European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2001:D000999.20010209 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 09 Februar 2001 | ||||||||
Aktenzeichen: | D 0009/99 | ||||||||
Anmeldenummer: | - | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | - | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | DBA | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer hat im April 1998 die Prüfungsaufgabe C der europäischen Eignungsprüfung wiederholt. Mit Schreiben datiert vom und zur Post gegeben am 29. September 1998 teilte ihm die Prüfungskommission mit, daß er gemäß ihrer Entscheidung vom 23. September 1998 die Prüfung nicht bestanden habe, da seine Arbeit mit der Note 5 - nicht ausreichend - bewertet wurde.
II. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer am 24. November 1998 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr bezahlt. Er beantragt, die Entscheidung der Prüfungskommission vom 23. September 1998 aufzuheben und festzustellen, daß er die europäische Eignungsprüfung 1998 bestanden habe. Mit Schreiben vom 8. Januar 1999, das am gleichen Tag per Fax übermittelt wurde, hat der Beschwerdeführer die Beschwerde begründet.
III. Zur Begründung trägt er im wesentlichen folgendes vor:
i) Die ihm nach Artikel 25 (2) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP) übersandte Kopie seiner Arbeit sei nicht vollständig gewesen. Es habe das Einspruchsformblatt 2300 mit seinen sämtlichen Anträgen gefehlt, das Bestandteil seiner Arbeit gewesen sei. Dieses Formblatt habe er am Ende der Prüfung zunächst aus Versehen nicht in den Umschlag mit der Prüfungsarbeit gesteckt, jedoch unmittelbar nach der Abgabe des Umschlags der Aufsichtsperson übergeben mit der Bitte, es seinen Unterlagen noch zuzuordnen. Dies sei ihm auch zugesichert worden, weshalb er es nicht für nötig befunden habe, unmittelbar nach dem Schluß der Prüfung eine Beschwerde gemäß Ziff. 7 der Anweisungen an die Bewerber für den Ablauf der Prüfung (ABP) vorzubringen. Die relativ niedrige Punktzahl, die er unter der Kategorie "Legal aspects" erhalten habe, führe er darauf zurück, daß bei der Bewertung seiner Arbeit das Formblatt 2300 gefehlt habe. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hätte dieses Blatt aber bei der Bewertung mitberücksichtigt werden müssen.
ii) Unabhängig davon sei die Bewertung seiner Arbeit insgesamt nicht nach den Regeln 3 und 7 der Ausführungsbestimmungen (1994) zu den VEP erfolgt, da die Arbeit trotz gewisser Mängel im Ganzen befriedigend sei. Dies ergebe sich aus einem Vergleich mit der im "Compendium" abgedruckten Musterlösung und den Anmerkungen des "Examiners' Report on Paper C". Gehe man davon aus, daß die im "Compendium" abgedruckten Arbeiten anderer Bewerber mindestens mit der Note "gut" bewertet wurden, so sei die Bewertung seiner Arbeit mit "mangelhaft" im Hinblick auf den Grundsatz der einheitlichen Bewertung (Artikel 16 VEP) nicht gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer stellte hierzu einen detaillierten inhaltlichen Vergleich seiner Arbeit mit der im Compendium angegebenen Lösung an.
IV. In Erwiderung auf einen Bescheid der Beschwerdekammer vom 18. April 2000 wies der Beschwerdeführer noch darauf hin, er sei mit seiner Handlungsweise am Schluß der Prüfung seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen und könne sich insofern auf den Vertrauensschutz berufen, den das Europäische Patentamt in seinen Verfahren gewähre.
V. Dem Präsidenten des Europäischen Patentamts sowie dem Präsidenten des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter wurde gemäß Artikel 27 (4) VEP in Verbindung mit Artikel 12, Satz 2 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die aber keiner von ihnen ergriffen hat.
VI. Am 9. Februar 2001 wurde in Anwesenheit des Beschwerdeführers und einer Vertreterin des Präsidenten des Europäischen Patentamts mündlich verhandelt.
