J 0005/99 (Unterbrechung) of 6.4.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:J000599.20000406
Datum der Entscheidung: 06 April 2000
Aktenzeichen: J 0005/99
Anmeldenummer: -
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: -
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 20
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 121
European Patent Convention 1973 Art 131(1)
European Patent Convention 1973 R 51
European Patent Convention 1973 R 78
European Patent Convention 1973 R 90
Schlagwörter: Unterbrechung des Verfahrens - ja
Fehlende Geschäftsfähigkeit des Vertreters - ja
Amtshilfe - ja
Amtsermittlung - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0002/98
J 0002/22
T 0854/12

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Anmelderin der europäischen Patentanmeldung 89 ..... In dieser Sache teilte die Prüfungsabteilung am 30. Juni 1995 ihrem damaligen beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter nach Regel 51. (4) EPÜ mit (Formblatt 2004), auf welcher tatsächlichen Grundlage sie beabsichtige, ein Patent zu erteilen. Die viermonatige Frist zur Erklärung seines Einverständnisses mit der vorgeschlagenen Fassung der Patentunterlagen ließ der Vertreter der Anmelderin ohne Äußerung verstreichen, so daß die Prüfungsabteilung ihrer Ankündigung entsprechend die Anmeldung mit Entscheidung vom 12. Dezember 1995 nach Artikel 97 (1) und Regel 51 (5) EPÜ zurückwies.

Der Vertreter stellte daraufhin weder innerhalb von zwei Monaten einen Antrag auf Weiterbehandlung der Anmeldung nach Artikel 121 EPÜ noch legte er innerhalb derselben Frist Beschwerde gegen die Zurückweisungsentscheidung ein. Auch reagierte er nicht, als ihm am 9. Januar 1996 mit Formblatt 2522 eine Aufforderung zur Zahlung der 7. Jahresgebühr mit Zuschlag übersandt wurde.

II. Mit Schreiben vom 14. Januar 1998 - beim Europäischen Patentamt eingegangen am 15. Januar 1998 - zeigten die derzeitigen Vertreter der Anmelderin die Übernahme des Mandats an und beantragten unter gleichzeitiger Zahlung einer Weiterbehandlungsgebühr, der 7. Jahresgebühr mit Verspätungszuschlag sowie der 8. und 9. Jahresgebühr die Unterbrechung des Verfahrens spätestens seit dem 21. Februar 1996 wegen Geschäftsunfähigkeit des bisherigen Vertreters nach Regel 90 (1) c) EPÜ festzustellen, die Anmeldung nach Artikel 121 EPÜ weiter zu behandeln und das Prüfungsverfahren mit neuen Ansprüchen fortzusetzen.

Zur Begründung ihrer Anträge führten sie sinngemäß aus, ihr Vorgänger sei spätestens seit Ende 1995 geschäftsunfähig im Sinne der Regel 90 (1) c) EPÜ, weil er infolge wirtschaftlicher und körperlicher Probleme einer Depression verfallen sei, die ihn apathisch gegenüber seinen beruflichen Verpflichtungen habe werden lassen. Seither habe er nicht mehr in gebotener und früher üblicher Weise seine Geschäfte geführt. In mehreren Fällen vor dem EPA habe er Äußerungs- und Zahlungsfristen versäumt mit der Folge, daß Rechtsverluste eingetreten seien. Auch an ihn gerichtete Briefe seien unbeantwortet geblieben. Schließlich habe er auf zahlreiche fernmündliche Kontaktaufnahmen nicht reagiert, sei Aufforderungen, sich in Behandlung zu begeben und ärztliche Gutachten über seinen Krankheitszustand beizubringen, nicht nachgekommen und endlich überhaupt nicht mehr erreichbar gewesen. Das einzige vorliegende Attest sei das von Dr. H. vom 30. Januar 1997, welches für Dezember 1995 eine akut-chronische Antrumgastritis, einen depressiven Eindruck und Antriebslosigkeit bescheinige. Der Umstand, daß der frühere Vertreter alle Mandate habe schleifen lassen bis hin zum Rechtsverlust, bestätige seine Geschäftsunfähigkeit im Sinne der Regel 90 (1) c) EPÜ und damit das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbrechung des Verfahrens.

