J 0026/96 () of 25.9.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:J002696.20010925
Datum der Entscheidung: 25 September 2001
Aktenzeichen: J 0026/96
Anmeldenummer: 96102236.5
IPC-Klasse: B21D 43/05
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Transfer von Werkstücken durch eine Folge von Bearbeitungsstationen
Name des Anmelders: Schuler Pressen GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 78(1)(d)
European Patent Convention 1973 Art 91(1)(g)
European Patent Convention 1973 Art 118
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 R 24(2)
European Patent Convention 1973 R 43(2)
European Patent Convention 1973 R 88
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Formalprüfung, Ergänzung der Zeichnungen (nicht möglich) - Berücksichtigung der Prioritätsunterlagen (nicht möglich)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/89
G 0002/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 96 102 236.5 wurde am 15. Februar 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Anmeldung Nr. 19 506 079.2 vom 22. Februar 1995 und unter gleichzeitiger Beifügung einer Abschrift der Prioritätsanmeldung beim Europäischen Patentamt eingereicht.

II. Mit Mitteilung vom 22. April 1996 wurde die Anmelderin - im folgenden Beschwerdeführerin - davon in Kenntnis gesetzt, daß Figur 5 der Zeichnungen fehle und für deren Nachreichung eine Frist von einem Monat gesetzt werde. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, daß bei rechtzeitiger Einreichung der Zeichnung der Anmeldetag neu auf den Tag des Eingangs der Zeichnung festgesetzt werde und daß durch die Neufestsetzung der beanspruchte Prioritätstag unter Umständen nicht mehr innerhalb der Prioritätsfrist liege und dadurch der Verlust des Prioritätsrechts eintreten könne. Des weiteren wurde darauf aufmerksam gemacht, daß bei nicht rechtzeitiger Einreichung der Zeichnung alle Bezugnahmen auf die Zeichnung in der Anmeldung als gestrichen gelten würden und der ursprüngliche Anmeldetag unverändert bleibe.

III. Am 2. Mai 1996 wurde die fehlende Zeichnung Figur 5 nachgereicht.

IV. Mit Mitteilung vom 18. Juni 1996 wurde die Beschwerdeführerin darüber informiert, daß der Anmeldetag neu auf den 2. Mai 1996, den Tag des Eingangs der Zeichnung, festgesetzt worden sei.

V. Mit Schreiben vom 8. Juli 1996 wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die Festsetzung des neuen Anmeldetages. Sie räumte ein, daß ihr zunächst durch die Nichteinreichung der Zeichnung Figur 5 mit den ursprünglichen Anmeldeunterlagen ein Fehler unterlaufen sei, daß aber das Blatt den gleichzeitig eingereichten Prioritätsunterlagen beigelegen habe, so daß der Mangel ohne Prioritätsverlust hätte behoben werden können, da aus den Gesamtunterlagen die Zugehörigkeit eines Blattes 5/5 erkennbar gewesen wäre. Das Amt hätte die Prioritätsunterlagen zur Sachverhaltsfeststellung nutzen können.

Die Figur auf Blatt 5/5 stelle nur ein Ausführungsbeispiel dar. Die Erfindung sei insgesamt aus den zunächst eingereichten Unterlagen eindeutig herleitbar. Der Fachmann komme ohne Hinzuziehung dieser Figur zum Gegenstand der Erfindung.

Der Fehler sei offensichtlich und vor der Veröffentlichung der Anmeldung bekannt gewesen. Bei richtiger Würdigung der Umstände unter Anwendung der Amtsermittlungsmaxime hätte es einer Neufestsetzung des Anmeldetages nicht bedurft.

VI. Mit Entscheidung vom 6. August 1996 hat die Eingangsstelle den Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der Neufestsetzung des Anmeldetags zurückgewiesen und festgestellt, daß kein Prioritätsanspruch für die Anmeldung bestehe. Ebenso hat sie den hilfsweise gestellten Antrag auf Beibehaltung des ursprünglichen Anmeldetages für den zuerst eingereichten Teil der Anmeldung zurückgewiesen.

VII. Hiergegen richtet sich die am 28. September 1996 eingereichte und mit einer Begründung versehene Beschwerde der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdegebühr war bereits mittels Abbuchungsauftrag vom 8. Juli 1996 entrichtet worden, da zunächst die Mitteilung der Eingangsstelle vom 18. Juni 1996 über die neue Festsetzung des Anmeldetages als Entscheidung verstanden worden war.

Unter Bezugnahme auf ihre mit Schreiben vom 8. Juli 1996 vorgetragenen Argumente macht die Beschwerdeführerin geltend, daß sich die deutsche Prioritätsanmeldung und die europäische Nachanmeldung auf dieselbe Erfindung bezögen und daß die Offenbarung der Voranmeldung eine ausreichende Grundlage für den Ersatz der fehlenden Unterlage in der Nachanmeldung biete.

