European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1984:J001384.19841116 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 16 November 1984 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0013/84 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81400783.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Roussel-Uclaf | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | Die Aufforderung an den Anmelder, seine frühere Anmeldung gemäss Regel 25(1)(b) zu beschränken, muss klar und eindeutig formuliert sein, wenn sie voll wirksam sein soll. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Teilanmeldung/Zulässigkeit Aufforderung der Prüfungsabteilung Aufforderung zur Beschränkung |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 81 400 783.7 wurde am 19. Mai 1981 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 19. Mai 1980 eingereicht.
II. Die Prüfungsabteilung erhob in einem Bescheid vom 22. Februar 1983 unter Hinweis auf Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ insbesondere folgende Einwände:
4 - Erfinderische Tätigkeit
a) Bei dem Gegenstand der das Prioritätsrecht genießenden Anmeldung ... kann die leicht flammhemmende Wirkung der Verbindungen der vorliegenden Anmeldung, auf die die Anmelderin die erfinderische Tätigkeit zu stützen scheint, vorläufig nicht in Betracht gezogen werden ...
b) Mangelnde Einheitlichkeit der Zwischenprodukte Wenn es der Anmelderin gelingt, den Einwand nach 4a auszuräumen, könnte davon ausgegangen werden, daß die Zwischenprodukte ... nach den Patentansprüchen 19 und 20 (nicht jedoch die Zwischenprodukte ... nach dem Patentanspruch 21, der demnach zu streichen wäre oder den Gegenstand einer Teilanmeldung bilden könnte) mit den Endprodukten eine Einheit bilden ..." Die Prüfungsabteilung räumte der Anmelderin für die Erwiderung eine Frist von 4 Monaten ein.
III. In der Erwiderung vom 6. Juni 1983 bemühte sich die Anmelderin, die angezweifelte erfinderische Tätigkeit glaubhaft zu machen; sie nahm die grundsätzliche Gewährbarkeit der Ansprüche 19 und 20 zur Kenntnis und strich den Anspruch 21, setzte dabei jedoch folgendes hinzu: "Dem Vorschlag des Prüfers entsprechend reichen wir eine Teilanmeldung für die Zwischenprodukte ... sowie für deren Herstellungsverfahren ein". Mit Schreiben vom 26. August 1983 bestätigte sie ihre Absicht wie folgt: "reichen wir gemäß Artikel 76 und Regel 25 (1) a) EPÜ eine Teilanmeldung für die Zwischenprodukte ... ein".
IV. Die Teilanmeldung, die den früheren Patentanspruch 21 zum Gegenstand hat, wurde jedoch erst am 31. August 1983 ordnungsgemäß eingereicht. Sie erhielt die Nummer 83 201 252.0.
V. In der gemäß Regel 69 (1) EPÜ ergangenen Mitteilung vom 11. Oktober 1983 stellte die Eingangsstelle fest, daß die Teilanmeldung nicht innerhalb der in Regel 25 (1) b) vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingereicht worden sei, d. h. "innerhalb von zwei Monaten nach der auf Aufforderung durch die Prüfungsabteilung erfolgten Beschränkung der früheren ... Patentanmeldung", und daß ihr daher nicht derselbe Anmeldetag wie der Stammanmeldung zuerkannt werden könne.
VI. Nachdem die Anmelderin am 2. November 1983 aufgrund der Regel 69 (2) EPÜ eine Entscheidung über diese Feststellung beantragt hatte, bestätigte die Eingangsstelle am 17. Januar 1984, daß die Teilanmeldung ihres Erachtens nicht den Prioritätstag der früheren Patentanmeldung erhalten könne. Sie vertrat nämlich die Auffassung, daß es sich bei dem in dem Bescheid vom 22. Februar 1983 unter Nummer 4b Gesagten nicht um einen an die Anmelderin gerichteten reinen "Vorschlag" gehandelt habe, sondern daß damit für diese eine echte "Verpflichtung" entstanden sei, ihre Patentansprüche innerhalb der festgesetzten Frist zu ändern und gegebenenfalls eine Teilanmeldung entsprechend der Regel 25 (1) b) einzureichen, um in den Genuß des Prioritätstages der Stammanmeldung zu gelangen. Die Eingangsstelle vertrat ferner die Ansicht, daß sich die Anmelderin zu Unrecht auf Regel 25 1) a) berufen habe, um die Zulässigkeit einer Teilanmeldung zu begründen, die irgendwann, d. h. ungeachtet der Frist, eingereicht worden sei; am 31. August 1983 sei der Anspruch 21 nämlich bereits aus der ursprünglichen Anmeldung gestrichen gewesen; er habe somit nicht mehr bestanden und also auch nicht in eine Teilanmeldung umgewandelt werden können.
