European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1998:D001695.19980323 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 März 1998 | ||||||||
Aktenzeichen: | D 0016/95 | ||||||||
Anmeldenummer: | - | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Präsident des EPÜ (Beschwerdeführer) | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | DBA | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Mit Schreiben vom 10. Februar 1995 hat der Anzeigeerstatter, Herr A. dem Disziplinarrat einen Vorwurf einer Verletzung der beruflichen Regeln gemäß Artikel 6 (1) der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV; veröffentlicht in ABl. EPA 1978, 91) zur Kenntnis gebracht. Zur Begründung des Vorwurfs machte der Anzeigeerstatter u. a. folgendes geltend:
- Der zugelassene Vertreter, Herr Rechts- und Patentanwalt Dr. H., habe ihm, sieben Tage vor Ablauf der Frist, einen Auftrag erteilt, eine Übersetzung ins Schwedische anzufertigen sowie die rechtzeitige Einreichung der Übersetzung beim Schwedischen Patentamt zu besorgen. Dieser Auftrag sei fristgerecht ausgeführt worden. Ferner habe er dem zugelassenen Vertreter den Betrag für die bei der Einreichung zu entrichtenden amtlichen Gebühren vor gestreckt.
- In der Folge habe der zugelassene Vertreter seine Rechnung nicht bezahlt und auf seine Mahnungen nicht reagiert. Daraufhin habe er einen Rechtsanwalt beauftragt zu versuchen, ihm seine rechtmäßigen Forderungen einzufordern. Nach fast zweijährigen Bemühungen sei dieser jedoch erfolglos geblieben: Eine seit 1994 laufende Zwangsvollstreckung könne zur Zeit nicht vollzogen und eine Zwangsöffnung eines dem zugelassenen Vertreter gehörenden Hauses am Starnbergersee könne wegen Drittgewahrsams nicht durchgeführt werden. Ferner erscheine der zugelassene Vertreter nicht zu einem festgelegten Termin vor dem Gericht. Er sei nicht anzutreffen, weder in seinem Haus am Starnbergersee noch in seiner Zweitwohnung in München oder seiner Kanzlei. Des weiteren habe der zugelassene Vertreter Strafanzeige gegen die Gerichtsvollzieherin wegen Nötigung, Rechtsbeugung usw. eingereicht und lehne die Gerichtsvollzieherin wegen Befangenheit ab.
- Es könne daher nicht gesagt werden, daß der zugelassene Vertreter seinen Patentanwaltsberuf gewissenhaft und in einer Weise ausübe, die der Würde dieses Berufs entspreche (Art. 1 (1) VDV). Ferner habe er sich auch nicht so verhalten, "daß das Vertrauen, das für die Ausübung des Berufs notwendig ist, nicht beeinträchtigt wird" (Art. 1 (2) VDV).
II. Mit Entscheidung des Disziplinarrates vom 1. November 1995, zur Post gegeben am 14. November 1995, wurde das Disziplinarverfahren eingestellt. Zur Begründung wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt:
- Handlungen wie die Durchführung und Einreichung einer Übersetzung und die Einzahlung der Gebühren in der nationalen Phase in Schweden seien nicht den zugelassenen Vertretern vor dem EPA vorbehalten. Es bestehe dazu ferner kein Vertreterzwang in Schweden. Die Übersetzung, Einreichung und Gebührenzahlung seien demgemäß rechtswirksam vom Anzeigeerstatter vorgenommen worden. Dagegen sei der zugelassene Vertreter für diese Handlungen vor dem Schwedischen Patentamt nicht aufgetreten.
