D 0013/17 () of 12.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:D001317.20180212
Datum der Entscheidung: 12 Februar 2018
Aktenzeichen: D 0013/17
Anmeldenummer: -
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: -
Name des Einsprechenden: -
Kammer: DBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
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Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

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Angeführte Entscheidungen:
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Anführungen in anderen Entscheidungen:
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Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die von der Prüfungs-kommission auf Vorschlag des Prüfungsausschusses I getroffene Bewertung der Prüfungsarbeit A mit 37 Punkten und gegen die daraus resultierende Entscheidung, dass der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung 2017 nicht bestanden hat.

II. Der Vorsitzende der Prüfungskommission teilte dem Beschwerdeführer die Bewertung der Prüfungsarbeit A und die Entscheidung der Prüfungskommission mit Schreiben vom 6. Juli 2017 mit. Dem Schreiben beigefügt waren die entsprechenden Bewertungsbögen mit Einzelheiten zur Notengebung durch zwei Mitglieder des jeweiligen zuständigen Prüfungsausschusses.

III. Mit Schreiben vom 7. August 2017 legte der Beschwerde-führer gegen die Entscheidung vom 6. Juli 2017 formgerecht Beschwerde ein und begründete diese. Die Beschwerdegebühr wurde fristgerecht entrichtet.

IV. Mit Schreiben vom 13. September 2017 teilte das Prüfungssekretariat dem Beschwerdeführer mit, dass die Prüfungskommission seiner Beschwerde nicht abgeholfen habe und dass daher die Beschwerde an die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des Europäischen Patentamts weitergeleitet worden sei.

V. Mit Schreiben vom 13. September 2017 legte das Prüfungssekretariat die Beschwerde gemäß Artikel 24 (3) Satz 2 der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP) der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten vor.

VI. Dem Präsidenten des Europäischen Patentamts (EPA) und dem Präsidenten des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter (epi) ist mit Schreiben vom 28. September 2017 gemäß Artikel 24 (4) VEP i. V. m. Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Es sind keine schriftlichen Stellungnahmen zu der Beschwerde eingegangen.

VII. Nachdem sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 5. Dezember 2017 mit einer verkürzten Ladungsfrist einverstanden erklärt hat, erging am 14. Dezember 2017 eine Ladung zur nicht öffentlichen mündlichen Verhandlung am 12. Februar 2018 gemäß Artikel 13 VDV.

VIII. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 wurde die Anberaumung der mündlichen Verhandlung dem Präsidenten des EPA sowie dem Präsidenten des epi gemäß Artikel 24 (4) VEP in Verbindung mit Artikel 12 und 14 VDV mitgeteilt.

IX. In einer Mitteilung gemäß Artikel 13 (2) der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (VOBKD) vom 9. Januar 2018 teilte die Beschwerdekammer ihre vorläufige und nicht bindende Meinung mit, dass es keinen Anhaltspunkt in der vorliegenden Beschwerdebegründung zu geben scheine, dass ein offensichtlicher und schwerwiegender Fehler vorliege, der es aus objektiver Sicht rechtfertigen würde, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

X. Mit Schreiben vom 2. Februar 2018 hat der Beschwerdeführer zu der vorläufigen Meinung der Beschwerdekammer Stellung genommen und weitere Unterlagen eingereicht (Kopien der Tutorenberichte 2016 und 2017 (epi Information 04/2016, Seiten 14 – 17; epi Information 04/2017, Seiten 20 – 21) und eine anwaltliche Erklärung einer seiner Rechtsbeistände).

XI. Mit Email vom 7. Februar 2018 wurde der Beschwerdekammer in einem Parallelverfahren (D 16/17) eine Kopie eines unausgefüllten detaillierten Bewertungsbogens („detaillierter Bewertungsbogen“) übermittelt.

XII. Am 12. Februar 2018 fand die nicht öffentliche mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Daran nahmen der Beschwerdeführer, dessen Rechtsbeistände (Artikel 24 (4) VEP i.V.m. Artikel 17 VDV), sowie eine vom Präsidenten des EPA bestimmte Vertreterin (Artikel 24 (4) VEP in Verbindung mit Artikel 14 VDV) teil.

