T 0502/00 (Bestimmung eines Analyten/DADE) of 24.9.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T050200.20030924
Datum der Entscheidung: 24 September 2003
Aktenzeichen: T 0502/00
Anmeldenummer: 91121935.0
IPC-Klasse: G01N 33/546
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Bestimmung eines Analyten
Name des Anmelders: Dade Behring Marburg GmbH
Name des Einsprechenden: Abbott Laboratories
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Befugnis der Kammer zu prüfen (ja)
Änderungen - Erweiterung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
T 0284/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0559/04
T 0981/05

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Europäische Patent Nr. 0 492 499 widerrufen wurde, weil ihr Gegenstand, im Widerspruch zu den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ, über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Die Einspruchsabteilung hatte in Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ diesen von der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) nach Ablauf der Frist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ in das Verfahren eingeführt und geprüft, da er nach Auffassung der Einspruchsabteilung der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstand (siehe G 10/91, ABl. 1993, 420). Die anderen gegen das Patent von der Einsprechenden vorgebrachten Gründe (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit und mangelnde Offenbarung) wurden von der Einspruchsabteilung nicht geprüft.

II. Nach Eingang und Begründung der Beschwerde und einer Antwort der Beschwerdegegnerin teilte die Kammer den Parteien in einem Bescheid gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern die vorläufige Auffassung der Kammer mit und lud sie zu einer mündlichen Verhandlung ein.

III. Mit Schreiben von 15. August 2003 reichte die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und sechs von 1 bis 6 numerierte Hilfsanträge ein.

Anspruch 1 des Hauptantrags lautete:

"1. Heterogenes immunchemisches Verfahren zur Bestimmung eines Analyten in einem flüssigen Medium welches folgende Verfahrenschnitte enthält:

a) Inkubation einer Probe, die den Analyten enthält mit einer partikulären Festphase auf der ein erster spezifischer Bindungspartner immobilisiert ist und einem zweiten spezifischen Bindungspartner in einer flüssigen Phase, der eine fluoreszente oder eine chemilumineszente Markierung trägt, wobei der zweite spezifische Bindungspartner zwischen der flüssigen Phase und der Festphase in Abhängigkeit von der Konzentration des Analyten verteilt wird,

b) mindestens einmalige Abtrennung der Festphase von der flüssigen Phase,

c) Resuspendierung der Festphase in einem flüssigen Reagenz A, welches geeignet ist, durch die Aufhebung mindestens einer intermolekularen Bindung - die im wesentlichen aus Wasserstoffbrücken, ionischen-, hydrophoben- und van der Waals Wechselwirkungen besteht - die Markierung von der Festphase zu trennen, und welches ferner

i) die Lichtausbeute einer Chemilumineszenzreaktion nicht durch Lichtabsorption beeinträchtigt,

ii) den angeregten Zustand eines Luminophors nicht beeinträchtigt,

iii) nicht mit alkalischer H2O2 reagiert,

iv) nicht die magnetische Abtrennbarkeit von Magnetpartikeln beeinträchtigt und

v) nicht zu einer Auflösung oder Aggregation der Magnetpartikel führt;

d) Abtrennung der Festphase von der flüssigen Phase,

e) Bestimmung der Menge der von der Festphase abgelösten Markierung in der flüssigen Phase als Maß für die Menge des Analyten in der Probe."

Ansprüche 2 bis 5 betrafen besondere Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1.

Dieser Anspruchsatz unterschied sich von der erteilten Ansprüchen, in dem: i) im Anspruch 1 der Ausdruck "bestehen kann" durch "besteht" ersetzt wurde; ii) Anspruch 4 gestrichen wurde; und iii) im Anspruch 4 (früher Anspruch 5) der pH Bereich "1.5-5" in "1.5-3" korrigiert wurde.

