European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1986:J090186.19861104 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 04 November 1986 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0901/86 | ||||||||
Anmeldenummer: | - | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | nicht veröff. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | 1. Unter der Geschäftsunfähigkeit des Vertreters im Sinne der Regel 102(2)(a) EPÜ ist, wie im Fall der Regel 90(1)(c) EPÜ, dessen Unfähigkeit zu verstehen, seinen beruflichen Pflichten vor dem EPA nachzukommen; die Geschäftsunfähigkeit muss ausserdem von Dauer sein. 2. Bei derartigen Entscheidungen bietet dem EPA folgende Frage einen guten Anhaltspunkt: Ist der betreffende Vertreter geistig in der Lage, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen, oder ist er auf Dauer unfähig, vernünftige Entscheidungen zu treffen und die erforderlichen Handlungen vorzunehmen? 3. Die Rechtsabteilung ist zuständig für Entscheidungen über die Geschäftsunfähigkeit des Vertreters und die daraus resultierende Löschung seiner Eintragung. Sie muss sich bei ihrer Entscheidung jedoch auf Beweismittel stützen, die die dauernde Geschäftsunfähigkeit des Vertreters überzeugend darlegen und zu diesem Zweck ggf. eine zusätzliche Beweisaufnahme durchführen, wenn die ihr vorliegenden Beweismittel nicht ausreichen. 4. Von einem Vertreter, der wahrscheinlich unfähig ist, seine Mandanten vor dem EPA zu vertreten, ist anzunehmen, dass er auch unfähig ist, seine eigenen Interessen wahrzunehmen und damit zu den Gründen Stellung zu nehmen, die ihm im Laufe eines Löschungsverfahrens mitgeteilt werden. Eine Entscheidung, mit der seine Löschung aus der Liste der zugelassenen Vertreter wegen Geschäftsunfähigkeit verfügt wird, obwohl ihm in dem Verfahren kein zu diesem Zweck bestellter Beistand zur Seite stand, verstösst daher gegen Artikel 113(1) EPÜ. |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Löschung wegen Geschäftsunfähigkeit Zuständigkeit der Rechtsabteilung Beweisaufnahme/zusätzliche Beistand |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Rechtsabteilung des EPA hat dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom ... mitgeteilt, daß sie beabsichtige, ihn gemäß Regel 102 (2) a) EPÜ aus der Liste der beim EPA zugelassenen Vertreter zu löschen, weil es aufgrund eines medizinischen Gutachtens ... und einer vor einem Notar abgegebenen eidesstattlichen Erklärung zweier Zeugen, die im Zusammenhang mit zwei europäischen Patentanmeldungen vorge legt worden seien, zweifelhaft erscheine, daß er den Beruf des beim EPA zugelassenen Vertreters ausüben könne.
II. ...
III. In ihrer Entscheidung vom ... erklärte die Rechtsabteilung des EPA, daß sie für beschwerdefähige Entscheidungen über Eintragungen und Löschungen in der Liste der zugelassenen Vertreter zuständig sei (Art. 20 und 106 (1) EPÜ) und die Löschung des Beschwerdeführers aus der Liste der zugelassenen Vertreter beschlossen habe, weil er nicht mehr in der Lage sei, die zu seinen beruflichen Pflichten als zugelassener Vertreter gehörende Überwachung (und Einhaltung) von Fristen wahrzunehmen.
IV. Der Beschwerdeführer legte ... gegen diese Entscheidung unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein, die er ausführlich begründete.
V. ...
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Vor einer sachlichen Prüfung der Beschwerde muß untersucht werden, ob die Rechtsabteilung aufgrund von Artikel 20 (1) und Regel 102 (2) a) EPÜ dafür zuständig war, über die Löschung eines Vertreters aus der Liste der zugelassenen Vertreter wegen Geschäftsunfähigkeit zu entscheiden. Mit anderen Worten, es muß vor Prüfung der Beschwerde festge stellt werden, ob die Rechtsabteilung für Entscheidungen darüber zuständig ist, ob ein zugelassener Vertreter "geschäftsunfähig" im Sinne der Regel 102 (2) a) EPÜ ist.
