T 0335/00 () of 8.10.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T033500.20021008
Datum der Entscheidung: 08 October 2002
Aktenzeichen: T 0335/00
Anmeldenummer: 93107496.7
IPC-Klasse: D02G 3/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hochfestes Nähgarn sowie Verfahren zur Herstellung eines derartigen Nähgarnes
Name des Anmelders: Amann & Söhne GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: Coats Viyella plc
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 102(2)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - ja
Zulassung verspätet eingereichter Entgegenhaltungen (Relevanz) - nein
Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 8. Mai 1993 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 12. Mai 1992 eingereichte Patentanmeldung Nr. 93107496.7 wurde das europäische Patent Nr. 0569 890 erteilt. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung erfolgte am 30. Oktober 1996.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 lauten wie folgt:

"1. Hochfestes Nähgarn, das mindestens zwei multifile Garnkomponenten umfaßt und eine spezifische Festigkeit zwischen 40 cN/tex und 85 cN/tex, vorzugsweise zwischen 55 cN/tex und 75 cN/tex, hat, dadurch gekennzeichnet, daß das Nähgarn die Konstruktion eines Nähzwirnes besitzt und mindestens zwei, miteinander verzwirnte Garnkomponenten aufweist, daß die den Nähzwirn bildenden Garnkomponenten textile Standardmultifilamentgarne sind und daß der Nähzwirn einen Drehungsbeiwert Alpha zwischen 70 und 140 besitzt.

9. Verfahren zur Herstellung eines hochfesten Nähgarnes nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß man das Nähgarn als Nähzwirn konstruiert, daß man für jede, den Nähzwirn bildende multifile Garnkomponenten ein vororientiertes Multifilamentgarn (POY-Garn) auswählt, wobei das vororientierte Multifilamentgarn (POY-Garn) in seinem molekularen Aufbau einem textilen Standardmultifilamentgarn entspricht, daß man das vororientierte Multifilamentgarn derart verstreckt, daß seine spezifische Festigkeit zwischen 40 cN/tex und 85 cN/tex, vorzugsweise zwischen 55 cN/tex und 75. cN/tex, liegt und daß man anschließend die verstreckten Multifilamentgarne unter Ausbildung des Nähzwirnes miteinander verzwirnt, wobei man für die Zwirnung einen Drehungsbeiwert Alpha zwischen 70 und 140 vorsieht."

II. Am 28. Juli 1997 legte die Beschwerdeführerin unter der Angabe von Anmeldenummer, Patentnummer und Veröffentlichungstag ("mention of grant") Einspruch ein gegen die Anmeldung ("to the above application") und beantragte die Zurückweisung der Anmeldung ("refusal in toto").

Auf die Mitteilung von behebbaren Mängeln des Einspruchs des Formalsachbearbeiters reichte sie am 31. Juli 1997 eine korrigierte vierte Seite und am 16. August 1997 eine korrigierte erste Seite des Einspruchsschriftsatzes ein, in denen der Widerruf des Patents ("revocation in toto") beantragt wurde und die Bezeichnung der Erfindung ergänzt worden war.

III. Die Einspruchsabteilung betrachtete den Einspruch als zulässig und wies ihn aber mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 15. September 1999 verkündeten und am 20. Januar 2000 zur Post gegeben Entscheidung als unbegründet zurück.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß das europäische Patent unter Berücksichtigung des Standes der Technik nach:

(E1) EP 0 057 583 B2

(E2) EP 0 123 479 B1

(E3) WO 89/03 437 A1

(E4) EP 0 295 601 A2

den Erfordernissen des EPÜ genüge.

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 30. März 2000 beschwert und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit der am 5. Juni 2000 eingereichten Beschwerdebegründung hat sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents weiter untermauert.

Hierzu hat sie unter Vorlage der Kopie eines

(E5) Memorandum von Gordon Broome an Barcley Cox vom 20. Mai 1988

eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht und noch folgende Unterlagen eingereicht:

(E6) Metric Converter Type TF des Shirley Institute

(E7) Kopierte Seiten 14 bis 29 aus "The Technology of Threads and Seams"

(E8) Abstract 1445464 Drawing polyethylene-2,6-naphtalate filaments Teijin Ltd 19. Oct 1973

(E9) Abstract 1590637 Extruding and drawing polyester filaments Celanese Corp 6 Oct 1977 (26 Oct 1976)

Am 19. Oktober 2000 wurden noch

(E10) Affidavit of Gordon Broome

und am 6. September 2002

(E11) Affidavit of Samuel Robert Beech vorgelegt.