Auf Befragung durch die Kammer erläuterte die Vertreterin des Präsidenten die herrschende Praxis im Zusammenhang mit der verspäteten Abgabe von Prüfungsarbeiten am Ende der Prüfung wie folgt: Bemerkt ein Kandidat unmittelbar bei der Aushändigung des Umschlags mit seiner Arbeit an die Aufsichtsperson, daß er nicht alle Blätter in den Umschlag gesteckt hat, so fügt die Aufsichtsperson in der Regel diese Blätter dem Umschlag noch bei. Bemerkt der Kandidat das Fehlen einzelner Blätter erst nach dem Einsammeln der Umschläge, muß er sie der Aufsichtsperson in einem separaten Umschlag aushändigen und die Aufsichtsperson vermerkt die näheren Umstände dieses Vorgangs im Protokoll. Auf dieser Grundlage entscheidet dann die Prüfungskommission über die Berücksichtigung solcher Unterlagen. Falls ein Kandidat Blätter seiner Prüfungsarbeit erst nachreicht, nachdem er den Prüfungssaal verlassen hat, werden diese in aller Regel nicht mehr berücksichtigt, worüber ebenfalls die Prüfungskommission zu entscheiden hat.
Zu den Umständen des vorliegenden Falls führte die Vertreterin des Präsidenten aus, die betreffende Aufsichtsperson könne sich heute nicht mehr an diesen Vorgang aus dem April 1998 erinnern und dem Protokoll sei darüber auch nichts zu entnehmen. In den noch vorhandenen Akten seien die Blätter des Beschwerdeführers nicht auffindbar. Es sei aber nicht auszuschließen, daß die Aufsichtsperson diese Blätter irrtümlich in den Umschlag eines anderen Kandidaten gesteckt habe. Da nicht alle Arbeiten der Kandidaten aus dem Jahr 1998 aufbewahrt wurden, sei dies heute aber nicht mehr zu klären. Für die vorliegende Beschwerde sei dies insofern unerheblich, als die Verwendung des Einspruchsformblatts 2300 ohnehin nicht obligatorisch sei. Formelle Fehler beim Ausfüllen des Formblatts führten höchstens zu einem Abzug von 4 Punkten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Erfordernissen von Artikel 27 (2) VEP; sie ist deshalb zulässig.
2. Was zunächst die generelle Kritik des Beschwerdeführers an der Bewertung seiner Arbeit im Vergleich zu den Lösungen gemäß dem "Compendium" betrifft (oben Ziff. III. ii)), hat die Kammer bereits in ihrem Bescheid vom 18. April 2000 darauf hingewiesen, daß die Entscheidungen der Prüfungskommission im Beschwerdeverfahren nur hinsichtlich von Rechtsfehlern überprüfbar sind (Artikel 27 (1) VEP). Dagegen entzieht sich der Kammer eine sachliche Überprüfung der Bewertung der Arbeiten durch die Prüfungskommission, soweit nicht schwerwiegende und eindeutige Fehler nachgewiesen sind, die durch Anwendung von Rechtsgrundsätzen nachprüfbar sind (vgl. D 1/92, ABl. EPA 1993, 357; D 6/92, ABl. EPA 1993, 361; D 15/96 vom 5. Mai 1998). Soweit die Bewertung der Arbeiten durch die Prüfungskommission innerhalb des durch die anwendbaren Vorschriften gegebenen Spielraums erfolgt ist, steht der Beschwerdekammer deshalb eine sachliche Überprüfung nicht zu.
Der Beschwerdeführer hat seine Arbeit Punkt für Punkt den im "Compendium" angegebenen Antwortbeispielen gegenübergestellt und daraus abgeleitet, sie hätte "im Ganzen" als befriedigend bewertet werden müssen, auch wenn sie gewisse Mängel enthalte. Diese Betrachtungsweise entspricht typischerweise einer Neubewertung der Arbeit, die aus den genannten Gründen nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sein kann.