Dem Beschwerdeführer wurde mit Zustimmung der Vertreterin des Präsidenten des EPA eine Kopie des im Parallelverfahren übermittelten detaillierten Bewertungsbogens überreicht, den die Korrektoren nach Information der Vertreterin des Präsidenten des EPA für die Korrektur der Prüfungsarbeit A der europäischen Eignungsprüfung 2017 benutzt haben.

Als seine Schlussanträge beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung der Entscheidung der Prüfungskommission und die Rückverweisung an die Prüfungskommission mit der Anordnung, eine neuerliche Bewertung der Prüfungsarbeit A des Beschwerdeführers durch den betreffenden Prüfungsausschuss zu veranlassen, und der Benotung der Prüfungsarbeit A des Beschwerdeführers das Ergebnis der neuerlichen Bewertung zugrunde zu legen und auf Grundlage dieser Benotung zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung 2017 bestanden hat.

Des Weiteren wurde die Rückerstattung der Beschwerdegebühr beantragt.

XIII. Die entscheidungserheblichen Argumente des Beschwerde­führers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die angefochtene Entscheidung beruhe auf folgenden schweren und eindeutigen Fehlern:

(a) Obgleich sich seine Lösung von der von der Prüfungskommission erwarteten Lösung unterscheide, so würde sie dennoch nach den Vorschriften des EPÜ und den Vorschriften der VEP und der Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung (ABVEP), insbesondere der Regel 23 (3) Satz 1 ABVEP, eine der von der Prüfungskommission erwarteten Lösung zumindest gleichwertige und auch eine konsequente und richtige Lösung darstellen.

Die Prüfungsaufgabe zeige auch in Zusammenschau mit der von der Prüfungskommission erwarteten Lösung, dass nicht nur diese Lösung vertretbar sei. Per Definition löse jeder Anspruch eine Aufgabe, d.h. es sei nicht eine Voraussetzung des EPÜ, dass eine bestimmte Aufgabe gelöst werden müsse so wie es der Prüferbericht (Seite 5, 2. Absatz) fordere. Es gebe nicht „die Aufgabe“ für Artikel 56 EPÜ; vielmehr definiere sich die Aufgabe nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz. Auch in den Absätzen [013] bis [016] gäbe es keinen Anhaltspunkt in der Aufgabe, einen Anspruch ohne unterschiedliche Foliendicke auszuschließen. Daran ändere auch der Absatz [008] nichts. Damit sei die Aufgabe des Prüfungsteils A so formuliert gewesen, dass der Beschwerdeführer bei verständiger Betrachtung unter Berücksichtigung des EPÜ, der VEP und der ABVEP zu der von ihm eingereichten Lösung habe kommen können. Daher gebe es zwei gleichwertige Lösungen, wovon nicht eine in der Aufgabe ausgeschlossen sei. Infolgedessen beruhe die von der Prüfungskommission erwartete Lösung auf einer vorgefassten Meinung, was die „einzige richtige“ Lösung in dem vorliegenden Fall darstellen sollte, ohne dass seine Arbeit tatsächlich auf ihre Qualität hin objektiv untersucht worden sei. Dies widerspreche jedoch den in der Entscheidung D 7/07, insbesondere in Punkt 5 der Entscheidungsgründe, aufgestellten Grundsätzen.

(b) Ein pauschaler Abzug von jeweils etwa zwei Drittel aller zu vergebenden Punkte für die Vorrichtungsansprüche, die Verfahrensansprüche und die Beschreibung sei in jedem Fall ungerechtfertigt. Dies wäre selbst dann so, wenn die unabhängigen Ansprüche nicht entsprechend der von der Prüfungskommission erwarteten Lösung auf den Merkmalskomplex B (Beutel für Geschirrspültabs) + D (verschiedene Dicken der Folie), sondern auf den Merkmalskomplex B + V (verschiedene Geschirrspülzusammensetzungen) gerichtet seien und die Beschreibung sich ebenfalls mit den Vorzügen des Gegenstands B + V sowie den Unterschieden des Merkmalskomplexes B + V zu den Gegenständen der Dokumente D1 und D2 aus dem Stand der Technik beschäftige, statt mit den Vorzügen und Unterschieden, welche der Merkmalskomplex B + D aufweise. Da es sich bei der Prüfungsaufgabe A der Eignungsprüfung um einen abgeschlossenen Block handele, seien derartige enorme Pauschalabzüge umso schwerwiegender und besonders kritisch zu beurteilen, wenn ein Ansatz vom Prüfungskandidaten gefunden werde, den die Prüfungskommission so nicht erwartet habe. Ein Pauschalabzug von derart vielen Punkten sei damit im höchsten Maße unbillig.