Mit Fax-Schreiben vom 1. Oktober 2002 wurde Verlegung der Verhandlung wegen eines Todesfalles in der Familie des Herrn Beech beantragt, der an der mündlichen Verhandlung teilnehmen sollte.

In einem weiteren, am 7. Oktober 2002 eingegangenen Fax-Schreiben kündigte die Beschwerdeführerin an, nicht zur Verhandlung zu erscheinen, da es versäumt worden sei, Übersetzung ins Englische zu beantragen, und brachte die beabsichtigte Argumentation für die Verhandlung schriftlich vor.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrem Bescheid vom 15. März 2001 mitgeteilt, daß sie nicht beabsichtige, die Zulässigkeit des Einspruches in einer Vorabentscheidung zu behandeln.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung 13. Mai 2002 hat sie mitgeteilt, daß die Zulässigkeit des Einspruches zu diskutieren sei, daß das Affidavit von Gordon Broome als Nachweis für eine offenkundige Vorbenutzung nicht ausreichend erscheine und daß der Auszug aus "The Technology of Threads and Seams" nicht datiert sei. Im übrigen werde über erfinderische Tätigkeit zu reden sein.

Im Bescheid vom 2. Oktober 2002 teilte die Kammer mit, daß der anberaumte Verhandlungstermin bestehen bleibe, da eine Teilnahme des Herrn Beech nicht angekündigt war und sie auch keine weiteren Fragen an Herrn Beech zu stellen gedenke. Das kurzfristig eingereichte Affidavit sei verstanden worden, die Relevanz werde zu prüfen sein.

VI. Am 8. Oktober 2002 fand eine mündliche Verhandlung statt, zu der die ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführerin - wie angekündigt - nicht erschienen war.

Die Beschwerdeführerin beantragte im schriftlichen Verfahren die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 569 890.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, daß das Nähgarn nach Anspruch 1 und das Verfahren nach Anspruch 9 durch allgemeines Fachwissen in Verbindung mit dem Stand der Technik nahegelegt seien.

Bereits in den 80er Jahren hätten bei Coats American Inc. umfangreiche Entwicklungen stattgefunden mit dem Ziel, preisgünstige textile Standardmultifilamente (POY: partly orientated yarn) so zu verstrecken, daß sie die Festigkeitswerte der sehr teueren hochfesten Multifilamente (FOY: fully orientated yarn) erreichten. Wie aus dem Affidavit von Gordon Broome hervorgehe, seien diese neuen preisgünstigen POY zu Coregarnen gesponnen oder zu Nähgarnen verzwirnt worden. Bereits in den Jahren 1986/87 seien große Mengen von der Beschwerdeführerin an kommerzielle Kunden geliefert worden, welche über die Neuentwicklungen informiert waren. Weitere Produkte auf der Basis von überstrecktem POY seien z. B. unter den Marken TRU-SEW (gezwirnt), TRU-TEX und TRU-BULK (texturiert) auf dem Markt gewesen.

Bereits die auf die Beschwerdeführerin zurückgehende E1 (Priorität 4. Februar 1981) zeige deutlich, daß die Verstreckung von POY in der Fachwelt weit verbreitet war. Deshalb habe es nahegelegen, solche verstreckten Standardmultifilamente zu Nähgarnen zu verarbeiten. Dieser Schritt sei so naheliegend, daß sie selbst nicht daran gedacht habe, sich diese Entwicklung durch ein Patent schützen zu lassen.

Auch die Produzenten und Lieferanten der Multifilamente wie Celanese, DuPont und Wellmann hätten die Beschwerdeführerin als namhafte Herstellerin von Nähgarnen gekannt und selbstverständlich den Schluß ziehen können, daß die von ihnen gelieferten Ausgangsprodukte zu Nähgarnen verarbeitet wurden.

