Zusammenfassung des Verfahrens
I. In der Entscheidung T 295/01 vom 7. September 2001 (ABl. EPA 2002, 251) untersuchte die Beschwerdekammer 3.3.4 einen Fall, in dem der Formalsachbearbeiter der Einsprechenden mit der Begründung, daß die Einspruchsgebühr nach Ablauf der in Artikel 99 (1) EPÜ festgelegten Frist entrichtet worden sei, zunächst eine Mitteilung über einen Rechtsverlust nach Regel 69 (1) EPÜ gesandt und anschließend eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ erlassen hatte. Da der Einspruch nach Auffassung des Formalsachbearbeiters als nicht eingelegt galt, wies er den Antrag auf Aufhebung der Mitteilung zurück. Hiergegen wurde Beschwerde eingelegt.
Die Kammer 3.3.4 vertrat die Ansicht, daß die Bestimmung unter Nummer 6 der Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 vom 28. April 1999 "über die Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter" mit den Regeln 9 (3) und 56 (1) EPÜ kollidiere. Diese Mitteilung (nachstehend "Mitteilung vom 28. April 1999") wurde im ABl. EPA 1999 auf Seite 506 unter Ziffer II als zweiter Teil der umfangreicheren Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 vom selben Datum veröffentlicht, die in derselben Amtsblattausgabe auf Seite 503 bekanntgemacht wurde und in der es darum ging, Bedienstete, die keine Prüfer sind, mit der Wahrnehmung von Geschäften nicht nur der Einspruchsabteilungen, sondern auch der Prüfungsabteilungen zu betrauen. Die Kammer führte aus, daß diese Regeln analog zu Artikel 164 (2) EPÜ der Mitteilung übergeordnet seien und dementsprechend vorgingen. Die Befugnisse, die der Präsident des Europäischen Patentamts (EPA) nach Regel 9 (3) EPÜ habe, könnten sich folglich nicht darauf erstrecken, Bediensteten dieses Amts Geschäfte (oder Befugnisse) zuzuweisen, für die gemäß anderen, rechtlich gleichrangigen Vorschriften eine andere Stelle allein zuständig sei. Aus diesem Grund hob die Kammer 3.3.4 mit der Feststellung, daß der Formalsachbearbeiter nicht zuständig sei, die von ihm erlassene Entscheidung als null und nichtig auf und verwies die Sache an die Einspruchsabteilung zurück.
II. In der Entscheidung T 1062/99 vom 4. Mai 2000 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) untersuchte die Beschwerdekammer 3.2.1 ebenfalls einen Fall, in dem die Einspruchsgebühr nach Ablauf der Einspruchsfrist entrichtet worden war. In dieser zweiten Sache hatte der Formalsachbearbeiter der Einsprechenden in Form eines einfachen Schreibens mitgeteilt, daß der Einspruch unzulässig sei, da er nicht innerhalb der in Artikel 99 (1) EPÜ festgelegten Frist eingelegt worden sei. Die Kammer 3.2.1 qualifizierte das Schreiben des Formalsachbearbeiters als eine anfechtbare Entscheidung und führte aus, daß es in diesem Zusammenhang keine Rolle spiele, daß nicht die Einspruchsabteilung selbst, sondern der Formalsachbearbeiter für die Einspruchsabteilung entschieden habe. Dies beruhe auf der amtsinternen Geschäftsverteilung und diene der Geschäftserleichterung.
Die Beschwerdekammer 3.2.1 bestätigte im Ergebnis die Entscheidung des Formalsachbearbeiters und wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, daß der Einspruch zu Recht als verspätet und damit als unzulässig angesehen worden sei.
III. Unter Hinweis auf die voneinander abweichenden Entscheidungen T 295/01 und T 1062/99 und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung hat der Präsident des EPA die Große Beschwerdekammer mit Schreiben vom 3. Juli 2002 gemäß Artikel 112 (1) b) EPÜ gebeten, zu den nachstehenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung Stellung zu nehmen, die bestimmte Vorschriften der Mitteilung vom 28. April 1999 betreffen:
1. Verstößt die Bestimmung unter Nummer 6 dieser Mitteilung gegen übergeordnete Vorschriften?
2. Verstößt die Bestimmung unter Nummer 4 dieser Mitteilung gegen übergeordnete Vorschriften?
Diese beiden Fragen, deren amtlicher Text die deutsche Fassung ist, wurden im ABl. EPA 2002 auf Seite 466 veröffentlicht.
IV. Was die Abweichung zwischen den beiden oben genannten Entscheidungen anbelangt, so macht der Präsident geltend, daß die Kammer 3.2.1, wenn sie in der Entscheidung T 1062/99 den Formalsachbearbeiter für nicht zuständig gehalten hätte, dies von Amts wegen hätte feststellen und die rechtlichen Konsequenzen hätte ziehen müssen. Unter Berufung auf die Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer G 3/93 (ABl. EPA 1995, 18) führt er ferner aus, daß es unerheblich sei, ob die Kammer 3.2.1 direkt oder im Wege eines obiter dictum über die Zuständigkeit dieses Bediensteten befunden habe, denn in beiden Fällen könnten die Ausführungen eine erhebliche Rechtsunsicherheit auslösen und rechtfertigten daher eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer.