VII. Die Patentanmelderin hat gegen diese Entscheidung frist- und formgerecht Beschwerde eingelegt.
VIII. Zur Begründung der Beschwerde führt sie im wesentlichen aus, der Punkt 4b des Bescheides vom 22. Februar 1983 sei so zweideutig abgefaßt, daß sie ihn nicht als "Aufforderung" der Prüfungsabteilung zur Teilung der Anmeldung verstanden habe. Sie habe deshalb angenommen, daß sie die Regel 25 1) a), wonach "jederzeit" eine Teilanmeldung eingereicht werden könne, zu Recht in Anspruch nehmen könne, da sie ja keine "Aufforderung" im Sinne der Regel 25 (1) b) und bis zum 31. August 1983 auch keine Mitteilung nach Regel 51 (4) erhalten habe. Sie hat noch einmal vorgebracht, daß zum Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung der Anspruch 21 noch nicht endgültig aus der ursprünglichen Anmeldung gestrichen gewesen sei, da die Streichung von der Einreichung einer Teilanmeldung abhängig gemacht worden sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106, 107 und 108 sowie der Regel 64 EPÜ. Sie ist damit zulässig.
2. Da es sich um die Zulässigkeit einer Teilanmeldung als solche, also mit einer an die Stammanmeldung gebundenen Priorität handelt, gilt es zu prüfen, ob sie, wie die Eingangsstelle meint, im Rahmen der Regel 25 (1) b) eingereicht werden mußte, also innerhalb von zwei Monaten nach der auf Aufforderung der Prüfungsabteilung erfolgten Beschränkung der früheren ... Patentanmeldung" oder, wie die Beschwerdeführerin meint, im Rahmen der Regel 25 (1) a). Im letzteren Fall kann die Anmeldung "jederzeit, nachdem die frühere ... Patentanmeldung dem Europäischen Patentamt zugegangen ist", mit den in der Regel genannten Vorbehalten eingereicht werden.
3. Die Beschwerdeführerin macht im wesentlichen geltend, daß der Bescheid, der am 22. Februar 1983 an sie ergangen war, keine echte "Aufforderung" im Sinne der Regel 25 (1) b) enthalten habe und somit auch nicht die für die Zulässigkeit einer Teilanmeldung erforderliche Frist von zwei Monaten, gerechnet von der erfolgten Änderung an, in Gang gesetzt habe.
4. Dieses Argument ist zunächst unter dem Gesichtspunkt des gesunden Menschenverstandes und der landläufigen Bedeutung des französischen Wortes "requête" zu prüfen. "Requête" (in der deutschen und der englischen Fassung der Regel 25 wird das Wort "Aufforderung" bzw. "invitation" verwendet) bedeutet in der Gemeinsprache nach Littré nur "une demande ou prière instante" (Bitte oder inständige Bitte), schließt in der Rechtssprache aber die Anrufung eines Gerichts oder jedenfalls Rechtsfolgen ein und dürfte daher eigentlich nicht im Konditional und schon gar nicht als beiläufiger, in Klammern gesetzter Vorschlag formuliert werden. Unter diesem Gesichtspunkt war die in dem streitigen Bescheid verwendete Ausdrucksweise dazu angetan, bei der Empfängerin zumindest Unsicherheit aufkommen zu lassen, was um so bedauerlicher ist, als durch einen klaren Hinweis auf die Regel 25 (1) b) jede Zweideutigkeit ohne weiteres hätte vermieden werden können.
5. Es ist bezeichnend, daß die Eingangsstelle für die Erklärung, daß der Bescheid vom 22. Februar 1983 sehr wohl eine "Aufforderung" im Sinne der Regel 25 (1) b) darstelle, 22 Schreibmaschinenzeilen benötigt hat und auf eine Grammatik verweisen mußte. Ihre Argumentation ist übrigens nicht sehr überzeugend, weil die Schlüsselverben in der angeblichen Aufforderung ("dem Patentanspruch 21, der ... zu streichen wäre oder den Gegenstand einer Teilanmeldung bilden könnte") nun einmal im Konditional stehen, was den von der Eingangsstelle in der angefochtenen Entscheidung bestätigten Befehlscharakter, den eine Aufforderung in der Regel hat, erheblich abschwächt.
6. Für das EPA, das im Gegensatz zu den nationalen Organen in mehreren Sprachen arbeiten muß (Art. 14 EPÜ), gilt in besonderem Maße, daß in jedem Falle eine klare und möglichst auch einfache und knappe Ausdrucksweise gewählt werden sollte. Diese Forderung ist um so wichtiger, als die Patentanmelder nicht unbedingt die Verfahrenssprache als Muttersprache sprechen und im übrigen ihre Anmeldung gemäß Artikel 14 (2) auch in einer anderen Sprache als Deutsch, Englisch oder Französisch einreichen können.
