T 0209/00 () of 30.1.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T020900.20010130
Datum der Entscheidung: 30 Januar 2001
Aktenzeichen: T 0209/00
Anmeldenummer: 94116458.4
IPC-Klasse: B60G 21/05
B21D 53/90
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Geschweisste Kraftfahrzeug-Hinterachse
Name des Anmelders: ADAM OPEL AG
Name des Einsprechenden: VOLKSWAGEN AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 24. November 1999 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) i.V.m. Artikeln 52 (1), 56 EPÜ angegriffen worden. Er stützte sich u. a. auf die folgenden Entgegenhaltungen:

D1 - EP-A-0 229 576

D17 - DE-A-40 17 072.

III. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde am 1. Februar 2000 bei gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 30. März 2000 eingegangen. Es wurde u. a. die folgende zusätzliche Entgegenhaltung genannt:

D22 - Klaas et al, "Developments of the Internal High-Pressure Forming Process", SAE Technical Paper 930027.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte in der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2001, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

V. Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Geschweißte Kraftfahrzeug-Hinterachse, bestehend aus zumindest einem, elastisch an einem Wagenkasten anlenkbaren Grundkörper (1) und aus am Grundkörper (1) verschweißten Radträgern (10, 11) sowie mit am Grundkörper (1) vorgesehenen Aufnahmen (12 bis 17) für weitere, die Achsbewegungen bestimmende Bauelemente, wie Schenkel, Lenker, Stoßdämpfer oder Federn, dadurch gekennzeichnet, daß der Grundkörper (1) ein mittels hydraulischem Innenhochdruck-Umformverfahrens in die Endform überführter, die Aufnahmen (12 bis 17) enthaltender Hohlkörper mit nicht konstanter Wandstärke und Querschnittgeometrie ist, wobei die Wandstärke des Grundkörpers (1) im Bereich zumindest einer Aufnahme (14, 15) größer ist als in den übrigen Bereichen (7, 18, 19) bzw. Abschnitten (8, 9)."

VI. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Der nächstkommende Stand der Technik sei aus der D1 bekannt, die eine Kraftfahrzeug-Hinterachse offenbare. Die Hinterachse bestehe aus einem elastisch an einem Wagenkasten anlenkbaren Grundkörper und aus daran befestigten Radträgern sowie am Grundkörper vorgesehenen Aufnahmen für weitere, die Achsbewegungen bestimmende Bauelemente. Ob die Radträger angeschweißt oder anderweitig am Grundkörper befestigt seien, sei für die erfinderische Tätigkeit ohne Belang, denn das Schweißen sei, wie in der Patentschrift angegeben, zu diesem Zweck wohl bekannt. D1 offenbare weiterhin, daß der Grundkörper eine Aufnahme für den Radträger enthalte. Schließlich sei die zur Ovalisierung des Querschnitts der Hinterachse vorgeschlagene Umformung ein Hinweis für den Fachmann, das Innenhochdruck-Umformverfahren für die Herstellung des Grundkörpers zu verwenden, ähnlich wie es gemäß der D17 der Fall sei. Eine Anpassung der Materialstärke an die mechanischen Beanspruchungen sei in D1, Spalte 2, Zeilen 18 bis 23 angesprochen und gehöre zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns, der auch wisse, daß diese Beanspruchungen im Bereich der Aufnahmen besonders hoch seien und daß die Anpassung durch das Innenhochdruck-Umformverfahren möglich sei, wie es aus der D22, Seite 7 oben, ersichtlich sei.