Der Präsident vertritt die Auffassung, daß die Frage der Zuständigkeit von erheblicher praktischer und rechtlicher Bedeutung und es deshalb unter allen Umständen geboten sei, eine Entscheidung, die von einer unzuständigen Person getroffen worden sei, aufzuheben. Durch die divergierenden Entscheidungen sei gegenwärtig nicht klar, inwieweit die bisherige Praxis fortgeführt werden könne, so daß eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehe.
Außerdem ist der Präsident der Ansicht, daß die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der den Entscheidungen T 1062/99 und T 295/01 zugrundeliegenden Fälle weiter bestehen bliebe, wenn die Befassung der Großen Beschwerdekammer auf die Nummer 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 beschränkt wäre. Auch wenn es sich bei den Fragen, ob ein Einspruch als eingelegt gelte und ob er zulässig sei, um zwei unterschiedliche Fragen handle, die gesondert zu überprüfen seien, hingen sie doch eng zusammen und würden in der Praxis beide vom Formalsachbearbeiter entschieden. Dabei hebt er hervor, daß es in beiden Entscheidungen in der Sache um die Frage gehe, ob die Einspruchsgebühr rechtzeitig entrichtet worden sei, also darum, ob der Einspruch als eingelegt gelte. Er hielt es daher für angezeigt, der Großen Beschwerdekammer auch die zweite Rechtsfrage vorzulegen.
V. In seinen Ausführungen zu den Grundlagen der bisherigen Amtspraxis bringt der Präsident vor, daß der Formalsachbearbeiter weder in Artikel 15 EPÜ noch in Artikel 19 EPÜ aufgeführt und somit kein selbständiges Organ mit eigenständigen Befugnissen sei. Deshalb könne er nur die Befugnisse haben, die wirksam auf ihn übertragen würden. Regel 9 (3) EPÜ biete diese Möglichkeit, indem sie den Präsidenten des EPA ermächtige, mit der Wahrnehmung einzelner den Prüfungsabteilungen oder Einspruchsabteilungen obliegender Geschäfte auch Bedienstete zu betrauen, die keine technisch vorgebildeten oder rechtskundigen Prüfer seien, sofern diese Geschäfte technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiteten. Diese Befugnis habe der Präsident des EPA am 6. März 1979 dem für die Generaldirektion 2 des Europäischen Patentamts zuständigen Vizepräsidenten (nachstehend "Vizepräsident GD 2") übertragen. Im Rahmen dieser Befugnisübertragung habe der Vizepräsident GD 2 für das Einspruchsverfahren erstmals am 8. Januar 1982 eine Mitteilung erlassen (ABl. EPA 1982, 61). Diese Mitteilung sei in der Folge am 15. Juni 1984 (ABl. EPA 1984, 319), am 1. Februar 1989 (ABl. EPA 1989, 178) und schließlich am 28. April 1999 (ABl. EPA 1999, 506) geändert worden. Dabei sei Nummer 6 dieser Mitteilung stets unberührt geblieben. Nach dieser Bestimmung würden dem Formalsachbearbeiter Entscheidungen "im einseitigen Verfahren über die Unzulässigkeit des Einspruchs und des Beitritts des vermeintlichen Patentverletzers mit Ausnahme der Fälle nach Regel 55 c) EPÜ" übertragen. Nummer 4 sei inhaltlich nie geändert worden.
VI. Was die Übertragung der Befugnisse nach Nummer 6 und damit die erste der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage betrifft, so wird in der Vorlage betont, daß die Kammer diese Bestimmung in der Entscheidung T 295/01 zu Recht als mehrdeutig bezeichne, weil sie den Ausdruck "einseitiges Verfahren" auf das Einspruchsverfahren anwende, das per Definition ein mehrseitiges Verfahren sei. Hierzu wird ausgeführt, daß der Begriff "einseitig" in diesem Zusammenhang nicht im obigen Sinne zu verstehen sei, sondern vielmehr zum Ausdruck gebracht werden solle, daß zunächst eine Ex-parte-Zulässigkeitsprüfung erfolge. Es wird verwiesen auf die vorbereitenden Dokumente (Bericht über die 9. Tagung der Arbeitsgruppe I vom 12. - 22. Oktober 1971 in Luxemburg, BR/135/71, Pkt. 134), auf die Bestimmungen der Regeln 56 (3) und 57 (1) EPÜ sowie auf die diesbezüglichen Aussagen von van Empel in "The Granting of European Patents", Leyden 1975, Punkt 472 und Paterson in "The European Patent System", zweite Auflage 2001, 3-35, 3-36; Seite 103. Ergänzend heißt es, daß eine Mitwirkung des Patentinhabers bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Einspruchs in der Regel entbehrlich sei, da es sich um Voraussetzungen handle, die das Amt von sich aus prüfen könne. Falls es im Einzelfall auf die Mitwirkung des Patentinhabers angewiesen sein sollte, könne es jederzeit ins zweiseitige Verfahren übergehen. Diese Flexibilität gewährleiste ein effizientes Verfahren.