3. Was den Vorfall am Ende der Prüfung betrifft, den der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Umstand anführt, daß seine bewertete Prüfungsarbeit das Einspruchsformblatt 2300 nicht enthielt (oben Ziff. II. i)), stellt sich zunächst die Frage, von welchem Sachverhalt auszugehen ist.
3.1. Wie sich der behauptete Vorfall im einzelnen abgespielt hat, läßt sich laut der Vertreterin des Präsidenten heute nicht mehr aufklären. Dies liegt vor allem daran, daß die entsprechenden Akten nicht mehr vollständig vorhanden sind und sich die betreffende Aufsichtsperson nach fast drei Jahren nicht mehr an den Vorfall erinnert.
3.2. In Fällen, in denen eine Tatfrage zwischen dem EPA und einer Partei strittig ist, hat die juristische Beschwerdekammer festgestellt, das EPA sei durch Artikel 114 (1) EPÜ dazu verpflichtet, eine Beweisaufnahme unmittelbar nach dem Auftreten der Frage von Amtes wegen durchzuführen (J 20/85, ABl. EPA 1987, 102; J 27/92, ABl. EPA 1995, 288).
Gemäß Artikel 27 (4) VEP in Verbindung mit Artikel 25. (1) VDV sind die Bestimmungen von Artikel 114 EPÜ auf das Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten entsprechend anzuwenden. Dies betrifft insbesondere auch das Abhilfeverfahren vor der Prüfungskommission nach Artikel 27 (3) VEP, da die Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde die Klärung offener Tatfragen voraussetzt.
3.3. Daß im vorliegenden Fall eine rechtzeitige Klärung der Tatfragen von Amtes wegen nicht erfolgt ist, kann dem Beschwerdeführer nicht zum Nachteil gereichen, denn die Beweismittel für die Aufklärung des fraglichen Sachverhalts lagen allein im Einflußbereich der Prüfungskommission. Auch konnte von ihm nicht erwartet werden, innerhalb einer halben Stunde nach dem Schlußzeichen eine Beschwerde über die Durchführung der Prüfung nach Ziff. 7 ABP vorzubringen, denn er konnte damals noch nicht wissen, daß die nachträglich abgegebenen Blätter entgegen der gegebenen Zusicherung nicht berücksichtigt werden würden. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Beschwerde blieb dem Beschwerdeführer nichts anderes übrig, als den Sachverhalt zu behaupten und dessen Überprüfung der Prüfungskommission bzw. der Beschwerdekammer zu überlassen.
Auch wenn eine solche Überprüfung aus den genannten Gründen heute nicht mehr möglich ist, ist doch festzustellen, daß die Darstellung des Vorfalls durch den Beschwerdeführer nicht im Widerspruch steht zu der herrschenden Praxis bei der Durchführung der europäischen Eignungsprüfung, wie sie von der Vertreterin des Präsidenten des EPA erläutert wurde (oben Ziff. VI.). Insbesondere läßt diese Praxis die Behauptung des Beschwerdeführers glaubwürdig erscheinen, es sei ihm versichert worden, daß die nachgereichten Blätter seinem Umschlag noch beigefügt würden. Überdies lassen auch die vorhandenen Blätter seiner Arbeit den Schluß zu, daß das Einspruchsformblatt 2300 in der Tat Bestandteil seiner Bearbeitung war, weil sie entsprechend dem Hinweis in Ziffer VII. dieses Formblatts mit "Tatsachenvorbringen und Begründung" überschrieben ist und konsequent alle formellen Aspekte ausspart, die sich bei Verwendung des Formblatts in der Tat erübrigen, sonst aber geradezu selbstverständlich wären.
Die Kammer kommt deshalb in tatsächlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, daß im vorliegenden Fall zugunsten des Beschwerdeführers davon auszugehen ist, daß der von ihm behauptete Sachverhalt den Tatsachen entspricht.
4. Damit stellt sich die Frage, welche rechtlichen Folgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt zu ziehen sind.