VII. Die Ausführungen der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Zwischen den Merkmalen, daß die Hinterachse geschweißt sei und daß die Aufnahmen als im Grundkörper enthalten bezeichnet sind, bestehe eine Wechselwirkung, weshalb diese Merkmale zusammen zu betrachten seien. Der Grundkörper gemäß der D1 weise keine Aufnahmen im Sinne des Patents auf. Die in der D1 erwähnte Ovalisierung bzw. U-förmige Gestaltung des Achsschenkels dienten nicht als eine Aufnahme für geschweißte Radträger, sondern dazu, den mechanischen Beanspruchungen zu widerstehen. D1 offenbare auch keine Vergrößerung der Wandstärke im Bereich der Aufnahme. Weiterhin weise der Gegenstand der D1 keine Aufweitung auf, weshalb der Fachmann das Innenhochdruck-Umformverfahren für seine Herstellung nicht erwägen würde. Im Gegensatz zu der gezielten Wandverdickung gemäß dem Patentanspruch 1 werde im Stand der Technik immer von einer durch das Innenhochdruck-Umformverfahren bedingten Wandverdünnung geredet, wobei die im Stand der Technik erwähnte Möglichkeit des axialen Nachschiebens von Material lediglich zur Vermeidung dieses Nachteils des Verfahrens und der damit verbundenen Rißbildung verwendet werde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer stimmt mit beiden Parteien darin überein, daß der nächstkommende Stand der Technik aus der D1 bekannt ist. Die D1 offenbart eine Kraftfahrzeug-Hinterachse, bestehend aus einem elastisch an einem Wagenkasten anlenkbaren Grundkörper 1 und aus am Grundkörper befestigten Radträgern 16 bis 19 sowie am Grundkörper vorgesehenen Aufnahmen für weitere, die Achsbewegungen bestimmende Bauelemente (Spalte 4, Zeilen 26 bis 35). Fest mit der Hinterachse verbundene Zapfen 20 dienen zur Anlenkung der Hinterachse am Wagenkasten, wobei die Art deren Verbindung mit der Hinterachse nicht beschrieben wird. Die Befestigung der Radträger am Grundkörper wird ebenfalls nicht beschrieben und auch in den Figuren 1 und 6, wo die Anordnung schematisch gezeigt ist, ist keine Schweißverbindung ersichtlich. Die D1 offenbart weiterhin, daß die Wandstärke sowie der Querschnitt des Grundkörpers je nach den mechanischen Beanspruchungen geändert werden können (Spalte 2, Zeilen 18 bis 23). Die Aufgabe gemäß der D1 besteht darin, den Grundkörper einstückig aus einem Rohr herzustellen (Spalte 2, Zeilen 8. bis 11), es wird jedoch kein Herstellungverfahren erwähnt.

2.1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich daher von dem der D1 dadurch, daß:

a) die Hinterachse als "geschweißt" bezeichnet ist und die Radträger am Grundkörper verschweißt sind;

b) der Grundkörper die Aufnahmen enthält (hierunter versteht die Kammer sämtliche Aufnahmen);

c) die Wandstärke des Grundkörpers im Bereich zumindest einer Aufnahme größer ist als in den übrigen Bereichen bzw. Abschnitten; und

d) der Grundkörper mittels hydraulischen Innenhochdruck-Umformverfahrens in die Endform überführt ist.

2.2. Im Patentanspruch 1 ist die Hinterachse als "geschweißt" bezeichnet, wobei der einzige sonstige Bezug im Anspruch auf eine Schweißverbindung die Radträger betrifft. Nach Auffassung der Kammer ist der Gegenstand des Anspruchs im Lichte des Merkmals, daß der Grundkörper mittels des hydraulischen Innenhochdruck-Umformverfahrens umgeformt und daher nicht durch das Zusammenschweißen zweier oder mehrerer Pressteile hergestellt wird, so zu verstehen, daß jedenfalls die Radträger, aber nicht unbedingt andere an Aufnahmen befestigte Bauteile mit dem Grundkörper verschweißt sind. Diese Auslegung ist auch durch die Beschreibung gestützt, in der die Radträger 28, 29 (an den Aufnahmen 12, 13) und die Halterungen für die Fassungen 4, 5 (an den Aufnahmen 16, 17) angeschweißt sind (Spalte 4, Zeilen 36 bis 40 und Spalte 5, Zeilen 5 bis 7), während die Lageraugen für die Feder-Dämpfer-Baugruppen angeschraubt sind (Spalte 4, Zeilen 58, 59). Daß den Aufnahmen eine besondere Rolle hinsichtlich des Verschweißens von Bauteilen im Sinne eines funtionellen Zusammenwirkens zwischen den Merkmalen a) und b) beizumessen ist, ist insbesondere im Hinblick darauf, daß im Streitanspruch 1 keine Aufnahme durch z. B. eine eine Positionierung während des Verschweißens erleichternde Formgebung definiert ist, nicht ersichtlich. Eine Wechselwirkung zwischen dem Schweißvorgang und der beanspruchten Vergrößerung der Wandstärke im Bereich zumindest einer Aufnahme ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach Auffassung der Kammer löst das Merkmal a) lediglich die Aufgabe, Bauteile mit dem Grundkörper in geeigneter Weise zu verbinden. Wie es auch in der Patentschrift angegeben ist (Spalte 1, Zeilen 11 bis 14), gehört das Schweißen für den auf diesem technischen Gebiet tätigen Fachmann zu den geläufigen Verbindungsverfahren. Es war daher für den Fachmann naheliegend, die Radträger und ggf. auch zusätzliche Halteteile mit dem Grundkörper nach der D1 zu verschweißen.

