| European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:R001923.20250227 | ||||||||
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| Datum der Entscheidung: | 27 Februar 2025 | ||||||||
| Aktenzeichen: | R 0019/23 | ||||||||
| Anmeldenummer: | - | ||||||||
| IPC-Klasse: | - | ||||||||
| Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
| Verteilung: | D | ||||||||
| Download und weitere Informationen: |
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| Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
| Name des Anmelders: | - | ||||||||
| Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
| Kammer: | EBA | ||||||||
| Leitsatz: | - | ||||||||
| Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
| Schlagwörter: | Anwendbarkeit von Artikel 112a EPÜ auf das Verfahren vor der Beschwerdekammer für Disziplinarangelegenheiten (nein) Antrag auf Überprüfung gemäß Artikel 112a (2) c) i.V.m. 113 (1) EPÜ einer Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten im Rahmen der europäischen Eignungsprüfung zulässig (nein) |
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| Orientierungssatz: |
- |
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| Angeführte Entscheidungen: |
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| Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
Vorbemerkung
Die folgenden Ausführungen sind - abgesehen von wenigen redaktionellen Änderungen - wörtlich der Mitteilung der Großen Beschwerdekammer (GBK) gemäß Artikel 13 und 14 (2) VOGBK vom 7. Januar 2025 (im Folgenden: ,,die Mitteilung") entnommen (Änderungen oder Ergänzungen nicht-redaktioneller Art wurden in eckige Klammern gesetzt). Die - von den genannten Änderungen abgesehen - insgesamt vollständigen Auszüge aus der Mitteilung werden durch Einschübe unterbrochen, die gekennzeichnet sind.
Sachverhalt und Anträge
1. Gegenstand des Überprüfungsantrags
Der Antrag auf Überprüfung richtet sich gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Folgenden auch: DBK) vom 1. März 2023 im Verfahren mit dem Beschwerdeaktenzeichen D 33/22, die dem Antragsteller am 5. April 2023 mit Entscheidungsgründen zugestellt worden ist.
Der Antrag wird darauf gestützt, dass gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ vorliege.
Der Antragsteller beantragt wörtlich,
1. die zu überprüfende Entscheidung der Beschwerdekammer in
Disziplinarangelegenheiten aufzuheben und die Wiedereröffnung des Verfahrens vor der zuständigen Beschwerdekammer anzuordnen,
2. die Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der zu überprüfenden Entscheidung mitgewirkt haben, zu ersetzen, und
3. die Rückzahlung der Gebühr gemäß Regel 110 EPÜ anzuordnen.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2023 (eingegangen am 12. Juli 2023) hat der Antragsteller ergänzend vorgetragen.
2. Die zu überprüfende Entscheidung
Mit der Entscheidung wurde die Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022 zurückgewiesen, in welcher u.a. festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung nicht bestanden habe.
3. Vorbringen zur Zulässigkeit im Überprüfungsantrag
Zur Rügepflicht (Regel 106)
Der Verstoß gegen den Verfahrensgrundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei für den Antragsteller erst aus den am 5. April 2023 zugestellten schriftlichen Entscheidungsgründen erkennbar gewesen. Es sei dem Antragsteller daher nicht möglich gewesen, während des Beschwerdeverfahrens eine entsprechende Rüge gemäß Regel 106 EPÜ zu erheben.
Zur Anwendbarkeit von Artikel 112a
Der Antragsteller bringt vor, Artikel 112a EPÜ sei aus folgenden Gründen auf Verfahren vor der DBK anwendbar:
(i) Anwendung von Artikel 112a nicht auf bestimmte Beschwerdekammern beschränkt.
[Artikel 112a EPÜ sei erst durch die Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 in das EPÜ eingefügt worden. Das sei zu einem Zeitpunkt geschehen, zu dem die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten bereits seit über 20 Jahren durch den Verwaltungsrat geschaffen gewesen sei.]
Artikel 112a EPÜ beinhalte ungeachtet dessen keine Einschränkung auf ganz bestimmte, durch das EPÜ geschaffene Beschwerdekammern. Folglich sei diese Vorschrift auf alle Entscheidungen der durch das EPÜ geschaffenen Beschwerdekammern anwendbar und damit auch auf Entscheidungen der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten.
(ii) Aus Anwendbarkeit von Artikel 113 (1) auf Verfahren vor DBK folgt Anwendbarkeit von Artikel 112a auf DBK.
Die Zuständigkeit letzterer Kammer für Beschwerden im Rahmen der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP) sei in Artikel 24 (3) VEP normiert. Hierbei sei gemäß Artikel 24 (4), Satz 1 VEP auf das Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten Teil IV der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) entsprechend anzuwenden.
In Teil IV heiße es in Artikel 25 (1):
Artikel 113 Absatz 1, Artikel 114, Artikel 117, Artikel 125, Artikel 131 und Regel 120 EPÜ sind auf Verfahren vor einem Disziplinarorgan entsprechend anzuwenden.
(Hervorhebung durch die GBK)
Die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten sei dabei gemäß Artikel 5 VDV ein Disziplinarorgan im Sinne dieser Vorschrift. Der Gesetzgeber habe damit explizit vorgegeben, dass der in Artikel 113 Absatz 1 EPÜ normierte Anspruch auf rechtliches Gehör auf Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten anzuwenden sei.
