J 0004/87 (Verzögerung bei der Postzustellung) of 2.6.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:J000487.19870602
Datum der Entscheidung: 02 Juni 1987
Aktenzeichen: J 0004/87
Anmeldenummer: 85115799.0
IPC-Klasse: G07F 17/34
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Elton
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: Im Falle einer unvorhergesehenen Verzögerung bei der Postzustellung, die eine Fristversäumung zur Folge hat, ist das EPA nicht zu einer Fristverlängerung befugt, wenn diese nicht unter Regel 85(2) EPÜ (allgemeine Unterbrechung oder anschliessende Störung der Postzustellung in einem Vertragsstaat) fällt.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 75(1)(a)
European Patent Convention 1973 Art 80
European Patent Convention 1973 Art 87
European Patent Convention 1973 R 24
European Patent Convention 1973 R 83
European Patent Convention 1973 R 85
Schlagwörter: Prioritätsverlust wegen einer Verzögerung bei der Postzustellung
Anmeldetag/Eingang beim EPA
Fristverlängerung wegen Verzögerung bei der Postzustellung
Ermessenssache (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0001/93
J 0016/03
J 0012/05
J 0013/05

Sachverhalt und Anträge

I. Die Unterlagen, die die europäische Patentanmeldung enthielten, wurden am 4. Dezember 1985 im Vereinigten Königreich an das EPA in München abgesandt und gingen dort am 11. Dezember 1985 ein. Das EPA stellte gemäß Regel 24 (2) EPÜ eine Empfangsbescheinigung aus, in der als Tag des Eingangs der Anmeldung der 11. Dezember 1985 vermerkt war. In der Anmeldung wurde eine Priorität vom 8. Dezember 1984 in Anspruch genommen.

II. Mit Schreiben vom 9. Januar 1986 erklärte der Vertreter der Beschwerdeführerin, daß die Postzustellung zwischen dem Vereinigten Königreich und München unterbrochen gewesen sein müsse, da die Anmeldung am 4. Dezember 1985 im Vereinigten Königreich aufgegeben worden sei; er beantragte eine Verlängerung der Frist nach Regel 85 EPÜ.

III. In einer Mitteilung des Präsidenten des EPA vom 21. Januar 1986 (ABl. EPA 1986, 62) wurde bekanntgegeben, daß in der Zeit vom 15. November bis einschließlich 5. Dezember 1985 die Postzustellung im Vereinigten Königreich im Sinne der Regel 85 (2) EPÜ allgemein unterbrochen war. Die Fristen, die innerhalb dieses Zeitraums abgelaufen wären, wurden in Anwendung der Regel 85 (2) und (3) EPÜ bis 6. Dezember 1985 verlängert.

IV. In einer Mitteilung vom 17. April 1986 wurde die Beschwerdeführerin davon unterrichtet, daß die europäische Patentanmeldung als am 11. Dezember 1985 eingereicht gelte und die Mitteilung des Präsidenten vom 21. Januar 1986 nicht angewandt werden könne.

V. Mit Schreiben vom 3. Juni 1986 widersprach der Vertreter dieser Auffassung. Am 18. September 1986 traf die Eingangsstelle die Entscheidung, daß weder die Regel 85 (2) EPÜ noch eine andere Vorschrift des EPÜ im Einzelfall eine Fristverlängerung wegen Verzögerungen bei der Postzustellung gestatte; da die Mitteilung des Präsidenten auf die Anmeldung nicht angewandt werden könne, müsse diese den 11. Dezember 1985 als Anmeldetag erhalten.

VI. Die Beschwerdeführerin legte am 5. November 1986 Beschwerde ein und entrichtete die entsprechende Gebühr ordnungsgemäß. In ihrer am 10. Dezember 1986 nachgereichten Beschwerdebegründung machte sie im wesentlichen folgendes geltend:

1. Die Anmeldungsunterlagen seien so rechtzeitig abgesandt worden, daß sie bei normaler Postzustellung am 9. Dezember 1985 (dem letztmöglichen Tag für die Inanspruchnahme der Priorität, da der 8. Dezember 1985 ein Sonntag gewesen sei) beim Europäischen Patentamt hätten eingehen müssen.