IV. Die mündliche Verhandlung fand am 24. September 2003 statt.

V. Die Argumente der Beschwerdeführerin können folgendermaßen zusammengefaßt werden:

Hauptantrag - Anspruch 1 - Artikel 123 (2) EPÜ

Artikel 100 c) EPÜ sei als Einspruchsgrund von der Einsprechenden verspätet verbracht worden. Die Einspruchsabteilung hätte daher diesen Einspruchsgrund im Rahmen der Amtsermittlungspflicht nur dann in das Einspruchsverfahren einbeziehen dürfen, wenn es neue Anhaltspunkte gegeben hätte, daß das Patent prima facie in der erteilten Fassung die Anforderungen des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt habe. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Daher solle der Beschwerdegegnerin nicht gestattet werden, im Beschwerdeverfahren auf diesen neuen Einspruchsgrund zugreifen zu dürfen.

Die Unterlassung des Worts "anziehbaren" sei durch den Inhalt der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt, da in dem Absatz, der auf Seite 6 mit den Worten beginnt: "Der genaue Aufbau der hier verwendeten magnetisch anziehbaren Partikel ..." in den Zeilen 23 bis 25 folgendes ausgeführt wird: "Grundsätzlich können auch nicht magnetisierbare Partikel eingesetzt werden, wobei das Trennverfahren dem jeweiligen Partikel angepaßt sein muß, z. B. Zentrifugation oder Chromatographie". Somit liege kein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

Der Begriff, "erster spezifischer Bindungspartner" werde direkt aus dem allgemeinen Teil der ursprünglichen Beschreibung des Verfahrens gestützt. Daraus entnehme der Fachmann, daß ein erster spezifischer Bindungspartner involviert sein müsse. Dadurch, daß beispielsgemäß magnetisch abtrennbare Partikel mit einem monoklonalen anti-humanen Thyroid-stimulierenden Hormon(hTSH)-Antikörper beschichtet seien, sei bestätigt, daß tatsächlich ein erster spezifischer Bindungspartner (nämlich der monoklonale anti-hTSH- Antikörper) involviert sei. Es müsse sich um einen Bindungspartner handeln, der spezifisch nur an den Analyten binde.

Das Wort "spezifisch" beziehe sich nach Ansicht der einschlägigen Fachkreise lediglich auf die Natur der "spezifischen" Antigen-Antikörperwechselwirkung in Gegensatz beispielsweise zur unspezifischen Adsorption.

Der Fachmann auf dem Gebiet der heterogenen Immunassays verstehe spezifische Bindungspartner als allgemeine Bezeichnung für Antikörper und Antigene. Das markierte Reagenz könne nur als markierte Antikörper oder markierte Antigene - also als markierte spezifische Bindungspartner - verstanden werden.

Der Begriff "heterogenes immunchemisches Verfahren" umfaße nicht nur den sogenannten Antikörper-Sandwich- Assay (d. h. die bevorzugte, in den Beispielen des Patents ausführlich beschriebene Ausführungsform der Erfindung) sondern unter anderen auch das kompetitive Testformat.

Der Fachmann habe im Zusammenhang mit dem hier in Rede stehenden Immunassay-Verfahren schon allein aufgrund seines allgemeinen Fachwissens "markiertes Reagenz" und "markierter spezifischer Bindungspartner" als Synonyme angesehen.

Für den Fachmann sei es klar, daß es sich bei dem markierten Reagenz nur um einen markierten spezifischen Bindungspartner (markiertes Antigen oder markierter Antikörper) handeln könne. Nur so sei auch zu verstehen, daß "das markierte Reagenz zwischen flüssiger Phase und dem Festphasenreagenz in Abhängigkeit von der Konzentration des Analyten verteilt" werde (siehe den ursprünglich eingereichten Anspruch 1 sowie den Anmeldungstext, Seite 5, erster Absatz und Seite 4, zweiter Absatz).