III. In der angefochtenen Entscheidung vom 30. Juli 1998 hat die Rechtsabteilung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der juristischen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1985, 159) ausgeführt, sie habe von Amts wegen zu prüfen, ob der frühere Vertreter geistig in der Lage gewesen sei, den an ihn gestellten Anforderungen zu genügen, oder ob er auf Dauer keine vernünftigen Entscheidungen mehr habe treffen und die erforderlichen Handlungen vornehmen können. In tatsächlicher Hinsicht lege sie ihrer Entscheidung die ärztliche Bescheinigung, die Erklärung des früheren Vertreters über seine gesundheitlichen Probleme im Jahre 1995 und die festgestellten Rechtsverluste zugrunde.

Die ärztliche Bescheinigung und die Erklärung des Vertreters belegten jedoch nicht zwingend eine Geschäftsunfähigkeit im fraglichen Zeitraum. Vielmehr müsse aus der Verschreibung autogenen Trainings geschlossen werden, daß die attestierte Depression nicht schwerwiegender Art gewesen sei. Ein schlechter körperlicher und seelischer Zustand führe nicht zwangsläufig zur Geschäftsunfähigkeit, selbst wenn es zu Rechtsverlusten gekommen sei. Um Geschäftsunfähigkeit annehmen zu können, bedürfe es eingehenderer Beweise. Es ließe sich deshalb nicht feststellen, daß das Verfahren wegen Geschäftsunfähigkeit unterbrochen gewesen sei.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und nach dem vor der Rechtsabteilung gestellten Antrag zu erkennen. Zur Begründung legt sie im einzelnen dar, weshalb die geschilderten Verhältnisse die Annahme der Geschäftsunfähigkeit ihres früheren Vertreters rechtfertigten und daß gerade der Umstand, daß er sich nicht zur Einholung eines weiteren, eingehenderen ärztlichen Gutachtens bereit fände, seine krankhafte Störung bestätige.

V. Die Beschwerdekammer hat im Zuge ihrer Ermittlungen von Amts wegen das Deutsche Patent- und Markenamt als aufsichtsführende Behörde über deutsche Erlaubnisscheininhaber gebeten, ihr im Wege der Amtshilfe nach Artikel 131 EPÜ Akteneinsicht in die Akte des früheren Vertreters zu gewähren und festgestellt, daß ihm wegen beruflicher Verfehlungen Ende 1998 der Erlaubnisschein als Vertreter vor dem Deutschen Patent- und Markenamt entzogen worden ist. Seine Praxis mußte schließlich wegen Nichtzahlung des Mietzinses zwangsgeräumt werden. Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.

VI. Mit Bescheid vom 16. Juli 1999 hat die Kammer dem jetzigen Vertreter der Anmelderin mitgeteilt, daß ihr der derzeitige Sachvortrag möglicherweise nicht ausreiche, um im Sinne der gestellten Anträge entscheiden zu können. Sie stelle deshalb anheim, den bisherigen Vortrag zu ergänzen. Daraufhin hat sie ein weiteres ärztliches Gutachten von Dr. P. vom 10. September 1999 vorgelegt, welches mit der Feststellung endet, daß der frühere Vertreter der Anmelderin in der fraglichen Zeit geschäftsunfähig gewesen sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde genügt den Anforderungen der Artikel 106 - 108 und Regel 64 EPÜ. Sie ist deshalb zulässig.

2. Sie ist auch begründet, denn das Verfahren der europäischen Patentanmeldung 89 .... war - entgegen der Auffassung der in Fällen der Regel 90 EPÜ sachlich zuständigen Rechtsabteilung (siehe Beschluß des Präsidenten des EPA vom 10. März 1989 über die Zuständigkeit der Rechtsabteilung nach Artikel 20 und Regel 9 (2) EPÜ Ziff. 1.2. (b), ABl. EPA 1989, 177) - spätestens seit dem 21. Februar 1996 wegen Geschäftsunfähigkeit des früheren Vertreters der Anmelderin/Beschwerdeführerin nach Regel 90 (1) c) EPÜ unterbrochen. Es wurde nach Regel 90 Absatz 3 Satz 1 EPÜ erst wiederaufgenommen mit der Bestellung des neuen Vertreters am 15. Januar 1998.

