European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1983:J000783.19831202 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 02 Dezember 1983 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0007/83 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81420026.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Mouchet | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | Wird das europäische Patenterteilungsverfahren wegen eines gerichtlichen Vergleichsverfahrens unterbrochen (R. 90(1)(b) EPÜ), so wird dadurch der Ablauf der in Artikel 94(2) fest- gesetzten Frist für die Entrichtung der Prüfungsgebühr von dem gerichtlich festgesetzten Zeitpunkt der Einstellung der Zahlungen bis zu dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Erteilungsverfahrens (R.90(2)) gehemmt. Die Frist läuft dann für die verbliebene Zeit, mindestens jedoch für die in Regel 90(4) zweiter Satz vorgesehene Zeit von zwei Monaten weiter. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Unterbrechung des Verfahrens Frist für die Entrichtung der Prüfungsgebühr Prüfungsgebühr/Frist für die Entrichtung Gerichtliches Vergleichsverfahren |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 81 420 026.7 wurde am 2. März 1981 unter Beanspruchung einer Priorität vom 28. Februar 1980 eingereicht. Im Europäischen Patentblatt wurde am 9. September 1981 auf die Veröffentlichung des europäischen Recherchenberichts hingewiesen. Der schriftliche Prüfungsantrag nach Artikel 94 (1) EPÜ war von der Anmelderin bereits am 2. März 1981, dem Anmeldetag, gestellt worden. Die sechsmonatige Frist für die Entrichtung der entsprechenden Gebühr lief nach Artikel 94 (2) regulär am 9. März 1982 ab.
II. Da bis zu diesem Zeitpunkt keine Zahlung eingegangen war, teilte die Eingangsstelle dem Vertreter der Anmelderin mit Schreiben vom 2. April 1982 mit, daß nach Artikel 94 (2) der Prüfungsantrag als nicht gestellt anzusehen sei. Sie wies jedoch auf die Möglichkeit hin, den Rechtsverlust durch Zahlung der in Regel 85b EPÜ vorgesehenen Zuschlagsgebühr innerhalb der Nachfrist von zwei Monaten, also bis spätestens 10. Mai 1982. zu vermeiden. Die Prüfungsgebühr in Höhe von 1 980 DM und die Zuschlagsgebühr in Höhe von 990 DM wurden jedoch erst am 29. Juli 1982 entrichtet.
III. Bereits vorher war durch Beschluß des Tribunal de Grande Instance BELLEY vom 25. Februar 1982 das Vergleichsverfahren über die Anmelderin eröffnet und als Zeitpunkt der Einstellung der Zahlungen der 1. Januar 1982 festgesetzt worden. Das EPA wurde von der Einstellung der Zahlungen wie auch davon unterrichtet, wer die Berechtigung zur Fortsetzung des Verfahrens erlangt hatte. Diesem Berechtigten teilte das Amt am 30. November 1982 gemäß Regel 90 (2) mit, daß das Erteilungsverfahren am 10. Februar 1983 wiederaufgenommen werde. Am 11. Februar 1983 unterrichtete die Eingangsstelle die Anmelderin davon, daß die Patentanmeldung als zurückgenommen gelte, da die Prüfungsgebühr nicht innerhalb der Fristen nach Artikel 94 (2) und Regel 85b entrichtet worden sei. Über diese nach ihrem Dafürhalten unbegründete Feststellung eines Rechtsverlusts beantragte die Anmelderin eine Entscheidung, in der die Eingangsstelle dann am 31. März 1983 den bereits vorher festgestellten Rechtsverlust bestätigte.
IV. Die Eingangsstelle war nämlich der Auffassung, daß wegen der Ausnahme in Regel 90 (4) die Einstellung der Zahlungen der Anmelderin eine Unterbrechung der Frist für die Stellung des Prüfungsantrags und für die Entrichtung der entsprechenden Gebühr nicht zur Folge haben könne. Auch eine Hemmung dieser Frist sei nicht möglich, da in Regel 13 alle Fälle, in denen das Verfahren ausgesetzt werden könne, erschöpfend aufgezählt seien, die Einstellung der Zahlungen des Anmelders dort aber nicht erwähnt sei. Eine Verlängerung der strittigen Frist um bis zu zwei Monate nach Regel 90 (4) könne im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommen, da die Frist und die Nachfrist nach Regel 85b bei Wiederaufnahme des Verfahrens bereits abgelaufen gewesen seien. Die Eingangsstelle war überdies der Ansicht, daß eine gegenteilige Auslegung, die bereits nach der deutschen Fassung des Textes fraglich erscheine, durch den Wortlaut der englischen und der französischen Fassung völlig ausgeschlossen werde.
V. Die Anmelderin legte gegen diese Entscheidung frist- und formgerecht Beschwerde ein.
VI. Zur Begründung ihrer Beschwerde macht sie im wesentlichen folgendes geltend:
- Prinzipiell sei die Verfahrensunterbrechung begrifflich kaum mit dem Weiterlaufen von Fristen zu vereinbaren.