(c) Da in dem von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen nur die Variante von zwei unabhängigen Verfahrensansprüchen aufgeführt sei, impliziere dieser Bewertungsbogen, dass nur bei einer Lösung mit zwei unabhängigen Verfahrensansprüchen die volle Punktzahl von 32 Punkten (10 Punkte für das allgemeine Verfahren und 22 Punkte für das Walzverfahren) erhalten werden konnte. Damit bestehe jedoch ein Widerspruch zwischen diesem Bewertungsbogen und dem Prüferbericht, der die Lösungen mit einem Verfahrensanspruch mit abhängigen Ansprüchen oder mit zwei unabhängigen Verfahrensansprüchen als gleichwertig angegeben habe. Außerdem impliziere dieser Bewertungsbogen, dass es einen Punktabzug gegeben habe, wenn in einer Prüfungsarbeit ein unabhängiger Verfahrensanspruch mit abhängigen Ansprüchen abgefasst worden sei, da laut Bewertungsbogen höchstens nur insgesamt 15 Punkte für abhängige Ansprüche vergeben werden konnten. Das Gleiche gelte, wenn ein einziger unabhängiger Verfahrensanspruch von gleichem Schutzumfang wie 2 unabhängige Ansprüche abgefasst worden sei, denn ein derartiger Anspruch habe wahrscheinlich entweder nur maximal 10 oder 22 Punkte erhalten.

(d) Die Prüfungskommission und insbesondere die Korrektoren der Prüfungsarbeit A des Beschwerdeführers hätten ihr Ermessen unbillig ausgeübt, in dem sie von den möglichen erreichbaren Punkten wegen ein und desselben Unterschieds zwischen der Lösung des Bewerbers und der von der Prüfungskommission erwarteten Lösung dem Bewerber pauschal 25 Punkte bei den Produktansprüchen, 20 Punkte bei den Verfahrensansprüchen und 10 (bzw. 11) Punkte bei der Beschreibung von den möglichen Punkten abgezogen zu haben scheinen. Insbesondere seien, soweit ersichtlich, auch die Verfahrensansprüche der Prüfungsarbeit des Bewerbers dahingehend bewertet worden, ob diese inhaltlich der von der Prüfungskommission erwarteten Lösung glichen und nicht, ob diese an sich handwerklich und inhaltlich korrekt und konsistent seien, wie dies eigentlich auch im Prüfungsbericht der Prüfungskommission als Ziel beschrieben worden sei. Vergleichbares gelte für den Abzug von 10 Punkten bei der Beschreibungseinleitung, denn das „Miteinanderverbinden“ sei vom Mandanten laut Aufgabe gewünscht und weder in der Aufgabe selbst noch durch den Stand der Technik ausgeschlossen.

Ein derartiges Vorgehen stelle jedoch eine Doppelbestrafung (bzw. sogar eine Dreifachbestrafung) dar, welche durch die Leistungen des Bewerbers nicht gerechtfertigt und im Sinne einer angemessenen Bewertung einer Prüfungsleistung auch nicht zulässig sei. Eine Bewertung der Prüfungsarbeit mit Doppelbestrafung verstoße gegen die allgemein in den Mitgliedstaaten der EPO anerkannten Grundsätze der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes. Das Verbot der Doppelbestrafung sei auch aus der Entscheidung D 7/07, Punkt II des Abschnitts „Sachverhalt und Anträge“ und Punkt 5 der Entscheidungsgründe, ersichtlich. Darüber hinaus belegten die eingereichten Tutorenberichte 2016 und 2017 und die eingereichte anwaltliche Erklärung, dass bei der Bewertung einer Prüfungsarbeit derselbe Fehler in den Produkt- und Verfahrensansprüchen grundsätzlich nur einen und keinen mehrfachen Punktabzug und somit keine Doppelbestrafung zur Folge haben dürfe. Offensichtlich seien diese Grundsätze in der Prüfungsarbeit des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt worden, was anhand des massiven Abzugs von über 50% der erreichbaren Punkte erkennbar sei.