Es sei daher nur folgerichtig, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des Artikels 112a EPÜ gerade nicht nur auf die in ,,in Artikel 21 EPÜ genannten Beschwerdekammern" bzw. die ,,Juristische Beschwerdekammer" oder die ,,Technischen Beschwerdekammern" beschränkt habe. Ansonsten liefe nämlich die Vorgabe des Gesetzgebers, den in Artikel 113 Absatz 1 EPÜ normierten Anspruch auf rechtliches Gehör auch auf Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten anzuwenden, ins Leere.
Es müsse nämlich ein Rechtsinstrument existieren, mit dem die Anwendung dieses Verfahrensgrundsatz auch im Hinblick auf Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten sichergestellt werden könne.
Auch vor diesem Hintergrund sei daher Artikel 112a EPÜ auch auf Entscheidungen der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten anwendbar.
(iii) Regel 108 (3) nach Artikel 164 (2) konform mit Artikel 112a auszulegen
Lediglich vor dem Hintergrund der in Regel 108 (3) EPÜ enthaltenden Rechtsfolge könnte man diese Anwendbarkeit grundsätzlich in Frage stellen. Der Gesetzgeber habe in Regel 108 (3) Satz 1 EPÜ als Rechtsfolge eines begründeten Antrags nach Artikel 112a EPÜ vorgesehen, dass die Große Beschwerdekammer die Entscheidung der Beschwerdekammer aufhebe und die Wiedereröffnung des Verfahrens vor der nach Regel 12b Absatz 4 EPÜ zuständigen Beschwerdekammer anordne. Die Geschäftsverteilungspläne der Juristischen Beschwerdekammer und der Technischen Beschwerdekammern seien jeweils nach Regel 12b Absatz 4 EPÜ gestützt auf Artikel 1 Absatz 1 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern erlassen, wohingegen der Geschäftsverteilungsplan der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ,,nur" gestützt auf Artikel 1 der ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des Europäischen Patentamts (VOBKD) erlassen sei.
Es stelle sich daher die Frage, ob die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten als eine ,,nach Regel 12b Absatz 4 zuständige Beschwerdekammer" im Sinne von Regel 108 (3), Satz 1 EPÜ zu qualifizieren sei.
Letztendlich komme es hierauf aber nicht an. Denn selbst, wenn dies nicht der Fall wäre, bestünde zwar eine Unstimmigkeit zwischen der vom Gesetzgeber gewählten allgemeinen Formulierung des Artikels 112a EPÜ - die auch die Anwendung dieser Vorschrift auf Entscheidungen der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten erlaube - und der in Regel 108 (3), Satz 1, vorgesehenen Rechtsfolge. In einem solchen Fall wäre der allgemeinen Formulierung des Artikels 112a EPÜ des Übereinkommens gemäß Artikel 164 (2) EPÜ gegenüber der im Widerspruch hierzu stehenden Vorschrift der Regel 108 (3) Satz 1 der Ausführungsordnung Vorrang einzuräumen.
Artikel 164 (2) EPÜ bestimme:
Bei mangelnder Übereinstimmung zwischen Vorschriften des Übereinkommens und Vorschriften der Ausführungsordnung gehen die Vorschriften des Übereinkommens vor.
(iv) Regel 108 (3) nach Artikel 164 (2) konform mit Artikel 125 auszulegen
Darüber hinaus wäre selbst für den Fall, dass die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten nicht als eine ,,nach Regel 12b Absatz 4 zuständige Beschwerdekammer" im Sinne von Regel 108 (3), Satz 1 EPÜ zu qualifizieren sei, Regel 108 (3) Satz 1 EPÜ sinngemäß auch auf die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten anzuwenden.
Dies folge aus Artikel 125 EPÜ, der laute:
Soweit dieses Übereinkommen Vorschriften über das Verfahren nicht enthält, berücksichtigt das Europäische Patentamt die in den Vertragsstaaten im Allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts.
Der in Artikel 113 (1) EPÜ kodifizierte Anspruch auf rechtliches Gehör sei ein solcher im Allgemeinen anerkannter Grundsatz des Verfahrensrechts in den Vertragsstaaten. Dies zeige z.B. Art. 41 (1) und (2) a) i.V.m. Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
4. Die Mitteilung der GBK
Teil A der Mitteilung: ,,Sachverhalt und Verfahren" ist vorstehend (abgesehen von wenigen redaktionellen Änderungen) wörtlich wiedergegeben.
In ihrer vorläufigen und nicht bindenden Beurteilung in Teil B der Mitteilung kam die GBK zum Schluss, der auf Artikel 112a (2) c) EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ) gestützte Überprüfungsantrag werde gemäß Regel 109 (2) a) EPÜ voraussichtlich als offensichtlich unzulässig zu verwerfen sein. Denn Artikel 112a EPÜ sei auf Verfahren vor der DBK nicht anwendbar.
Der Antragsteller hat auf die Mitteilung vor dem Termin für die mündliche Verhandlung vor der GBK schriftlich reagiert.
5. Die mündliche Verhandlung vor der GBK
Die mündliche Verhandlung vor der GBK fand am 27. Februar 2025 in Präsenz statt. In deren Verlauf bekräftigte der Antragsteller sein Vorbringen im Überprüfungsantrag und erläuterte es dabei unter Bezugnahme auf die negative vorläufige Meinung der GBK.
Seine Schlussanträge waren identisch mit den im Überprüfungsantrag gestellten Anträgen (siehe oben, Nr. 1).
