J 0008/84 (Anspruchsgebühren-Österreich) of 28.5.1985

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1985:J000884.19850528
Datum der Entscheidung: 28 Mai 1985
Aktenzeichen: J 0008/84
Anmeldenummer: 83105946.4
IPC-Klasse: C07C
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Blendax
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: Enthält eine europäische Patentanmeldung oder ein europäisches Patent einen gesonderten Satz von Patentansprüchen im Hinblick darauf, dass ein benannter Vertragsstaat einen Vorbehalt nach Artikel 167(2)(a) EPÜ gemacht hat, so ist für die Gebührenberechnung Regel 31 EPÜ (gebührenpflichtige Patentansprüche) nur auf den Satz von Patentansprüchen anzuwenden, der die meisten Ansprüche enthält.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(4)
European Patent Convention 1973 Art 167(2)
European Patent Convention 1973 R 31
European Patent Convention 1973 R 87
Schlagwörter: Anspruchsgebühren/Österreich
Gebührenpflicht bei gesonderten Anspruchssätzen
Gesonderte Anspruchssätze/Gebührenpflicht
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0030/89
J 0011/12

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 83 105 946.4 (Veröffentlichungsnummer: 0 101 807) wurde am 17. Juni 1983 eingereicht. Sie enthält zwei Sätze von je 15 Patentansprüchen, von denen der zweite Satz für Österreich bestimmt ist. Zusammen mit den allgemeinen Gebühren wurden fünf Anspruchsgebühren zu DM 60,--, zusammen DM 300,-- gezahlt. Mit Bescheid vom 18. Juli 1983 forderte die Eingangsstelle den Anmelder auf, innerhalb von zwei Monaten fünf weitere Anspruchsgebühren für den Anspruchssatz für Österreich zu zahlen. Am 12. August 1983 zahlte der Anmelder diese Gebühren in Höhe von DM 300,--und beantragte zugleich deren Rückzahlung, weil die Erhebung zusätzlicher Anspruchsgebühren im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt sei. Bei diesen Anspruchssätzen handele es sich um eine rechtliche Notwendigkeit, weil Österreich von dem nach Artikel 167 (2) EPÜ möglichen Vorbehalt Gebrauch gemacht habe (vgl. auch ABl. EPA 6-7/1979, 289).

II. Durch Entscheidung der Eingangsstelle des EPA vom 30. Dezember 1983 wurde der Antrag auf Rückzahlung der Anspruchsgebühren für Österreich abgelehnt. Zur Begründung wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt: Bei Anwendung von Regel 31 (1) EPÜ nach ihrem reinen Wortlaut seien im vorliegenden Fall (bei 2 X 15, also 30 Ansprüchen) sogar 20 Anspruchsgebühren zu zahlen gewesen. Die Praxis des EPA trage der hier gegebenen rechtlichen Situation bereits dadurch Rechnung, daß sie jede Reihe von Ansprüchen gesondert betrachte, also auch in der zweiten Anspruchsreihe die ersten 10 Ansprüche nicht mit Gebühren belaste. Dabei wurde hervorgehoben, daß sich diese Praxis auf alle Fälle zulässiger gesonderter Anspruchssätze beziehe, also auch auf den Fall einer Notwendigkeit gesonderter Anspruchssätze wegen älterer europäischer Patentanmeldungen (Regel 87 EPÜ) wie auf den Fall älterer nationaler Patentanmeldungen (vgl. Rechtsauskunft des EPA 9/81, ABl. EPA 1981, 68). Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, auch die über 10 hinausgehenden Ansprüche einer weiteren Anspruchsreihe außer Betracht zu lassen. Regel 31 stelle allein auf die Zahl der Ansprüche ab, ungeachtet zu welchem Zweck die Ansprüche aufgestellt würden. Auch könne das vorgetragene Argument, die zusätzlichen Ansprüche verursachten keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand, nicht berücksichtigt werden. Das Argument sei teilweise inhaltlich unzutreffend. Im übrigen beziehe sich das Argument auf die Berechtigung einer Gebührenpflicht mit Rücksicht auf den vorliegenden besonderen Sachverhalt. Da der Gesetzgeber für diesen Sachverhalt jedoch keine Ausnahmeregelung getroffen habe, sei das EPA auch im vorliegenden Fall an die Regel 31 EPÜ gebunden.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin am 1. März 1984 Beschwerde ein und begründete sie im wesentlichen wie folgt: Die Regel 31 EPÜ sei auf besondere Anspruchssätze, die mit Rücksicht auf sich aus dem EPÜ ergebende rechtliche Besonderheiten notwendig seien, entweder uneingeschränkt oder überhaupt nicht anwendbar. Unlogisch sei es, wenn die Eingangsstelle die ersten 10 Ansprüche eines besonderen Anspruchssatzes von Gebühren freistelle, sich aber hinsichtlich weiterer Ansprüche durch den Wortlaut von Regel 31 EPÜ gebunden fühle, Anspruchsgebühren zu erheben. Im vorliegenden Fall sei Regel 31 EPÜ überhaupt nicht anwendbar. Eine an Sinn und Zweck dieser Regel orientierte Auslegung führe dazu, ihre Anwendung auf Ansprüche zu beschränken, die der Anmelder "zusätzlich", aber nicht aus rechtlichen Besonderheiten "parallel" zu gegebenen Ansprüchen bilde.

