T 0277/00 () of 4.12.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T027700.20011204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2001
Aktenzeichen: T 0277/00
Anmeldenummer: 91118135.2
IPC-Klasse: B27D 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kappaggregat zum Abtrennen von Überständen von Kantenmaterial
Name des Anmelders: Brandt Kantentechnik GmbH
Name des Einsprechenden: Reich Spezialmaschinen GmbH
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 24. Oktober 1991 eingereichte Patentanmeldung Nr. 91 118 135.2 wurde das europäische Patent Nr. 0 538 513 erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents. Zur Begründung trug sie vor, das beanspruchte Kappaggregat zum Abtrennen von Überständen von Kantenmaterial beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil der Lösungsweg durch den Stand der Technik sowie bekannte gattungsgleiche Vorrichtungen vorgezeichnet gewesen sei (Einspruchsgrund Artikel 100 a) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 1999 verkündeten Entscheidung zurück. Die schriftliche Begründung wurde am 19. Januar 2000 zur Post gegeben.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß das europäische Patent unter Berücksichtigung des entgegengehaltenen Standes der Technik den Erfordernissen des EPÜ genüge.

IV. Gegen diese Entscheidung beschwerte sich die Beschwerdeführerin am 16. März 2000, bezahlte am selben Tag die Beschwerdegebühr und verfolgte mit der am 29. Mai 2000 eingereichten Beschwerdebegründung ihren Antrag auf Widerruf des Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit weiter.

V. Die Beschwerdekammer wies in ihrer Mitteilung vom 26. April 2001 auf Diskussionsbedarf zur erfinderischen Tätigkeit hin.

VI. Am 4. Dezember 2001 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Entgegenhaltungen

(D3) DE-A-2 721 918

(D4) DE-A-2 012 115

diskutiert wurden.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 538 513.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"1. Kappgerät für Maschinen zur Bearbeitung von geradlinig und fortlaufend bewegten plattenförmigen Werkstücken (W) zum Abtrennen von über die vorderen und hinteren, im wesentlichen quer zur Bewegungsrichtung der Werkstücke verlaufenden Schmalflächen (26, 27) der Werkstücke hinausstehenden Überstände (3, 4) von Kantenmaterial (2), welches an parallel zur Bewegungsrichtung verlaufenden Schmalflächen der Werkstücke angebracht, vorzugsweise angeleimt ist,

- mit jeweils einer mit einem angetriebenen Kappsägeblatt (16 bzw. 17) ausgestatteten Sägeeinheit (28 bzw. 29) für den vorderen (3) und den hinteren (4) kantenmaterialüberstand,

- je einem Anschlag (20 bzw. 21) für jedes Kappsägeblatt (16 bzw. 17), dessen Anschlagfläche (22 bzw. 23) mit einer Schnittebene des jeweiligen Kappsägeblattes (16 bzw. 17) fluchtet und an der vorderen bzw. hinteren Schmalfläche (26 bzw. 27) der plattenförmigen Werkstücke anlegbar ist,

- einer Schrägführungsanordnung, mit der die Sägeeinheiten (28 bzw. 29) zur Durchführung der Trennschnitte mit dem wirksamen Bereich ihrer Kappsägeblätter von einer Stellung über bzw. unter dem Kantenmaterial (2) entlang einer schräg zur Werkstückdurchlaufebene verlaufenden Ebene in eine Stellung unter bzw. über dem Kantenmaterial (2) und zurück verfahrbar sind,

dadurch gekennzeichnet, daß

die Schrägführungsanordnung eine einzige Führungsbahn (5) aufweist, an der beide Sägeeinheiten (28 und 29) verfahrbar gelagert sind."

VII. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, daß das beanspruchte Kappgerät durch den Stand der Technik nahegelegt sei. Da der Anspruch 1 weder eine Aussage dazu enthalte, ob die Sägeeinheiten auf der Schrägführungsbahn in überlappenden Bereichen verfahren würden oder nicht, noch eine zur Schrägbewegung zusätzliche horizontale Querbewegung ausschließe, sei der Anspruch in seiner breitesten Form zu lesen. Da in D3 neben den Schrägbewegungen P2 der Sägeeinheiten auf zwei getrennten Führungsbahnen eine Querbewegung P1 stattfinde, werde der Fachmann durch D4 geradezu aufgefordert, beide Sägeeinheiten, welche dort ebenfalls jeweils auf quer verfahrbaren Schlitten 8, 108 auf einer gemeinsamen Längsführungsbahn 14, 15 verfahrbar seien, auf einer gemeinsamen Schrägführungsbahn anzuordnen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin trug vor, der zweifellos neue Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch den Stand der Technik auch unter Berücksichtigung rein fachmännischer Fähigkeiten nicht nahegelegt. Die Bauarten der D3 und der D4 seien entsprechend ihren jeweiligen Bewegungsabläufen grundsätzlich verschiedenen Maschinenkonzepten zuzuordnen, die der Fachmann nicht ohne weiteres miteinander kombiniere, wenn er sich einmal auf ein Konzept festgelegt habe. Da im Stand der Technik jegliches Vorbild in Richtung der beanspruchten Lösung fehle, beruhe die Behauptung mangelnder erfinderischer Tätigkeit auf rückschauender Betrachtung in Kenntnis der Erfindung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde erfüllt die Vorschriften der Artikel 106 bis 108 EPÜ und ist auch im übrigen zulässig.

2. Neuheit

Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 wurde im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß keines der entgegengehaltenen Dokumente sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 aufweist, wie auch die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung zutreffend festgestellt hat, so daß das Erfordernis des Artikels 54 (1) EPÜ erfüllt ist.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Der nächstliegende Stand der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, wird durch D3 repräsentiert. Diese Druckschrift offenbart ein Kappgerät mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1.