2.3. Die in der Patentschrift genannte Aufgabe der kostengünstigen Fertigung einer Kraftfahrzeug-Hinterachse, die hohen Anforderungen an die Fertigungsgenauigkeit genügt, geringen Fertigungsaufwand erfordert, an der zusätzliche Bauelemente mit wenig Aufwand optimal zu lagern sind und die alle funktionellen Anforderungen erfüllt, geht nicht über die üblichen Aufgaben des auf diesem technischen Gebiet tätigen Fachmanns hinaus. Wie oben festgestellt wurde, wird in der D1 kein Herstellungsverfahren offenbart, so daß der Fachmann, der die Hinterachse gemäß der D1 verwirklichen will, ein Verfahren dieser Aufgabe entsprechend aussuchen wird.

2.4. D22 gibt einen Überblick über das Innenhochdruck-Umformverfahren und lehrt, daß das Verfahren sich besonders zur Herstellung mit wenig Aufwand gebogener (Seite 4, rechte Spalte, Bezug auf Figur 9), hohler Komponenten von geringem Gewicht (Seite 3, zweitletzter Absatz), die äußere Formveränderungen (Seite 4, rechte Spalte, Bezug auf Figur 6) und genaue äußere Abmessungen (Seite 4, rechte Spalte, 2. Absatz) aufweisen, eignet. Dabei kann bei Bedarf eine beabsichtigte Vergrößerung der Materialstärke vorgenommen werden (Seite 6, letzter Absatz "+13%"; Seite 7, 1. Absatz). Auch aus der D17 weiß der Fachmann, daß das Innenhochdruck-Umformverfahren sich zur Umformung von Rohrmaterial bei der Herstellung einer Fahrzeug-Hinterachse ähnlicher Form, wie sie aus der D1 bekannt ist, eignet (Spalte 4, Zeilen 4 bis 47; Spalte 6, Zeilen 3 bis 9). In dieser Hinsicht stellt die Kammer fest, daß die Umformung des mittleren Bereichs 3 der Hinterachse gemäß der D1 sowie des mittleren Bereichs 7 der Hinterachse gemäß dem Patentanspruch 1 nicht allein durch das Innenhochdruck-Umformverfahren möglich ist, sondern daß ein Pressvorgang notwendig ist, der auch schon in der D17 offenbart ist (Spalte 4, Zeilen 59 bis 68). Die Notwendigkeit, den mittleren Bereich der Hinterachse gemäß der D1 unter Querschnittsverringerung umzuformen, kann den Fachmann daher nicht daran hindern, das Innenhochdruck-Umformverfahren zu wählen. Vielmehr bot sich dieses Verfahren zur Herstellung der Hinterachse gemäß der D1 auf Grund der mit ihm verbundenen Vorteile an. Für eine Ausweitung der Lehre der D1 auf die übrigen, in der D1 lediglich implizierten Aufnahmen braucht der Fachmann nach Auffassung der Kammer nicht erfinderisch tätig zu werden, weil er selbstverständlich versuchen wird, eine schon vorhandene Lehre mehrfach einzusetzen, bevor er andere Lösungen sucht. Nachdem die D1 eine Anpassung der Wandstärke an die mechanischen Beanspruchungen offenbart, was nach Auffassung der Kammer ohnehin zum allgemeinen Kenntnis des Fachmanns gehört, bleibt für den Fachmann lediglich die Aufgabe, die während der Benutzung des Fahrzeugs in den Grundkörper eingeleiteten Spannungen zu analysieren und die Wandstärke z B. im Bereich einer Aufnahme bei Bedarf zu vergrößern, wie dies (siehe D22) bei dem Innenhochdruck-Umformverfahren ohne weiteres möglich ist.

2.5. Somit kommt die Kammer zu dem Schluß, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 durch den vorhandenen Stand der Technik nahegelegt ist und daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Der Einspruchsgrund gemäß dem Artikel 100 a) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents daher entgegen und das Patent ist zu widerrufen (Artikel 102 (1) EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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