IV. Die Anmelderin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rückzahlung von DM 300,-- an Anspruchsgebühren wie auch der Beschwerdegebühr anzuordnen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Mit der Beschwerde stellt sich die Rechtsfrage, wie Regel 31 EPÜ über die Gebührenpflicht von Patentansprüchen anzuwenden ist, wenn eine Patentanmeldung einen gesonderten Anspruchssatz im Hinblick darauf enthält, daß ein benannter Vertragsstaat einen Vorbehalt nach Artikel 167 (2) a) EPÜ gemacht hat. Die Rechtsgrundlage dafür, daß derartige gesonderte Anspruchssätze in der Praxis des EPA überhaupt zugelassen werden, wurde durch eine analoge Anwendung von Regel 87 geschaffen (vgl. Rechtsauskunft des EPA Nr. 9/81 in ABl. EPA 3/1981, 68). Die gestellte Frage beantwortet sich daher daraus, wie Regel 31 im Falle der Regel 87 EPÜ anzuwenden ist, also dann, wenn gesonderte Anspruchssätze für bestimmte Vertragsstaaten vorgelegt werden, weil für diese eine frühere europäische Patentanmeldung nach Art. 54 (3) und (4) EPÜ zu beachten ist.

3. Die Regel 31 EPÜ macht nach ihrem Wortlaut keinen Unterschied hinsichtlich der Art der Patentansprüche, die einer Gebührenpflicht unterworfen werden, oder nach den Gründen, die den Anmelder veranlassen, die Ansprüche aufzustellen. Das EPÜ kennt aber als Regelfall nur die Situation eines einzigen Anspruchssatzes für alle in der europäischen Patentanmeldung benannten Vertragsstaaten und dies selbst dann, wenn mehrere Anmelder einer Anmeldung jeweils verschiedene Vertragsstaaten benannt haben (vgl. Artikel 59 und 118 EPÜ).

4. Als Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine europäische Patentanmeldung nur einen Anspruchssatz für alle Vertragsstaaten haben kann, ist im Übereinkommen ausdrücklich nur Regel 87 vorgesehen. Diese Ausnahme ist eine rechtliche Notwendigkeit. Um für die betroffenen Vertragsstaaten überhaupt einen Schutz zu erhalten, muß der Anmelder für diese Staaten Patentansprüche modifizieren, die er für andere Staaten ohne Berücksichtigung der für sie nicht geltenden früheren europäischen Patentanmeldung abfassen kann. Es handelt sich daher um rechtlich bedingte, inhaltliche Variationen von Ansprüchen, eigentlich aber nicht um "weitere" Ansprüche (vgl. den deutschen Text von Regel 31 (1) S. 1 EPÜ). Die Regel 31 muß daher - trotz ihres Wortlauts, der keine Unterschiede hinsichtlich der Art der Ansprüche macht - nicht so verstanden werden, daß sie auf jedwede Art von Ansprüchen anzuwenden ist. Die Regel kann vielmehr auch so verstanden werden, daß sie nur für den Normalfall der für alle benannten Vertragsstaaten einheitlichen Patentansprüche gilt.