Das Affidavit von Samuel Robert Beech beweise, daß die Öffentlichkeit ohne weiteres in der Lage gewesen sei, den Unterschied zwischen POY und FOY zu erkennen, was die Offenkundigkeit ihrer Vorbenutzung unterstreiche.

Nachdem die beanspruchten Verfahren zum allgemein bekannten Stand der Technik gehört hätten, seien auch die mit diesen Verfahren hergestellten Produkte nicht patentfähig.

VIII. Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, daß der Einspruch unzulässig sei, weil der innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene Schriftsatz die formalen Voraussetzungen nicht erfülle. So sei ein Einspruch gegen eine Patentanmeldung ("to the above application") überhaupt nicht möglich. Es sei nicht angegeben, auf welche Einspruchsgründe er gestützt sei. Die Einsprechende habe keinen Bezug zu den Merkmalen der unabhängigen Ansprüche hergestellt, sondern lediglich allgemeine Ausführungen gemacht. Erst durch die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangenen Korrekturen sei erkennbar gewesen, was die Einsprechende mit dem Einspruch gemeint habe.

Die angeblichen Vorbenutzungen seien nicht substantiiert und auch die angeführte Begründung insgesamt erlaube es weder der Patentinhaberin noch dem Patentamt, ohne eigene Nachforschungen zu prüfen, inwieweit die angegebenen Gründe dem Patent entgegenstünden. Das dem Prüfungsverfahren nachgeschaltete Einspruchsverfahren gegen ein erteiltes Patent erfordere sehr strenge Regeln, damit die notwendige Rechtssicherheit gewährleistet sei. Diesen Anforderungen genüge der Einspruch keinesfalls.

Die nach Ablauf der Einspruchsfrist verspätet eingereichten Beweismittel müßten unberücksichtigt bleiben, da sie im Hinblick auf die Patentgegenstände nicht relevant seien. Die behaupteten Vorbenutzungen seien nicht substantiiert, da noch nicht einmal angegeben sei, was wann an wen geliefert worden sei. Ein Veröffentlichungsdatum von "The Technology of Threads and Seams" sei nicht nachgewiesen und von den weiteren nachgebrachten Unterlagen sei kein Bezug zu den Gegenständen der Ansprüche 1 und 9 hergestellt worden, so daß eine Relevanz nicht erkennbar sei.

Weiterhin trug sie vor, das zweifellos neue Nähgarn nach Anspruch 1 und das Verfahren nach Anspruch 9 seien unter Betrachtung des Standes der Technik gemäß E1 bis E4 aus dem Blickwinkel des Fachmannes nicht nahegelegt, weil sich keine der Druckschriften mit einem gezwirnten Garn befasse und ein Drehungsbeiwert ebenfalls nicht erwähnt sei. Zudem sei mit der Erfindung ein Nähgarn geschaffen worden, das sich ausgezeichnet färben lasse und ein multidirektionales Nähen mit 7000 Stichen pro Minute erlaube. Die Erfindung habe eine vom Stand der Technik abweichende neue Richtung eingeschlagen, die Filamente nicht mehr zu verwirbeln, sondern aus mindestens zwei Garnkomponenten zu verzwirnen, was nicht ohne erfinderische Tätigkeit zu erreichen gewesen sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde erfüllt die Vorschriften der Artikel 106 bis 108 EPÜ und ist auch im übrigen zulässig.

2. Zulässigkeit des Einspruchs

2.1. Gemäß Artikel 99 (1) EPÜ ist ein Einspruch innerhalb von neun Monaten nach Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents schriftlich einzureichen und zu begründen. Nach Regel 55 c) EPÜ muß die Einspruchsschrift Namen, Adresse, Sitz und Staat des Einsprechenden, die Nummer des Patents, die Bezeichnung des Inhabers und der Erfindung enthalten, eine Erklärung darüber, in welchem Umfang Einspruch gegen das Patent eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel.

Diese Anforderungen sollen es dem Patentinhaber und dem Patenamt ermöglichen, ohne eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit des Einspruchs im Hinblick auf das erteilte Patent zu überprüfen.