Der Präsident weist darauf hin, daß die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfenden Voraussetzungen in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, D-IV, 1.2.2.1 und 1.2.2.2 aufgeführt seien. Dabei werde ausgehend von Regel 56 (1) und (2) EPÜ unterschieden zwischen Voraussetzungen, die innerhalb der Einspruchsfrist erfüllt sein müßten, und Voraussetzungen, deren Erfüllung nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgeholt werden könne. Mit der Prüfung der unter 1.2.2.2 genannten Fälle sei der Formalsachbearbeiter betraut, da sie rein formaler Natur seien und in der Praxis weder technisch noch rechtlich Schwierigkeiten erkennen ließen. Aus ebendiesen Gründen würden von den in 1.2.2.1 enthaltenen Fällen lediglich die unter i), ii) und vi) aufgeführten vom Formalsachbearbeiter entschieden. Zu i) gehöre die Prüfung der Frage, ob die Einspruchsschrift innerhalb der Neunmonatsfrist eingereicht worden sei, und nach ii) und vi) müsse geprüft werden, ob das Patent hinreichend bezeichnet bzw. ob der Einsprechende zweifelsfrei erkennbar sei. Die Kammer 3.3.4 habe in dem ihr vorgelegten Fall, in dem es um die Einhaltung der Neunmonatsfrist gegangen sei, allerdings die Ansicht vertreten, daß die Entscheidung über die Zulässigkeit in diesem Zusammenhang die Lösung komplexer Fragen voraussetze. Der Präsident macht hingegen geltend, daß es bei diesen Fallgestaltungen im allgemeinen nicht um komplexe Rechtsfragen gehe, da die Fristberechnung nach eindeutigen Regeln erfolge, und daß Probleme eher bei der Ermittlung der Tatsachen aufträten. Die Tatsachenermittlung bereite jedoch vom Grundsatz her technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten.
VII. In bezug auf die zweite Vorlagefrage, ob ein Formalsachbearbeiter befugt sei, gemäß der Bestimmung unter Nummer 4 der Mitteilung vom 28. April 1999 Mitteilungen "nach Regel 69 (1) und Entscheidungen und Unterrichtungen nach Regel 69 (2) EPÜ" zu erlassen, äußert sich der Präsident wie folgt.
In den beiden für die jetzige Vorlage ursächlichen Entscheidungen, in denen es um die Frage gehe, ob der Einspruch als eingelegt gelte, hätten die Kammern Ausführungen zur Unzulässigkeit des Einspruchs gemacht. Artikel 99 (1) Satz 3 EPÜ besage, daß ein Einspruch erst als eingelegt gelte, wenn die Einspruchsgebühr entrichtet worden sei. Diese Gebühr müsse also innerhalb der Einspruchsfrist gezahlt werden.
In dem der Entscheidung T 295/01 zugrundeliegenden Fall habe der Formalsachbearbeiter gemäß dem in den Richtlinien vorgesehenen Verfahren zunächst eine Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ verschickt. Nachdem ein Antrag auf Entscheidung gestellt worden sei, habe er dann eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ erlassen, in der festgestellt worden sei, daß der Einspruch als nicht eingelegt gelte. Somit handle es sich nicht um eine Entscheidung über die Unzulässigkeit. Die Aufgabe, die er wahrgenommen habe, falle demnach eher unter Nummer 4 als unter Nummer 6 der Mitteilung vom 28. April 1999.
In der Sache T 1062/99 sei die Einspruchsgebühr ebenfalls verspätet entrichtet worden. Der Formalsachbearbeiter habe in seiner "Entscheidung" zwar erklärt, daß der Einspruch unzulässig sei, doch sei es auch hier um die Frage gegangen, ob der Einspruch als eingelegt gelte.
Der Präsident hebt hervor, daß zu unterscheiden sei, ob ein Einspruch als nicht eingelegt gelte oder ob er als unzulässig anzusehen sei. Die Zulässigkeit des Einspruchs könne erst geprüft werden, wenn feststehe, daß er als eingelegt gelte. Sowohl bei der Frage, ob der Einspruch als eingelegt gelte, als auch bei der Zulässigkeit sei zu klären, ob die Neunmonatsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ eingehalten worden sei. In dem einen Fall sei zu prüfen, ob die Gebührenzahlung rechtzeitig erfolgt sei, in dem anderen, ob die Einspruchsschrift fristgerecht eingegangen sei. Auch wenn in beiden Fällen abgeklärt werden müsse, ob die jeweiligen Dokumente rechtzeitig eingegangen seien, müsse stets zunächst die Zahlung überprüft werden. Gelte ein Einspruch als nicht eingelegt, so werde die Einspruchsgebühr zurückerstattet, sobald die Entscheidung rechtskräftig geworden sei. Da der Einspruch als nicht existent angesehen werde, gebe es für die Zahlung keinen Rechtsgrund mehr. Davon sei auch der Formalsachbearbeiter in der Sache T 1062/99 ausgegangen, da er die Rückerstattung der Einspruchsgebühr angeordnet habe. Werde ein Einspruch dagegen als unzulässig zurückgewiesen, so werde die Einspruchsgebühr nicht zurückerstattet.
Auch wenn gesondert zu überprüfen sei, ob ein Einspruch als eingelegt gelte und ob er zulässig sei, würden in der Praxis beide Fälle vom Formalsachbearbeiter entschieden. Deshalb enthalte die Mitteilung vom 28. April 1999 auch zwei verschiedene Bestimmungen, die Gegenstand der Nummern 4 und 6 seien. Da die beiden Fragen aber eng zusammenhingen und es in den Entscheidungen T 1062/99 und T 295/01 darum gehe, ob der Einspruch als eingelegt gelte, bliebe die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der den Entscheidungen tatsächlich zugrundeliegenden Fälle bestehen, wenn die Große Beschwerdekammer nur zu Nummer 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 Stellung nähme.