5. Auch der Zusammenhang, in dem die Regel 31 steht, deutet darauf hin, daß sie nur für diesen Normalfall gedacht ist. Artikel 84 Satz 2 EPÜ verlangt, daß die Patentansprüche "knapp gefaßt" sind. Die der Regel 31 vorangehende Regel 29 (5) sagt, daß sich "die Anzahl der Patentansprüche bei Berücksichtigung der Art der beanspruchten Erfindung in vertretbaren Grenzen halten soll". Darauf folgt Regel 31, die Patentansprüche vom elften an gebührenpflichtig macht. Obwohl in den Materialien zum europäischen Patentrecht über den Normzweck von Regel 31 nichts ausdrücklich gesagt ist, kann aus diesem Zusammenhang doch gefolgert werden, daß die Anspruchsgebühren in erster Linie als Mittel gedacht sind, den Anmelder zur Einhaltung der Regel 29 (5) EPÜ anzuhalten. Außerdem mag darin auch ein gewisser Ausgleich für die erhöhte Arbeitsbelastung des Amts gesehen werden.

6. Diesen in einem Zusammenhang stehenden Vorschriften des Artikels 84 Satz 2, der Regel 29 (5) und der Regel 31 EPÜ läßt sich der Fall der Regel 87 EPÜ nicht zuordnen. Falls eine frühere europäische Patentanmeldung nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ für bestimmte Vertragsstaaten berücksichtigt werden muß, ist der Anmelder gezwungen, einen besonderen Anspruchssatz vorzulegen, sofern er für diese Vertragsstaaten nicht überhaupt auf einen Schutz verzichten will. Das Übereinkommen selbst erzwingt und ermöglicht hier eine Ausnahme von der Regel, daß die Patentansprüche für alle Vertragsstaaten einheitlich sind. Diese Situation hat mit dem Erfordernis der Knappheit der Ansprüche nach Artikel 84 Satz 2 und ihrer zahlenmäßigen Beschränkung nach Regel 29 (5) EPÜ nichts zu tun.

7. Auch aus der Abfassung von Regel 31 EPÜ läßt sich erkennen, daß sie auf den Normalfall der für alle Vertragsstaaten einheitlichen Anspruchsfassung und nicht auf den Fall der Regel 87 EPÜ abzielt. Regel 31 EPÜ ist in ihrem Absatz 1 auf die europäische Patentanmeldung bei Einreichung ausgerichtet. Absatz 2 ist dazu eine Ergänzung im Hinblick auf eine etwaige Vermehrung der Ansprüche bis zum Zeitpunkt der Patenterteilung. Regel 87 EPÜ hingegen geht davon aus ("Stellt das EPA fest, ..."), daß gesonderte Ansprüche mit Rücksicht auf Artikel 54 (3) und (4) erst im Laufe des Prüfungsverfahrens notwendig werden. Es bestätigt somit auch die Abfassung der Regeln 31 und 87 EPÜ, daß Regel 31 nur für den Normalfall der für alle Vertragsstaaten einheitlichen Ansprüche gilt.