2.1. Gemäß Regel 90 (1) c) EPÜ wird ein Verfahren u. a. dann unterbrochen, wenn ein Vertreter die Geschäftsfähigkeit verliert. Nach ständiger Spruchpraxis der erkennenden Kammer (seit der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer J xxxx/xx vom 1. März 1985, ABl. EPA 1985, 159; siehe auch Entscheidung J xxxx/86 vom 4. November 1986, ABl. EPA 1987, 528 sowie J xxxx/87 vom 21. Mai 1987, ABl. EPA 1988, 177) richtet sich die Auslegung des Begriffs der Geschäftsunfähigkeit nicht nach einer bestimmten nationalen Rechtsordnung wie etwa der der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes des betreffenden Vertreters. Vielmehr erfordert er im Hinblick auf das einheitliche Recht des EPÜ und den europaweit einheitlich geregelten Beruf des beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreters eine vom jeweiligen nationalen Recht der Vertragsstaaten unabhängige Auslegung, die zwar nationale Erfahrungen und Rechtsgrundsätze in den Blick nimmt, jedoch zu einem eigenständigen und für den Bereich des EPÜ einheitlichen Verständnis der Geschäftsunfähigkeit führt.

2.2. Als tragfähigen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Geschäftsunfähigkeit im Sinne der Regel 90 (1) c) EPÜ gilt nach dieser - auch im vorliegenden Fall aufrechterhaltenen - Rechtsprechung die Frage, ob der betreffende Vertreter zum fraglichen Zeitpunkt geistig in der Lage war, den an ihn gestellten Anforderungen zu genügen, d. h. ob er unfähig war, vernünftige Entscheidungen zu treffen und die beruflich erforderlichen Handlungen vorzunehmen (ABl. EPA 1985, 159, 163). Bei ihrer Prüfung sind alle einschlägigen, zuverlässigen Informationen heranzuziehen und sorgfältig abzuwägen. Unverzichtbar ist ferner ein zuverlässiges medizinisches Gutachten, das möglichst alle entscheidungserheblichen Tatsachen in Betracht zieht (a.a.O. S. 163 f.).

3. Diesen Anforderungen genügt die Prüfung der Geschäftsunfähigkeit in der angefochtenen Entscheidung nicht.

3.1. Der Rechtsabteilung ist zwar zuzugeben, daß das zu den Amtsakten der ersten Instanz gereichte ärztliche Gutachten von Dr. H. nicht hinreichend aussagekräftig ist, um die Annahme der Geschäftsunfähigkeit zu stützen. Insbesondere reichen die Diagnose einer akut-chronischen Antrumgastritis und die Anordnung von autogenem Training für derart weitgehende Rückschlüsse nicht aus. Dies gilt selbst dann, wenn zusätzlich die Erklärung des früheren Vertreters in Betracht gezogen wird, er habe wegen schwerer Magenschmerzen seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachkommen können, so daß Rechtsverluste eingetreten seien.

3.2. Andererseits bot der Sachverhalt, wie er sich der ersten Instanz darstellte, so viele auf eine Geschäftsunfähigkeit im Sinne der zitierten Spruchpraxis hindeutende Anhaltpunkte, daß die Rechtsabteilung im Rahmen der ihr obliegenden Pflicht zur Amtsermittlung nach Artikel 114 (1) EPÜ, auf die sie selbst im angegriffenen Beschluß hinweist, weitere naheliegende Aufklärungen hätte vornehmen müssen. So hat der derzeitige Vertreter der Beschwerdeführerin in seinem Antrag im einzelnen vorgetragen und belegt, daß sein Vorgänger in der Zeit von Mitte 1995 und Mitte 1997 in mehreren Fällen zum Schaden seiner Mandanten Fristen versäumt hat, zeitweise weder schriftlich noch fernmündlich erreichbar gewesen ist, die Korrespondenzanwälte im Ausland nicht in gebotener Weise über den Stand der Verfahren informiert und ihm zur Verfügung gestellte Gebühren nicht an das Patentamt weitergeleitet hat. Allein elf für ein ausländisches Büro vertretene Anmeldungen sind durch Versäumnisse des früheren Vertreters notleidend geworden, fünf davon irreparabel. Überdies sind, wie der neue Vertreter ebenfalls vorgetragen hat, - verschuldet durch seinen Vorgänger - auch beim Deutschen Patent- und Markenamt Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen infolge Nichtzahlung der Gebühren erloschen. All diese Vorkommnisse hätten die Rechtsabteilung veranlassen müssen, von Amts wegen zu ermitteln und etwa bei der jeweiligen nationalen Berufsaufsicht über zugelassene Vertreter und Patentingenieure Erkundigungen einzuholen, um eine breitere und damit verläßlichere Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Zwar ist das Europäische Patentamt im Rahmen seiner Verpflichtung zur Amtsermittlung nicht zu jedem nur denkbaren Aufwand angehalten, um dem Sachverhalt auf den Grund zu gehen, die Einholung von Auskünften bei der nationalen Patentbehörde eines Vertragsstaates liegt freilich in einem Fall wie dem vorliegenden nahe und schon deshalb im Bereich des hier Gebotenen, weil das EPÜ in Artikel 131 eine derartige Amtshilfe ausdrücklich vorsieht.