Das markierte Reagenz, d. h. der markierte spezifische Bindungspartner, könne diese Vorgabe nur dann erfüllen, wenn es entweder an den festphasengebundenen spezifischen Bindungspartner (kompetitiver Test) oder an den Analyten (Sandwich-Format) spezifisch binde, da es sonst zu keiner von der Konzentration des Analyten abhängigen Verteilung des markierten Reagenz zwischen der flüssigen Phase und der Festphase kommen könne, wie von der ursprünglichen Anmeldung ausdrücklich verlangt werde.

Die Begriffe "immobilisiert" und "beschichtet" seien im vorliegenden Kontext austauschbar. Auch die Begriffe "immobilisiert" und "gebunden" seien Synonyme.

Der Einwand, daß der Begriff "nicht beeinträchtigt" im Absatz c) ii) des Anspruchs 1 keine Stützung in der ursprünglich eingereichten Anmeldung finde, sei erst im Laufe der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden, deshalb solle die Kammer ihn nicht ins Verfahren zulassen. Auf jeden Fall entspreche der Begriff "nicht beeinträchtigt" dem Begriff "nicht gelöscht". Mit dem Begriff "keine Löschung" in der ursprünglichen Anmeldung (siehe Seite 8, Zeile 5) sei "keine irgendwelche Beeinträchtigung", d. h. entweder eine komplette Beeinträchtigung mit 100% Löschung des angeregten Zustandes des Luminophors oder eine partielle Beeinträchtigung gemeint.

VI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können folgendermaßen zusammengefaßt werden:

Hauptantrag - Anspruch 1 - Artikel 123 (2) EPÜ

Aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen ergebe sich, daß die Verwendung von anziehbaren Partikeln ein wesentliches Merkmal der Erfindung sei. Ein Hinweis auf "anziehbare Partikel" sei eindeutig mehrmals in diesen Dokumenten (siehe Anspruch 1) zu finden, deshalb stelle die Unterlassung des Worts "anziehbaren" in Anspruch 1 einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.

In den ursprünglich eingereichten Unterlagen sei die Rede von einem Festphasenreagenz oder Festphasenrezeptor und einem markierten Reagenz. Die in Anspruch 1 verwendeten Begriffe "erster spezifischer Bindungspartner" und "zweiter spezifischer Bindungspartner" seien nicht erwähnt. Gemäß der Entscheidung T 284/94 (ABl. 1999, 464) stellten diese Begriffe eine unzulässige Verallgemeinerung der Beispiele 2 und 3 dar, die einen monoklonalen anti-hTSH- Antikörper und einen mit einem Acridinium-Derivat konjugierten, monoklonalen Antikörper als Festphasereagenz und markiertes Reagenz aufbieten, dar. Weiter seien diese Begriffe für den Fachmann unklar, der nicht wissen könne, worauf sich das Wort "spezifisch" beziehe. Somit liege ein weiterer Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

Der Begriff "beschichtet" werde in den Beispielen der ursprünglich eingereichten Anmeldung verwendet.

Mit "beschichtet" werde im Gegensatz zu "immobilisiert" gemeint, daß die Partikel mit dem Reagenz vollständig überdeckt werden sollten. Da die Begriffe verschiedene Bedeutungen hätten, seien sie nicht austauschbar. Außerdem, gemäß T 284/94 (supra), stelle die Benützung des Begriffs "immobilisiert" in Anspruch 1 eine unzulässige Verallgemeinerung des in den Beispielen 2 und 3 benützen Begriffs "beschichtet" dar. Somit liege ein weiterer Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

Obschon Reagenz A nach der ursprünglich eingereichten Anmeldung, u. a. die Anforderung erfüllen mußte, keine Löschung des angeregten Zustandes des Luminophors zu bewirken, sei die Anforderung in vorliegendem Anspruch 1, den angeregten Zustand eines Luminophors nicht zu beeinträchtigten. Eine bloße Beeinträchtigung sei nicht mit einer Löschung gleichzustellen. Somit liege auch hier ein weiterer Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

VII. In dieser Entscheidung wird folgendes Dokument erwähnt:

(36) Masseyeff R.F. und Ferrua B., in: Immunoenzymatic Techniques, Avrameas S, et al (Eds), Elsevier, Amsterdam, 1983, Seiten 139 bis 154

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung auf der Basis des Hauptantrages oder der Hilfsanträge 1 bis 6, alle eingereicht am 15. August 2003.

IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ

1. Befugnis der Beschwerdekammer

1.1. Im Laufe des Einspruchsverfahrens hatte die Beschwerdegegnerin nach Ablauf der Frist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ eine Reihe von Einwänden unter Artikel 123 (2) EPÜ erhoben. Diese Einwände wurden von der Einspruchsabteilung in Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ geprüft und führten zum Widerruf des Patents. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdegegnerin einen weiteren Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ erhoben, nämlich gegen das Merkmal in Anspruch 1) c) ii) (siehe oben Abschnitt V, letzter Absatz).

1.2. Angesichts der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 10/91 (supra; siehe Punkt 16 der Entscheidungsgründe) war die Einspruchsabteilung berechtigt, in Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ diesen von dem Einsprechenden nach Ablauf der Frist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ vorgebrachten Einspruchsgrund zu prüfen und eine Entscheidung darüber zu treffen. Weil dieser Grund als Grundlage für die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung gedient hat, hat die Kammer die Befugnis und die Verpflichtung zu prüfen, ob der vorliegende Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.

1.3. Dies gilt für alle von der Beschwerdegegnerin unter dem Gesichtspunkt des Artikels 123 (2) EPÜ beanstandeten Merkmale, einschließlich des Merkmals c) ii) in Anspruch 1, weil dieser Aspekt in den rechtlichen Rahmen der angefochtenen Entscheidung fällt.

2. Ansprüche 1 bis 5

2.1. Gegen den Austausch des Ausdrucks "bestehen kann" durch "besteht" im Anspruch 1 sowie gegen die Korrektur des pH Bereiches im Anspruch 4 (früher Anspruch 5) wurden seitens der Beschwerdegegnerin keine Einwände erhoben. Die Kammer hat auch keine Einwände: beide Änderungen sowie die Streichung des erteilten Anspruchs 4 sind eine direkte Antwort auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung; die Änderungen sind auch von der ursprünglich eingereichten Anmeldung gestützt (siehe für "besteht" Seite 8, Zeile 2 und für den pH Bereich "1.5-3", Seite 8, Zeile 15).

2.2. Die Einwände der Beschwerdegegnerin, die alle gegen Anspruch 1 gerichtet sind, betreffen:

i) die Qualifizierung der partikulären Festphase;

ii) die Merkmale "erster spezifischer Bindungspartner" und "zweiter spezifischer Bindungspartner";

iii) das Merkmal "immobilisiert";

iv) das Merkmal c) ii).

3. Die Qualifizierung der Festphase

3.1. Im Verfahren gemäß Anspruch 1 wird eine partikuläre Festphase eingesetzt. An vielen Stellen in der ursprünglich eingereichten Anmeldung wird diese partikuläre Festphase als "magnetisch anziehbar" qualifiziert (siehe z. B. Seite, 5, Zeilen 5 und 6, Seite 6, Zeilen 17 und 18, und Seite 10, Zeilen 12 und 13). Nur in dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 ist von einem "partikulären anziehbaren Festphasereagenz" die Rede, das erst in folgendem Anspruch weiter als "magnetisch anziehbar" definiert wird. Abgesehen von dieser Unklarheit in den ursprünglichen Ansprüchen, ist die Qualifikation "anziehbar" ausschließlich in Verbindung mit der weiteren Qualifikation "magnetisch" zu verstehen. Die Verwendung einer magnetisch anziehbaren Festphase ist in der Tat die bevorzugte Ausführungsform der beanspruchten Erfindung.

3.2. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin bezieht sich die ursprünglich eingereichte Anmeldung immer nur auf eine magnetisch anziehbare Festphase und darauf sollten auch die Ansprüche beschränkt werden, da es für die Verwendung als Festphase von nicht magnetisierbaren Partikeln keine Stützung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ gebe.