Stellungsnahme
1. Die Sachverhalte, die zu den Entscheidungen T 1062/99 und T 295/01 geführt haben, sind im Kern dieselben. In beiden Fällen war die Einspruchsgebühr nicht innerhalb der in Artikel 99 (1) EPÜ festgelegten Frist entrichtet worden. Außerdem haben die Kammern ihre Entscheidung in beiden Fällen darauf gestützt, daß die jeweils angefochtene Entscheidung vom Formalsachbearbeiter getroffen worden war.
1.1 In der Entscheidung T 1062/99 hielt die Kammer 3.2.1 bei Prüfung der verschiedenen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beschwerde ausdrücklich fest, daß es keine Rolle spiele, daß die angefochtene Entscheidung im Namen der Einspruchsabteilung vom Formalsachbearbeiter erlassen worden sei. Sie betrachtete die Bestimmungen der Mitteilung vom 28. April 1999 (vgl. vorstehend Nrn. I und V), deren Wirksamkeit sie nicht in Frage stellte, als Rechtsgrundlage für diese Befugnisübertragung.
1.2 In der Sache T 295/01 hob die Kammer 3.3.4 die angefochtene Entscheidung mit der Begründung auf, daß ungeachtet der Bestimmungen der Mitteilung vom 28. April 1999, deren Wirksamkeit sie in Zweifel zog, die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung der Einspruchsgebühr bei der Einspruchsabteilung liege und nicht auf den Formalsachbearbeiter übertragen werden könne.
1.3 Unabhängig davon, ob man die Frage, ob ein Einspruch als eingelegt gilt, und diejenige der Zulässigkeit als zwei verschiedene Fragen ansieht, bleibt festzustellen, daß jedenfalls in der Frage, ob der Formalsachbearbeiter dafür zuständig ist, über die Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung der Einspruchsgebühr zu entscheiden, die eine Kammer diese Zuständigkeit mit der Begründung bejaht, daß die Mitteilung vom 28. April 1999 wirksam sei, während die andere Kammer diese Zuständigkeit verneint, weil sie die Mitteilung für unwirksam hält. Damit ist die Divergenz zwischen den beiden Entscheidungen in der konkreten Rechtsfrage, die dieser Vorlage zugrunde liegt, nämlich ob die betreffenden Bestimmungen der Mitteilung wirksam sind, eindeutig belegt.
1.4 Gemäß Artikel 112 (1) Satz 1 EPÜ gilt es dementsprechend, die Rechtsanwendung zu vereinheitlichen. Die Vorlage an die Große Beschwerdekammer ist somit zulässig.
2. Unstrittig ist in der Sache, daß der Formalsachbearbeiter in jedem der beiden Fälle, die zu den divergierenden Entscheidungen geführt haben, im Rahmen der Befugnisse gehandelt hat, die ihm in der Mitteilung vom 28. April 1999 gezielt übertragen wurden. Folglich geht es in dieser Vorlage an die Große Beschwerdekammer um die Frage, ob diese spezifischen Übertragungen wirksam sind.
3. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß der Vizepräsident GD 2 im Rahmen einer Befugnisübertragung, die ihm seinerseits am 6. März 1979 vom Präsidenten des EPA zur Anwendung der Regel 9 (3) EPÜ gewährt worden war, unter anderem die beiden hier zur Diskussion stehenden spezifischen Übertragungen auf die Formalsachbearbeiter vorgenommen hat. Bevor man untersucht, ob diese beiden Übertragungen wirksam sind, muß man sich also zunächst vergewissern, ob die Befugnisübertragung vom 6. März 1979 wirksam ist.
3.1 Regel 9 (3) EPÜ besagt, daß "der Präsident des Europäischen Patentamts mit der Wahrnehmung einzelner den Prüfungsabteilungen oder Einspruchsabteilungen obliegender Geschäfte, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, auch Bedienstete betrauen [kann], die keine technisch vorgebildeten oder rechtskundigen Prüfer sind". Die ihm aufgrund dieser Regel zustehende Befugnis hat der Präsident des EPA dem Vizepräsidenten GD 2 übertragen.
3.2 Da Artikel 10 (2) i) EPÜ den Präsidenten des EPA uneingeschränkt ermächtigt, seine Aufgaben und Befugnisse zu übertragen, steht die Wirksamkeit der Befugnisübertragung vom 6. März 1979 in bezug auf die Befugnisse, die er nach Regel 9 (3) EPÜ innehat, eindeutig fest.
4. Zur Beantwortung der beiden Vorlagefragen muß nun geprüft werden, ob die zwei spezifischen Übertragungen des Vizepräsidenten GD 2 auf die Formalsachbearbeiter in den Nummern 4 und 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 wirksam sind.
4.1 Wie aus dem ersten Absatz der Mitteilung ersichtlich, werden alle Übertragungen von Geschäften auf die Formalsachbearbeiter ausdrücklich zum einen auf die am 6. März 1979 vom Präsidenten des EPA gewährte Befugnisübertragung und zum anderen auf die Ausübung der Befugnisse nach Regel 9 (3) EPÜ gestützt. Außerdem werden den Formalsachbearbeitern entsprechend dem einschränkenden Wortlaut dieser Regel nur einzelne Geschäfte übertragen. Die grundsätzliche Wirksamkeit der vom Vizepräsidenten GD 2 in der Mitteilung vorgenommenen Übertragungen kann mithin als solche nicht in Abrede gestellt werden.