Entscheidungsgründe
Vorbemerkung
Die Kammer hält an ihrer vorläufigen Beurteilung - wie in Teil B der Mitteilung wiedergegeben -fest. Nachfolgend ist dieser Teil (in Nr. 1 bis 3) wörtlich (abgesehen von wenigen redaktionellen Änderungen) wiedergegeben (Änderungen oder Ergänzungen nicht-redaktioneller Art wurden in eckige Klammern gesetzt). Diese vorläufige Beurteilung wird daher nunmehr endgültig. Sie wird durch Einschübe mit einer Beurteilung relevanter Ausführungen des Antragstellers in seiner schriftlichen Reaktion auf die Mitteilung sowie in der mündlichen Verhandlung vor der GBK ergänzt.
[Fortsetzung mit Teil B der Mitteilung]
Zulässigkeit des Überprüfungsantrags
1. Allgemein
Gemäß Regel 126 (2) EPÜ (in der bis 31. Oktober 2023 gültigen Fassung) gilt die am 5. April 2023 dem Postdienstleister übergebene, mit Gründen versehene Entscheidung als am 15. April 2023 zugestellt. Der Antrag auf Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ vom 24. Mai 2023 ging, zusammen mit der entsprechenden Gebühr, am 1. Juni 2023 und damit fristgerecht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (Artikel 112a (4) EPÜ) ein.
2. Rügepflicht (Regel 106 EPÜ)
Zugunsten des Antragstellers wird unterstellt, dass zum einen die Regel 106 EPÜ anwendbar ist, zum anderen aber dem Antragsteller eine Rüge nicht möglich war, weil sich der gerügte Mangel erst aus den schriftlichen Entscheidungsgründen ergeben habe.
3. Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer nach Artikel 112a EPÜ
3.1 Die Grundsätze der Entscheidung D 3/20
Lt. Antragsteller ist die GBK nach Artikel 112a EPÜ für die Überprüfung von Entscheidungen der DBK zuständig. Die GBK teilt diese Auffassung nicht, sondern vielmehr diejenige, welche in der Entscheidung der DBK im Fall D 3/20 zum Ausdruck kommt. Sie ist unten auszugsweise wiedergegeben.
7.2 Zuständig für Beschwerden gegen Entscheidungen des Sekretariats [und der Prüfungskommission] ist gemäß Artikel 24 (3) Satz 2 VEP die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des EPA. Die hierfür anwendbaren verfahrens- und materiellrechtlichen Vorschriften ergeben sich aus den Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung (VEP), den Ausführungsbestimmungen hierzu (ABVEP), der ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (VOBKD) sowie, über die Verweisung in Artikel 24 (4) Satz 1 VEP, aus Teil IV (also Artikel 12 bis 25) der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV).
7.3 Dagegen finden auf das Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten die Vorschriften des EPÜ grundsätzlich keine Anwendung, sofern auf diese nicht explizit verwiesen wird. Solche expliziten Verweise finden sich in den Artikeln 13 (2), 16, 21 (2), 22 (3), 24 und 25 (1) VDV sowie in den Artikeln 8 (1), 9 (1) und 17 VOBKD.
7.4 In den oben in Ziffer 7.2 genannten Regelungswerken VEP, ABVEP, VOBKD und VDV selbst ist als weiteres Beschwerdeorgan in Disziplinarangelegenheiten eine "Große Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten" nicht vorgesehen.
7.5 Das EPÜ sieht gemäß Artikel 15 g) EPÜ als eines der Organe im Verfahren vor dem EPA die Große Beschwerdekammer vor; die möglichen Verfahren vor diesem Organ sind in Artikel 22 EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 112 und 112a EPÜ geregelt. Keine der oben in Ziffer 7.3 genannten Vorschriften der VDV und VOBKD, welche auf das EPÜ verweisen, enthält jedoch einen Verweis auf die Artikel 15 g), 22, 112 oder 112a EPÜ.
7.6 Hieraus folgt, dass ein Beschwerdeführer, der sich gegen eine Entscheidung des Sekretariats oder der Prüfungskommission wendet, keine Möglichkeit hat, eine "Große Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten" anzurufen; eine solche existiert nicht. Der dahingehende Antrag des Beschwerdeführers ist daher als unzulässig zu verwerfen.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
3.2 Zur Reaktion des Antragstellers auf die Mitteilung
Die schriftliche Antwort in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und die Reaktion in dieser Verhandlung teilen sich in zwei Argumentationslinien:
- Vom Verwaltungsrat gesetztes ,,Sekundärrecht" könne das von den Vertragsstaaten des EPÜ erlassene Primärrecht nicht ,,verdrängen, aufheben oder umgehen" (Schreiben vom 24. Januar 2025, Seite 2, zweite Überschrift, und folgender Text bis Mitte Seite 6 sowie mündliche Verhandlung) (hierzu unten, Nr. 3.2.1).
- Die Anwendbarkeit von Artikel 112a EPÜ auf Entscheidungen der DBK sei auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 6 (1) der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geboten (ebenda, Überschrift Mitte Seite 6 und folgender Text bis Seite 10 unten, und mündliche Verhandlung) (hierzu unten, Nr. 3.2.2 bis 3.2.6).