4. Die Beschwerdekammer hat nach Artikel 114 (1) EPÜ die erforderliche Aufklärung des Sachverhalts nachgeholt, indem sie selbst in die einschlägigen Personalakten des Deutschen Patent- und Markenamts Einblick genommen und die Anmelderin zur Beibringung eines weiteren, ausführlicheren ärztlichen Gutachtens aufgefordert hat. Sämtliche nun vorliegenden Unterlagen, einschließlich des neuen Vorbringens im Beschwerdeverfahren, vermitteln kumuliert und in ihrer Gesamtschau ein Bild, das es nach Auffassung der Kammer gerechtfertigt erscheinen läßt, antragsgemäß von einer Geschäftsunfähigkeit des früheren Vertreters der Anmelderin nach Regel 90 (1) c) EPÜ spätestens seit dem 21. Februar 1996 bis zur Bestellung des neuen Vertreters auszugehen, weil er geistig nicht in der Lage war, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen, d. h. vernünftige Entscheidungen zu treffen und die erforderlichen Handlungen im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorzunehmen. Diese Rechtsfolge beruht auf folgenden tatsächlichen Umständen, ohne daß eine umfassende Rekonstruktion des Aktenbestandes der Kanzlei möglich, aber auch für eine abschließende Meinungsbildung nötig wäre:

4.1. Bereits seit März 1995 wurden die von dem früheren Vertreter bearbeiteten Patentanmeldungen in kontinuierlicher Folge notleidend oder galten gar als zurückgenommen, weil Äußerungs- oder Zahlungsfristen unbeachtet verstrichen. Allein nach der mit der Antragsschrift eingereichten Aufstellung (Appendix IV) der Beschwerdeführerin waren dies bis März 1997 nicht weniger als 12 Fälle, davon 10 vor dem Europäischen Patentamt. Teilweise wurde der drohende Rechtsverlust noch durch Zahlung des Zuschlags abgewendet, teilweise trat vollständiger Rechtsverlust ein. Die Fristversäumnisse beruhten ganz offensichtlich nicht auf einer Arbeitsüberlastung, denn am 22. Dezember 1998 konnte die Rechtsabteilung lediglich zwei noch anhängige Verfahren und 15 Verfahren aus den Jahren 1987 - 1998, in denen ein Rechtsverlust eingetreten ist, feststellen. Entsprechende Anweisungen der Mandanten, den Rechtsverlust mit Absicht eintreten zu lassen, scheiden ebenso aus. Andernfalls wären nicht gleich mehrere Wiedereinsetzungsanträge oder solche nach Feststellung der Geschäftsunfähigkeit gestellt worden.

Vielmehr sind sie im Kontext des seinerzeit fortschreitenden Verfalls der Kanzlei des früheren Vertreters zu sehen, der im März 1995 seinen Anfang nahm und 1998 mit der Zwangsräumung der Kanzleiräume wegen Nichtzahlung der Miete seit November 1997 und seiner Eintragung in das Schuldnerverzeichnis des örtlich zuständigen Amtsgerichts mit Haftanordnung vom 3. November 1997 endete. Denn in dieser Zeit kam hinzu, daß er, wie sein Nachfolger im vorliegenden Fall glaubhaft vorträgt, telephonisch in seiner Kanzlei allenfalls in Ausnahmefällen zu erreichen war. Überdies waren dem Bescheid des Deutschen Patent- und Markenamtes über den Entzug des Erlaubnisscheins vom 10. November 1998 zufolge Zustellungen - ob mit oder ohne Postzustellungsurkunde - mit großen Schwierigkeiten verbunden oder blieben erfolglos. Selbst an die Privatadresse konnte nur durch Niederlegung zugestellt werden. Sammelempfangsbekenntnisse wurden, so der erwähnte Bescheid, allein zwischen Oktober 1996 und Februar 1998 in 26 Fällen nicht an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückgesandt und Akten gekündigter Mandate nicht herausgegeben. Der Gerichtsvollzieher fand bei der Zwangsräumung, wie er berichtete, mehr als zwei Jahre alte Post ungeöffnet.