Außerdem sei dem Prüferbericht und dem detaillierten Bewertungsbogen zu entnehmen, dass es bei den Verfahrensansprüchen 6 bzw. 12 Punkte Abzug gegeben habe, wenn sie nicht zu dem erfindungsgemäßen Produkt geführt hätten. Darin liege aber eine weitere Doppelbestrafung, denn eine alternative Lösung für den unabhängigen Produktanspruch, die bereits als nicht erfinderisch bewertet worden sei und für die es bereits einen pauschalen Punktabzug gegeben habe, würde wegen der geforderten Konsistenz der Ansprüche weitere pauschale Punktabzüge in den Verfahrensansprüchen nach sich ziehen.

(e) Die vom dem Beschwerdeführer abgefasste Einleitung der Beschreibung erfülle alle drei der im Prüferbericht beschriebenen Subkategorien, die jeweils mit maximal 5 Punkten bewertet werden konnten, und insbesondere alle Erfordernisse der Regel 23 (4) ABVEP, denn er habe

i) auf der Seite 1 seiner Lösung den Stand der Technik ausführlich beschrieben,

ii) auf den Seiten 1 und 2 seiner Lösung ausführlich erläutert, welche Probleme im Stand der Technik bestehen würden und welches Problem der Gegenstand gemäß dem Merkmalskomplex B + V lösen würde, und

iii) auf Seite 3 seiner Lösung einige Inhalte des Briefs des Anmelders bei der Ausarbeitung der Beschreibungs-einleitung berücksichtigt.

Letzteres sei gemäß Regel 23 (4) ABVEP durchaus ausreichend, da ihrem Wortlaut nach ein konkretes „Umarbeiten“ des Briefs des Anmelders in eine Beschreibung, wie es laut Prüferbericht für den Erhalt der vollen Punktzahl gefordert werde, nicht erforderlich sei. Außerdem sei dieses Erfordernis im Prüferbericht inhaltlich vage.

XIV. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Beschwerdekammer.

Entscheidungsgründe

Vorbemerkung

Falls nicht anders angeführt, bezieht sich die Bezeichnung "VEP" im Folgenden auf die ab 1. Januar 2009 geltende Fassung (veröffentlicht in Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2017, 2 ff), und "ABVEP" auf die ab 1. April 2010 geltende Fassung, geändert durch Beschluss des Aufsichtsrats vom 1. Oktober 2013 bzw. 13. Februar 2017 (aktuelle Fassung veröffentlicht in Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2017, 18 ff.).

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verkürzte Ladungsfrist

Gemäß Artikel 24 (4) Satz 1 VEP und entsprechender Anwendung des Artikels 13 (2) der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV, Zusatzpublikation 1, ABl. EPA 2018, 126 ff.) ist Regel 115 (1) EPÜ entsprechend anzuwenden.

Nach Regel 115 (1) Satz 2 EPÜ beträgt die Ladungsfrist für eine mündliche Verhandlung mindestens zwei Monate, sofern der Beschwerdeführer nicht mit einer kürzeren Frist einverstanden ist. Da sich der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 5. Dezember 2017 mit einer verkürzten Ladungsfrist einverstanden erklärt hat, wurde im vorliegenden Fall mit einer verkürzten Ladungsfrist zur mündlichen Verhandlung am 12. Februar 2018 geladen.

3. Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung

Im Wesentlichen rügt der Beschwerdeführer die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Entscheidung der Prüfungskommission hinsichtlich der Bewertung seiner Prüfungsarbeit zu der Prüfungsaufgabe A. Er macht insbesondere geltend, dass bestimmte Abzüge von Punkten oder Nichtvergabe von Punkten nicht nachvollziehbar oder nicht gerechtfertigt seien, bzw. gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen würden (siehe XIII (a) bis (e) oben).