3.2.1 Das Verhältnis von EPÜ zu VEP, ABVEP, VOBKD und VDV (in der Folge auch: ,,Prüfungsvorschriften")
Die Kritik des Antragstellers
Der Antragsteller wendet sich gegen die Auffassung der GBK in der Mitteilung, wonach Artikel 112a EPÜ auf Verfahren vor der DBK (im Hinblick auf Entscheidungen der Prüfungskommission und des Sekretariats betreffend die europäische Eignungsprüfung) nicht anzuwenden sei, da die für das Verfahren vor der DBK relevanten Vorschriften, d.h. die VEP, die ABVEP, die VOBKD sowie Teil IV der VDV (Artikel 12 bis 25 VDV) keinen expliziten Verweis auf Artikel 112a EPÜ enthielten. Die Nennung von Artikel 113 (1) EPÜ in Artikel 25 (1) VDV habe nach Meinung der GBK lediglich die Bindung der DBK an Artikel 113 (1) zur Folge, deren zutreffende Anwendung unterliege aber nicht der Überprüfung durch die GBK im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 112a EPÜ.
Dieser Ansicht könne nicht gefolgt werden. Bei der VEP, der ABVEP, der VOBKD sowie der VDV handele es sich um ,,Sekundärrecht", das vom Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation auf Basis der von den Vertragsstaaten im Primärrecht, d.h. dem EPÜ, in Artikel 134a Absatz (1) c) EPÜ vorgesehenen Ermächtigungsgrundlage erlassen worden sei.
Das von den Vertragsstaaten erlassene EPÜ als Primärrecht könne durch den Erlass von ,,Sekundärrecht" durch den Verwaltungsrat nicht verdrängt bzw. aufgehoben oder umgangen werden.
(Siehe Schreiben vom 24. Januar 2025, Seite 2.)
Bewertung
Die diesbezüglichen ausführlichen Darlegungen des Antragstellers können nicht überzeugen. Die Prüfungsvorschriften (VEP, ABVEP, VOBKD und VDV) stellen kein Sekundärrecht im Verhältnis zum EPÜ als Primärrecht in dem Sinne dar, dass sie dazu dienen würden, die Ziele des EPÜ unmittelbar zu verwirklichen. Das - im Grundsatz zutreffende - Vorbringen des Antragstellers, vom Verwaltungsrat gesetztes, in diesem Sinne verstandenes Sekundärrecht könne das von den Vertragsstaaten des EPÜ erlassene Primärrecht nicht ,,verdrängen, aufheben oder umgehen", hat daher keinen Bezug zum vorliegenden Fall. Das folgt aus nachstehenden Erwägungen.
Zunächst regelt Artikel 164 (2) EPÜ das Rangverhältnis zwischen EPÜ und Ausführungsordnung zum EPÜ und damit zwischen primärem und - der Ausführung des primären dienenden - sekundärem Vertragsrecht; ersterem steht gegenüber letzterem der Vorrang zu. Die Prüfungsvorschriften sind in dieser Rechtsnorm nicht genannt.
Sodann ist Artikel 164 (2) EPÜ auch nicht entsprechend dahingehend anzuwenden, dass die Prüfungsvorschriften als dem EPÜ gegenüber nachrangiges Sekundärrecht einzustufen wären. Ausgangspunkt für deren Einstufung ist die Vorschrift im EPÜ, wonach der Verwaltungsrat ermächtigt ist, die Verhältnisse der zugelassenen Vertreter zu regeln. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um die Vorgängernorm des vom Antragsteller (diesbezüglich nur mit seinem Absatz 1c)) zitierten Artikel 134a EPÜ 2000, nämlich Art. 134 EPÜ 1973 mit der Überschrift: ,,Zugelassene Vertreter". Dessen Absatz 8 lautet (Hervorhebung der GBK):
Der Verwaltungsrat kann folgende Vorschriften erlassen:
a) über die Vorbildung und Ausbildung, die eine Person besitzen muss, um zu der europäischen Eignungsprüfung zugelassen zu werden, und die Durchführung dieser Eignungsprüfung;
b) über die Errichtung oder Anerkennung eines Instituts, in dem die auf Grund der europäischen Eignungsprüfung oder nach Artikel 163 Absatz 7 zugelassenen Vertreter zusammengeschlossen sind, und
c) über die Disziplinargewalt, die dieses Institut oder das Europäische Patentamt über diese Personen besitzt.
In - dem in das EPÜ 2000 eingefügten - Artikel 134a nehmen Buchstaben b) und c) von Absatz 1 die Stelle von Buchstaben a) und c) der Vorgängervorschrift inhaltlich identisch ein.
(Der neue Buchstabe a) aktualisiert den früheren Buchstaben b), nachdem das in letzterem genannte Institut am 21. Oktober 1977 als ,,Europäisches Patentinstitut" (im Folgenden auch: ,,das Institut"; abgekürzt ,,epi") gegründet worden war.)
Der Verwaltungsrat hat von seiner ihm in Artikel 134 (8) EPÜ 1973 übertragenen Organkompetenz Gebrauch gemacht und insbesondere, gestützt auf dessen Buchstaben a), ,,Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für die beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter" (VEP) am 21. Oktober 1977 erlassen (ABl. EPA 1978, 101). In deren Artikel 23 (3) heißt es (Hervorhebung der GBK):
[Satz 1] Erachtet die Prüfungskommission die Beschwerde [gegen die Entscheidung der Prüfungskommission] als zulässig und begründet, so hat sie ihr abzuhelfen.