4.2 Im nächsten Schritt muß jedoch festgestellt werden, ob die konkreten, in den Nummern 4 und 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 übertragenen Geschäfte zu den Geschäften zählen, die gemäß Regel 9 (3) EPÜ Bediensteten übertragen werden können, die keine technisch vorgebildeten oder rechtskundigen Prüfer sind. In dieser und in den vorausgegangenen Mitteilungen (vgl. vorstehend Nr. V) sind dies die sogenannten "Formalsachbearbeiter".
5. In Nummer 4 der Mitteilung vom 28. April 1999 wird den Formalsachbearbeitern die Zuständigkeit für die Wahrnehmung folgender Geschäfte zugewiesen: "Mitteilungen nach Regel 69 (1) und Entscheidungen und Unterrichtungen nach Regel 69 (2) EPÜ". Aus Nummer 6 ergibt sich ihre Zuständigkeit für Entscheidungen "im einseitigen Verfahren über die Unzulässigkeit des Einspruchs und des Beitritts des vermeintlichen Patentverletzers mit Ausnahme der Fälle nach Regel 55 c) EPÜ". Nummer 4 überträgt einzelne Geschäfte im Vorfeld der eigentlichen Entscheidungen sowie die Befugnis zum Erlaß von Entscheidungen im Rahmen der Regel 69 (2) EPÜ. Nummer 6 betrifft ausschließlich die Übertragung der Befugnis zum Erlaß von Entscheidungen innerhalb der vorgegebenen Grenzen. Es gilt daher festzustellen, ob Regel 9 (3) EPÜ die Möglichkeit eröffnet, den Formalsachbearbeitern nicht nur Geschäfte zu übertragen, die dem Erlaß von Entscheidungen vorausgehen, sondern auch die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen Entscheidungen zu erlassen, die den Einspruchsabteilungen obliegen.
6. Eine Untersuchung der Tragweite der Regel 9 (3) EPÜ im Rahmen des internen Rechts, das durch die Anwendung weiterer einschlägiger Bestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens geschaffen wird, ergibt folgendes Bild.
6.1 Die Überschrift der Regel 9 EPÜ lautet: "Geschäftsverteilung für die erste Instanz". Damit wird der Zweck dieser Regel bereits teilweise zum Ausdruck gebracht. Die einzelnen Absätze regeln nämlich, wie sich die Geschäfte innerhalb der ersten Instanz und insbesondere auch innerhalb der Einspruchsabteilungen verteilen. In Absatz 3 geht es, wie vorstehend unter Nummer 3.1 ausgeführt, um die Übertragung einzelner, insbesondere auch den Einspruchsabteilungen obliegender Geschäfte. Er stellt klar, daß nur solche Geschäfte übertragen werden können, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten. Von weiteren Beschränkungen oder Ausschlüssen ist nicht die Rede. Um konkreter zu ermitteln, worin diese Geschäfte bestehen können, gilt es zu untersuchen, womit das Übereinkommen in anderen Bereichen Bedienstete betraut, die keine technische oder rechtliche Ausbildung genossen haben. Dies geschieht in den Artikeln 90 und 91 EPÜ, wo Geschäfte in Zusammenhang mit dem Eingang einer Anmeldung und ihrer Formalprüfung der Eingangsstelle zugewiesen werden, deren Entscheidungen zu Rechtsverlusten führen können (vgl. Art. 91 (3) EPÜ) und mit der Beschwerde anfechtbar sind (vgl. Art. 106 EPÜ). Dabei setzt sich die Eingangsstelle ausschließlich aus Formalsachbearbeitern zusammen, die - genau wie die Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilungen - zwar über eine spezielle Ausbildung verfügen, aber nicht zur Laufbahngruppe der Bediensteten gehören, die ein technisches oder juristisches Hochschulstudium absolviert haben.
6.2 Die Verfasser des Europäischen Patentübereinkommens haben unmißverständlich dargelegt, daß der Zweck der Regel 9 (3) EPÜ darin besteht, dem EPA unnötige Personalkosten zu ersparen (vgl. "Berichte zum Zweiten Vorentwurf eines Übereinkommens über ein europäisches Patenterteilungsverfahren und zum Ersten Vorentwurf einer Ausführungsordnung", Band II, München 1971, Generalbericht über die Ausführungsordnung, vorgelegt von Dr. R. Singer, Nr. 30). Konkret zum Ausdruck kommt dies in der Forderung, daß die technisch vorgebildeten oder rechtskundigen Prüfer nur für die Geschäfte eingesetzt werden sollen, für die ihre Ausbildung unabdingbar ist und derentwegen sie eingestellt wurden, nämlich die Prüfung der Patentierbarkeit der Erfindung. Birgt nun ein den Einspruchsabteilungen obliegendes Geschäft technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten, so liegt auf der Hand, daß es nicht mehr der Zweckbestimmung der Regel 9 (3) EPÜ entspräche, zwischen verschiedenen Arten von Geschäften im Zuständigkeitsbereich der Einspruchsabteilungen zu unterscheiden. Ein Wegfall der Möglichkeit, Formalsachbearbeitern die Befugnis zu übertragen, im Namen der Einspruchsabteilung Entscheidungen zu erlassen, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, wäre in dieser Hinsicht nur von Nachteil. Der Formalsachbearbeiter wäre dann auf die Ausführung entscheidungsvorbereitender Geschäfte beschränkt, und der aus drei technisch vorgebildeten und gegebenenfalls einem rechtskundigen Prüfer zusammengesetzte Spruchkörper, der die Einspruchsabteilung bildet, wäre gezwungen, vor der Unterzeichnung der Entscheidung alles, was der Formalsachbearbeiter vorbereitet hat, systematisch und vollständig zu kontrollieren. Die daraus offenkundig resultierende Redundanz würde das Verfahren unnötig erschweren. Regel 9 (3) EPÜ hätte keinerlei Nutzeffekt mehr.
