J 0022/99 () of 21.6.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:J002299.20010621
Datum der Entscheidung: 21 Juni 2001
Aktenzeichen: J 0022/99
Anmeldenummer: 98250180.1
IPC-Klasse: G01S 15/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zur Schlammpegelbestimmung in einem Absetzbecken
Name des Anmelders: Dr. Bruno Lange GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 80
European Patent Convention 1973 Art 114
European Patent Convention 1973 Art 117
European Patent Convention 1973 R 72(1)
Schlagwörter: Beweislast, Beweiswürdigung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
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Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung wurde unter Inanspruchnahme der Priorität 23. Mai 1997 eingereicht, konkret, indem die Anmeldungsunterlagen um die Tageswende vom 25. (einem Montag) auf den 26. Mai 1998 in den Nachtbriefkasten der Dienststelle Berlin eingeworfen wurden.

II. Die Anmeldungsunterlagen wurden in dem Teil der Briefkastenanlage aufgefunden, in den alle nach Mitternacht eingeworfenen Sendungen geleitet werden. Da laut Protokollstreifen die Klappe des Nachtbriefkastens ordnungsgemäß am 26. Mai 1998, 00.00 Uhr gefallen war und auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion der Anlage gegeben waren, wurden diese Unterlagen als am 26. Mai 1998 empfangen bestätigt (Empfangsbescheinigung EPA-Form 1001.6 vom 29. Mai 1998).

III. Daraufhin wandte sich die Kanzleileiterin und Ehefrau des Vertreters der Patentanmelderin telefonisch an einen Bediensteten der Dienststelle Berlin des Amtes und teilte mit, daß sie diejenige war, die am 25. Mai 1998 die Anmeldungsunterlagen eingeworfen habe; sie sei an diesem Abend gegen 23.40 Uhr kurz vor Erreichen der Dienststelle Berlin des Deutschen Patent- und Markenamtes ("DPMA"), wo sie ebenfalls Post einzuwerfen hatte, in eine Verkehrskontrolle der Polizei geraten.

IV. Mit am 3. Juli 1998 eingegangenen Schreiben des Vertreters beantragte dieser das Eingangsdatum auf den 25. Mai 1998 als dem Tag, an dem diese Unterlagen tatsächlich in den Nachtbriefkasten des Amtes eingeworfen worden seien, zu berichtigen und der Anmeldung denselben Tag als Anmeldetag zuzuerkennen.

V. Nachdem die Eingangsstelle mit Mitteilung vom 21. Oktober 1998 den Vertreter wissen hatte lassen, daß es keine Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion des Nachtbriefkastens gebe noch sonst glaubhaft gemacht wurde, daß die Anmeldungsunterlagen tatsächlich noch vor Mitternacht 25./26. Mai 1998 eingeworfen worden seien, so daß die Berichtigung des Eingangstages abgelehnt werden müsse, bestand dieser in seinem am 29. Dezember 1998 eingegangenen Schreiben auf einer beschwerdefähigen Entscheidung.

VI. Zur Stützung seines Antrages brachte der Vertreter folgende Umstände vor:

Er habe die Sendung persönlich, in Begleitung seiner Ehefrau gegen 23.45 Uhr in den Nachtbriefkasten der Dienststelle Berlin des Amtes in der Gitschiner Str. 103 eingeworfen, dies unmittelbar nach Einwurf einer Sendung in den Briefkasten der Dienstelle Berlin des DPMA in der Gitschiner Str. 97; letztere Sendung wurde, wie aus der vorgelegten Empfangsbestätigung hervorgeht, als am 25. Mai 1998 eingegangen bestätigt.

Es sei richtig, daß er auf dem Weg zu den Briefkästen der Patentämter in eine Verkehrskontrolle der Polizei geraten sei. Diese habe jedoch weit vor Mitternacht stattgefunden und sei von seiner Ehefrau nur zum Nachweis dafür erwähnt worden, daß sie sich an diesen Abend besonders gut erinnern konnte.

Der Vertreter habe durch eigene Untersuchungen festgestellt, daß die Konstruktion der Briefkastenanlage ein Verklemmen von eingeworfenen Sendungen in dem zwischen Einwurfklappe und Auffangbehälter angeordneten, ca. 1 m langen und nur 4 cm hohen Kanal, und damit eine zeitliche Fehlzuordnung, nicht ausschließe. Ein solches Verklemmen - etwa durch Auffaltung des Umschlagbodens, der breiter als 4 cm sein könne, sei vom Einwerfenden nicht unbedingt zu bemerken, aber auch nicht seitens des Amtes, wenn nämlich ein (vor Mitternacht eingeworfener) verklemmter Umschlag durch eine später (nach Mitternacht) eingeworfene Sendung befreit wird. Dies liefere eine eindeutige und plausible Erklärung dafür, daß eine von ihm vor Mitternacht eingeworfene Sendung erst am nächsten Tag als empfangen registriert werden konnte. Maßgeblich sei aber, wann die Sendung die äußere Briefkastenklappe passiert habe; damit sei sie in den Verfügungbereich des Amtes gelangt. Für eine mögliche verzögerte Weiterleitung innerhalb des Gebäudes zu einem rückwärtigen Auffangbehälter trage er keine Verantwortung.