- In der Praxis sei es für eine im Vergleich befindliche Gesellschaft schwer, in der Zeit nach Erklärung der Zahlungseinstellung wichtige Handlungen wie die Stellung eines Antrags auf Prüfung der Patentfähigkeit oder die Zahlung der entsprechenden Gebühr vorzunehmen. Alles spreche nämlich für die Annahme, daß in dieser Zeit kein Vergleichsverwalter oder vom Anmelder ermächtigter Vertreter in der Lage sei, die Begründetheit des Vorgehens zu beurteilen.
- Schließlich sei die von der ersten Instanz in Anspruch genommene Auslegung der Regel 90 (4) weder logisch noch durch die maßgeblichen Rechtstexte zwingend vorgegeben; sie führe überdies zu einem ungerechten Ergebnis.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106, 107 und 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Aus dem EPÜ geht klar hervor, daß das europäische Patenterteilungsverfahren unterbrochen wird, "wenn der Anmelder ... aufgrund eines gegen sein Vermögen gerichteten Verfahrens aus rechtlichen Gründen verhindert ist, ... (es) fortzusetzen" (R. 90 (1) b)); diese Voraussetzung ist, wie im vorliegenden Fall, eindeutig gegeben, wenn gerichtlich die Einstellung der Zahlungen festgestellt und ein Vergleichsverfahren eröffnet worden ist.
3. Im vorliegenden Fall ist das Verfahren vor Ende der in Artikel 94 (2) festgelegten Frist für die Stellung des Prüfungsantrags unterbrochen worden, d. h., die Frist lief in der Phase ab, in der das Verfahren unterbrochen war. Es erhebt sich nun die Frage, ob diese Frist mit der Unterbrechung des Verfahrens ebenfalls unterbrochen worden oder unabhängig von der automatischen Unterbrechung des Verfahrens nach Regel 90 weitergelaufen ist. Die Antwort hierauf ist eng mit der Frage verknüpft, welche Wirkung die Unterbrechung des Verfahrens nach Regel 90 hat.
4. Regel 90 äußert sich nicht ausdrücklich zu den Rechtsfolgen der Unterbrechung des Verfahrens. In Absatz 1 heißt es lediglich: "Das Verfahren ... wird unterbrochen" ("la procédure ... est interrompue"; "proceedings ... shall be interrupted").
5. Regel 90 (4) behandelt das Ende der Unterbrechung oder genauer gesagt das Schicksal der unterbrochenen Fristen. Nach dem ersten Satz dieser Bestimmung "beginnen" die Fristen im allgemeinen "an dem Tag von neuem zu laufen, an dem das Verfahren wiederaufgenommen wird".
6. Bezüglich der im zweiten Satz der Regel 90 (4) ausdrücklich erwähnten Fristen, die während der Unterbrechung des Verfahrens ablaufen würden, bestehen grundsätzlich zwei Auffassungen:
- Die eine geht dahin, daß die Frist für die Stellung des Prüfungsantrags mit Ausnahme des Sonderfalls, in dem sie um bis zu zwei Monate verlängert werden kann, einfach weiterläuft (van EMPEL, The Granting of European Patents, Leyden 1975, Nr. 580). Diese Auslegung hat die Eingangsstelle für ihre Entscheidung gewählt.
- Die andere Auffassung - auf die sich die Beschwerdeführerin stützt - besagt, daß alle Fristen der Unterbrechung unterliegen, die normalen Fristen jedoch nach Ende der Unterbrechung von neuem zu laufen beginnen, während die Frist für die Stellung des Prüfungsantrags und die Frist für die Entrichtung der Jahresgebühren nur noch für die verbliebene Zeit weiterlaufen, also nach französischer Terminologie nur gehemmt sind. Diese für den Anmelder günstige Regelung wird in dem im zweiten Satz der Regel 90 (4) genannten Fall noch dadurch erweitert, daß dem Anmelder jedenfalls eine Mindestfrist von zwei Monaten garantiert wird (Paul Mathély, Le Droit Européen des Brevets, LINA 1978, S. 350).
7. Die hier entscheidende Frage läßt sich nicht durch eine Auslegung des Wortlauts der Regel 90 (4) klären. Nach Ansicht der Kammer ist bei der Auslegung von den ersten Worten der Regel 90 (das Verfahren ... wird unterbrochen) auszugehen. Eine Unterbrechung des Verfahrens ist nur in schwerwiegenden Fällen, wie z.B. dem Tod des Anmelders oder dem Konkurs seines Unternehmens, vorgesehen. In diesen Fällen wird das Verfahren unterbrochen, weil es möglicherweise, z.B. wenn die Erben noch nicht bekannt sind, niemanden mehr gibt, der das Verfahren weiterführen könnte. Da es bei dieser Unterbrechung nicht auf den Parteiwillen ankommt, tritt sie von Amts wegen ein.