Im übrigen sei auch die Vollständigkeit der Unterlagen bei Einreichung der europäischen Anmeldung bestätigt worden. Eine Mängelrüge sei erst am 18. Juni 1996 ergangen.

VIII. Mit Bescheid vom 9. April 1998 hat die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige, die erste Instanz bestätigende Beurteilung der Angelegenheit zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

IX. Hierauf hat die Beschwerdeführerin ergänzend vorgetragen, daß im Blick auf Regel 88 EPÜ alle Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen seien, aus denen die (erklärte) Absicht des Anmelders erkennbar sei. Hierzu seien die Prioritätsunterlagen zu berücksichtigen. Amtsseitig sei ihre Absicht bereits bei Feststellen des Mangels erkennbar gewesen.

X. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Rückdatierung des Anmeldetags auf den Tag des Eingangs der Patentanmeldung, hilfsweise die Rückdatierung bezüglich der ursprünglich eingereichten Unterlagen einschließlich der Figuren Blatt 1/5 bis 4/5 und die Festsetzung des Einreichungstages von Figur Blatt 5/5 als Anmeldetag für dieses Blatt, weiterhin die Zustimmung zum Austausch aller am 15. Februar 1996 eingereichten Unterlagen gegen drei Sätze Unterlagen gemäß dem Prioritätsbeleg

sowie

die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeführerin beruft sich darauf, daß ihr die Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen der europäischen Anmeldung bestätigt worden sei.

Die Richtigkeit der Angabe der Blattzahl wird jedoch bei Eingang der Anmeldung nicht geprüft; dies erfolgt erst bei der Formalprüfung. Auf diesen Umstand wird in der Fußnote der gemäß Regel 24 (2), Satz 2 EPÜ erteilten Empfangsbescheinigung (Seite 6 der EPA Form 1001) hingewiesen. Dies hat die Eingangsstelle bereits zutreffend erläutert.

2. Bei der Formalprüfung der Anmeldung ist gemäß Artikel 91 (1) g) EPÜ unter anderem zu prüfen, ob die in Artikel 78 (1) d) EPÜ genannten Zeichnungen, d. h. die Zeichnungen, auf die sich die Beschreibung oder die Patentansprüche beziehen, eingereicht worden sind.

2.1. Im vorliegenden Fall hat diese Prüfung ergeben, daß ein Blatt Zeichnung fehlte.

2.2. Ungeachtet des mit der Aufforderung nach Regel 43 (2) EPÜ zur Nachreichung der fehlenden Zeichnung erfolgten Hinweises durch die Eingangsstelle, daß der Anmeldetag der Anmeldung neu auf den Tag der Einreichung der Zeichnung festgesetzt werde und dadurch das Prioritätsrecht verloren gehen könne während bei nicht fristgerechter Einreichung der Zeichnung innerhalb eines Monats alle Bezugnahmen hierauf als gestrichen gelten würden, hat die Beschwerdeführerin sich dafür entschieden, die fehlende Zeichnung nachzureichen.

2.3. Unter diesen Umständen war die Eingangsstelle gemäß Regel 43 (2) EPÜ verpflichtet, den Anmeldetag neu auf den Tag des Eingangs der Zeichnung, den 2. Mai 1996, festzusetzen.

2.4. Durch die in Regel 43 (2) EPÜ vorgesehenen Alternativen wird sichergestellt, daß in jedem Fall eine gemäß Artikel 123 (2) EPÜ unzulässige Erweiterung ausgeschlossen ist.

2.5. Dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin muß somit der Erfolg versagt bleiben.

3. Nun hat die Beschwerdeführerin sich des weiteren auf die Berichtigungsmöglichkeit nach Regel 88 EPÜ berufen und geltend gemacht, daß hierbei alle Tatsachen und Beweismittel, wozu auch die Prioritätsunterlagen gehörten, zu berücksichtigen seien, aus denen die Absicht des Anmelders erkennbar werde.

3.1. Gemäß Regel 88, Satz 1 EPÜ können sprachliche Fehler, Schreibfehler und Unrichtigkeiten in den beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen auf Antrag berichtigt werden. Soweit der Antrag auf Berichtigung die Beschreibung, die Patentansprüche oder die Zeichnungen betrifft, bestimmt Satz 2 dieser Vorschrift, daß die Berichtigung derart offensichtlich sein muß, daß sofort erkennbar ist, daß nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird.

3.2. In Anbetracht des Umstandes, daß der ursprüngliche Offenbarungsgehalt der europäischen Patentanmeldung infolge der Rückwirkung der Berichtigung in Frage gestellt werden kann, hat die Berichtigung gemäß Regel 88, Satz 2 EPÜ dem Verbot der unzulässigen Erweiterung gemäß Artikel 123 (2) EPÜ Rechnung zu tragen.