3.3. Der Absatz auf Seite 6, Zeilen 23 bis 28 in der ursprünglich eingereichten Anmeldung, der mit den Wortern "Grundsätzlich können auch nicht magnetisierbare Partikel eingesetzt werden" beginnt, widerspricht dieser Behauptung. Dadurch wird deutlich gemacht, daß, obwohl die Verwendung einer magnetisch anziehbaren Festphase bevorzugt ist, auch der Einsatz von nicht magnetisierbaren Partikeln, wobei dann das Trennverfahren entsprechend angepaßt sein muß, grundsätzlich ins Auge gefaßt ist.

3.4. Somit verstößt das allgemeinere Merkmal "mit einer partikulären Festphase" im Anspruch 1 nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.

4. Die Merkmale "erster spezifischer Bindungspartner" und "zweiter spezifischer Bindungspartner"

4.1. Im Anspruch 1 sind die in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung als "Festphasereagenz" und "markiertes Reagenz" benannten Reagenzien mit den Begriffen "erster spezifischer Bindungspartner" und "zweiter spezifischer Bindungspartner" beziehungsweise bezeichnet.

4.2. Anspruch 1 betrifft ein heterogenes immunchemisches Verfahren zur Bestimmung eines Analyten. Wie z. B. im Standardhandbuch (36) (siehe Abbildungen 1a und 1d auf Seite 141) grobschematisch illustriert wird, fordert prinzipiell ein solches Verfahren, welches die Markierung, ob enzymatische oder fluoreszente oder chemilumineszente, auch sein mag, die Mitwirkung von zwei Reagenzien, die als spezifische Bindungspartner an einer Antigen-Antikörper-Wechselwirkung teilnehmen: (i) das erste Reagenz, das an die Festphase gebunden wird, soll an den Analyten spezifisch binden, und (ii) das zweite Reagenz, das markiert ist und in der flüssigen Phase enthalten ist, soll entweder an das festphasegebundene erste Reagenz oder an den Analyten spezifisch binden. Als Ergebnis der Antigen-Antikörper-Wechselwirkung des Verfahrens wird das zweite Reagenz zwischen der flüssigen Phase und der Festphase in Abhängigkeit von der Konzentration des Analyten verteilt.

4.3. Die Anmeldung in der ursprünglichen Fassung beschreibt tatsächlich, vor dem Hintergrund des Standes der Technik, ein heterogenes immunchemisches Verfahren, in dem die Verteilung einer markierten Substanz zwischen einer flüssigen und einer Festphase bestimmt wird, wobei ein Festphasenreagenz und ein markiertes Reagenz verwendet werden. Beispiele 2 und 3 bestätigen, daß solche Reagenzien, die als spezifische Bindungspartner mitwirken, in einem Verfahren gemäß Anspruch 1 zu benützen sind. In diesen Beispielen ist ein heterogenes immunchemisches Verfahren zur Bestimmung von hTSH beschrieben. Der erste Bindungspartner ist ein monokonaler Antikörper, der an das hTSH spezifisch bindet. Der zweite Bindungspartner ist ein mit einem Acridinium-Derivat konjugierter monoklonaler Antikörper. Aus der Beschreibung der Bestimmung entnimmt der Fachmann ohne weiteres, daß der zweite Bindungspartner an das hTSH spezifisch binden muß, um einen "Sandwich" mit dem auf der Festphase immobilisierten anti-hTSH Antikörper und dem hTSH zu bilden.

4.4. Daher leitet der Fachmann die strittigen Begriffe "ein erster spezifischer Bindungspartner" und "ein zweiter spezifischer Bindungspartner" ohne weiteres als Synonyme der ursprünglich verwendeten Begriffe "Festphasereagenz" und "markiertes Reagenz" ab. Folglich verstoßen sie nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.

