T 0408/00 (Methionin/DEGUSSA) of 10.9.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T040800.20020910
Datum der Entscheidung: 10 September 2002
Aktenzeichen: T 0408/00
Anmeldenummer: 93923467.0
IPC-Klasse: C07C 19/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kontinuierlich durchführbares Verfahren zur Herstellung von Methionin oder Methioninderivaten
Name des Anmelders: Degussa AG
Name des Einsprechenden: Aventis ANIMAL NUTRITION S.A.
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Hauptantrag: erfinderisch (nein) - willkürliche Temperaturangabe - Routinevariation
Hilfsantrag: zugelassen (nein) - eindeutig nicht gewährbar
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/92
T 0099/85
T 0153/85
T 0229/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 18. April 2000 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechender) richtet sich gegen die am 29. Februar 2000 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 665 832 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang vom Beschwerdeführer aus den Einspruchsgründen des Artikels 100 a) und b) EPÜ, insbesondere wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und wegen unzureichender Offenbarung der Erfindung, angegriffen worden. Zur Stützung des Einspruchs wurden unter anderem die folgenden Druckschriften angezogen:

(1) EP-B-228 938 und

(2) FR-A-2 372 797.

III. Der angefochtenen Entscheidung lagen die im Einspruchsverfahren geänderten Ansprüche 1 bis 13 zugrunde, deren einziger unabhängiger Anspruch 1 wie folgt lautete:

"1. Kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von Methionin oder einem seiner Salze durch Hydrolyse von Methioninnitril zum Methioninamid in Gegenwart eines Ketons und anschließender Verseifung des Amids mit einer Base, bei dem man das Mehtioninnitril durch Umsetzung von Methylmercaptopropionaldehyd (MMP) mit Blausäure und Ammoniak oder durch Umsetzung des entsprechenden Cyanhydrins (CH) mit Ammoniak oder durch Umsetzung eines beliebigen Gemisches aus MMP/Blausäure und dem entsprechenden Cyanhydrin mit Ammoniak erhält, dadurch gekennzeichnet, daß während und/oder nach der Verseifung des Amids Ammoniak, Keton und Wasser gemeinsam bei einer Temperatur >= 85°C und/oder unter Anlegen eines Vakuums abgezogen werden, und der Ammoniak vor der Zurückführung in die Aminonitrilbildung im wesentlichen vom Keton befreit wird."

IV. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, daß das Streitpatent in seiner geänderten Fassung ausführbar, neu und erfinderisch sei.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ging die Einspruchsabteilung von der Druckschrift (1) als nächstliegendem Stand der Technik aus. Demgegenüber habe die Aufgabe der Erfindung insbesondere darin bestanden, ein verbessertes Verfahren zur Herstellung von Methionin bereitzustellen, wobei der Anteil der Nebenprodukte verringert werden solle. Das beanspruchte Verfahren ermögliche tatsächlich die Herstellung von Methionin in hohen Ausbeuten und mit niedrigem Anteil an Nebenprodukten. Dies werde durch die beiden kennzeichnenden Merkmale erreicht. In den Druckschriften (1) und (2) würden Ammoniak und Aceton vor der Verseifung abgetrennt, während anspruchsgemäß dies erst während und/oder nach der Verseifung erfolge, wodurch diese Komponenten in fast quantitativem Umfang zurückgewonnen würden. In keiner der beiden zitierten Druckschriften gebe es einen Hinweis, daß der zur Aminonitrilbildung eingesetzte Ammoniak ketonfrei sein müsse. Daher werde auch dieses Merkmal der Erfindung als erfinderisch angesehen.

V. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 9. September 2002 hat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) einen geänderten Hauptantrag und einen neuen, aus 11 Ansprüchen bestehenden Hilfsantrag eingereicht und die Aufrechterhaltung des Streitpatents nur noch in diesem Umfange begehrt.