2.2. Im vorliegenden Fall wurden diese Anforderungen nicht wörtlich erfüllt. Es fehlte die Bezeichnung der Erfindung und der Einspruch war gegen die Anmeldung gerichtet. Außerdem waren Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ nicht explizit angegeben. Die Kammer hat deshalb zu prüfen, ob diese Versäumnisse so schwerwiegend sind, daß der Einspruch als unzulässig zu verwerfen ist, oder ob der Einspruchsschriftsatz genügend Angaben enthält, die es der Einspruchsabteilung ohne eigene Nachforschungen ermöglichen, die nach dem EPÜ erforderlichen Angaben abzuleiten.

Im Betreff der Einspruchsschrift sind Anmeldenummer, Veröffentlichungsnummer und Patentinhaber genannt. Im folgenden wird auf die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung am 30. Oktober 1996 Bezug genommen und der Ablauf der Einspruchsfrist am 30. Juli 1997 genannt. Dem unbefangenen Leser genügen diese Angaben, um ohne Problem zu erkennen, daß es sich um einen Einspruch gegen ein Patent handeln muß, denn der Hinweis auf die Erteilung sowie die Tatsache, daß ein Einspruch gegen eine Anmeldung nicht möglich ist, führen logischerweise zu der Folgerung, daß es um ein erteiltes Patent geht. Da auch die siebenstellige Veröffentlichungsnummer im Betreff enthalten ist, ist das angegriffene Patent eindeutig und ohne besondere Schwierigkeit identifizierbar und damit auch die Bezeichnung der Erfindung, für die es erteilt wurde. Der Irrtum, gegen eine Anmeldung einzusprechen, bzw. das Weglassen der Bezeichnung sind daher nicht so schwerwiegend, daß der Einspruch unzulässig wäre.

Unter "Gründe 1." steht dann, das Nähgarn nach den Ansprüchen 1 bis 8 das Verfahren zur Herstellung des Garns nach den Ansprüchen 9 bis 29 gehörten am Prioritätstag zum Stand der Technik. Mit anderen Worten heißt das, daß Nähgarn und Verfahren am Prioritätstag bekannt waren, was dem Einspruchsgrund mangelnder Neuheit gleichkommt. Somit ist dieser Textstelle der Einspruchsgrund gemäß Artikel 54 (1) des Artikels 100 a) EPÜ entnehmbar.

In den unter "Gründe 2. bis 11." gemachten allgemeinen Ausführungen wird auch auf die Entgegenhaltungen E1, E2 und E4 bezug genommen und dargestellt, daß mit überstreckten kostengünstigen textilen Standardmultifilamentgarnen (POY) die Festigkeitswerte der teuren hochfesten Filamente (FOY) erreicht werden konnten. Insoweit wird auch ein konkreter Bezug zu einem wesentlichen Merkmal des Patentgegenstandes hergestellt.

Sodann wird unter "Gründe 12." die E3 mit einer konkreten Textstelle zitiert, in der Zahlenwerte von Festigkeiten verstreckter POY angegeben sind. Im Absatz unter dieser Tabelle II der E3, den der unbefangene Leser beim Studium einer relevanten Entgegenhaltung gewohnheitsmäßig mitliest, wird dieser in E3 offenbarte Faden als geeignet für Nähzwirne dargestellt, was ebenfalls einen Bezug zu einem wesentlichen Merkmal des Patentgegenstands darstellt.

Am Ende dieses Absatzes wird zum Drehungsbeiwert, einem Merkmal der Ansprüche 1 und 9 sowie zu weiteren Merkmalen der Unteransprüche allgemein gesagt, daß diese fachüblich seien, was ohne Bedarf einer besonderen Interpretation heißt, daß keine erfinderische Tätigkeit vorliege.

Schließlich wird unter "Gründe 13." Zurückweisung der Anmeldung "in toto" beantragt, was der unbefangene Leser nach der Erkenntnis, daß es sich um einen Einspruch gegen ein erteiltes Patent handelt, als Antrag auf Widerruf des Patents versteht.

2.3. Somit sind im Hinblick auf die druckschriftlichen Entgegenhaltungen auch die Anforderungen der Regel 55 c) EPÜ erfüllt, die lediglich die Erklärung des Umfangs des Einspruchs und die Angabe der Einspruchsgründe, Tatsachen und Beweismittel verlangt. Inwieweit mit dem Einspruchsschriftsatz auch eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht wird und ob diese ausreichend substantiiert ist, kann deshalb bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Einspruchs dahinstehen.