- Die Nichtzahlung einer Rechnung von Dritten sei nicht der beruflichen Tätigkeit als zugelassener Vertreter vor dem EPA zuzurechnen und werde nicht als Verletzung der beruflichen Regeln angesehen, wie sie im ABl. EPA bzw. zuletzt in der EPI Information 1994/1 veröffentlicht seien. Das Vertrauen, das für die Ausübung des Berufs der Vertretung vor dem EPA nötig sei (Art. 1(2) VDV), werde durch allfällige Verfehlungen, die die Zahlungsmoral hinsichtlich der Begleichung der Rechnungen Dritter betreffe, nicht grundsätzlich in einem solchen Maße beeinträchtigt, daß dies zum Nachteil des gesamten Berufsstandes anzusehen wäre. Dabei sei zu berücksichtigen, daß der Mandant des zugelassenen Vertreters im vorliegenden Fall durch die fristgerechte Aktivierung des Europapatents in Schweden offensichtlich vollständig befriedigt worden sei.
- Hinzu komme, daß das Verhalten des zugelassenen Vertreters, wenn er Rechnungen eines Erfüllungsgehilfen nicht bezahlt habe, weder den Rechtsnormen noch einer Partnerschaftlichkeit im geschäftlichen Leben entspreche. Es seien zweifellos andere Gremien dazu berufen, auf der Basis geeigneter Vorschriften, Bestimmungen, Verordnungen oder Gesetze Untersuchungen anzustellen und allenfalls eine Verurteilung auszusprechen.
III. Die Präsidentin des Rates des Instituts der beim EPA zugelassenen Vertreter (EPI) hat mit Schreiben vom 7. Dezember 1995 gestützt auf Artikel 8 (2) VDV gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 12. Januar 1996 begründet. Zur Begründung der Beschwerde wurde im wesentlichen folgendes geltend gemacht:
- Es gehöre zu den Aufgaben eines beim EPA zugelassenen Vertreters, Übersetzungen eines erteilten europäischen Patents anfertigen zu lassen und die Einreichung dieser Übersetzungen bei den betreffenden nationalen Patentämtern zu überwachen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß diese Handlungen auch von Personen, die nicht zugelassene Vertreter seien, vorgenommen werden könnten. Es liege daher ein Verstoß gegen Artikel 1 VDV vor, wenn ein zugelassener Vertreter einen Auftrag zur Anfertigung von Übersetzungen erteile und sich anschließend weigere, die damit verbundenen Kosten zu übernehmen. Ein solcher zugelassener Vertreter übe seinen Beruf nicht gewissenhaft und in einer Weise aus, die der Würde seines Berufs entspreche.
- Ganz allgemein sei davon auszugehen, daß die Weigerung eines beim EPA zugelassenen Vertreters, Schulden zu begleichen, das Vertrauen, das für die Ausübung des Vertreterberufs notwendig sei, insbesondere dann beeinträchtige, wenn die Schulden mit der beruflichen Tätigkeit des zugelassenen Vertreters in einem engen Zusammenhang ständen.
- Der Disziplinarrat scheine in der angefochtenen Entscheidung die Meinung zu vertreten, daß er nicht zuständig sei, weil der Patentinhaber (der Mandant des zugelassenen Vertreters) durch das Verhalten des zugelassenen Vertreters nicht benachteiligt worden sei und sich auch nicht beschwert habe. Dies entspreche jedoch einer zu engen Auslegung der VDV.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und eine Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten über den Vorwurf einer Verletzung der beruflichen Regeln, den der Anzeigeerstatter dem Disziplinarrat zur Kenntnis gebracht hat.
Der zugelassene Vertreter stellte keine Anträge.
V. Am 12. Mai 1997 ist Frau E. Thouret-Lemaître als Präsidentin des Rates des EPI zurückgetreten. Als Nachfolger wurde Herr Dr. A. V. Huygens ernannt, der als Präsident des Rates des EPI nunmehr Beschwerdeführer ist.
VI. Mit einem Bescheid wurde dem zugelassenen Vertreter sowie dem Präsidenten des EPA und dem Beschwerdeführer die vorläufige Meinung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten mitgeteilt und gemäß Artikel 12. VDV Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Im Bescheid wurde ausgeführt, daß das dem zugelassenen Vertreter vorgeworfene tadelnswerte Verhalten beim Erteilen eines Auftrags, Übersetzungen zur Verwendung in der nationalen Phase anzufertigen, den Tatbestand einer Verletzung der allgemeinen Berufspflichten nach Artikel 1 VDV erfüllen dürfte, wenn und soweit es den Tatsachen entspreche. Der Vorwurf einer Verletzung der beruflichen Regeln sei jedoch im vorliegenden Fall nicht hinreichend substantiiert.