Der Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrages unterscheidet sich vom Anspruch 1, welcher der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag (siehe Punkt III supra), ausschließlich dadurch, daß die Temperatur, bei welcher Ammoniak, Keton und Wasser gemeinsam abgezogen werden, nunmehr >100 °C statt >= 85 °C beträgt.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrages unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrages ausschließlich im Kennzeichen, welches nunmehr lautet:

"1. ...dadurch gekennzeichnet, daß während und/oder nach der Verseifung des Amids Ammoniak, Keton und Wasser gemeinsam bei einer Temperatur >= 100°C und/oder unter Anlegen eines Vakuums abgezogen werden, zur Abtrennung von Ammoniak aus einem abgezogenen Ammoniak-Keton-Wasser-Gemisch das Gemisch zwischen Kopf und Sumpf in eine Kolonne eingespeist wird, daß die Kolonne bei einem Druck zwischen 1 bis 20 barü gehalten wird, daß die Sumpftemperatur zwischen 100 und 200°C gehalten wird, und daß das Keton, Wasser und gegebenenfalls geringe Ammoniakmengen aus dem Sumpf abgezogen werden, wobei der Ammoniak vor der Zurückführung in die Aminonitrilbildung im wesentlichen vom Keton befreit wird, so daß der der Nitrilsynthese zugeführte recyclierte Ammoniak weniger als 25 meq Keton bezüglich des Cyanhydrins und/oder Aldehyds enthält."

VI. Der Beschwerdeführer hat im Beschwerdeverfahren die Ausführbarkeit und die Neuheit des Streitpatents nicht mehr angegriffen. Zur erfinderischen Tätigkeit hat er ausgeführt, daß die Druckschrift (2) den nächstliegenden Stand der Technik darstelle, da sie bereits ein dreistufiges Verfahren zur Herstellung von Methionin beschreibe und auch die Entfernung und Rückführung des Ammoniaks hervorhebe. Vorteile der anspruchsgemäßen Verfahrensweise könne er demgegenüber nicht erkennen. Die beiden Merkmale, welche das beanspruchte Verfahren kennzeichneten, nämlich einerseits die Entfernung von Ammoniak / Keton / Wasser während oder nach der Verseifung bei >100 °C und andererseits das Rückführen von ketonfreiem Ammoniak, seien aus diesem Stand der Technik entweder bekannt oder durch ihn nahegelegt. Der anspruchsgemäße Zeitpunkt der Entfernung von Ammoniak / Keton / Wasser sei, im Gegensatz zur Feststellung der Einspruchsabteilung, aus der Druckschrift (2), Seite 8, Zeile 35 ff bereits bekannt. Das Rückführen des Ammoniaks aus der Verseifung sei ebenfalls bereits in Druckschrift (2), Seite 5, Zeilen 6 bis 8 beschrieben. Diesen in die Nitrilherstellung rückgeführten Ammoniak ketonfrei zu gestalten, ergebe sich für den Fachmann schon allein dadurch, daß eingeschlepptes Keton in Konkurrenz zum Aldehyd bei der Nitrilherstellung treten und damit stören würde. Eine kontinuierliche Durchführung des Herstellungsverfahren berge auch keine erfinderische Qualität in sich, da eine solche Verfahrensweise industriell absolut üblich sei. Der neu eingereichte Hilfsantrag versuche in seinem Anspruch 1, die Keton-Verunreinigung im rückzuführenden Ammoniak mittels einer zahlenmäßigen Mengenbegrenzung des Ketons bei der Nitrilherstellung zu definieren. Damit werde jedoch nicht die Reinheit des Ammoniaks selbst spezifiziert. Außerdem beziehe sich die zahlenmäßige Mengenbegrenzung des Ketons auf drei unterschiedliche Bezugspunkte, auf das Cyanhydrin, auf den Aldehyd oder auf beide. Diese frischen Änderungen schafften neue, vorher nicht vorhandene Probleme hinsichtlich der Klarheit.