VII. Mit Entscheidung der Eingangsstelle vom 26. Februar 1999 wurde der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen und der 26. Mai 1998 als Anmeldetag zuerkannt.

Die wesentliche Begründung stützt sich auf folgende Umstände:

Es gebe keine Anzeichen dafür, daß die Briefkastenanlage der Dienststelle Berlin in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 1998 nicht funktioniert habe oder sonst einen Konstruktionsfehler aufweise. Sowohl der Einwurfschlitz und als auch der Kanal seien mit jeweils 5 cm Höhe auch für Umschläge mit auffaltbarem Boden ausreichend dimensioniert; es seien bisher auch keine Probleme wegen möglicher Verklemmung von eingeworfenen Sendungen bekannt geworden. Im übrigen haben die durchgeführten Erhebungen ergeben, daß sich die fraglichen Anmeldeunterlagen in einem gewöhnlichen Briefumschlag ohne auffaltbaren Boden befanden.

Gegen die Behauptung des Vertreters, die Polizeikontrolle habe "weit vor Mitternacht" stattgefunden, sprächen die Angaben seiner Ehefrau, wonach diese gegen 23.40 Uhr kurz vor Erreichen des Briefkastens des DPMA stattgefunden habe. Damit sei die Möglichkeit, daß der Vertreter dort noch rechtzeitig, beim Briefkasten des Amtes aber erst nach Mitternacht ankam, durch nichts entkräftet worden.

Es sei daher nach Überzeugung der Eingangsstelle davon auszugehen, daß die Anmeldeunterlagen erst nach Mitternacht, somit am 26. Mai 1998 in den Nachtbriefkasten des Amtes eingeworfen worden seien.

VIII. Gegen diese Entscheidung legte der Vertreter am 4. Mai 1999 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein; in der am 8. Juli 1999 eingereichten Beschwerdebegründung wurde folgendes vorgebracht:

Die Bauweise und Dimensionierung des Einwurfschachtes der Briefkastenanlage schließe ein Verklemmen von Sendungen tatsächlich nicht aus, jedenfalls wenn der Briefumschlag Übermaß aufweist, wie es beispielsweise bei einem auffaltbaren Boden der Fall ist. Starke Kratzspuren auf der oberen Innenseite des Schachtes würden auf einen starken Andruck mit einer entsprechend hohen Reibung hinweisen, die zu einem Blockieren der Sendung, welche die Reibung hervorruft, führen kann.

Auch könne eine vorher eingeworfene Sendung mit Übergröße den Schacht zum Fangkorb hin versperren, so daß eine nachfolgende Sendung diesen nicht mehr passieren kann. Dies sei dem Vertreter schon einmal passiert, er konnte die Sendung nur durch Nachschieben mittels eines Stockschirmes aus der Verklemmung befreien. Es sei aber, etwa wegen Verkehrslärms, nicht immer möglich, akustisch zu bemerken, wenn eine Sendung nicht in den Auffangkorb gefallen ist.

Konkret wäre es dem Vertreter, der in Begleitung seiner Ehefrau offenbar noch rechtzeitig vor Mitternacht den Briefkasten des DPMA erreicht hatte, möglich gewesen, die beiden Sendungen durch je eine Person getrennt einwerfen zu lassen, falls tatsächlich Zeitmangel geherrscht hätte. Der Briefkasten des Amtes sei sogar derjenige gewesen, der auf seiner damaligen Fahrtroute als erster erreicht wird. Durch die Polizeikontrolle habe sich aber keine wesentliche Verzögerung ergeben.

IX. Der Vertreter der Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung der Eingangsstelle aufzuheben und den Anmeldetag zu berichtigen, d. h. auf den 25. Mai 1998 festzusetzen.

Ferner beantragte er Beweisaufnahme durch Einnahme des Augenscheins vor Ort zum Beweis dafür, daß durch die Bauweise des Einwurfsschachtes der Briefkastenanlage der Dienststelle Berlin des Amtes nicht auszuschließen sei, daß Sendungen dort verklemmen und nicht in den Auffangkorb gelangen; ferner, seine Aussagen sowie die seiner Ehefrau zu beeiden.