8. Auch die Materialien zum EPÜ zeigen, daß Regel 31 und Regel 87 EPÜ keinerlei Beziehung zueinander haben. Regel 31 ist aus der Vorschrift "Zu Artikel 70 -Nr. 1 - Zahl der Patentansprüche" im "Vorentwurf einer Ausführungsordnung zum Abkommen über ein europäisches Patentrecht" (Dok. 4419/IV/63 vom 20. Januar 1986) hervorgegangen. In diesem sog. Vorentwurf 1962/64 gab es nur eine einzige, für alle Staaten identische, zu einem einheitlichen Patent führende Anspruchsfassung. In den späteren Vorarbeiten zum EPÜ wurde einerseits die Regelung betreffend die Zahl der Patentansprüche übernommen und weiter ausgestaltet. Ganz unabhängig davon ist andererseits aus der Möglichkeit der Benennung einzelner, von Anmeldung zu Anmeldung verschiedener Staaten die Regelung in Art. 54 (4) und daraus notwendigerweise Regel 87 EPÜ entstanden.

9. Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich somit, daß Regel 31 EPÜ nicht auf zwei (oder gar mehrere) Sätze von Patentansprüchen je gesondert anzuwenden ist, wenn sich die Vorlage dieser Anspruchssätze in Hinblick auf Artikel 54 (3) und (4) EPÜ als rechtlich zwingend ergibt. Dies bedeutet, daß Regel 31 EPÜ in einer solchen Situation nur auf den Anspruchssatz anzuwenden ist, der die meisten Ansprüche enthält.

10. Entsprechendes gilt auch dann, wenn ein gesonderter Anspruchssatz im Hinblick darauf vorgelegt wird, daß ein benannter Vertragsstaat einen Vorbehalt nach Artikel 167 (2) a) EPÜ gemacht hat. Für diesen Fall wurde die Möglichkeit der Vorlage gesonderter Ansprüche in Analogie zu Artikel 54 (3) und (4) i.V.m. Regel 87 EPÜ bejaht (Rechtsauskunft des EPA Nr. 9/81, in ABl. EPA 1981, 68). Beide Fälle haben gemeinsam, daß rechtliche Gründe, die sich aus dem Übereinkommen ergeben, dazu zwingen, die Patentansprüche für einen bestimmten Vertragsstaat abzuwandeln gegenüber den für die übrigen Vertragsstaaten geltenden Ansprüchen. Die Tatsache, daß hier die Vorlage des gesonderten Anspruchssatzes in der Regel bei Einreichung der Anmeldung erfolgt (vgl. Rechtsauskunft des EPA Nr. 4/80, ABl. EPA 1980, 48), ändert nicht an dieser Betrachtungsweise. Dies beruht darauf, daß hier die Rechtslage im voraus bekannt ist, während sie sich im Falle des Artikels 54 (3) und (4) EPÜ in der Regel erst während des Erteilungsverfahrens herausstellt.

11. Die bisherige Praxis des EPA bei der Auslegung der Regel 31 (vgl. Mitteilung im ABl. EPA 6-7/1979, 289, 292) hat weitgehend Zustimmung gefunden und ist, soweit für die Beschwerdekammer ersichtlich, auch von den betroffenen Anmeldern akzeptiert worden; zumindest sind der Beschwerdekammer keine Beschwerden bekanntgeworden, mit der sich Anmelder gegen eine solche Auslegung der Rechtslage gewandt hätten. Die in diesen Fällen entrichteten Gebühren sind daher auch verfallen. Die von der bisherigen Rechtslage abweichende Auffassung der Beschwerdekammer hat jedoch für die Beschwerdeführerin, die nur unter Vorbehalt gezahlt und Beschwerde erhoben hat, zur Folge, daß die nach der vorliegenden Entscheidung ohne Rechtsgrund gezahlten Gebühren zurückzuerstatten sind.

12. Die beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist im Hinblick auf Regel 67 EPÜ nicht möglich. Der hierzu als Voraussetzung geforderte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Tatsache, daß das EPA in der Frühphase seiner Entwicklung (d. h. 1979) die Regel 31 EPÜ anders betrachtet und angewendet hat, als es der nun vorgenommenen Auslegung dieser Regel durch die Beschwerdekammer entspricht, ist kein Verfahrensfehler.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 30. Dezember 1983 wird aufgehoben.

2. Die Rückzahlung von Anspruchsgebühren in Höhe von DM 300,- wird angeordnet.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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