VII. Mit Schreiben vom 7. November 1997 teilte der Präsident des EPA der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten mit, daß er nicht beabsichtige, eine sachliche Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer und der zugelassene Vertreter enthielten sich einer Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die VDV enthalten in Teil I (Artikel 1, 2 und 3 VDV) die "Beruflichen Regeln". Artikel 4 c) der Vorschriften über die Errichtung des EPI (ABl. EPA 1978, 85) bestimmt, daß das EPI dafür zu sorgen hat, "daß seine Mitglieder die beruflichen Regeln einhalten, unter anderem durch Aussprache von Empfehlungen". Die vom Rat des EPI erlassenen Richtlinien für die Berufsausübung (ABl. EPA 1986, 331), nachstehend Richtlinien genannt, drücken laut ihrer Präambel diese Empfehlungen aus. Gemäß der Präambel dienen die Richtlinien zur Regelung des Verhaltens und anderer Tätigkeiten der Mitglieder (d. h. der beim EPA zugelassenen Vertreter) insoweit, als diese Tätigkeiten sich auf das EPÜ beziehen. Nach Punkt 1 b) der Richtlinien wird aber kein Mitglied durch diese Richtlinien von seiner Verantwortung entbunden, die in den Artikeln 1, 2 und 3 VDV enthaltenen beruflichen Regeln zu befolgen. Damit regeln diese Artikel einen weiteren Tätigkeitsbereich als denjenigen im Patenterteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren, wie z. B. die Anfertigung und Einreichung einer Übersetzung nach Artikel 65 EPÜ. Dies bedeutet, daß auch das Verhalten eines zugelassenen Vertreters im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nur mittelbaren Bezug zu diesen Verfahren haben, den Tatbestand einer Verletzung der allgemeinen Berufspflichten gemäß Artikel 1 VDV erfüllen kann.
3. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Ausfertigung und Einreichung einer Übersetzung und die Einzahlung der Gebühren in der nationalen Phase in einem Vertragsstaat durch Artikel 1 VDV umfaßt werden, auch wenn es sich dabei nicht um Tätigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Patenterteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren handelt. Es handelt sich nämlich um Tätigkeiten in Verbindung mit einem europäischen Patent, (vgl. Artikel 65 und 141 EPÜ), die grundsätzlich zum Aufgabenbereich eines zugelassenen Vertreters gehören. Daß diese Tätigkeiten durch die Vorschriften des Artikels 1 VDV geregelt werden rechtfertigt sich aber auch im Hinblick auf die Tatsache, daß es für Außenstehende (z. B. mit der Übersetzung einer Patentschrift Beauftragte) schwierig ist, zwischen Tätigkeiten eines zugelassenen Vertreters, die sich unmittelbar auf das Patenterteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren beziehen, und solchen, die diese Bedingung nicht erfüllen, zu unterscheiden.
Da Tätigkeiten eines zugelassenen Vertreters, die sich auf die nationale Phase beziehen, durch die Vorschriften des Artikels 1 VDV geregelt werden, erfüllt ein tadelnswertes Verhalten eines zugelassenen Vertreters im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten den Tatbestand einer Verletzung der allgemeinen Berufspflichten gemäß Artikel 1 VDV.
4. Der Anzeigeerstatter macht geltend, daß der zugelassene Vertreter ihm einen Auftrag zur Anfertigung einer Übersetzung ins Schwedische und zur Einreichung der Übersetzung beim schwedischen Patentamt erteilt habe, daß dieser sich aber anschließend geweigert habe, die damit verbundenen Kosten zu übernehmen. Dieses dem zugelassenen Vertreter vorgeworfene tadelnswerte Verhalten erfüllt zweifellos den Tatbestand einer Verletzung der allgemeinen Berufspflichten gemäß Artikel 1. VDV, wenn und soweit es den Tatsachen entspricht.