2. Wären die Anmeldungsunterlagen an das britische Patentamt gesandt worden, so wäre der Anmeldung unabhängig von ihrem tatsächlichen Eingang der 5. Dezember 1985 als Anmeldetag zuerkannt worden (die Kanzlei des Vertreters reiche europäische Anmeldungen nur im äußersten Notfall beim britischen Patentamt ein, da dieses keine Anmeldegebühren entgegennehmen könne; die Einreichung von Anmeldungen beim britischen Patentamt sei deshalb unzweckmäßig, weil die Zahlung an ein anderes Amt geleistet werden müsse).

3. Anmelder, die Anmeldungsunterlagen aus vom EPA weit entfernten Ländern einreichen müßten, seien ungebührlich benachteiligt, sofern nicht besonderen Umständen wie den hier vorliegenden angemessen Rechnung getragen werde.

4. Das EPÜ verbiete dem EPA nicht, in Härtefällen wie diesem, der durch eine außergewöhnliche Verzögerung bei der Postzustellung entstanden sei, nach eigenem Ermessen zu entscheiden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig. Anmeldetag

2. In Artikel 75 (1) EPÜ ist angegeben, wo eine europäische Patentanmeldung eingereicht werden kann, nämlich entweder unmittelbar beim EPA in München bzw. Den Haag oder bei den zuständigen Behörden eines Vertragsstaates (wenn das Recht dieses Staates dies gestattet). Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin dafür entschieden, die europäische Patentanmeldung beim EPA in München einzureichen.

3. Regel 24 (1) EPÜ sieht vor, daß "europäische Patentanmeldungen ... unmittelbar oder durch die Post eingereicht werden" können. Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin dazu entschlossen, die europäische Patentanmeldung vom Vereinigten Königreich aus durch die Post beim EPA in München einzureichen. Regel 24 (2) EPÜ sieht vor, daß die Behörde, bei der die europäische Patentanmeldung eingereicht wird, auf den Anmeldungsunterlagen den Tag ihres Eingangs vermerkt. Die Wirkung der Regel 24 EPÜ wurde in der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer J 18/86*) "Anmeldetag/Zoueki" vom 27. April 1987 gewürdigt; dort heißt es wie folgt: "Regel 24 EPÜ bietet bei richtiger Auslegung ein umfassendes, eigenständiges System, anhand dessen das EPA den Anmeldetag einer europäischen Patentanmeldung unabhängig davon bestimmen kann, wo sie eingereicht worden ist." Weiter heißt es: "Das EPÜ gestattet es dem EPA nicht, dieser Anmeldung einen anderen Anmeldetag als den Tag des Eingangs der Unterlagen bei der zuständigen Behörde zuzuerkennen". In der Entscheidung J 18/86 ging es um eine Anmeldung, die beim Patentamt des Vereinigten Königreichs als einer nach Artikel 75 (1) b) EPÜ zuständigen Behörde eingereicht worden war; die obige Feststellung trifft jedoch auch auf Anmeldungen zu, die beim EPA München unmittelbar eingereicht werden. Artikel 80 EPÜ sieht vor, daß der Anmeldetag einer europäischen Patentanmeldung der Tag ist, an dem bestimmte Unterlagen vom Anmelder eingereicht werden. Im vorliegenden Fall wurden Unterlagen nach Artikel 80 EPÜ am 11. Dezember 1985 eingereicht; der Anmeldetag ist folglich der 11. Dezember 1985. Nach dem EPÜ ist es nicht zulässig, dieser Anmeldung einen anderen Anmeldetag zuzuerkennen. Das Vorbringen unter VI (2) hilft der Beschwerdeführerin nicht weiter. Sie hatte sich, wie bereits erwähnt, (aus den von ihr angegebenen Gründen) dafür entschieden, die Anmeldung nach München und nicht an das Patentamt des Vereinigten Königreichs zu senden. Aber selbst wenn sie die europäische Patentanmeldung (als sog. "First-class-Briefsendung", die schneller befördert wird als gewöhnliche Inlandspost) an das Patentamt des Vereinigten Königreichs geschickt hätte, wäre entsprechend der Entscheidung J 18/86 der Anmeldetag der tatsächliche Eingangstag beim Patentamt des Vereinigten Königreichs und nicht, wie die Beschwerdeführerin unter Berufung auf Regel 97 des britischen Patentgesetzes behauptet, der 5. Dezember 1985 gewesen. In Anbetracht der vorstehend genannten Bestimmungen des EPÜ muß der Anmelder, der die Zuerkennung eines bestimmten Anmeldetages für seine Anmeldung wünscht, dafür Sorge tragen, daß die Anmeldungsunterlagen gemäß Artikel 80 EPÜ tatsächlich spätestens an diesem Tag beim EPA selbst oder bei der zuständigen Behörde eines Vertragsstaates eingehen. Prioritätsanspruch