4.2. Zeitlich fallen diese beruflichen Verfehlungen zusammen mit ärztlich bescheinigten physischen und psychischen Leiden des früheren Vertreters der Beschwerdeführerin. So bestätigt das bereits der Rechtsabteilung vorgelegte Attest von Dr. H. nicht nur eine akut-chronische Antrumgastritis, sondern auch Antriebslosigkeit sowie eine depressive und verzweifelte Verfassung. Das weitere der Beschwerdekammer vorgelegte ausführlichere fachärztliche Gutachten von Dr. P. vom 10. September 1999 über den Gesundheitszustand der letzten 3-4 Jahre spricht ergänzend von "depressiven Antriebsstörungen mit Grübelzwängen, anhaltenden Ein- und Durchschlafstörungen sowie episodenhaften Angstzuständen" und endet nicht zuletzt im Hinblick auf den Verfall seiner Patentanwaltspraxis in der abschließenden Diagnose, daß es sich dabei um eine "schwere schizoide Persönlichkeitsstörung mit erheblicher Beeinträchtigung der Kritik- und Einsichtsfähigkeit bei reaktiv-depressiven Versagenszuständen und mangelnder krankheitsbedingter Selbsteinschätzung" handele.

4.3. Sieht man die geschilderten beruflichen Fehlleistungen und Unterlassungen in ihrer Gesamtheit und im Lichte der medizinischen Gutachten, ist festzustellen, daß der frühere Vertreter der Beschwerdeführerin spätestens seit dem 21. Februar 1996 nicht mehr in der Lage war, den Anforderungen seines Berufes zu genügen und vernünftige Entscheidungen zu treffen sowie entsprechende Handlungen vorzunehmen. Er war damit geschäftsunfähig im Sinne der Regel 90 (1) c) EPÜ.

Dem steht nicht entgegen, daß die beruflichen Verfehlungen sich ab der Mitte des Jahres 1996 häuften und ihren Höhepunkt noch vor sich hatten. Auch die Tatsache, daß der frühere Vertreter der Beschwerdeführerin zwischendurch korrekte berufliche Maßnahmen ergriff, gebietet keine andere Einschätzung. Denn nach Auffassung der Kammer wird der krankhafte Zustand einer schweren schizoiden Persönlichkeitsstörung nicht unterbrochen, wenn - mehr oder weniger - zufällig und episodenhaft die richtige Handlung vorgenommen wird. Vielmehr ist dies Teil des Krankheitsbildes, das bereits in den ersten Fristversäumnissen Mitte 1995 seinen Ausdruck fand. Daß sich die Krankheit in der Folgezeit gravierend verschlechterte, steht der Annahme der Geschäftsunfähigkeit seit Februar 1996 nicht entgegen. Bereits zu diesem Zeitpunkt war der offensichtlich unumkehrbare Prozeß im Gange, bei dem der frühere Vertreter der Beschwerdeführerin in krankhafter Weise seine beruflichen Pflichten vernachlässigte und dabei seine bürgerliche Existenz zerstörte.

5. Die durch die festgestellte Geschäftsunfähigkeit eingetretene Verfahrensunterbrechung wurde mit der Bestellung des neuen Vertreters der Beschwerdeführerin am 15. Januar 1998 beendet (Regel 90 (3) EPÜ). Dies hat zur Folge, daß die am Tage der Unterbrechung wegen Geschäftsunfähigkeit laufenden Fristen mit der Wiederaufnahme des Verfahrens neu zu laufen beginnen (Regel 90 (4) EPÜ). Da die zweimonatige Weiterbehandlungs- bzw. Beschwerdefrist des Bescheids nach Regel 51 (5) EPÜ vom 12. Dezember 1995 erst am 22. Februar 1996 angelaufen ist (Regel 78 (2) EPÜ), die Geschäftsunfähigkeit antragsgemäß aber bereits spätestens am 21. Februar 1996 festzustellen war, ist angesichts der gleichzeitigen Zahlung sowohl der Weiterbehandlungs- als auch die ausstehenden Jahresgebühren samt Zuschlag für die 7. Jahresgebühr dem zusätzlichen Antrag der Beschwerdeführerin ebenfalls stattzugeben und die europäische Patentanmeldung 89. 913 071.0 nach Artikel 121 EPÜ weiter zu behandeln.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Das Verfahren der europäischen Patentanmeldung 89.... war vom 21. Februar 1996 bis zum 15. Januar 1998 gemäß Regel 90 (1) c) und (3) EPÜ unterbrochen.

2. Es wird angeordnet, die genannte Patentanmeldung nach Artikel 121 EPÜ weiter zu behandeln.

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