VII. Der Beschwerdegegner hat dem Vorbringen des Beschwerdeführers widersprochen und die erfinderische Qualität des beanspruchten dreistufigen Verfahrens ausgehend von der Druckschrift (2) herausgestellt. Demgegenüber habe die Aufgabe in der Bereitstellung eines industriell verwendbaren, kontinuierlichen Verfahrens zur Herstellung von Methionin bestanden. Es sei keine Verbesserung durch das beanspruchte kontinuierliche Verfahren gegenüber den diskontinuierlichen Verfahren des Standes der Technik direkt belegbar, da durch die unterschiedlichen Verfahrensweisen ein solcher Vergleich "schief" wäre. Er bestritt in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, daß die Druckschrift (2) die Entfernung von Ammoniak / Keton / Wasser während des Verseifungsschrittes lehre. Auch schweige diese Druckschrift, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen diese Komponenten entfernt würden. So sei in diesem Stand der Technik über die Temperatur bei deren Entfernung, anspruchsgemäß über 100 °C, und die Reinheit des rückgeführten Ammoniaks, anspruchsgemäß ketonfrei, nichts gesagt. Eine hohe Temperatur bei der Entfernung sei wesentlich, um das Keton, das teils in gebundener Form als Imidazolin vorliege, vollständig abzutrennen. Durch die anspruchsgemäß kontinuierliche Verfahrensweise seien Probleme aufgetreten, zu deren Lösung der Stand der Technik keine Hinweise enthalte. Folglich seien die kennzeichnenden Merkmale der Erfindung nicht nahegelegt.

Die zahlenmäßige Mengenbegrenzung des Ketons bezogen auf Cyanhydrin und/oder Aldehyd in Anspruch 1 des Hilfsantrages sei klar. Die Mengenbegrenzung definiere die Verunreinigung des Ammoniaks mit Keton und deren Bezugspunkt sei für den Fachmann eindeutig.

VIII. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Haupt- oder Hilfsantrages aufrechtzuerhalten.

IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Änderungen (Artikel 123 EPÜ)

Die kontinuierliche Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 findet seine Stütze auf Seite 7, Zeile 1 der ursprünglichen Unterlagen. Die Methoden der Nitrilherstellung sind im ursprünglichen Anspruch 2 offenbart. Die Abtrennungstemperatur von über 100 °C und die Rückführung des im wesentlichen ketonfreien Ammoniaks in die Nitrilsynthese wird auf Seite 19, Zeile 12, vorletzte und letzte Zeile sowie Seite 20, Zeile 1 der ursprünglichen Unterlagen beschrieben.

Diese Abänderungen des erteilten Anspruchs 1 beschränken den beanspruchten Gegenstand, wodurch der Schutzbereich des Streitpatents im Vergleich zur erteilten Fassung nicht erweitert wird.

Der geltende Anspruchssatz erfüllt demzufolge alle Voraussetzungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Ausführbarkeit, Neuheit

Der Beschwerdeführer hat die Einwände der mangelnden Ausführbarkeit und Neuheit im Beschwerdeverfahren nicht aufgegriffen und auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich nicht weiterverfolgt. Nachdem überdies die Ausführbarkeit und Neuheit der beanspruchten Erfindung in der angefochtenen Entscheidung festgestellt wurde, sieht die Kammer keine Veranlassung, von sich aus die Ausführbarkeit und Neuheit in Zweifel zu ziehen, so daß sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.

4. Erfinderische Tätigkeit

Es verbleibt daher als einziger Streitpunkt im Beschwerdeverfahren zu prüfen, ob der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4.1. Das Streitpatent betrifft nach Angabe des Beschwerdegegners ein dreistufiges Verfahren zur Herstellung von Methionin durch Herstellung von Methioninnitril in einer ersten Stufe, dessen Hydrolyse in Gegenwart eines Ketons zum Methioninamid in einer zweiten Stufe, gefolgt wiederum von dessen Verseifung in einer dritten Stufe. Die Druckschrift (2) beschreibt nun ein Verfahren zur Herstellung von Methionin auf dem gleichen dreistufigen Syntheseweg beginnend mit der Herstellung des Methioninnitrils. Die Kammer betrachtet daher, im Einklang mit dem Beschwerdeführer und dem Beschwerdegegner, diese Druckschrift als nächstliegenden Stand der Technik und Ausgangspunkt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