6.3 Artikel 19 (2) EPÜ legt fest, wie sich die Einspruchsabteilung zusammensetzt. Sie wird dort als Kollegialorgan aus drei technisch vorgebildeten Prüfern definiert, das unter bestimmten Umständen durch einen rechtskundigen Prüfer ergänzt werden kann. Der Formalsachbearbeiter ist darin nicht erwähnt, auch gibt es keine Bestimmung, die auf der Grundlage der Ausführungsordnung eine Abweichung von dieser Zusammensetzung erlauben würde. Dies könnte den Schluß nahelegen, daß Regel 9 (3) EPÜ mit Artikel 19 (2) EPÜ kollidiert und nach Maßgabe des Artikels 164 (2) EPÜ hinter diesem zurückstehen muß. Diese Auslegung würde jedoch nicht erklären, warum sich der Vorrang des EPÜ in diesem Fall nur auf Entscheidungen bezöge; Artikel 19 EPÜ beschränkt nämlich die Zuständigkeit der Einspruchsabteilungen nicht auf Entscheidungen, sondern schließt vielmehr in Absatz 1 sowie in Absatz 2 Satz 3 das Verfahren bis zum Erlaß der Entscheidung mit ein. Dementsprechend müßte sich ein solcher Vorrang auf alle Maßnahmen erstrecken, die für einen Beteiligten negative Folgen haben könnten, wie z. B. eine Ladung zu einer mündlichen Verhandlung oder eine Mitteilung über die Nichteinhaltung einer Verfahrensfrist. Der Schlüssel zum besseren Verständnis des Verhältnisses zwischen Artikel 19 (2) EPÜ und Regel 9 (3) EPÜ findet sich in den Materialien ihrer Entstehung (vgl. M. Singer/Geuß, Münchner Gemeinschaftskommentar zum EPÜ, 22. Lieferung, Köln 1998, Sechster Teil, Die Materialien zum EPÜ, Nr. 36 ff.).
6.3.1 Auf der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens lag die Vorfassung der heutigen Regel 9 (3) EPÜ (vgl. Materialien zum EPÜ, BR/GT I/90/70 vom 23. Dezember 1970) noch als Artikel 54 Nummer 2 vor und enthielt den Vorschlag der deutschen Delegation der Untergruppe "Ausführungsordnung" der Arbeitsgruppe I. Dieser Artikel lautete wie folgt:
"Übertragung von Geschäften
(1) Der Präsident des Europäischen Patentamts wird ermächtigt, mit der Wahrnehmung einzelner den Prüfungsstellen, den Prüfungsabteilungen oder den Einspruchsabteilungen obliegender Geschäfte, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, auch Beamte zu betrauen, die keine technisch vorgebildeten oder rechtskundigen Prüfer sind; ausgeschlossen davon sind jedoch die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung aus Gründen, denen der Anmelder widersprochen hat, die Erteilung und der Widerruf des europäischen Patents sowie die Zurückweisung des Einspruchs.
(2) Eine vom Präsidenten des Europäischen Patentamts gemäß Absatz 1 vorgenommene Übertragung wird im Amtsblatt des Europäischen Patentamts veröffentlicht. "
6.3.2 In der darauffolgenden Sitzung wurde der Vorschlag ohne Diskussion angenommen (vgl. BR/81/71 vom 20. Januar 1971 und den Bericht über die 5. Sitzung der Untergruppe vom 12. bis 14. Januar 1971 in Luxemburg, BR/84/71 vom 1. April 1971). In der Sitzung des Redaktionsausschusses der Untergruppe wurde der zweite Teil des langen Satzes, der Absatz 1 des Vorschlags bildete, ebenso gestrichen wie der gesamte Absatz 2 (vgl. BR/GT I/103/71 vom 14. Januar 1971). Der so entstandene Wortlaut entspricht der Fassung des Artikels 54 Nummer 2 des Zweiten Vorentwurfs eines Übereinkommens und dem Ersten Vorentwurf einer Ausführungsordnung, Band I, München 1971. In der endgültigen Fassung, die auf der Diplomatischen Konferenz vom 10. September bis 6. Oktober 1973 in München vorgelegt und angenommen wurde, wurden dann die Prüfungsstellen gestrichen, weil sie im EPÜ nicht mehr als Organe des EPA vorgesehen waren.