3. Die Rechtsabteilung bezog sich zum Beweis ihrer Zuständig keit auf die Entscheidung der Juristischen Beschwerde kammer des EPA vom 1. März 1985 (ABl. EPA 1985, 159), in der festgestellt worden ist, daß es für die Zwecke der Regel 90 (1) c) EPÜ (Unterbrechung des Verfahrens) Aufgabe des EPA sei, über die Geschäftsunfähigkeit des zugelassenen Vertreters zu entscheiden.
4. In der damaligen Entscheidung vertrat die Juristische Beschwerdekammer die Auffassung, daß sich Regel 90 (1) c) EPÜ auf die Unfähigkeit des Vertreters bezieht, "seinen beruflichen Pflichten gegenüber seinem Mandanten nachzukommen. .... Diese Frage hat selbstverständlich mit der Geschäftsfähigkeit des Vertreters in seinen persönlichen Angelegenheiten nichts zu tun, für die die nationalen Rechtsvorschriften maßgebend sind, denen er aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seines Sitzes untersteht." Sie war ferner der Auffassung, daß es zur Feststellung der Geschäftsunfähigkeit auch eine einheitliche Norm geben müsse, "um eine nach Staatsangehörigkeit oder Sitz des Vertreters unterschiedliche Anwendung der Regel 90 (1) c) EPÜ zu vermeiden." Dementsprechend sei es Aufgabe des Europäischen Patentamts, die Frage nach der Geschäftsunfähigkeit eines Vertreters für die Zwecke der Regel 90 (1) c) EPÜ zu entscheiden. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Regel 102 (2) a) EPÜ; die Kammer ist deshalb der Auffassung, daß die Rechtsabteilung für die Entscheidung über die Geschäftsunfähigkeit des Vertreters für die Zwecke dieser Regel zuständig war.
5. Auch wenn für die Zwecke der Regel 102 (2) a) EPÜ dasselbe Kriterium für die Geschäftsunfähigkeit anzuwenden ist wie bei der Regel 90 (1) c) EPÜ, so muß hier doch als weiteres Kriterium die Dauer der Geschäftsunfähigkeit hinzukommen. Es wäre absurd, einen Vertreter wegen einer nur vorübergehenden Geschäftsunfähigkeit, die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits nicht mehr besteht, aus der Liste der zugelassenen Vertreter zu löschen. Für die Entscheidung über die Geschäftsunfähigkeit im Sinne der Regel 102 (2) a) EPÜ bietet also folgende Frage einen guten Anhaltspunkt: Ist der betreffende Vertreter geistig in der Lage, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen, oder ist er auf Dauer unfähig, vernünftige Entscheidungen zu treffen und die erforderlichen Handlungen vorzunehmen?
6. Da es sich hier um ein von Amts wegen, nach dem Untersuchungsgrundsatz durchgeführtes Verfahren handelt, muß das Europäische Patentamt beweisen, daß die Geschäftsunfähig keit von Dauer ist; es muß dabei die Rechte, die dem betreffenden Vertreter aufgrund des Übereinkommens und der allgemeinen Rechtsgrundsätze zustehen, in vollem Umfang wahren.
7. Die Rechtsabteilung hat ihre Entscheidung im vorliegenden Fall aufgrund folgender Beweismittel getroffen:
a) des medizinischen Gutachtens
b) der eidesstattlichen, vor einem Notar abgegebenen Erklärung ... zweier Zeugen, die den Beschwerdeführer besucht haben
c) der Tatsache, daß im fraglichen Zeitraum viele der rund 40 vom Beschwerdeführer bearbeiteten Patentanmeldungen wegen Fristversäumung verfallen sind
d) des Eingeständnisses des Beschwerdeführers, ... daß er alleine nicht in der Lage gewesen sei, die Fristen ordnungsgemäß zu überwachen
8. Die ersten beiden Beweismittel, nämlich das medizinische Gutachten und die notarielle Erklärung, sind der Rechtsabteilung, wie aus deren Bescheid vom ... hervorgeht, im Zusammenhang mit ... europäischen Patentanmeldungen zur Kenntnis gebracht worden, bei denen der Beschwerdeführer der Vertreter war. Aus den Akten dieser Anmeldungen geht hervor, daß diese Beweismittel von einem Dritten (dem Inhaber der Anmeldungen) zur Begründung von Anträgen auf Unterbrechung des Verfahrens nach Regel 90 (1) c) EPÜ vorgelegt worden waren. Die Kammer ist der Auffassung, daß diese Beweismittel zwar die Einleitung einer Untersuchung durch die Rechtsabteilung rechtfertigen, aber nicht ausreichen, um überzeugend darzu legen, daß sich die Geschäftsunfähigkeit des Beschwerdeführers nicht auf den fraglichen Zeitraum beschränkt hat, sondern von Dauer ist. Die Rechtsabteilung hätte in diesem Fall vor einer Entscheidung unbedingt zusätzliche Beweise erheben müssen, um anhand eines auf ihren Antrag hin erstellten zusätzlichen medizinischen Gutachtens feststellen zu können, ob der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ihn auf Dauer unfähig macht, seinen Pflichten als Vertreter nachzukommen.