X. Nachdem sich die Kammer durch Anfrage bei der Dienststelle Berlin des DPMA vergewissert hatte, daß die dort gegen Mitternacht des 25. Mai 1998 eingeworfenen Unterlagen tatsächlich als noch an diesem Tag eingeworfen registriert worden waren, wurde zur mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2001 geladen und Beweisbeschluß auf Einvernahme des Vertreters (als Beteiligter) und seiner Ehegattin (als Zeugin) gefaßt.

XI. Deren wesentliche und übereinstimmende Aussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die beiden sind damals regelmäßig, etwa zwei- bis dreimal pro Woche, nach 23 Uhr von ihrer Kanzlei gemeinsam zu dem etwa eine Autoviertelstunde entfernt gelegenen Gebäude der Patentämter gefahren, um dort persönlich Kanzleipost in den jeweiligen Nachtbriefkasten einzuwerfen.

An besagtem Abend gerieten sie wenige 100 Meter vor Erreichen des Patenamtsgebäudes um 23.40 Uhr in eine Polizeikontrolle, welche ca. fünf Minuten dauerte.

Anschließend fuhren sie direkt zum Gebäude der Patentämter Gitschiner Str. 97 - 103 vor, und zwar zuerst rechts in diese Straße einbiegend, um dann nach einer Wende auf die entgegengesetzte, dem Amtsgebäude zugewendete Straßenseite zu gelangen. Damit kamen sie zuerst am Briefkasten des DPMA (Hausnummer 97) und dann an dem in dieser Fahrtrichtung etwa 150 m weiter vorne gelegenen Briefkasten des EPA (Hausnummer 103) vorbei.

Die Sendungen wurden jeweils von der Ehegattin des Vertreters eingeworfen, welche dazu auf ihrer, dem Straßenrand und damit den Briefkästen zugewandten, Wagenseite aussteigen konnte; der Vertreter wartete derweil als Lenker im Fahrzeug. Auf ein Geräusch, aus dem man das Auftreffen der Sendung im Auffangkorb des EPA-Briefkastens hätte erkennen können, hat die Ehegattin des Vertreters damals nicht geachtet. Der Einwurf beim EPA erfolgte etwa 10 Minuten vor Mitternacht; fünf Minuten nach Mitternacht seien sie in ihrer Wohnung eingetroffen.

Was die angegebenen Uhrzeiten anbelangt, hätten sie beide diese konkret und immer wieder kontrolliert, der Vertreter seit Abfahrt von der Kanzlei über die im Wagen befindliche Digitaluhr, was normal sei, "weil man eine gewisse Vorlaufzeit einschließlich möglicher Vorfälle einrechnen muß"; seine Ehefrau über ihre Armbanduhr, wobei sie angab, sich noch konkret daran erinnern zu können, eine Uhrzeit von 23.40 plus/minus eine Minute beim Angehaltenwerden durch die Polizei und von ca. 10 Minuten vor Mitternacht beim Einwerfen der Sendung in den Briefkasten des EPA abgelesen zu haben. Darauf habe sie deshalb besonders geachtet, "weil wir durch die Polizeikontrolle aus dem üblichen Rhythmus geraten waren".

XII. Anläßlich der Beweisaufnahme wurden auch ein Planausschnitt und verschiedene Photos von den örtlichen Gegebenheiten sowie von der Außenseite und dem Verbindungsschacht des EPA-Briefkastens vorgelegt. Zu letzterem schilderte der Vertreter erneut den bereits schriftlich erwähnten Vorfall, der sich zwei bis drei Monate früher vorgetragen haben soll:

Er habe damals kein Fallgeräusch der von ihm selbst eingeworfenen Sendung wahrgenommen und daraufhin festgestellt, daß die Sendung im hinter der Einwurfklappe gelegenen Schacht blockiert war. Er habe sie dann mit einem Stock nachgeschoben, bis sie in den Auffangbehälter fiel. Seitdem habe er - aber offenbar nicht auch seine Frau - es sich zur Gewohnheit gemacht, auf das Fallgeräusch zu achten, welches aber wegen des Verkehrslärms nicht immer hörbar sei.

XIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde bei unveränderten Anträgen der Beschwerdeführerin die auf Abweisung der Beschwerde lautende Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer hat es in Ausübung des ihr in Artikel 114 EPÜ eingeräumten Ermessens nicht zuletzt auch aus verfahrensökonomischen Gründen für zweckmäßig erachtet, die Entscheidungsgrundlage durch die Aufnahme weiterer Beweise, nämlich die Vernehmung der am strittigen Vorfall beteiligten Personen, zu erweitern.