8. Es kann nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, die Betroffenen für die Nichteinhaltung der fraglichen Frist zu bestrafen, wenn sie dieses Versäumnis nicht zu vertreten haben. Vom Standpunkt der Logik läßt sich eine Unterbrechung des Verfahrens kaum mit dem Weiterlaufen von Fristen vereinbaren. Ließe man es dennoch zu, so würde dies bei Ablauf der Frist während der Unterbrechung dazu führen, daß es zu keiner wirklichen Wiederaufnahme des Verfahrens käme, da nur noch der Rechtsverlust festzustellen bliebe. Daraus ergibt sich, daß die am Tag der Unterbrechung laufenden Fristen einschließlich der Frist für die Stellung des Prüfungsantrags grundsätzlich unterbrochen werden.
9. Die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Auslegung, daß bei einer Unterbrechung des Verfahrens in der Regel die Frist für die Stellung des Prüfungsantrags weiterläuft und sich nur in einem ganz bestimmten Fall verlängert, bedeutet, beispielsweise für die noch nicht bekannten Erben oder im vorliegenden Fall für einen Anmelder, der sich in so großen finanziellen Schwierigkeiten befindet, daß gerichtlich die Einstellung der Zahlungen festgestellt wurde, eine Härte, zu der die maßgeblichen Rechtstexte nicht zwingen.
10. Die Kammer erblickt in der Regel 90 (4) keine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Unterbrechung aller Fristen. Ausnahmen von einem solchen allgemeinen Prinzip - das auch aus dem nationalen Verfahrensrecht, z.B. Artikel 370 NCPC (französisches Recht) und §§ 239 ff ZPO (deutsches Recht), bekannt ist - können sich nur aus präzisen, unmißverständlichen Gesetzesbestimmungen ergeben. Regel 90 (4) stellt den Grundsatz der allgemeinen Unterbrechung des gesamten Verfahrens nicht in Frage. In diesem Absatz soll lediglich die Berechnung der Fristen bei Wiederaufnahme des Verfahrens geregelt werden. Von dem im ersten Satz des Absatzes 4 verankerten Prinzip, daß "die ... Fristen ... an dem Tag von neuem zu laufen (beginnen), an dem das Verfahren wiederaufgenommen wird", sind nur zwei Ausnahmen vorgesehen, von denen die eine eben die Stellung des Prüfungsantrags betrifft. Entsprechend der eigentlichen Bedeutung des Begriffs "Unterbrechung" kann die unterbrochene Frist in den beiden Ausnahmefällen, um die es hier geht, bei Wiederaufnahme des Verfahrens nur noch für die verbliebene Zeit weiterlaufen. Diese Rechtsfolge - Weiterlaufen der Frist nur für die verbliebene Zeit - ist in Regel 13 für den Sonderfall der Aussetzung des Verfahrens und in deren Absatz 5 in sehr allgemeinen Worten sogar für die Fristen mit Ausnahme der Fristen für die Zahlung der Jahresgebühren ausdrücklich vorgesehen. In der Regel 13 (5) wie auch in der im vorliegenden Fall allein maßgebenden Regel 90 (4) hat der Gesetzgeber - jeweils im zweiten Satz -vorgesehen, daß die dem Anmelder verbleibende Frist in keinem Fall kürzer als zwei Monate sein darf.
11. Da also vielmehr davon auszugehen ist, daß durch die Unterbrechung des Verfahrens der Ablauf der Frist für die Zahlung der Prüfungsgebühr gehemmt wird, ist im vorliegenden Fall festzustellen, daß diese Frist, die normalerweise am 9. März 1982 abgelaufen wäre, am 1. Januar 1982 (Zeitpunkt der Einstellung der Zahlungen) gehemmt und erst am 10. Februar 1983 (dem Tag der Wiederaufnahme des Verfahrens nach Regel 90 (2)) wieder in Gang gesetzt worden ist. Die Zahlung der 1 980 DM am 29. Juli 1982 erfolgte also weit vor Ablauf der Frist. Folglich muß die Entscheidung der ersten Instanz, daß die Patentanmeldung als zurückgenommen gelte, aufgehoben werden. Die zum gleichen Zeitpunkt entrichtete Zuschlagsgebühr von 990 DM wurde nicht geschuldet. Unter diesen Umständen muß die Rückzahlung dieses Betrags angeordnet werden.
12. Wird, wie es die Eingangsstelle getan hat, die Auffassung vertreten, daß bei einer Unterbrechung des Verfahrens die Frist für die Stellung des Prüfungsantrags und die Zahlung der entsprechenden Gebühr dennoch weiterläuft, so stellt dies im Sinne der Regel 67 EPÜ einen wesentlichen Verfahrensmangel, d.h. einen das gesamte Verfahren beeinträchtigenden objektiven Fehler, dar. Dies geht aus der deutschen Fassung ("wesentlicher Verfahrensmangel") vielleicht deutlicher hervor als aus der englischen und der französischen Fassung ("substantial procedural violation" bzw. "vice substantiel de procédure"). Unter diesen Umständen ist auch die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen, zumal dies der Billigkeit entspricht und der Beschwerde stattgegeben wird.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle vom 31. März 1983 wird aufgehoben.
2. Die Rückzahlung der Zuschlagsgebühr zur Prüfungsgebühr (R. 85b) und der Beschwerdegebühr wird angeordnet.