4.1. Gemäß Ziff. 5.8 der auf die Prüfung des Jahres 1998 anwendbaren ABP (siehe "Durchführungsvorschriften zum Europäischen Patentübereinkommen", Jahrgang 1998, S. 317; ABl. EPA 1996, 152) haben die Bewerber,
"wenn das Schlußzeichen gegeben wird,
a) sofort mit dem Schreiben aufzuhören,
b) die Blätter in den Umschlag zu geben,
c) den Umschlag unverzüglich einer Aufsichtsperson abzugeben."
Diese Anweisungen lassen offen, was mit Blättern geschehen soll, die ein Bewerber zunächst nicht in den Umschlag gesteckt hat und der Aufsichtsperson erst nach der Abgabe des Umschlags übergibt.
In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, daß es angesichts der Bedeutung der europäischen Eignungsprüfung für die Bewerber und für die Öffentlichkeit von größter Bedeutung ist, daß keinerlei Zweifel am geordneten Ablauf der Prüfung entsteht. Hierzu gehört, daß die Prüfungsdauer für alle Bewerber dieselbe ist und daß in der erfahrungsgemäß kritischen Endphase der Prüfung die Gefahr von Verwechslungen ebenso vermieden wird, wie die Möglichkeit zu täuschen. Ob die von der Vertreterin des Präsidenten des EPA erläuterte Praxis bei der Abgabe der Arbeiten (oben Ziff. VI) diesen Anforderungen ausreichend Rechnung trägt, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Die Kammer regt aber an, daß die Prüfungskommission ihre Praxis aufgrund der bisherigen Erfahrungen überprüft.
4.2. Wie sich aus der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers ergibt, die dem vorliegenden Fall zugrunde zu legen ist (oben Ziff. 3.3), hat die Aufsichtsperson die ihr nachträglich übergebenen Blätter ohne Einwand entgegengenommen. Der Beschwerdeführer hat damit gemäß der herrschenden Praxis einen Anspruch darauf, daß diese Blätter, d. h. das ausgefüllte Einspruchsformblatt 2300, bei der Bewertung mitberücksichtigt werden. Dies ist bisher nicht geschehen, weil diese Blätter seiner Arbeit offensichtlich nicht beigefügt wurden und damit vom Prüfungsausschuß bzw. der Prüfungskommission auch nicht berücksichtigt werden konnten. Dies stellt im Ergebnis eine Verletzung von Artikel 7 (3) VEP (1994) dar. Gegenstand der Benotung ist die "Arbeit" des Bewerbers, was die Berücksichtigung der gesamten Arbeit voraussetzt.
Da das fragliche Formblatt heute nicht mehr auffindbar ist, muß zugunsten des Beschwerdeführers angenommen werden, daß er es zutreffend ausgefüllt hat. Diese Annahme ist insofern berechtigt, als das Formblatt weitgehend selbsterklärend ist und, soweit es nicht um bloße Formalien geht, im wesentlichen die Einspruchsbegründung zusammenfaßt und die Anträge enthält, die sich aus diesem Vorbringen ergeben.
4.3. Eine Neubewertung der Arbeit des Beschwerdeführers unter dieser Annahme kann durch die Beschwerdekammer selbst nicht vorgenommen werden. Ebensowenig kann die Kammer beurteilen, ob sich die bisherige Punktzahl bei Berücksichtigung des Formblatts so erhöht, daß die Prüfungsaufgabe C bestanden ist. Deshalb wird die Angelegenheit gemäß Artikel 12 der ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten an die Prüfungskommission zurückverwiesen, damit diese die Arbeit des Beschwerdeführers unter der erwähnten Annahme insgesamt neu bewerten kann.
5. Obwohl der Beschwerde teilweise stattgegeben wird, wäre eine ganze oder teilweise Zurückzahlung der Beschwerdegebühr im vorliegenden Fall nicht billig, da die Ursache für die unvollständige Bewertung seiner Arbeit vom Beschwerdeführer selbst gesetzt wurde.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungskommission zurückverwiesen mit der Auflage, die Arbeit des Beschwerdeführers neu zu bewerten unter der Annahme, daß der Beschwerdeführer ein vollständig ausgefülltes Formblatt 2300 miteingereicht hat.