3. Was die Würdigung der vorgelegten und aufgenommenen Beweise anbelangt, ist einmal festzustellen, daß behauptet und objektiv belegt der Umstand ist, daß am Abend des 25. Mai 1998 nicht vor 23.50 Uhr Unterlagen der Kanzlei des Vertreters in den Briefkasten der Dienststelle des DPMA in der Gitschiner Str. 97 und in derselben Nacht auch die aus derselben Kanzlei stammenden Unterlagen für die europäische Patentanmeldung mit der späteren Nr. 98 250 180.1 in den etwa 150 m entfernten Briefkasten der Dienststelle Berlin des Amtes eingeworfen wurden. Da aufgrund der örtlichen Verhältnisse naheliegend und nicht von der Erinnerung an genau jene Nacht abhängig, kann auch das Vorbringen als objektiv zutreffend gewertet werden, daß der Einwurf beim Amt erst - etwa in Minutenabstand - nach dem Einwurf bei DPMA erfolgte, weil der Vertreter in Begleitung seiner Ehegattin - so wie regelmäßig etwa zwei- bis dreimal pro Woche nach 23 Uhr - mit seinem Fahrzeug auf der dem Amtsgebäude zugewandten Fahrbahn der Gitschiner Straße vorfuhr.

4. Dies läßt allerdings die Möglichkeit offen, daß der Einwurf beim DPMA tatsächlich erst am Ende des eingrenzbaren Zeitraumes, d. i. unmittelbar vor Mitternacht erfolgte. Somit folgt aus diesen Sachverhaltsfeststellungen nicht zwingend ein Einwurf beim Amt noch vor Mitternacht.

5. Nach einem hier zur Anwendung kommenden Grundsatz liegt die Beweislast bei dem, der die Tatsachenbehauptung aufstellt, d. i. bei der Anmelderin bzw. deren Vertreter. Daran ändert sich nichts, wenn der erforderliche Beweis aus irgendwelchen Gründen und selbst ohne Verschulden der beweispflichtigen Partei nur sehr schwer oder gar nicht zu erbringen ist ("Beweisnotstand") - im vorliegenden Fall etwa deshalb, weil zu dieser Tages- bzw. Nachtzeit eine sofortige Eingangsbestätigung durch das Amt nicht erfolgt und sonstige beweistaugliche Begleitumstände naturgemäß kaum auftreten. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Verantwortung des Amtes für das ordnungsgemäße Funktionieren der Briefkastenanlage; damit diese zum Tragen kommt, müßte jedoch erst einmal feststehen, daß eine Sendung zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Anlage gelangt ist.

6. Auf diesem Hintergrund ergibt die Analyse der Beweislage folgendes:

6.1. Der einzige objektive Anhaltspunkt ist der Umstand, daß die Anlage die Sendung als nach Mitternacht eingeworfen registriert hat. Demgegenüber stehen die Aussagen der zwei am Einwerfen beteiligten Personen, wonach der Einwurf etwa 10 Minuten vor Mitternacht erfolgte. Diese Aussagen sind jedoch ihrer Natur nach kein objektives Beweismittel, denen unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Gesamtumstände ein hinreichender Beweiswert zugemessen werden könnte.

6.2. Abgesehen davon, daß menschliche Wahrnehmung und Erinnerung sich wegen ihrer Subjektivität nicht immer mit den tatsächlichen Fakten decken, handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um Aussagen von "neutralen" Personen, sondern um die des für die Anmeldung verantwortlichen Vertreters und seiner ihn als Kanzleileiterin unterstützenden Ehegattin.

6.3. Hinzu kommt, daß es kein einmaliges Ereignis war, sondern die beiden routinemäßig, etwa zwei- bis dreimal pro Woche, nach 23 Uhr zusammen zum Gebäude der Patentämter fuhren, um dort noch vor Mitternacht die Post einzuwerfen. Somit ist es ein mit einiger Unsicherheit behaftetes Unterfangen, eine in Erinnerung gebliebene Uhrzeit einem bestimmten Einwurfvorgang zuzuordnen. Irrtümer über die konkrete Zeit und vor allem Verwechslungen mit gleichartigen Ereignissen (d. i. einer anderen der regelmäßigen Abendfahrten) sind bei auf bloße Erinnerung gestützten Angaben sogar mit einer nicht unerheblichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