[Satz 2] Wird der Beschwerde innerhalb eines Monats nicht abgeholfen, so ist sie der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des Europäischen Patentamts vorzulegen.
Am selben Tag hat der Verwaltungsrat auch ,,Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern" (VDV) angenommen, die er auf Buchstaben c) von Artikel 134 (8) EPÜ 1973 gestützt hat (ABl. EPA 1978, 91).
In deren Artikel 5 mit der Überschrift ,,Disziplinarorgane" heißt es u.a.:
Über Verletzungen der beruflichen Regeln entscheiden:
c) die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des Europäischen Patentamts.
Die Große Beschwerdekammer ist in diesem Artikel 5 nicht genannt.
Was Artikel 134 (8) a) EPÜ 1973 betreffend die europäische Eignungsprüfung angeht, so ermächtigte diese Vorschrift den Verwaltungsrat insbesondere dazu, die Überprüfung von Entscheidungen der Prüfungskommission nach seinen Vorstellungen zu regeln, und das auch ohne Einbeziehung von EPA oder Institut; lediglich die Übertragung der Ausübung der Disziplinargewalt war nach Buchstabe c) auf EPA oder Institut beschränkt. Artikel 134 (8) a) verleiht demgegenüber eine Kompetenz zur ,,Durchführung dieser Eignungsprüfung", ohne nähere Vorgaben zu machen. Das bedeutet, dass seinerzeit die Übertragung der Überprüfung von Entscheidungen der Prüfungskommission auf ein die Voraussetzungen von Artikel 6 (1) EMRK erfüllendes Gericht von der Kompetenz des Verwaltungsrats umfasst gewesen wäre, beispielsweise auf
- ein bestehendes Gericht eines Vertragsstaats,
- ein internationales Gericht (für die Überprüfung von Entscheidungen des EPA betreffend Personalangelegenheiten beispielsweise ist das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (Administrative Tribunal of the International Labour Organization - ILO) zuständig),
- ein vom Verwaltungsrat gesondert einzurichtendes Gericht, etwa eine ,,Prüfungskammer", oder - wie geschehen -
- die - am selben Tag wie die VEP durch das VDV geschaffene - DBK (siehe dessen Artikel 5 c) oben).
Bei der Besetzung dieser DBK hat sich der Verwaltungsrat für ein Mischmodell entschieden, d.h. für eine Besetzung aus Vertretern sowohl des EPA als auch des Instituts. Eine DBK setzt sich zusammen
- für Disziplinarangelegenheiten aus drei rechtskundigen Mitgliedern des EPA und zwei zugelassenen Vertretern (Artikel 10 (1) VDV),
- im Fall der Entscheidungen der Prüfungskommission (und des Sekretariats) hiervon abweichend aus zwei rechtskundigen Mitgliedern und einem zugelassenen Vertreter, Artikel 24 (3) Satz 3 VEP in der vorliegend gültigen Fassung (die abweichende Besetzungsregelung gilt seit 1. September 2000; siehe Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 8. Juni 2000 zur Änderung des Artikels 27 VEP, ABl. EPA 2000, 320; geändert wurden die VEP 1993 (ABl. EPA 1994, 7) in Absätzen 2 und 3, wobei sich die geänderte Besetzungsregelung in Artikel 27 Absatz 3, Satz 3 findet. Die VEP 1993 wurden durch den Beschluss des Verwaltungsrats vom 10. Dezember 2008 ersetzt (ABl. 2009, 9). Darin findet sich die vorstehende Besetzungsregelung in Artikel 24 (3) Satz 3 und nunmehr in der seit 1. Januar 2025 gültigen Fassung (ABl. EPA 2024, Zusatzpublikation 3, S 2 ff.))
Nach dem Wortlaut von Artikel 134 (8) c) EPÜ 1973 hätte der Verwaltungsrat die Disziplinargewalt auch dem Institut allein übertragen können.
Die auf Artikel 134 (8) a) und c) gestützten Prüfungsvorschriften haben nach alledem autonomen Charakter. Das zeigt sich insbesondere auch im Hinblick auf die Mitwirkung von zugelassenen Vertretern in Verfahren vor der DBK.
Es trifft zwar zu, dass auf das Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten gemäß Artikel 24 (4) Satz 1 VEP Teil IV der VDV, d.h. Artikel 12 bis 25 - und damit gemäß Artikel 25 (1) VDV bestimmte Vorschriften des EPÜ, darunter Artikel 113 (1) EPÜ - entsprechend anzuwenden sind. Entsprechend anzuwenden sind gemäß einzelnen Vorschriften von VDV und VOBKD weitere EPÜ-Normen (siehe im Einzelnen Nr. 7.3 von D 3/20, wiedergegeben oben, unter Nr. 3.1).
Die entsprechende Anwendbarkeit bestimmter Vorschriften des EPÜ macht die Prüfungsvorschriften aber nicht zum vom EPÜ insgesamt abgeleiteten Sekundärrecht, welches sich generell im Rahmen des EPÜ als Primärrecht halten müsste. Denn es dient nicht unmittelbar der Umsetzung der Ziele des EPÜ. Vielmehr erlangen die entsprechend anwendbaren Vorschriften des EPÜ ihre Geltungskraft durch die Verabschiedung der Prüfungsvorschriften durch den Verwaltungsrat auf der Grundlage der Ermächtigungsnorm Artikel 134 (8) a) und c) EPÜ 1973. Die Prüfungsvorschriften mussten sich damit, was das EPÜ angeht, ausschließlich im Rahmen dieser Norm, nicht aber im Rahmen des EPÜ 1973 insgesamt, halten. Es ist nicht erkennbar, dass der Verwaltungsrat mit der Annahme der Prüfungsvorschriften diesen Rahmen gesprengt hätte angesichts des oben geschilderten weiten Spielraums, den Artikel 134 (8) a) und c) EPÜ 1973 ihm eingeräumt hat.