4. Artikel 87 (1) EPÜ sieht vor, daß der Patentanmelder für die Anmeldung einer Erfindung zum europäischen Patent während einer Frist von 12 Monaten nach Einreichung der ersten Anmeldung für dieselbe Erfindung ein Prioritätsrecht genießt. Im vorliegenden Fall war am 8. Dezember 1984 eine UK-Anmeldung für dieselbe Erfindung eingereicht worden. Gemäß Regel 83 (4) EPÜ lief die Prioritätsfrist von 12 Monaten am 8. Dezember 1985 ab; da dieser Tag jedoch auf einen Sonntag fiel, erstreckte sich die Prioritätsfrist gemäß Regel 85 (1) EPÜ auf den nächsten Tag, den 9. Dezember 1985. Regel 85 (2) EPÜ sieht eine Fristverlängerung vor, wenn die Frist "an einem Tag [abläuft], an dem die Postzustellung in einem Vertragsstaat oder zwischen einem Vertragsstaat und dem Europäischen Patentamt allgemein unterbrochen oder im Anschluß an eine solche Unterbrechung gestört ist"; in diesem Fall erstreckt sich die Frist auf den ersten Tag nach Beendigung der Unterbrechung oder Störung. Im vorliegenden Fall war, wie aus der Mitteilung des Präsidenten des EPA vom 21. Januar 1986 hervorgeht, die Postzustellung im Vereinigten Königreich zwischen dem 15. November und dem 5. Dezember 1985 unterbrochen. Gemäß Regel 85 (2) und (3) EPÜ wurden alle Fristen, die in diesem Zeitraum abliefen, für die in der Mitteilung genannten Beteiligten bis zum 6. Dezember 1985 verlängert. Wie bereits dargelegt, lief im vorliegenden Fall die Frist von 12 Monaten entsprechend Regel 83 (4) EPÜ am 9. Dezember 1985 und damit außerhalb des Zeitraums ab, in dem der Mitteilung des Präsidenten zufolge die Postzustellung unterbrochen war. Nach Auffassung der Kammer gestattet Regel 85 EPÜ dem EPA nicht, die im vorliegenden Fall geltende Prioritätsfrist von 12 Monaten weiter zu verlängern.

5. Die Beschwerdeführerin hat behauptet (vgl. Nr. VI (4)), daß das EPÜ dem EPA nicht verbiete, bei außergewöhnlichen Verzögerungen in der Postzustellung nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Das EPA hat jedoch rechtlich keine generelle Ermessensfreiheit dieser Art. Es kann nur dann nach eigenem Ermessen handeln, wenn es nach dem EPÜ dazu befugt ist. Die einzige Bestimmung im EPÜ, die eine Verlängerung von Fristen wegen Verzögerungen bei der Postzustellung ermöglicht, ist die Regel 85 (2) EPÜ; wie bereits unter Nummer 4 dargelegt, trifft diese Regel auf den vorliegenden Fall nicht zu. Das EPÜ enthält keine andere Bestimmung, die dem EPA die Befugnis verleihen würde, die Prioritätsfrist im Falle einer nvorhergesehenen Verzögerung bei der Postzustellung zu verlängern. In Anbetracht dessen hat die Eingangsstelle in Ihrer Entscheidung zu Recht die Auffassung vertreten, daß eine Verlängerung der in Artikel 87 (1) EPÜ vorgesehenen Frist von 12 Monaten nicht möglich sei.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Die Kammer kann daher dieser Beschwerde nicht stattgeben.

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