J 0012/82 (Verspaetet gestellter Pruefungsantrag) of 11.3.1983

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1983:J001282.19830311
Datum der Entscheidung: 11 März 1983
Aktenzeichen: J 0012/82
Anmeldenummer: 80870046.2
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: FR
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Floridienne
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: 1. Die Zahlung der Pruefungsgebuehr innerhalb der in Artikel 94(2) und Regel 85b vorgesehenen Fristen allein ist kein Ersatz für die rechtzeitige Stellung des Pruefungsantrags. Wird der Antrag nicht fristgerecht gestellt, gilt die europaeische Patentanmeldung nach Artikel 94(3) als zurueckgenommen.
2. Artikel 122(5) EPÜ schliesst die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht nur bei Versaeumung der Frist aus, die in dem dort ausdruecklich genannten Artikel 94(2) festgesetzt ist, sondern auch bei Versaeumung der Nachfrist nach Regel 85b, mit der die Frist fuer die Stellung des Prüfungsantrags verlaengert wird.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 94
European Patent Convention 1973 Art 122(5)
European Patent Convention 1973 R 85b
Schlagwörter: Prüfungsantrag/verspäteter
Wiederseinsetzung/keine in Regel 85b EPÜ
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0011/86
J 0016/90
J 0008/94
J 0004/00
J 0019/01
J 0009/02
J 0015/02
J 0020/03
T 0637/04

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 80 870 046.2 wurde am 23. Oktober 1980 eingereicht und am 6. Mai 1981 zusammen mit dem europäischen Recherchenbericht veröffentlicht. Gleichzeitig wurde im Europäischen Patentblatt auf die Veröffentlichung der Anmeldung und des Recherchenberichts hingewiesen; die in Regel 50(1) EPÜ vorgesehene Mitteilung wurde der Anmelderin mit Schreiben vom 11. Mai 1981 übersandt.

II. Mit Schreiben vom 4. Dezember 1981 wies die Eingangsstelle die Anmelderin darauf hin, daß sie innerhalb der Frist nach Artikel 94(2) EPÜ keinen Prüfungsantrag gestellt habe, die versäumte Handlung jedoch gemäß Regel 85b noch innerhalb einer Nachfrist von zwei Monaten, gerechnet vom 7. November 1981 an, unter Zahlung einer Zuschlagsgebühr nachholen könne; andernfalls gelte die Patentanmeldung als zurückgenommen.

Der Prüfungsantrag wurde jedoch erst in einem am 13. Januar 1982 beim Amt eingegangenen Fernschreiben gestellt, das mit einem Schreiben desselben Datums, das am 15. Januar 1982 beim Amt einging, bestätigt wurde. Die Prüfungsgebühr und die Zuschlagsgebühr waren jedoch bereits am 30. Dezember 1981 auf einem Postscheckkonto des Amts in Brüssel gutgeschrieben worden.

III. Die Eingangsstelle vertrat in ihrer Entscheidung vom 23. März 1982 die Auffassung, daß der Prüfungsantrag weder innerhalb der regulären Frist nach Artikel 94(2) EPÜ noch innerhalb der in Regel 85b vorgesehenen Nachfrist gestellt worden sei. Sie führte ferner aus, die Kopie des Auftrags zur Überweisung der Prüfungsgebühr hätte ausnahmsweise dem im Artikel 94 vorgeschriebenen Antrag gleichgestellt werden können; dieser Beleg sei dem EPA jedoch erst am 8. Januar 1982, also nach Ablauf der in Artikel 94 vorgesehenen Frist, zugegangen und habe daher nicht berücksichtigt werden können.

Die Eingangsstelle erklärte daher, daß die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gelte und die Anmelderin nicht wieder in ihre Rechte eingesetzt werden könne. Sie fügte hinzu, daß die Prüfungsgebühr und die Zuschlagsgebühr zurückgezahlt würden, sobald die Entscheidung rechtskräftig sei.

IV. Die Anmelderin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, die am 17. Mai 1982 beim Amt einging, und die Aufhebung der Entscheidung beantragt. Am 16. Juli 1982 wurde die Beschwerdebegründung beim Amt eingereicht. Die Beschwerdegebühr war bereits am 17. Mai 1982 entrichtet worden.