Artikel 112 findet sich, anders als Artikel 113 (1), nicht unter den in Artikel 25 (1) Satz 1 VDV 1977 als entsprechend anwendbar bezeichneten Vorschriften des EPÜ 1973 und ebenso wenig in anderen Vorschriften von VDV oder VOBKD. Die DBK war damit keine Beschwerdekammer im Sinne von Artikel 112 (1) a) EPÜ 1973.
Auch im Rahmen der Revision des EPÜ, welche zum EPÜ 2000 geführt hat, haben die Vertragsstaaten die Organkompetenz des Verwaltungsrats für die Verhältnisse der zugelassenen Vertreter gemäß dem früheren Artikel 134 (8) EPÜ 1973 nicht geändert, sondern vielmehr durch die Annahme von Artikel 134a (1) a) bis c) EPÜ 2000 bestätigt.
Die Nennung der Beschwerdekammern ohne Beschränkung auf ganz bestimmte, im EPÜ vorgesehene Beschwerdekammern in Artikel 112a EPÜ 2000 und ohne ausdrücklichen Ausschluss der DBK kann - ungeachtet der Gründung der DBK über 20 Jahre vor Inkrafttreten des EPÜ 2000 - nicht, wie der Antragsteller meint - als Hinweis auf eine Geltung dieser Vorschrift für alle Kammern, einschließlich der DBK, angesehen werden.
Vielmehr lässt sich umgekehrt im Hinblick auf die Überführung von Artikel 134 (8) a) bis c) EPÜ 1973 in Artikel 134a (1) a) bis c) EPÜ 2000 schließen, dass der Gesetzgeber des EPÜ 2000 die vom Verwaltungsrat für die Überprüfung von Entscheidungen der Prüfungskommission (und des Sekretariats) gefundene Lösung gebilligt hat, insbesondere den fehlenden Verweis in Artikel 25 (1) VDV oder anderen Vorschriften von VDV oder VOBKD auf Artikel 112 EPÜ 1973 und damit die fehlende Zuweisung einer Zuständigkeit an die GBK nach diesen Vorschriften. Das kann auch daraus geschlossen werden, dass die DBK lange vor Annahme des EPÜ 2000 die mangelnde Anwendbarkeit von Artikel 112 EPÜ 1973 auf Verfahren vor der DBK bestätigt hat; siehe den vom Antragsteller selbst (mit Schreiben vom 6. Juli 2023, Seite 1) vorgelegten Auszug aus der ,,Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 10. Auflage 2022, Abschnitt V.C.5. In dessen erstem Absatz sind die Entscheidungen D 5/82 und D 6/82 als Belege zitiert.
Der Gesetzgeber des EPÜ 2000 hat auch keine diesen Annahmen zuwiderlaufende Bestimmungen angenommen, welche die Zuständigkeit der GBK nach Artikel 112 oder 112a EPÜ in Bezug auf die DBK würden begründen können. Der Gesetzgeber hat insbesondere die DBK nicht in den mit ,,Beschwerdekammern" überschriebenen Artikel 21 EPÜ aufgenommen. Dort sind lediglich mit ausschließlich von rechtskundigen Mitgliedern (Juristische Beschwerdekammer) oder technisch vorgebildeten und rechtskundigen Mitgliedern (Technische Beschwerdekammern) besetzte Kammern erwähnt, nicht aber solche, in denen auch zugelassene Vertreter Mitglied sind, wie das bei der DBK der Fall ist. Betreffend die Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer verweist
- Artikel 22 (1) a) bezüglich Artikel 112,
- Artikel 22 (1) c) bezüglich Artikel 112a
aber auf die ,,Beschwerdekammern" und damit auf die in Artikel 21 genannten Kammern und folglich nicht auf die DBK.
Nach alledem gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass davon ausgegangen werden müsste, der Gesetzgeber des EPÜ 2000 habe vor dem Hintergrund der gemäß Prüfungsvorschriften und Rechtsprechung der DBK mangelnden Anwendbarkeit von Artikel 112 EPÜ 1973 auf Verfahren vor der DBK die Anwendbarkeit von Artikel 112 EPÜ 2000 und des neu eingefügten Artikels 112a EPÜ 2000 auf derartige Verfahren begründen wollen.
Ergebnis
Die Prüfungsvorschriften stellen kein Sekundärrecht im Verhältnis zum EPÜ als Primärrecht in dem Sinne dar, dass sie dazu dienen würden, die Ziele des EPÜ unmittelbar zu verwirklichen.
Der Verwaltungsrat war gemäß Artikel 134 (8) EPÜ 1973 und später Artikel 134a (1) EPÜ 2000 ermächtigt, die Prüfungsvorschriften als autonomes Recht zu erlassen, und sich dabei im Rahmen dieser Ermächtigungsnormen gehalten. Das Argument des Antragstellers, der Verwaltungsrat könne sich nicht über das EPÜ hinwegsetzen, ist folglich gegenstandslos.