Soweit sich die Beschwerdegegnerin darauf beruft, die Klarstellung der Mängel des Einspruchs sei erst durch die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangenen Unterlagen hergestellt worden, wird dies durch die obigen Ausführungen widerlegt, die sich ausschließlich mit dem innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Schriftsatz befassen.

3. Verspätet eingereichte Beweismittel

3.1. Innerhalb der Einspruchsfrist wurden die Druckschriften E1 bis E4 eingereicht, während die Dokumente E5 bis E11 erst danach eingegangen sind.

Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist bei der Zulassung verspätet eingereichter Beweismittel ein strenger Maßstab anzulegen. Ein wesentliches Kriterium ist, daß sie im Hinblick auf das angegriffene Patent von einer solchen Relevanz sein müssen, daß ihre Einführung in das Verfahren einen Einfluß auf die Entscheidung des Falles hat.

Eine solche Relevanz kann die Kammer im vorliegenden Fall nicht erkennen.

3.2. Bei der behaupteten Vorbenutzung durch Lieferung sind außer den allgemeinen Behauptungen, daß hochverstrecktes POY in großen Mengen an verschiedene Kunden geliefert worden seien, keine Beweise dafür vorhanden, wer was zu welchem Zeitpunkt geliefert bzw. empfangen hat und unter welchen Umständen die Benutzung stattgefunden hat. Obwohl die Kammer darauf aufmerksam gemacht hat, daß nähere Angaben fehlen, sind diese nicht substantiiert worden.

Gleiches gilt für die verschiedenen angeblich von Coats American Inc. durchgeführten Versuche, denn es ist nicht angegeben, auf welche Weise die Benutzung offenkundig geworden, das heißt an die Öffentlichkeit gelangt ist. E5 und E10 enthalten hierzu keine Angaben, so daß sie außer Betracht bleiben müssen.

Da nicht nachgewiesen ist, daß die Öffentlichkeit von überstrecktem POY Kenntnis erlangt hat, ist auch E11 nicht relevant, mit der nachgewiesen werden sollte, wodurch die Öffentlichkeit POY von FOY unterscheiden konnte.

Die Kammer hatte angemerkt, daß E7 nicht datiert und somit eine Veröffentlichung vor dem Prioritätstag des Patents nicht nachgewiesen ist. Da hierzu keine weitere Information eingereicht wurde, kann diese Entgegenhaltung ebenfalls nicht berücksichtigt werden.

E6 zeigt lediglich die Umrechnung des Drehungsbeiwertes in verschiedenen Maßeinheiten. Da die behauptete Benutzung der Garne in der Öffentlichkeit nicht nachgewiesen ist, spielt ein etwa vorhandener Drehungsbeiwert keine Rolle.

Zu E8 und E9 hat die Beschwerdeführerin nicht ausgeführt, welchen Bezug sie zu den Gegenständen des Patents haben sollen. Die Kammer sieht keinen Grund, sie zuzulassen, da ihr Inhalt nicht über den im Verfahren befindlichen Stand der Technik hinausgeht.

Aus diesen Gründen konnten die Entgegenhaltungen E5 bis E11 nicht berücksichtigt werden (Artikel 114 (2) EPÜ).

4. Neuheit

Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 wurde nicht mehr angegriffen. Keine der Druckschriften E1 bis E4 weist sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 oder des Anspruchs 9 auf, denn ein verzwirntes Nähgarn ist nicht offenbart. Das Nähgarn nach Anspruch 1 und das Verfahren nach Anspruch 9 sind daher neu (Artikel 54 (1) EPÜ).

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Die Erfindung geht aus von einem hochfesten Zweikomponenten-Schlingennähgarn, wie es aus der EP 0 363 798 bekannt ist und welches die Merkmale des Oberbegriffes des Anspruchs 1 aufweist.