7. Im vorliegenden Fall war nicht klar -selbst wenn es grammatikalisch zur Not vertretbar gewesen wäre -, daß die Prüfungsabteilung die Anmelderin zur Einreichung einer Teilanmeldung "aufforderte" in der stärksten Bedeutung des Wortes, d. h. mit allen Rechtsfolgen, insbesondere Fristen, die mit einer solchen Aufforderung verbunden sind. Eine Aufforderung an den Anmelder, seine frühere Anmeldung gemäß Regel 25 (1) b) zu beschränken, muß unbedingt klar und eindeutig formuliert sein, wenn sie voll wirksam sein soll. Da dies hier nicht der Fall war, ist die Zulässigkeit der am 31. August 1983 erfolgten Teilanmeldung unabhängig von den besonderen Erfordernissen der Regel 25 (1) b) zu beurteilen.
8. Regel 25 (1) a) macht die Zulässigkeit der Teilanmeldung von zwei Alternativbedingungen abhängig:
- entweder von der Einhaltung der im ersten Bescheid der Prüfungsabteilung festgesetzten Frist
- oder von dem Einverständnis der Prüfungsabteilung, wenn sie die Einreichung einer Teilanmeldung für sachdienlich" hält.
9. Im vorliegenden Fall ist die Teilanmeldung am 31. August 1983, also eindeutig erst nach Ablauf der am 22. Februar 1983 festgesetzten Frist von vier Monaten, eingereicht worden. Da jedoch andererseits die Einreichung der Teilanmeldung von der Prüfungsabteilung wenn nicht gefordert, so doch zumindest "angeregt" worden war, durfte die Anmelderin zu Recht annehmen, daß die Prüfungsabteilung sie für sachdienlich hielt. Eines der beiden Erfordernisse nach Regel 25 (1) a) war somit erfüllt, und die Teilanmeldung konnte daher am 31. August 1983 wirksam eingereicht werden.
10. Dieser Auslegung hält die angefochtene Entscheidung entgegen, daß der Patentanspruch 21, der schon am 6. Juni 1983 aus der Anmeldung herausgenommen worden sei, am 31. August 1983 nicht mehr Teil der Stammanmeldung gewesen sei und daher nicht in eine Teilanmeldung habe umgewandelt werden können. Eine solche Einschätzung trägt dem Sachverhalt und der Konditionalform des am 6. Juni 1983 nur im Hinblick auf eine spätere Teilanmeldung formulierten Verzichts nicht Rechnung. Die Anmelderin hat nämlich dem EPA an diesem Tage unter Einreichung einer Neufassung der Patentansprüche 19 und 20 folgendes mitgeteilt: "Dem Vorschlag des Prüfers entsprechend reichen wir eine Teilanmeldung für die Zwischenprodukte mit den Formeln VIII und X sowie für deren Herstellungsverfahren ein", was de facto dem alten Patentanspruch 21 entspricht. Das Präsens hat hier die Bedeutung eines Futurs; die Worte "wir reichen ein" machen die Verbindung der beiden Handlungen, nämlich die Streichung eines Patentanspruchs und die Einreichung einer Teilanmeldung, hinreichend deutlich, soweit sie sich nicht schon aus dem gesamten Sachverhalt ergibt. Ganz allgemein gilt, was im Leitsatz einer Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 25. März 1981 (J 11/80, ABl. EPA 1981, 141) wie folgt formuliert ist: "Einer Erklärung, daß eine europäische Patentanmeldung zurückgenommen wird, sollte ohne Rückfrage nur dann stattgegeben werden, wenn die Erklärung keinerlei Vorbehalte enthält eindeutig ist", was hier offensichtlicht nicht der Fall war. Dieselbe Rechtsauffassung wurde in einer Entscheidung vom 3. August 1984 (J 24, 25 und 26/82, ABl. EPA 1984, 467) vertreten; danach ist bei einer Zurücknahme von Patentansprüchen gerade im Rahmen der Regel 25 (1) die Beschränkungsabsicht des Anmelders nicht isoliert aufgrund dieses oder jenes Satzes, sondern im Zusammenhang des gesamten Verfahrens auszulegen. Im folgenden Fall liegt zudem keinerlei Willenserklärung der Anmelderin vor, der sich entnehmen ließe, daß sie den Gegenstand des streitigen Patentanspruchs 21 am 6. Juni 1983 oder später schlichtweg fallenlassen wollte. Unter diesen Umständen ist der Beschwerde stattzugeben und die am 31. August 1983 eingereichte Teilanmeldung für zulässig zu erklären.
11. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufgrund der Regel 67 EPÜ ist nicht beantragt worden und wäre unter diesen Umständen auch nicht gerechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle vom 17. Januar 1984 wird aufgehoben.
2. Die am 31. August 1983 eingereichte europäische Teilanmeldung gilt als am Tag der früheren Anmeldung, dem 19. Mai 1981, eingereicht und genießt den mit dieser Anmeldung verbundenen Prioritätstag, den 15. Mai 1980, mit der Maßgabe, daß ihr Inhalt nicht über den der früheren Anmeldung hinausgeht.