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Patent die Aufgabe zugrunde, ein solches Kappgerät derart weiterzubilden, daß ohne funktionelle Nachteile bei technisch einfachem Aufbau eine kompaktere Konstruktion erzielt wird (Patentschrift Seite 2, Zeilen 1 bis 5).

Gelöst wird dieses technische Problem durch ein Kappaggregat mit den Merkmalen des Anspruchs 1.

3.2. Als zuständiger Fachmann ist im vorliegenden Fall ein Maschinenbau-Diplomingenieur mit Konstruktionserfahrung auf dem Gebiet der Holz- und Kunststoffbearbeitungsmaschinen anzusehen. Dieser Fachmann ist in seiner täglichen Praxis stets bestrebt, den konstruktiven Aufwand der Maschinen und ihrer Baugruppen zu verringern, so daß das Aufgreifen der konkreten Problemstellung keine überdurchschnittliche Leistung darstellt.

3.3. Aus Beschreibung (Seite 11 bis 12) und Zeichnung (Figur 3) der D3 geht hervor, daß die dort gezeigte Kappvorrichtung zwei in einem Winkel zur Laufrichtung des Werkstückes angeordnete Führungsschienen 71 und 72 für die zwei Sägeeinrichtungen aufweist, die notwendig sind, um jeweils das vordere und hintere Ende des Werkstückes, z. B. Bretts, zu bearbeiten. Folglich erhält der Fachmann aus diesem Stand der Technik keine Anregung, beide Sägeeinheiten auf einer einzigen Schrägführungsbahn verfahrbar zu lagern, denn er erkennt schon beim Betrachten der Zeichnung ohne weiteres, daß der vorhandene Platz auf einer Führungsschiene für die Bewegung beider Sägeeinheiten dann nicht mehr ausreichen würde, um die Abtrennvorgänge durchzuführen.

3.4. Wie sich aus der Beschreibung (Seite 13 bis 14) weiter ergibt, arbeitet die Kappvorrichtung in der Weise, daß zunächst der Schlitten 6 mit der Sägeeinrichtung quer zur Transportrichtung (P1) des zu bearbeitenden Werkstückes in die Arbeitsstellung gebracht wird (Figuren 1, 2). Erst danach beginnt der eigentliche Abtrennvorgang, bei dem die Sägescheibe auf das Werkstück zu bewegt und der Leistenüberstand abgetrennt wird.

3.5. Die Beschwerdeführerin meint, diese erste horizontale Querbewegung (P1) der Sägeeinrichtungen der D3 sei mit der horizontalen Bewegung der Sägeeinheiten der D4 quer zur Transportrichtung des Werkstücks 1 gleichzusetzen, weshalb der Fachmann beide Vorrichtungen ohne weiteres kombinieren würde. Dieser Ansicht kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen.

Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend ausgeführt hat, unterscheidet sich das Arbeitsverfahren der Vorrichtung nach D4 prinzipiell von dem der D3. Die horizontale Querbewegung gemäß D3 erfolgt nämlich, um die Sägeeinheit in die Arbeitsstellung zu bringen, während der Schnitt erst während der Bewegung der Sägeeinheit von links oben nach rechts unten durchgeführt wird. Dagegen werden in der Anordnung nach D4 die Sägeeinheiten parallel zum Werkstück geführt und der Schnitt erfolgt durch horizontales Eintauchen der Sägeeinheiten zum Werkstück hin. Diesen grundsätzlichen Unterschied beider Vorrichtungen erkennt der Fachmann beim Studium der Druckschriften D3 und D4 mit seinen fachlichen Fähigkeiten ohne weiteres und setzt deshalb beide Querbewegungen zum Werkstück wegen ihrer verschiedenen Wirkungsweise gerade nicht in die gleiche Beziehung zur jeweiligen Haupt-Bewegungsrichtung, nämlich einerseits zur Schrägbewegung der D3 und andererseits zur Längsbewegung der D4. Ein In-Arbeitsstellung-Bringen, wie es gemäß D3 notwendig ist, ist in D4 überhaupt nicht vorgesehen, so daß der Fachmann beim Betrachten der beiden Vorrichtungen keinen Anlaß hat, ein solches isoliertes Merkmal der einen Bauart, das nicht zweckentsprechend funktional verknüpfbar ist, mit einer anderen Anlage zu kombinieren.

3.6. Hinzu kommt, daß zwar in der Anordnung der D4 beide die Sägeeinheiten tragenden Schlitten auf einer gemeinsamen Führungsbahn 14, 15 verschiebbar gelagert sind, jedoch dort in zwei getrennten Bereichen arbeiten, die sich nicht gegenseitig überlappen. Dies ergibt sich eindeutig aus der voneinander entfernten Position der Kurven 121 (Figur 2), welche die jeweilige Schnittbewegung steuern und die lediglich eine Ausgangs- oder Ruhestellung der Sägeeinheiten im Beispiel jeweils links davon erfordern. Dagegen impliziert das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 des Patents überlappende Bewegungsbereiche der Sägeeinheiten auf der gemeinsamen Führungsschiene, denn nur in diesem Fall können beide Enden des Werkstückes problemlos bearbeitet werden.

3.7. Da somit der Gegenstand des Anspruchs 1 weder durch eine einzelne Entgegenhaltung noch durch deren Kombination zu erreichen war und auch nicht vorgetragen oder für die Kammer erkennbar ist, wie der Fachmann nur unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeit dahin hätte gelangen können, beruht das Kappaggregat nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3.8. Zusammenfassend ist die Kammer aus den dargelegten Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ erfüllt. Zusammen mit diesem Anspruch können die abhängigen Ansprüche 2 bis 6, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls aufrecht erhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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