen.

4.5.4. Selbst wenn darüber hinaus (D5) vom Fachmann in seine Überlegungen mit einbezogen würde, lägen keine grundlegend anderen Ausgangsverhältnisse als beim Gegenstand gemäß (D1) vor, da auch bei der Ausgestaltung gemäß Figur 7 von (D5) der Antrieb der Stranggießkokille in Form eines einzigen Hydraulikzylinders "16" außermittig mit Bezug auf die Stranggießkokille angreift und nicht erkennbar ist, warum der Fachmann von dieser Antriebsanordnung abweichen sollte. Das diesbezügliche Argument der Beschwerdeführerin ist somit nicht stichhaltig und als ex post facto Argument anzusehen.

4.5.5. (D2) bleibt schon deshalb weiter hinter der Relevanz von (D1) und (D5) zurück, weil bei dieser Stranggießvorrichtung Federn fehlen, vgl. den ausdrücklichen Hinweis auf ihrer Seite 3, Zeilen 97/98, und somit ohne Kenntnis der Erfindung nicht nachvollziehbar ist, daß sich der mit der Lösung der objektiv verbleibenden technischen Aufgabe befaßte Fachmann, (D2) zuwenden sollte.

4.5.6. An dieser Feststellung vermag auch der Hinweis der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, wonach aus (D2) Zylinder bekannt seien, die von den Kurzseiten der Stranggießkokille beabstandet seien und in der Ebene eines Längsschnittes durch die Stranggießkokille lägen, weil aus (D2) keinerlei Anregung entnehmbar ist, Federn zur Abstützung der Stranggießkokille ebenso auf den Krümmungsmittelpunkt der Stranggießkokille auszurichten wie deren z. B. bogenäußere Innenwand.

4.5.7. In der Zusammenfassung vorstehender Überlegungen ergibt sich, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nur neu, sondern im Sinne von Artikel 56 und 100 a) EPÜ auch erfinderisch ist. Mit dem Rechtsbestand des unabhängigen Anspruchs 1 ist auch der Rechtsbestand der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 gegeben.

5. Die geltende Beschreibung und Zeichnung entsprechen den wesentlichen Erfordernissen des EPÜ und sind geeignet, das Streitpatent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 5;

- Beschreibung: Spalten 1 bis 3;

- Zeichnung: Figuren 1 bis 4.

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