So offenbart die Druckschrift (2) in Anspruch 1 in Verbindung mit Seite 12, Zeile 2 ein Verfahren zur Herstellung von Methionin, wobei zuerst Methioninnitril aus dem entsprechenden Cyanhydrin oder Aldehyd und Blausäure durch Umsetzung mit Ammoniak in einer ersten Stufe erhalten wird (Ansprüche 6 und 7). Dieses Nitril wird anschließend mittels einer Base zum Methionin über das entsprechende Amid als Zwischenstufe in Gegenwart eines Ketons als Katalysator verseift (Seite 3, Zeilen 13. bis 18; Seite 4, Zeilen 16 bis 21). Das Verfahren der Druckschrift (2) beschreibt somit alle drei Stufen des anspruchsgemäßen Verfahrens, was zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegner insoweit unstrittig ist. Dieses Verfahren wird in Beispiel 4 diskontinuierlich ausgeführt. In diesem Beispiel wird zuerst Methioninnitril aus dem entsprechenden Cyanhydrin mit Ammoniak hergestellt und dann mit einer Base in Gegenwart von Aceton direkt zum Methionin und damit in situ über das entsprechende Amid als Zwischenstufe bei 80. °C im offenen Gefäß verseift. Hieraus geht hervor, daß im Gegensatz zum Vorbringen des Beschwerdegegners im Verfahren der Druckschrift (2) das Keton nicht nur als Katalysator bei der Hydrolyse des Nitrils zum Amid, sondern auch bei der Verseifung des Amids zum Methionin anwesend ist. Des weiteren lehrt die Druckschrift (2) auf Seite 5, Zeilen 1 bis 8 und Seite 8, Zeile 34 bis Seite 9, Zeile 2 einerseits, daß während - "au cours de cette étappe" - der Verseifung des Amids zum Methionin das Keton abdestilliert, und andererseits, daß sich durch die Verseifung des Amids ein Mol Ammoniak bildet, der ebenso - "également" - abdestilliert. Dieser und nur dieser wiedergewonnene Ammoniak wird angabegemäß in die Synthese des Ausgangsnitrils rückgeführt (Seite 5, Zeilen 6 bis 8), das wiedergewonnene Keton hingegen in einem späteren Verfahren als Katalysator wiederverwendet (Seite 5, Zeilen 1 bis 5). Damit läßt die Druckschrift (2) keinen Zweifel, daß Ammoniak und Keton getrennt wiedereingesetzt werden, woraus zwangsläufig hervorgeht, daß der rückzuführende Ammoniak auch im wesentlichen kein Keton mehr enthält.

4.2. Ausgehend von der oben genannten Lehre der Druckschrift (2) soll laut Vortrag des Beschwerdegegners in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde liegen, ein industriell verwendbares, kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von Methionin bereitzustellen.

Mit dieser Formulierung der patentgemäßen Aufgabe wird allerdings in unzulässiger Weise ein Teil der erfindungsgemäßen Lösung in die Aufgabenstellung bereits miteinbezogen, denn die kontinuierliche Verfahrensweise des Herstellungsverfahren ist bereits Teil der erfindungsgemäßen Lösung. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die technische Aufgabe der Erfindung aber so zu formulieren, daß sie keine Lösungsansätze enthält, anderenfalls es zu einer retrospektiven Betrachtungsweise der erfinderischen Tätigkeit führt (siehe Entscheidungen T 99/85, ABl. EPA 1987, 413; T 229/85, ABl. EPA, 237).

Aus diesem Grunde ist die kontinuierliche Verfahrensweise in die Festlegung der patentgemäßen Aufgabenstellung nicht einzubeziehen, so daß die objektiv formulierte Aufgabe in der Bereitstellung eines industriell verwendbaren Verfahren zur Herstellung von Methionin besteht.

4.3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent das Verfahren zur Herstellung von Methionin gemäß Anspruch 1 vor, welches dadurch gekennzeichnet wird, daß die Temperatur >100 °C beträgt und/oder ein Vakuum angelegt wird, wenn Ammoniak, Keton und Wasser während und/oder nach der Verseifung des Amids abgezogen werden, daß der Ammoniak vor der Zurückführung in die Aminonitrilbildung im wesentlichen vom Keton befreit und daß das Verfahren kontinuierlich durchgeführt wird.

4.4. Die erfolgreiche Lösung der patentgemäßen Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens wird weder in der angefochtenen Entscheidung noch vom Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren bestritten. Auch im Hinblick auf die Ausführungen in der Streitpatentschrift, insbesondere dessen Beispiele 22 bis 24, hat die Kammer keinen Anhaltspunkt, den Erfolg der Lösung von sich aus in Zweifel zu ziehen.

4.5. Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens zu lösen.