Da hierzu eine technische Überprüfung des Sachverhalts erforderlich ist, war die Eingangsstelle für diese Überprüfung nicht zuständig, worauf sie in der angefochtenen Entscheidung auch zutreffend hingewiesen hat (J 4/85, ABl. EPA 1986, 205; J 33/89, ABl. EPA 1991, 288). Da die Juristische Beschwerdekammer im vorliegenden Fall im Rahmen der Eingangsstelle tätig wird (Artikel 21 (2) und 111 EPÜ), fehlt ihr ebenfalls die Zuständigkeit, über den Berichtigungsantrag zu entscheiden. Dieser Antrag ist deshalb im Rahmen der Sachprüfung erneut zu stellen und von der zuständigen Prüfungsabteilung zu beurteilen.

3.3. Abgesehen davon ist mit der Beschreibung, den Patentansprüchen und, gegebenenfalls, den Zeichnungen der Anmeldungsunterlagen der Inhalt der europäischen Patentanmeldung in der ursprünglichen Fassung festgelegt (G 2/95, ABl. EPA 1996, 555, Punkt 4 der Gründe). Eine Berichtigung nach Regel 88, Satz 2 EPÜ, die den Inhalt der europäischen Patentanmeldung betrifft, kann, worauf die Eingangsstelle bereits hingewiesen hat, nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit der den Inhalt der europäischen Patentanmeldung bildenden Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (G 3/89, ABl. EPA 1993, 117, Punkt 3 der Gründe). Andere Unterlagen als Beschreibung, Patentansprüche und Zeichnungen können infolge des Erweiterungsverbots nach Artikel 123 (2) EPÜ nur insoweit herangezogen werden, als sie geeignet sind, das am Anmeldetag bestehende allgemeine Fachwissen zu belegen (G 3/89 a. a. O., Punkt 7 der Gründe). Dagegen dürfen Unterlagen, die dieser Anforderung nicht genügen, selbst dann nicht zu einer Berichtigung herangezogen werden, wenn sie zusammen mit der europäischen Patentanmeldung eingereicht worden sind. Dazu gehören - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - insbesondere auch Prioritätsdokumente (G 3/89 a. a. O., Punkt 7 der Gründe). Somit stellt sich die Frage, ob die Teile der europäischen Patentanmeldung, die für die Offenbarung der Erfindung maßgebend sind, im Wege einer Berichtigung nach Regel 88, Satz 2 EPÜ, und damit unter Beibehaltung des ursprünglichen Anmeldetages, durch weitere Unterlagen ergänzt werden können. Die Prüfungsabteilung wird zu prüfen haben, ob ohne Zuhilfenahme der Prioritätsunterlagen die Gestaltung der Figur 5 der Beschreibung im einzelnen entnommen werden kann oder ob wegen des fehlenden Rückgriffs auf die Prioritätsunterlagen das Erfordernis der Regel 88, Satz 2 EPÜ, daß die Berichtigung derart offensichtlich sein muß, daß sofort erkennbar ist, daß nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird, nicht gegeben ist.

4. Auch dem ersten Hilfsantrag kann nicht entsprochen werden, denn Regel 43 (2) EPÜ schreibt vor, daß der Anmeldetag auf den Tag der Einreichung der Zeichnung neu festgesetzt wird. Verschiedene Anmeldetage für verschiedene Teile einer Anmeldung sind nicht vorgesehen. Dies würde auch dem Grundsatz der Einheit der Patentanmeldung und des Patents im Verfahren (Artikel 118 EPÜ) widersprechen.

5. Der weitere Hilfsantrag auf Austausch aller am 15. Februar 1996 eingereichten Unterlagen der europäischen Patentanmeldung fällt ebenfalls in die Zuständigkeit der Prüfungsabteilung. Abgesehen davon hat zu dieser Frage die Große Beschwerdekammer bereits festgestellt, daß, da mit der Beschreibung, den Patentansprüchen und, gegebenenfalls, den Zeichnungen der Anmeldungsunterlagen der Inhalt der europäischen Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Artikel 123 (2) EPÜ) festgelegt ist, die Teile der europäischen Patentanmeldung, die für die Offenbarung der Erfindung maßgebend sind, nicht im Wege einer Berichtigung nach Regel 88, Satz 2 EPÜ durch andere Unterlagen ersetzt werden können (G 2/95 a. a. O., Punkt 4 der Gründe).

6. Da keinem der Sachanträge, soweit sie in die Zuständigkeit der Juristischen Beschwerdekammer fallen, Erfolg beschieden ist, kommt auch eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht in Betracht. Gemäß Regel 67 EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht. Nur wenn alle drei Erfordernisse - Erfolg der Beschwerde, wesentlicher Verfahrensmangel und Billigkeit - vorliegen, ist die Rückzahlung geboten.

Im vorliegenden Fall scheitert die Rückzahlung bereits an der ersten Voraussetzung.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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