V. Die Beschwerdeführerin räumt zwar ein, daß die reguläre Frist und die Nachfrist bei Stellung des Prüfungsantrags bereits abgelaufen gewesen seien, meint jedoch, daß ein von ihr am 22. Dezember 1981 erteilter und von der Bank am 23. Dezember 1981 ausgeführter Überweisungsauftrag sowie die Gutschrift auf einem Postscheckkonto des Amts am 30. Dezember 1981 ihre Absicht, einen Prüfungsantrag zu stellen, schon zum ersten der drei genannten Zeitpunkte, also vor Ablauf der Nachfrist nach Regel 85b EPÜ, so hinreichend belegten, daß der Überweisungsauftrag dem Prüfungsantrag gleichgestellt werden könne. Sie führt ferner aus, daß sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden könne, daß das von ihr als "Original des Überweisungsauftrags" bezeichnete Schriftstück, das am 30. Dezember 1981 in Brüssel abgesandt worden sei, erst am 8. Januar 1982 in München eingetroffen sei.

VI. Sie beruft sich auf widrige Umstände, die die fristgerechte Stellung des Antrags verhindert hätten, insbesondere auf die damalige Abwesenheit des zuständigen Angestellten in ihrem Unternehmen, und beantragt die Wiedereinsetzung in ihre Rechte, ohne jedoch die in Artikel 122(3) EPÜ vorgesehene Gebühr entrichtet zu haben.

Auf die Aufforderung des Berichterstatters vom 29. September 1982, ihre Argumente näher zu erläutern, hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25. November 1982 erklärt, die Eingangsstelle scheine der Auffassung gewesen zu sein, daß das Amt ausnahmsweise davon hätte ausgehen können, daß die Frist für die Stellung des Prüfungsantrags eingehalten worden sei, wenn der Überweisungsauftrag dem Amt vor Ablauf der Nachfrist nach Regel 85b zugegangen wäre.

Sie hat zudem ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in aller Form wiederholt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ. Sie ist damit zulässig.

2. Gemäß Artikel 94(2) konnte der Prüfungsantrag bis zum 6. November 1981 gestellt werden, was nicht bestritten wird. Die Nachfrist von zwei Monaten lief am 6. Januar 1982 und nicht, wie die Beschwerdeführerin behauptet, am 7. Januar ab. Hinsichtlich der Berechnungsweise wird auf die Entscheidungsgründe zu der Entscheidung der Kammer vom 26. November 1982 (J 09/82 ABl. EPA 2/1983, 57) verwiesen, auf die hier nicht eingegangen zu werden braucht, da der Sachverhalt im vorliegenden Falle unerheblich ist, nachdem als Tag der Entrichtung der Gebühr der 30. Dezember 1981 und als Tag der Stellung des Prüfungsantrags der 13. Januar 1982 gilt.

3. Als erstes stellt sich im vorliegenden Fall die Frage. ob die vor Ablauf der Nachfrist für die Stellung des Prüfungsantrags erfolgte Zahlung der Prüfungsgebühr die Auffassung zuläßt, daß die Frist für die Stellung des Antrags selbst eingehalten worden ist. Dabei darf freilich nicht vom Datum des Überweisungsauftrags ausgegangen werden, das wie die Zahlung selbst innerhalb der Nachfrist liegt. Da die betreffende Gebühr am 30. Dezember 1981 auf dem Postscheckkonto des EPA in Brüssel gutgeschrieben worden ist, ist die Zahlung auch zu diesem Zeitpunkt erfolgt (Art. 8(1) GebO).

4. Wenn auch die Zahlung der Prüfungsgebühr zweifellos die Absicht erkennen läßt, den Prüfungsantrag zu stellen, so läßt doch die eindeutige Formulierung des Artikels 94 EPÜ keine extensive Auslegung zu; er schreibt nämlich vor, daß der Antrag schriftlich und innerhalb einer bestimmten Frist gestellt und die Prüfungsgebühr innerhalb derselben Frist entrichtet werden muß. Die Tatsache, daß eine oder zwei dieser Bedingungen erfüllt sind, kann den Anmelder nicht davon entbinden, innerhalb der festgesetzten Frist auch die dritte Bedingung zu erfüllen, sonst wäre der Artikel anders abgefaßt worden.