6.3.3 Aus dem oben Gesagten geht zweierlei ganz deutlich hervor. Zunächst einmal war die dem Präsidenten des EPA eingeräumte Befugnis, den Organen des EPA obliegende Geschäfte auf Bedienstete zu übertragen, die keine ausgebildeten Prüfer sind, ursprünglich als Ausführungsvorschrift konzipiert (vgl. Art. 52 bis 54 des Zweiten Vorentwurfs eines Übereinkommens). Bestätigt wird dies durch die jeweiligen Querverweise in den Fußnoten zu Artikel 18 und Regel 9 in der Fassung der vorbereitenden Dokumente der Münchner Diplomatischen Konferenz. Diese Verweisungen erscheinen auch noch in der aktuellen Fassung des EPÜ neben den entsprechenden Bestimmungen (Art. 19 EPÜ und R. 9 EPÜ). Darüber hinaus zeigt sich, daß eindeutig die Möglichkeit ins Auge gefaßt worden war, die Befugnis zum Erlaß bestimmter Entscheidungen, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, zu übertragen, wobei lediglich materiellrechtliche Entscheidungen ausgeschlossen sein sollten (vgl. die vorstehend unter Nummer 6.3.1 zitierten ursprünglichen Bestimmungen im zweiten Teil des Satzes, der Absatz 1 bildete, und in Absatz 2 von Artikel 54 Nummer 2). Ausschlaggebend für die Streichung dieser Bestimmungen waren zum einen rein redaktionelle Überlegungen zur Straffung der Regel und zum anderen die Tatsache, daß die Klausel, wonach technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten vorliegen dürfen, als ausreichende Beschränkung angesehen wurde. Als Wunsch, die dem Präsidenten des EPA in Regel 9 (3) EPÜ eingeräumte Befugnis zur Übertragung einzelner Geschäfte weiter einzuschränken, läßt sich diese Streichung nicht interpretieren.
6.3.4 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, daß mit Artikel 19 (2) EPÜ das Kollegialprinzip der Einspruchsabteilungen verankert werden soll, über dessen Modalitäten es Kontroversen gab (vgl. van Empel, The Granting of European Patents, Leyden 1975, Nrn. 441 ff. und 465 ff. sowie die Kompromißlösung zur Zusammensetzung von Prüfungsabteilungen in Artikel 33 (3) EPÜ). Artikel 19 (2) EPÜ schreibt nicht vor, daß alle den Einspruchsabteilungen obliegenden Geschäfte ausschließlich von diesen Abteilungen selbst wahrgenommen werden müssen. Er schließt auch nicht aus, daß Formalsachbearbeiter im Rahmen eines Geschäftsverteilungsplans für die erste Instanz im Namen der Einspruchsabteilungen tätig werden, damit sich die technisch vorgebildeten und rechtskundigen Prüfer der eigentlichen Prüfung widmen können. Das Gegenteil zu behaupten hieße, den ursprünglichen Zusammenhang zwischen den Texten zu leugnen, aus denen Artikel 19 (2) EPÜ und Regel 9 (3) EPÜ hervorgegangen sind. Dies alles gilt analog auch für das Verhältnis zwischen Artikel 18 (2) EPÜ und Regel 9 (3) EPÜ.
6.4 Daß die Befugnis zum Erlaß von Entscheidungen nach Regel 9 (3) EPÜ übertragen werden kann, war für das reibungslose Funktionieren des EPA von Anfang an von größter Bedeutung. So wurde bereits bei der ersten Übertragung von Geschäften in Zusammenhang mit dem Einspruchsverfahren (vgl. vorstehend Nr. V) im Jahre 1982 beschlossen, Formalsachbearbeitern insbesondere die Befugnis zu übertragen, nach Regel 69 (2) EPÜ zu entscheiden, ob ein Einspruch als eingelegt gilt. Noch älter und von noch größerer Tragweite in der Praxis ist die erste Übertragung für das Erteilungsverfahren (ABl. EPA 1979, 379), mit der Formalsachbearbeitern beispielsweise die Prüfung auf Vorliegen der Erfordernisse nach Regel 51 (4) Satz 1 EPÜ und somit die Befugnis übertragen wurde, die Entscheidung über die Erteilung des europäischen Patents zu erlassen. Seither sind mehr als eine halbe Million Patente erteilt worden, ohne daß die Rechtmäßigkeit dieser Übertragung in Frage gestellt worden wäre. Noch nie wurde die Rechtsgültigkeit eines Patents wegen Nichtzuständigkeit des Formalsachbearbeiters angefochten.