4.5.1. Die Verfahrensmaßnahme des geltenden Anspruchs 1, Ammoniak, Keton und Wasser während der Verseifung des Amids abzuziehen, unterscheidet sich von der nächstliegenden Druckschrift (2) lediglich dadurch, daß die Temperatur nicht 80 °C sondern >100 °C beträgt (siehe Punkt 4.1 supra). Der Beschwerdegegner hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer behauptet, daß es sich bei der anspruchsgemäßen Temperaturuntergrenze von 100 °C um ein erfindungswesentliches Merkmal handelt, denn eine hohe Temperatur sei zur vollständigen Entfernung des Ketons aus der Reaktionslösung wesentlich, da es teils in gebundener Form als Imidazolin vorliege. Zum einen steht dieser Vortrag im Widerspruch zu seiner weiteren Behauptung, daß im Beispiel 4 der Druckschrift (2) das Aceton wegen seines hohen Dampfdruckes bereits bei der dort angegebenen Anfangstemperatur von 40 °C entfernt werde. Zum anderen hat der Beschwerdegegner seine Behauptung nicht belegt, daß bei der anspruchsgemäßen Temperaturuntergrenze von 100 °C der geltend gemachte technische Effekt eintritt, bei einer Temperatur von 80. °C laut nächstkommenden Stand der Technik (2) jedoch nicht. Nachdem der Beschwerdegegner für seine Behauptung beweispflichtig ist, er jedoch kein einziges Beweismittel hierfür beigebracht oder angeboten hat, muß seine Behauptung als unbewiesene Vermutung unberücksichtigt bleiben.

Folglich ist die Temperaturuntergrenze von 100 °C in Anspruch 1 weder zielgerichtet noch kritisch für die zu lösende Aufgabe, nämlich ein industriell verwendbares Verfahren zur Herstellung von Methionin bereitzustellen. Die willkürliche Wahl einer zweckmäßigen Temperatur für die Entfernung von Keton und Ammoniak während der Verseifung, wie sie anspruchsgemäß vorgenommen wird, stellt jedoch lediglich eine Routinetätigkeit dar, die im Rahmen des handwerklichen Könnens des Fachmanns liegt, ohne daß es eines erfinderischen Tuns seinerseits bedürfte.

4.5.2. Im Hinblick auf die kontinuierliche Verfahrensweise des anspruchsgemäßen Verfahrens ist es der Kammer von sich aus nicht ersichtlich, daß es sich hierbei um ein Maßnahme handelt, die als solche für die Lösung der patentgemäßen Aufgabe kritisch oder mit einem besonderen technischen Effekt verbunden ist. Zwar hat der Beschwerdegegner behauptet, daß bei der kontinuierlichen Verfahrensweise Probleme aufgetreten seien, die es durch besondere Maßnahmen zu lösen galt. Solange jedoch diese behaupteten besonderen Maßnahmen unbekannt sind und sich nicht im Anspruch 1 des Streitpatents niederschlagen, können sie auch keine Berücksichtigung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit seines Gegenstandes finden.

Nach unwidersprochenem Vortrag des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung bedeutet indessen die kontinuierliche Verfahrensweise anstatt der diskontinuierlichen wie sie im nächstliegenden Stand der Technik beschrieben ist, eine vom Fachmann gerade bei der patentgemäßen Aufgabe, ein industriell verwendbares Verfahren bereitzustellen, stets routinemäßig in Betracht gezogene alternative Maßnahme, die in seinem rein handwerklichen Können liegt.

4.5.3. Der Beschwerdegegner hat des weiteren vorgebracht, daß die anspruchsgemäße Maßnahme, den Ammoniak vor der Rückführung in die Aminonitrilbildung im wesentlichen vom Keton zu befreien, nicht nahegelegen habe. Indessen ist diese Maßnahme bereits in der nächstliegenden Druckschrift (2) beschrieben (siehe Punkt 4.1 supra) und kann somit eine erfinderische Qualität dieser gegenüber nicht begründen.

4.6. Die Kammer kommt aus den oben angeführten Gründen zu dem Schluß, daß der Gegenstand des Anspruch 1 des Streitpatents eine naheliegende Lösung der patentgemäßen Aufgabe darstellt und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4.7. Da über einen Antrag nur als Ganzes zu entscheiden ist, war auf dessen übrige Ansprüche nicht weiter einzugehen.

Der Hauptantrag des Beschwerdegegners ist folglich wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 52 (1) und 56 EPÜ nicht gewährbar.