Damit verbleibt es bei der mangelnden Anwendbarkeit von Artikel 112a (und 112) EPÜ auf - und damit der mangelnden Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer für - Verfahren vor der DBK.
3.2.2 Die Anwendbarkeit von Artikel 112a EPÜ aufgrund anderer Rechtsgrundlagen, insbesondere Artikel 6 (1) EMRK
Auch das Vorbringen des Antragstellers zu Artikel 6 (1) EMRK greift nicht durch.
Die GBK hält diese Vorschrift zwar für relevant auch in Bezug auf die DBK und stimmt insoweit mit dem Antragsteller überein.
Die GBK sieht aber eine Überprüfungsmöglichkeit von Entscheidungen der DBK jedenfalls nach Artikel 112a (2) c) i.V.m. 113 (1) EPÜ - anders als der Antragsteller - nicht durch die Anwendung von Artikel 6 (1) EMRK als geboten an. Insoweit hält die GBK zunächst an ihrer vorläufigen, in der Mitteilung zum Ausdruck gebrachten Auffassung fest und gibt diese (d.h. deren Nr. 3.2.2 bis 3.2.4 als Nr. 3.2.3. bis 3.2.5) nachstehend wörtlich wieder und ergänzt sie sodann (in Nr. 3.2.6).
3.2.3 [...] Artikel 113 (1) [ist zwar] in Artikel 25 (1) VDV genannt. Diese Vorschrift muss die DBK anwenden. Deren zutreffende Anwendung unterliegt aber nicht der Überprüfung durch die GBK nach Art. 112a EPÜ. Es ist nicht erkennbar, warum ohne eine Überprüfungsmöglichkeit nach letzterer Vorschrift Artikel 113 (1) EPÜ ,,ins Leere" liefe und warum daher ein Rechtsinstrument existieren müsse, mit dem die Anwendung dieses Verfahrensgrundsatzes auch im Hinblick auf Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten sichergestellt werden könne.
Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 6 (1) EMRK muss in Streitigkeiten betreffend zivilrechtliche Rechte und Pflichten - ein Begriff, der weit ausgelegt wird - eine einzige gerichtliche Instanz vorgesehen werden. Diese ist mit der DBK gegeben. Mit der Schaffung von Artikel 112a EPÜ ist der Gesetzgeber also über das von Artikel 6 (1) EMRK geforderte Maß sogar hinausgegangen, sodass die Nichtanwendung von Artikel 112a EPÜ bezüglich Artikel 113 (1) EPÜ keinen rechtlichen Bedenken begegnet. (Siehe R 10/20, Nr. 2.2, Seite 8 a.E. mit entsprechenden Nachweisen.)
3.2.4 Aus diesem Grund gehen auch die Ausführungen, wonach Regel 108 (3) EPÜ sowohl konform mit Artikel 112a EPÜ als auch aufgrund von Artikel 125 EPÜ dahingehend auszulegen sei, dass Artikel 112a EPÜ auf die DBK - jedenfalls betreffend Artikel 113 (1) EPÜ - anwendbar sei, ins Leere. Wie ausgeführt ist die DBK an Artikel 113 (1) EPÜ gebunden, lediglich eine Überprüfung der zutreffenden Anwendung findet nicht statt.
3.2.5 In seinem Schreiben vom 6. Juli 2023 betont der Antragsteller, dass im Hinblick auf Nr. 9 von G 1/97 die Anwendung von Artikel 112a EPÜ auf Verfahren vor der DBK geboten sei. Danach
[widerspreche] die offenkundige Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes dem Gerechtigkeitsempfinden und [beschädige] das Ansehen der Gerichte schwer. ... Der Gesetzgeber ist daher aufgefordert in ganz bestimmten Fällen gravierender Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes eine Möglichkeit zur Überprüfung rechtskräftiger Beschwerdekammerentscheidungen vorzusehen.
Diesem Wunsch sei der Gesetzgeber offensichtlich mit Einführung des Verfahrens nach Artikel 112a EPÜ nachgekommen. Der Antragsteller fragt dann wörtlich:
Warum sollten aber derartig gravierende Verfahrensmängel, die - wie es die Große Beschwerdekammer in der Entscheidung G1/97 im oben zitierten Punkt 9 der Entscheidungsgründe zutreffend ausgedrückt hat - ,,dem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen" und das ,,Ansehen der Gerichte schwer beschädigen" im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach Artikel 112a EPÜ lediglich korrigiert werden können, wenn sie in einem Verfahren bzw. einer Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer oder den Technischen Beschwerdekammern zu Tage getreten sind?