6.5 Bei Durchsicht der Rechtsprechung zeigt sich vielmehr, daß die Möglichkeit, derartige Befugnisse zu übertragen, von der Großen Beschwerdekammer und von den Beschwerdekammern stets gutgeheißen wurde, außer in der Entscheidung T 295/01, die zu dieser Vorlage geführt hat. Schon in der Entscheidung T 25/85 (ABl. EPA 1986, 81, Nr. 2 der Entscheidungsgründe) wurde klargestellt, daß der Formalsachbearbeiter im Zuge der Formalprüfung des Einspruchs unter anderem zu Entscheidungen über die Unzulässigkeit des Einspruchs ermächtigt und er somit das zuständige Organ für den Erlaß der angefochtenen Entscheidung ist. Wann immer sich die Beschwerdekammern zu der Frage zu äußern hatten, ob Formalsachbearbeiter für den Erlaß von Entscheidungen zuständig waren, haben sie geprüft, ob sich die Entscheidungsbefugnis tatsächlich aus Regel 9 (3) EPÜ und aus einer dementsprechenden Übertragung ableiten ließ (vgl. ständige Rechtsprechung seit den Entscheidungen T 114/82 und T 115/82, ABl. EPA 1983, 323). Nur wenn eine der Bedingungen für diese Übertragungen nicht erfüllt war, wurde die Entscheidung des Formalsachbearbeiters wegen Unzuständigkeit aufgehoben, ohne daß jemals die Rechtmäßigkeit der Übertragung der Befugnis zum Erlaß der Entscheidungen in Frage gestellt worden wäre (vgl. beispielsweise: Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 4. Auflage 2001, VII.D.15.4.6, dritter Absatz; vgl. auch die Entscheidungen T 161/96, ABl. EPA 1999, 331, Nr. 2 der Entscheidungsgründe, J 16/99 und T 1101/99, beide zitiert in der Sonderausgabe des ABl. EPA zur Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Jahr 2001, Seiten 63 und 65, sowie die noch etwas neuere Entscheidung T 178/01 vom 25. Oktober 2001, nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
Die Große Beschwerdekammer wurde schon in der Vergangenheit mit einer Reihe von Fragen in Zusammenhang mit Beschwerdeverfahren befaßt, in denen die Entscheidung eines Formalsachbearbeiters angefochten wurde. So ging es beispielsweise in der Sache G 2/90 (ABl. EPA 1992, 10) um die Frage: "Ist die Juristische Beschwerdekammer für Beschwerden gegen Entscheidungen zuständig, die Formalsachbearbeitern nach Regel 9 (3) EPÜ übertragen wurden?". Vorausgegangen war dieser Vorlage an die Große Beschwerdekammer eine Entscheidung eines Formalsachbearbeiters, der ein Patent nach Artikel 102 (5) EPÜ widerrufen hatte. Die Große Beschwerdekammer antwortete wie folgt:
"1. Die Juristische Beschwerdekammer ist gemäß Artikel 21 (3) c) EPÜ nur für Beschwerden gegen Entscheidungen zuständig, die von einer aus weniger als vier Mitgliedern bestehenden Prüfungsabteilung gefaßt worden sind, sofern die Entscheidung nicht die Zurückweisung einer europäischen Patentanmeldung oder die Erteilung eines europäischen Patents betrifft. In allen anderen Fällen, nämlich denen des Artikels 21 (3) a) sowie (3) b) und (4) EPÜ ist die Technische Beschwerdekammer zuständig.
2. Die Zuständigkeitsregelung in Artikel 21 (3) und (4) EPÜ wird durch Regel 9 (3) EPÜ nicht beeinflußt."
Weiter heißt es unter Nummer 3.6 der Antwort:
"bei Beschwerden gegen Entscheidungen, die Formalsachbearbeitern nach Regel 9 (3) EPÜ übertragen wurden, darf es sich - wie es Regel 9 (3) EPÜ vorschreibt - nur um Geschäfte handeln, die weder technisch noch rechtlich Schwierigkeiten bereiten. Bieten aber diese Fragen keine rechtlichen Schwierigkeiten, so besteht kein Grund, für diese Beschwerdeverfahren die Zuständigkeit der mit drei Juristen besetzten Juristischen Beschwerdekammer vorzusehen."
Wäre die Große Beschwerdekammer der Auffassung gewesen, daß dem Formalsachbearbeiter die Befugnis zum Erlaß von den Einspruchsabteilungen obliegenden Entscheidungen nicht hätte übertragen werden dürfen, so hätte sie seinerzeit die Unzulässigkeit der Vorlage feststellen müssen, weil die gestellte Frage gegenstandslos gewesen wäre. Demnach ist offensichtlich, daß die Große Beschwerdekammer zwar implizit, aber dennoch unmißverständlich das allgemeine Prinzip bejaht hat, wonach die Bestimmungen der Mitteilungen des Vizepräsidenten GD 2 auf der Grundlage der Regel 9 (3) EPÜ wirksam sind, mit denen Formalsachbearbeitern Geschäfte übertragen werden, die den Prüfungs- bzw. Einspruchsabteilungen obliegen und die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten. Die Große Beschwerdekammer sieht derzeit keine Veranlassung, von diesem Standpunkt abzurücken.
7. Schließlich wurde in den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 8/91 (ABl. EPA 1993, 346, Nr. 7 der Entscheidungsgründe) und G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408, Nr. 18 der Entscheidungsgründe) eindeutig festgestellt, daß das Einspruchsverfahren im Gegensatz zum Beschwerdeverfahren, das als verwaltungsgerichtliches Verfahren anzusehen ist, ein reines Verwaltungsverfahren ist. Die Einspruchsabteilungen sind somit reine Verwaltungsorgane, die internen Richtlinien und Anweisungen unterliegen, sofern diese von einer ordnungsgemäß befugten Stelle ergehen. Folglich kann der Präsident des EPA oder sein Bevollmächtigter im Rahmen seiner Befugnisse nach Artikel 10 (2) a) EPÜ alle - wie es darin heißt - für die Tätigkeit des EPA zweckmäßigen Maßnahmen treffen, einschließlich des Erlasses interner Verwaltungsvorschriften wie der in dieser Vorlage behandelten, auf Regel 9 (3) EPÜ gestützten Vorschriften. Die in der vorliegenden Stellungnahme durchgeführte Analyse der Bestimmungen, die unter den Nummern 4 und 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 gemäß Regel 9 (3) EPÜ erlassen wurden, hat ergeben, daß sie genau diesem Zweck dienen.
SCHLUSSFOLGERUNG
Die Große Beschwerdekammer beantwortet die beiden ihr vorgelegten Rechtsfragen wie folgt:
Die Bestimmungen unter den Nummern 4 und 6 der Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 vom 28. April 1999 (ABl. EPA 1999, 506) verstoßen nicht gegen übergeordnete Vorschriften.