Hilfsantrag

5. Zulässigkeit des Antrags

5.1. Der Beschwerdegegner hat in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens, nämlich am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, einen abgeänderten Anspruchssatz eingereicht, in dem zahlreiche Änderungen im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 vorgenommen wurden. Darunter befindet sich auch die neue kennzeichnende Maßnahme, daß der Ammoniak vor der Zurückführung in die Aminonitrilbildung in einer Kolonne im wesentlichen vom Keton befreit wird, so daß der der Nitrilsynthese zugeführte recyclierte Ammoniak weniger als 25 meq Keton bezüglich des Cyanhydrins und/oder Aldehyds enthält.

5.2. Der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens besteht darin, der unterlegenen Partei die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der ersten Instanz anzufechten. Bei einer alleinigen Beschwerde des Einsprechenden gegen eine Zwischenentscheidung, mit der das Patent von der ersten Instanz in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, wie im vorliegenden Fall, ist der beschwerdegegnerische Patentinhaber im Beschwerdeverfahren primär darauf beschränkt, die Fassung des Patents zu verteidigen, in welcher es die erste Instanz in ihrer Zwischenentscheidung aufrechterhalten hat. Wenn der beschwerdegegnerische Patentinhaber dem Beschwerdeverfahren andere Anträge zugrunde legen will, liegt deren Zulassung in das Verfahren im Ermessen der Beschwerdekammer und ist kein Recht des nicht beschwerdeführenden Patentinhabers (siehe Entscheidung G 2/92, ABl. EPA 1994, 875, Punkt 15 der Entscheidungsgründe). Zur Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens über die Zulassung von frischen Anträgen des nicht beschwerdeführenden Patentinhabers, die nicht vor der ersten Instanz waren, prüfen die Beschwerdekammern nach ständiger Rechtsprechung als dafür entscheidendes Kriterium, ob die geänderten Ansprüche dieser frischen Anträge eindeutig gewährbar sind (siehe T 153/85, ABl. EPA 1988, 1, Punkte 2.1 und 2.2. der Entscheidungsgründe).

5.3. Die ursprünglichen Unterlagen offenbaren zwar auf Seite 25, Zeilen 3 bis 7 das Merkmal, im recyclierten Ammoniak eine Verunreinigung von 25 meq Keton bezüglich des Cyanhydrins und/oder Aldehyds zu unterschreiten. Diese aufgabenhafte Bestimmung soll anspruchsgemäß den das patentgemäße Herstellungsverfahren abschließenden Reinigungsschritt des Ammoniaks steuern.

Indessen ist der Bezugspunkt für diese zahlenmäßige Verunreinigungsobergrenze des recyclierten Ammoniaks unklar, denn es wird hiermit entgegen des Wortlauts nicht der Grad der Keton-Verunreinigung im Ammoniak selbst definiert, sondern der Verunreinigungsgrad wird auf Cyanhydrin / Aldehyd bezogen, welche die Reaktionspartner des Ammoniaks in der Synthese des Nitrils sind. Wegen der Veränderlichkeit der in diese Synthese eingesetzten Ammoniakmenge erfüllt somit ein spezifisch gereinigter Ammoniak nicht notwendigerweise das anspruchsgemäße Merkmal, "25 meq Keton bezüglich des Cyanhydrins und/oder Aldehyds" zu unterschreiten. Folglich ist dieses Merkmal ungeeignet, den Verunreinigungsgrad des gereinigten Ammoniaks als solchem zu definieren und damit den anspruchsgemäßen Reinigungsschritt des Ammoniaks zu steuern.

Des weiteren ist der anspruchsgemäße Bezugspunkt der Verunreinigungsobergrenze mit der Angabe "Cyanhydrin und/oder Aldehyd" nicht eindeutig, nachdem er unbestimmt läßt, unter welchen Gegebenheiten die beiden Komponenten Cyanhydrin und Aldehyd alternativ oder additiv zu berücksichtigen sind.

5.4. Aus diesen Gründen verletzt die vorgenommene Anspruchsänderung das Gebot der Klarheit und ist somit eindeutig nicht gewährbar, so daß die Kammer ihr Ermessen pflichtgemäß dahingehend ausgeübt hat, den Hilfsantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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