Überdies sei hierzu bemerkt, daß die Verfasser des Übereinkommens, d. h. die Vertragsstaaten, den fristgerecht gestellten Prüfungsantrag mit weitreichenden Wirkungen ausgestattet haben: Er kann nicht mehr zurückgenommen werden (Art. 94(2) letzter Satz); andererseits aber gilt die Patentanmeldung von Rechts wegen als zurückgenommen, wenn der Prüfungsantrag verspätet gestellt wird (Art. 94(3)).

5. Das in Artikel 122 EPÜ vorgesehene Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung ist nach Absatz 5 dieses Artikels insbesondere bei Versäumung der in Artikel 94(2) für die Stellung des Prüfungsantrags festgesetzten Frist ausdrücklich ausgeschlossen. Obwohl die Regel 85b über die Nachfrist zur Stellung des Prüfungsantrags in der Liste der Fälle, in denen eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen ist, nicht aufgeführt ist, ist diese Nachfrist der normalen Frist gleichzusetzen, was den Ausschluß der Wiedereinsetzung nach Artikel 122 betrifft.

6. Eine Nachfrist im Sinne der Regel 85b EPÜ ist nämlich eine Fristverlängerung und keine neue Frist, für die eine andere Regelung gelten könnte. Vom terminologischen Gesichtspunkt aus mag es daher bedauerlich erscheinen, daß die Regel 85b mit "Nachfrist" (englisch: "period of grace", französisch: "délai supplémentaire") überschrieben ist und nicht wie die Regel 85a mit "Verlängerung von Fristen" (englisch: "extension of time limits", französisch: "prolongation des délais"); doch kann aus diesen semantischen Unterschieden keine Rechtsfolge abgeleitet werden, zumal im Textteil der Regeln 85a und 85b ausschließlich der Ausdruck "Nachfrist" (englisch: "period of grace", französisch: "délai supplémentaire") verwendet wird.

7. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Verwaltungsrat der EPO mit der Annahme der Regeln 85a und 85b nicht beabsichtigt hat, den Anmeldern eine Wiedereinsetzung in die Nachfrist zu ermöglichen, während ihnen eine Wiedereinsetzung in die normale Frist des Artikels 94(2) verwehrt ist. So heißt es in der Begründung zur Einführung der Regel 85a, die dem Verwaltungsrat am 20. Oktober 1979 vom Präsidenten des EPA vorgelegt wurde, ausdrücklich: "Die Wiedereinsetzung in die verlängerte Frist bleibt ausgeschlossen" (Dok. CA/61/79, S. 2). Dieser Punkt lag offenbar so klar auf der Hand, daß er in den Erörterungen, die der Annahme des Rechtstextes vorausgingen, nicht zur Sprache kam; dies geht auch aus dem Protokoll über die 7. Tagung des Verwaltungsrats der EPO vom 26. bis 30. November 1979 in München hervor (Dok. CA/PV 7 Nrn. 217 bis 245). Da die Frage im Zusammenhang mit der Regel 85a ohne weiteres geklärt schien, wurde sie bei der Regel 85b nicht noch einmal gestellt, da dort dieselben Bedingungen vorlagen.

8. Überdies wäre es unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit paradox, sich demjenigen gegenüber, der die Nachfrist nicht einhalten kann, nachsichtiger zu zeigen als demjenigen gegenüber, der unter den gleichen Umständen die normale Frist nicht einhalten kann.

9. Würde man schließlich zulassen, daß die Wiedereinsetzung auch bei Versäumung der Frist nach Regel 85b EPÜ angewandt wird, so ließe sich damit das unzweideutige Verbot in Artikel 122(5) umgehen; eine solche Auslegung stünde eindeutig im Gegensatz zu dem, was die Verfasser des Übereinkommens beabsichtigt hatten.

10. Am Rande sei noch bemerkt, daß im vorliegenden Fall innerhalb der vorgeschriebenen Frist keine Gebühr für die Wiedereinsetzung gezahlt worden ist, so daß der Beschwerdeführerin allein schon deshalb das Recht, auf das sie Anspruch erhebt, nicht zusteht.

11. Die angefochtene Entscheidung ist daher in allen Punkten zu bestätigen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 23. März 1982 wird zurückgewiesen.

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