5. Der Vorwurf einer Verletzung der allgemeinen beruflichen Regeln gemäß Artikel 1 VDV ist jedoch im vorliegenden Fall nicht hinreichend substantiiert. In den Beschwerdeunterlagen sind insbesondere keine Dokumente enthalten, die beweisen, daß
a) der zugelassene Vertreter dem Anzeigeerstatter einen Auftrag erteilt hat, eine Übersetzung eines bestimmten europäischen Patents ins Schwedische anzufertigen und die Übersetzung beim schwedischen Patentamt einzureichen,
b) der Anzeigeerstatter dem zugelassenen Vertreter den Betrag für die bei der Einreichung der Übersetzung zu entrichtenden amtlichen Gebühren vorgestreckt hat,
c) der Anzeigeerstatter dem zugelassenen Vertreter Mahnungen geschickt und daraufhin einem Rechtsanwalt den Auftrag erteilt hat, ihm seine Forderungen einzutreiben,
d) eine seit 1994 laufende Zwangsvollstreckung gegen den zugelassenen Vertreter nicht vollzogen werden kann,
Es ist daher zu untersuchen, inwieweit diese vom Anzeigeerstatter aufgestellten Behauptungen den Tatsachen entsprechen.
6. Nach Artikel 22 (3) VDV ist im Verfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten Artikel 111 (1) und (2), Satz 1 EPÜ entsprechend anzuwenden. Das bedeutet, daß die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten eine Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an den Disziplinarrat zurückverweisen kann und daß der Disziplinarrat dabei durch die rechtliche Beurteilung, die der Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten zugrunde gelegt ist, gebunden ist, soweit der Tatbestand derselbe ist.
Es ist mithin dem pflichtgemäßen Ermessen der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten überlassen, unter Würdigung der Umstände des Falles über eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zu entscheiden. Als Richtschnur für das Vorgehen gilt dabei der allgemein anerkannte Grundsatz, daß die im Beschwerdeverfahren entscheidungswesentlichen strittigen Punkte nach Möglichkeit von zwei Instanzen geprüft werden sollten.
Im vorliegenden Fall wurde von der Vorinstanz nicht geprüft, ob die vom Anzeigeerstatter aufgestellten Behauptungen (oben Punkt 5) den Tatsachen entsprechen. Da der Disziplinarrat der Auffassung war, daß die dem zugelassenen Vertreter vorgeworfenen Handlungen keine Verletzung der beruflichen Regeln darstellten, hat er auf die Durchführung einer als angemessen erachteten Ermittlung des Sachverhalts (Art. 6 (2) VDV) verzichtet. Eine solche Ermittlung ist aber unverzichtbar, weil das dem zugelassenen Vertreter vorgeworfene tadelnswerte Verhalten ja im Zusammenhang mit Tätigkeiten steht, die durch die Vorschriften des Artikels 1 VDV geregelt werden (oben Punkt 3).
Da entscheidungswesentliche strittige Punkte nach Möglichkeit von zwei Instanzen geprüft werden sollten (oben), verweist die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens, die Angelegenheit an den Disziplinarrat zur weiteren Entscheidung gemäß Artikel 6 (2) VDV zurück. Der Disziplinarrat ist dabei durch die rechtliche Beurteilung gebunden, daß die Durchführung und Einreichung einer Übersetzung und die Einzahlung der Gebühren in der nationalen Phase in einem Vertragsstaat durch die Vorschriften des Artikels 1 VDV geregelt sind (oben Punkt 3) und daß das dem zugelassenen Vertreter vorgeworfene tadelnswerte Verhalten den Tatbestand einer Verletzung der allgemeinen Berufspflichten gemäß Artikel 1 VDV erfüllt, wenn und soweit es den Tatsachen entspricht (oben Punkt 4).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an den Disziplinarrat zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.