Die Große Beschwerdekammer beantwortet diese Frage mit dem simplen Hinweis darauf, dass der Verwaltungsrat als Gesetzgeber eine Überprüfungsmöglichkeit von Entscheidungen der DBK, etwa durch einen Verweis auf Artikel 112a EPÜ in Artikel 25 (1) VDV, nicht eingeführt hat. Er war dazu - ungeachtet des deutlichen Hinweises der GBK im Fall G 1/97 - wie oben (unter Nr. 3.2.3) ausgeführt, auch nicht verpflichtet.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
3.2.6 Während der mündlichen Verhandlung und vorbereitend schriftlich hat der Antragsteller im Wesentlichen seinen früheren Vortrag wiederholt. Ergänzend hat er vorgetragen (siehe insbesondere das Schreiben vom 24. Januar, Seite 9, ab zweitletztem Absatz, bis Seite 10, vorletzter Absatz), dass die in der Mitteilung dargestellten Überlegungen aus R 10/20 nicht vollständig auf den vorliegenden Fall übertragen werden könnten, da dem dortigen und dem hiesigen Verfahren unterschiedliche Möglichkeiten des Vorbringens von Argumenten sowie der amtlichen Reaktion auf dieses Vorbringen zugrunde lägen:
In R 10/20 habe ein Einspruchsverfahren stattgefunden, in dem die Beteiligten bereits ihre Argumente hätten vorbringen können. Somit habe die Technische Beschwerdekammer die korrekte Anwendung von Artikel 113 (1) EPÜ überprüfen können. Die GBK habe in diesem Fall im Hinblick auf Artikel 113 (1) EPÜ als eine zweite Überprüfungsinstanz angesehen werden können.
Diese Überlegungen seien auf eine Überprüfung der Entscheidung der DBK nicht übertragbar. Denn im Gegensatz zum Einspruchsverfahren gebe es keine begründete Entscheidung der Prüfungskommission, auf deren Basis die DBK die Einhaltung von Artikel 113 (1) EPÜ beurteilen könnte. Aus der Vorlage der Beschwerde an die DBK gemäß Artikel 24 (3) Satz 2 VEP könne von der DBK lediglich der Rückschluss gezogen werden, dass die Prüfungskommission offensichtlich nicht von ihrem Abhilferecht nach dieser Vorschrift Gebrauch machen wolle. Die genauen Gründe hierfür seien weder der DBK noch dem Bewerber bekannt. Insbesondere sei mangels einer entsprechenden Begründung der Prüfungskommission unklar, ob überhaupt und, sofern zutreffend, in welchem Umfang die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente von der Prüfungskornmission zur Kenntnis genommen bzw. bei ihrer Entscheidung über die Nicht-Anwendung ihres Abhilferechts berücksichtigt worden seien. Folglich könne die DBK mangels einer geeigneten Beurteilungsgrundlage die korrekte Anwendung von Artikel 113 (1) EPÜ nicht überprüfen. Ein Verstoß hiergegen könne sich somit erstmals in der Entscheidung der DBK manifestieren.
Entgegen der von der GBK in der Mitteilung vertretenen Auffassung sei somit in dem diesem Überprüfungsantrag zugrundeliegenden Rechtszug bisher an keiner einzigen Stelle überprüft worden, ob das in Artikel 113 (1) EPÜ kodifizierte Recht auf rechtliches Gehör des Antragstellers verletzt worden sei. Die GBK sei im Rahmen dieses Überprüfungsantrags die erste Instanz in diesem Rechtszug, die die korrekte Anwendung von Artikel 113 (1) EPÜ überprüfe. Die Anwendbarkeit von Artikel 112a EPÜ auf Entscheidungen der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten sei damit auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 6 (1) EMRK geboten.
Bewertung
Die GBK hat in ihrer Mitteilung nicht in Abrede gestellt, dass
- mangels einer begründeten Entscheidung der Prüfungskommission die DBK die Einhaltung von Artikel 113 (1) EPÜ durch diese Kommission nicht beurteilen könnte und
- sich ein Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ somit erstmals in der Entscheidung der DBK manifestieren könne.
Die GBK hat in der Mitteilung sinngemäß ausgeführt, dass
- eine einzige gerichtliche Instanz zur Überprüfung der Entscheidung der Prüfungskommission ausreicht und die DBK diese Instanz darstellt, dass
- die DBK zur Beachtung des Rechts auf rechtliches Gehör verpflichtet ist und dass
- eine Überprüfung dieser Beachtung nicht geboten ist, da von Artikel 6 (1) EMRK eine Überprüfung durch eine zweite gerichtliche Instanz nicht verlangt wird.
Vor diesem Hintergrund bleibt es der GBK unergründlich, warum sie sich bei Aufrechterhaltung dieser Auffassung in Widerspruch zu Artikel 6 (1) EMRK setzen würde, weil dann die Rechte des Antragstellers, insbesondere sein in ,,Artikel 113 (1) EPÜ und 25 (1) VDV" kodifiziertes Recht auf rechtliches Gehör, lediglich theoretisch bzw. ,,illusorisch" wären.
4. Gesamtergebnis
Aufgrund der Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung ist der auf Artikel 112a (2) c) EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ) gestützte Überprüfungsantrag gemäß Regel 109 (2) a) EPÜ als offensichtlich unzulässig zu verwerfen. Die angeregte Besetzung der GBK mit fünf Mitgliedern nach Regel 109 (2) b) EPÜ scheidet daher aus.
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor den Beschwerdekammern gemäß Artikel 112a (5) Satz 2 und Regel 108 (3), Satz 1, EPÜ kommt nicht in Betracht, da sie nur im Falle eines begründeten Überprüfungsantrags vorgesehen ist. Mangels Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch eine Anordnung, dass Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt haben, zu ersetzen sind, nicht möglich. Schließlich kann die Erstattung der Antragsgebühr nach Regel 110 EPÜ nicht angeordnet werden, da das Verfahren vor den Beschwerdekammern nicht wiedereröffnet wird.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unzulässig verworfen.