9. Das dritte Beweismittel, nämlich der Verfall zahlreicher Patentanmeldungen infolge Fristversäumung, den der Beschwerdeführer in seiner Erwiderung auf den Bescheid der Rechtsabteilung durch das Eingeständnis bestätigt hat, daß er nicht in der Lage gewesen sei, die Fristen zu überwachen, erhärtet zwar die Behauptung, der Beschwerde führer sei im fraglichen Zeitraum geschäftsunfähig gewesen. Es reicht allein jedoch nicht zum Beweis einer dauernden Geschäftsunfähigkeit aus.
10. Schließlich kann das Eingeständnis des Beschwerdeführers, daß er allein nicht in der Lage war, die Fristen ordnungsgemäß zu überwachen, nicht als Eingeständnis seiner Unfähigkeit gewertet werden, diesen Teil seiner Pflichten als Vertreter wahrzunehmen. Die Feststellung des Beschwerdeführers erscheint im Gegenteil überaus vernünftig; aus eben diesem Grunde nämlich übertragen die meisten zugelassenen Vertreter, wie der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung bemerkt, diesen Teil ihrer Aufgaben vertrauenswürdigem Büropersonal. Das heißt aber nicht, daß sie unfähig sind, diesen Teil ihrer Pflichten wahrzunehmen.
11. Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß die Gründe, auf die die Rechtsabteilung ihre Entscheidung zur Löschung gestützt hat, nach Ansicht der Kammer keineswegs ausreichen, um den Beweis zu erbringen, daß der Beschwerdeführer auf Dauer geschäftsunfähig ist.
12. ...
13. Wenn der Beschwerdeführer wahrscheinlich unfähig ist, seine Mandanten vor dem EPA zu vertreten, dann muß nach Auffassung der Kammer angenommen werden, daß er auch unfähig ist, seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Die angefochtene Entscheidung verstößt somit auch gegen Artikel 113 (1) EPÜ, da der Beschwerdeführer, soweit er geschäftsunfähig war, nicht rechtsverbindlich zu den Gründen ... Stellung nehmen konnte, auf die sich die angefochtene Entscheidung stützt. Ihm hätte in dem Verfahren ein zu diesem Zweck bestellter Beistand zur Seite stehen müssen.
14. Unter diesen Umständen muß die Entscheidung der Rechtsabteilung ... aus den oben genannten Gründen aufgehoben und die Sache an die Rechtsabteilung zurückverwiesen werden, damit diese durch entsprechende Beweisaufnahme nach Artikel 117 und Regel 72 EPÜ feststellen kann, ob der Beschwerdeführer tatsächlich auf Dauer unfähig ist, seinen beruflichen Pflichten als Vertreter beim EPA nachzukommen; dabei muß sie dafür sorgen, daß der Beschwerdeführer mit Hilfe eines zu diesem Zweck bestellten Beistands zu allen Gründen rechtsverbindlich Stellung nehmen kann, auf die sich die neue Entscheidung stützt.
15. Da die oben genannten Verstöße gegen Artikel 113 (1) und Regel 84 EPÜ wesentliche Verfahrensmängel darstellen, ist gemäß Regel 67 EPÜ die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Rechtsabteilung vom ... wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die Rechtsabteilung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.