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Patent die Aufgabe zugrunde, ein hochfestes Nähgarn zur Verfügung zu stellen, das einen relativ einfachen konstruktiven Aufbau besitzt. Des weiteren liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Herstellung eines derartigen hochfesten Nähgarnes bereitzustellen, das eine besonders einfache und störungsfreie Herstellung dieses Nähgarnes erlaubt (Patentschrift Spalte 1, Zeilen 47 bis 55). Gelöst werden diese technischen Probleme durch ein Nähgarn nach Anspruch 1 und ein Verfahren mit den Merkmalen und Arbeitsschritten des Anspruchs 9.

5.2. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung zutreffend dargelegt, warum der Gegenstand des Anspruchs 1 und das Verfahren nach Anspruch 9 auf erfinderischer Tätigkeit beruhen. Keiner dieser Entgegenhaltungen E1 bis E4 ist ein aus mindestens zwei Garnkomponenten verzwirntes Garn mit einem bestimmten Drehungsbeiwert entnehmbar.

Mit Ausnahme der Tatsache, daß nunmehr auch die entsprechende A1-Publikation der E1 in Betracht gezogen wurde, die jedoch nichts anderes offenbart als die B2-Schrift, ist den von der Vorinstanz angegebenen Gründen zu den Entgegenhaltungen E1, E2 und E4 nichts hinzuzufügen.

5.3. Die Beschwerdeführerin stützte sich besonders auf Tabelle II der E3, in der dem Patent entsprechende Festigkeitswerte in cN/tex aufgrund vergleichbarer Verstreckungsraten enthalten seien. Wie sich aus dem der Tabelle folgenden Abschnitt ergebe, seien dieses Fäden besonders zur Verwendung für Nähfäden, Näh- und Strickzwirne geeignet.

E3 befaßt sich mit der Herstellung eines kaltverstreckten, glatten Polyester-Filamentfadens aus POY, welches mit einem Verstreckungsverhältnis zwischen 1,8 und 2,5 kaltverstreckt und anschließend relaxiert wird (Seite 11, Anspruch 1). Daß durch eine Überstreckung von POY vor dem Prioritätstag des Patents bereits Polyesterfäden mit entsprechender Festigkeit herstellbar waren, steht für die Kammer außer Zweifel.

In den Bespielen wird der Faden mit einer Verwirbelungsintensität von ca. 20 Knoten/m verwirbelt (Seite 6, Zeile 34 bis 36). Wenn dann die Verwendung als Nähzwirn erwähnt wird (Seite 10, Zeile 43), so ist daraus weder entnehmbar, daß mindestens zwei Garnkomponenten verzwirnt werden, noch läßt sich ein bestimmter Drehungsbeiwert ableiten. Im Gegenteil läßt die Eignung als Stickzwirn für den fachkundigen Leser eher den Schluß zu, daß der Filamentfaden selbst eine Drehung erfährt, so wie es in der von der Beschwerdeführerin eingereichten nicht datierten E7 in Figur 16 (Seite 21) dargestellt ist.

Mangels eines Hinweises in Richtung der beanspruchten Merkmalskombination kann auch E3 den Fachmann nicht zum Nähgarn mit den Merkmalen des Anspruchs 1 führen, so daß es nicht ohne erfinderische Tätigkeit erreichbar war.

5.4. Der Anspruch 9 betrifft ein Verfahren zur Herstellung des hochfesten Nähgarnes nach einem der vorhergehenden Ansprüche und enthält implizit die Merkmale des Anspruchs 1, bezogen auf das Herstellungsverfahren. Da diese Merkmale in ihrer Kombination wie oben ausgeführt nicht naheliegen und der Gegenstand des Anspruchs 1 erfinderisch ist, war auch erfinderische Tätigkeit beim Auffinden des Verfahrens nach Anspruch 9 erforderlich.

5.5. Da somit der Gegenstand nach Anspruch 1 und das Verfahren des Anspruchs 9 weder durch eine einzelne Entgegenhaltung noch durch deren naheliegende Kombination auffindbar waren und auch nicht erkennbar ist, wie der zuständige Fachmann nur unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeit dahin hätte gelangen können, beruhen die beanspruchten Lösungen auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

Zusammenfassend ist die Kammer aus den dargelegten Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß die mit den Ansprüchen 1 und 9 beanspruchte Erfindung die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ erfüllt. Zusammen mit diesen Ansprüchen können die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 und 10 bis 29, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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