5. Das Merkmal "immobilisiert"

5.1. Gemäß Anspruch 1 soll der erste Bindungspartner, d. h. - im Sinne der ursprünglich eingereichten Anmeldung - das Festphasereagenz, auf der Festphase immobilisiert werden. Der Begriff "immobilisiert" wird in der ursprünglichen Fassung der Beschreibung nicht benützt.

5.2. Eindeutig ist, daß der Begriff "Festphasereagenz" irgendeine Bindung des Reagenz an die Festphase stillschweigend miteinschließt, ohne die Art dieser Bindung zu kennzeichnen. Die Beschwerdegegnerin findet für das Merkmal "immobilisiert" keine Stützung in der ursprünglichen Anmeldung und trägt vor, daß "immobilisiert" nicht mit dem in Beispielen 2 und 3 benützten Begriff "beschichtet" tauschbar sei, weil die zwei Begriffe verschiedene Bedeutungen hätten.

5.3. Im Gegensatz dazu ist die Kammer der Auffassung, daß der Begriff "immobilisiert auf" eine sehr generelle Bedeutung hat, die ganz in Einklang mit dem auf Seite 7, Zeile 6 der ursprünglich eingereichten Anmeldung benützten Begriff "gebunden" ist. Eigentlich ist "immobilisiert" ein allgemeiner Begriff des Fachgebiets der Immunologie. Die in den Beispielen verwendete Beschichtung ist als eine spezielle Form der Immobilisierung anzusehen. Deshalb stellt auch dieses Merkmal in Anspruch 1 keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.

6. Das Merkmal c) ii)

6.1. Nach der ursprünglichen Fassung der Beschreibung ist eine der Anforderungen, die Reagenz A erfüllen muß, die folgende: "keine Löschung des angeregten Zustandes des Luminophors" (siehe Seite 8, Zeilen 5 und 6). Das entsprechende Merkmal in Anspruch 1 [siehe c) ii)] ist dagegen "den angeregten Zustand eines Luminophors nicht beeinträchtigt".

6.2. Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, daß, während die Löschung eine absolute Anforderung sei, eine Beeinträchtigung Stufenanregungen über Zwischenniveaus erlaube und somit eine Erweiterung der ursprünglichen Anmeldung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ darstelle.

6.3. Dazu erwidert die Beschwerdeführerin, daß die Beschwerdegegnerin materiell über das konkrete Auftreten solcher Stufenanregungen nichts bewiesen habe. Sie trägt vor, daß der Fachmann im Kontext der Erfindung jede Beeinträchtigung des angeregten Zustandes des Luminophors, also entweder eine komplette, d. h. mit einer Löschung einhergehende, oder eine partielle, als nachteilig für die Durchführung des beanspruchten Verfahrens betrachten würde. Im diesem Sinne würde der Fachmann keinen Unterschied zwischen den zwei Ausdrücken sehen.

6.4. Die Kammer folgt der Auffassung der Beschwerdeführerin. In der Tat, würde der Fachmann im Hinblick auf den Zweck der Erfindung den Begriffen "Beeinträchtigung" und "Löschung" eine gleiche Bedeutung geben. Er würde an das Ablösereagenz A die Anforderung stellen, daß jede Beeinträchtigung des angeregten Zustandes des Luminophors, die das beanspruchte Verfahren verhindern könnte, zu vermeiden ist. In der ursprünglich eingereichten Anmeldung gibt es keinen Hinweis zugunsten einer anderen Auffassung.

6.5. Daher stellt die Verwendung des Begriffs "den angeregten Zustand eines Luminophors nicht beeinträchtigt" in Anspruch 1 keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.

7. Schlußfolgerungen

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch den Inhalt der ursprünglichen Patentanmeldung gestützt, deshalb erfüllt Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ. Da von der Beschwerdegegnerin keine Einwände nach Artikel 123 (2) EPÜ gegen die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 erhoben werden, erfüllt der Hauptantrag als Ganzes die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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