6.4. Das am maßgeblichen Abend eingetretene besondere Vorkommnis, nämlich die Polizeikontrolle, mag zwar diese Fahrt im Gedächtnis hervorheben, ist aber nicht geeignet, die allgemeinen Unvollkommenheiten der Wahrnehmung und der Erinnerung hinsichtlich präziser Uhrzeiten zu beseitigen. Dabei kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß sich die Beteiligten auf der Heimfahrt nach einem überlangen Arbeitstag befanden und damals noch nicht absehen konnten, daß der Nachweis des genauen Zeitpunktes, an dem die Sendung beim EPA eingeworfen wurde, von entscheidender Bedeutung werden würde. Umgekehrt war die Polizeikontrolle ursächlich dafür, daß an jenem Abend das Amtsgebäude später als gewöhnlich, nämlich erst knapp vor Mitternacht erreicht wurde, was wiederum einem verspäteten Einwurfszeitpunkt eine gewisse Plausibilität verleiht.

7. Werden alle diese Gesichtspunkte in Verbindung miteinander gesetzt, wird deutlich, daß sie keine hinreichende Grundlage ergeben, um - entgegen dem Einwurfsdatum laut Briefkastenanlage - mit der erforderlichen Sicherheit doch von einem Einwurf noch vor 24.00 Uhr ausgehen zu können. Damit ist ein Einwurf noch am 25. Mai 1998 nicht bewiesen.

8. Großes Gewicht hat der Vertreter auf die Möglichkeit gelegt, daß sich die Sendung im Schacht hinter dem Einwurfschlitz verklemmt und damit erst verzögert in den Auffangkorb, nach welchem sich das Einwurfsdatum ermittelt, gelangt. Dazu ist folgendes zu sagen:

8.1. Dem Vertreter ist zuzustimmen, daß für die zeitliche Zuordnung der Einwurf in die vom Amt betriebene Briefkastenanlage allein maßgebend ist, denn damit gerät die Sendung in den Verfügungsbereich des Amtes (gilt als ihm "zugegangen"). Damit sind alle späteren Vorkommnisse einschließlich irgendwelcher Fehlfunktionen in der Briefkastenanlage bei der Festsetzung des Einreichdatums nicht mehr zu berücksichtigen.

8.2. Auch kann die Kammer dem Vertreter darin folgen, daß es bei den von ihm glaubhaft dargelegten konstruktiven Merkmalen und Dimensionierungen der Briefkastenanlage nicht absolut ausgeschlossen ist, daß Sendungen im Verbindungsschacht hängenbleiben oder durch vorangehende Sendungen zeitweilig blockiert werden. Sehr hoch kann diese Gefahr aber nicht gewesen sein, sonst hätte es auch vor (und nach) dem hier zu beurteilenden Vorfall zu Beanstandungen kommen müssen; das war aber nach glaubhafter Versicherung der Dienststelle nicht der Fall. An dieser Einschätzung (auf die es aber nicht wirklich ankommt, siehe im folgenden) hätte die beantragte Einnahme des Augenscheins der Briefkastenanlage nichts wesentliches ändern können; schon gar nicht hätte dieses Beweismittel die sichere Feststellung erlaubt, daß eine solche Fehlfunktion im vorliegenden Fall tatsächlich aufgetreten ist und hat der Vertreter ein solches Beweisthema auch nicht vorgetragen. Aus diesen Gründen hat die Kammer diese Augenscheinseinnahme nicht für erforderlich erachtet (Regel 72 (1) EPÜ).

8.3. Die bloße Möglichkeit eines solchen Verklemmens ist jedoch schon denknotwendig nicht hinreichend, um einen verspäteten Einwurf ausschließen zu können. Hinzu kommt, daß eine andere Ursache dafür, daß die Sendung in den Auffangkorb des Folgetages gelangte, nämlich ein Einwerfen (erst kurz) nach Mitternacht, im vorliegenden Fall ebensowenig ausgeschlossen werden kann (siehe oben, Pkt. 6 und 7). Schließlich müßte das Zusammentreffen zweier unglücklicher Umstände angenommen werden, was eine eher geringe Wahrscheinlichkeit für sich hat:

Blockiert worden sein müßte gerade eine Sendung für welche, weil ausnahmsweise erst etwa zehn Minuten vor Mitternacht eingeworfen, selbst eine nur kurzzeitige Verzögerung folgenschwer war.

9. Als Gesamtergebnis kann somit der Beweis eines Einwerfens der Anmeldungsunterlagen noch am 25. Mai 1998 nicht als gelungen erachtet werden. Damit muß es für die Zwecke des Erteilungsverfahrens zur Anmeldung Nr. 98 250 180.1 beim 26. Mai 1998 als Anmeldetag im Sinne von Artikel 80 EPÜ bleiben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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