3.1 Gemäß Artikel 24 (1) VEP und nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Anschluss an D 1/92, ABl. EPA 1993, 357) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahingehend zu überprüfen, ob nicht die VEP oder die bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangiges Recht verletzt sind. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission steht nämlich im Grundsatz ein Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Nur wenn der Beschwerdeführer geltend machen kann, dass die angegriffene Entscheidung auf schweren und eindeutigen Fehlern beruht, kann dies von der Beschwerdekammer berücksichtigt werden. Der behauptete Fehler muss so offensichtlich sein, dass er ohne Wiedereröffnung des gesamten Bewertungsverfahrens und ohne wertende Neubetrachtung der Prüfungsarbeit festgestellt werden kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Prüfungsaufgabe widersprüchlich oder unverständlich formuliert ist (D 13/02) oder wenn Prüfer bei ihrer Beurteilung von einer technisch oder rechtlich falschen Beurteilungsgrundlage ausgehen, so dass die angefochtene Entscheidung auf dieser beruht (D 16/02, Punkt 3 der Entscheidungsgründe; D 6/04, Punkt 2 der Entscheidungsgründe).

3.2 In der vorliegenden Beschwerdebegründung geht es zunächst um die Frage, ob die Lösung des Beschwerdeführers eine gleichwertige oder gar bessere Lösung als die von der Prüfungskommission „erwartete Lösung“ ist. Um diese Frage zu beantworten, wäre jedoch eine sachliche Überprüfung des Prüfungsverfahrens seitens der Beschwerdekammer notwendig, die sowohl eine eingehende Analyse der Prüfungsaufgabe A als auch eine Bewertung der jeweiligen Lösung des Beschwerdeführers und der Prüfungskommission umfassen müsste. Dies würde jedoch einer Wiedereröffnung des gesamten Bewertungsverfahrens und einer wertenden Neubetrachtung der Prüfungsarbeit gleichkommen, was nach den oben dargelegten Grundsätzen eben nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer ist.

Ebenso wenig ist es die Aufgabe der Beschwerdekammer, das von der Prüfungskommission bei der Bewertung der Prüfungsarbeit des Beschwerdeführers angewandte Ermessen dahingehend zu überprüfen, ob der Prüfungsausschuss I oder die Prüfungskommission zu viele Punkte abgezogen bzw. nicht genügend Punkte für die Beantwortung in den jeweiligen Teilen der Prüfungsarbeit des Beschwerdeführers vergeben hat. Würde die Beschwerdekammer dem Ansatz des Beschwerdeführers folgen, dann würde sie die Prüfungsarbeit letztlich neu bewerten müssen, in dem sie eine eigene Punktevergabe vornehmen würde. Das Werturteil des zuständigen Prüfungsausschusses oder der Prüfungskommission über die Zahl der Punkte, die die jeweilige Antwort auf eine Prüfungsfrage einer Prüfungsarbeit verdient, unterliegt jedoch nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten nicht der Überprüfung durch die Beschwerdekammer (D 13/02, Punkt 5 der Entscheidungsgründe; D 7/05, ABl. EPA 2007, 378, Punkt 20 der Entscheidungsgründe). Dies muss auch für die Kriterien gelten, aufgrund derer die Prüfungskommission die Wertigkeit der erwarteten Antworten auf die Prüfungsfragen bestimmt.

Die Rechtfertigung für diese beschränkte gerichtliche Kontrolle ist in dem Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum, der den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission grundsätzlich in der Eignungsprüfung zusteht, zu sehen. Die Rechtsprechung in Bezug auf die Vorprüfung ist daher hier nicht heranzuziehen, da bei der Bewertung der Multiple-Choice-Aufgaben der Vorprüfung kein Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum für den zuständigen Prüfungsausschuss oder die Prüfungskommission besteht und auch die Vergabe der Punktezahl schematisch und ermessens- bzw. beurteilungsfrei erfolgt.

3.3 Bei der Überprüfung von Entscheidungen der Prüfungskommission spielt aber auch die Frage der Nachvollziehbarkeit der Prüfungsentscheidung eine Rolle (D 7/05, loc. cit., Punkte 8 und 9 der Entscheidungsgründe).

Um die Entscheidung der Prüfungskommission im Einzelfall für den Bewerber nachvollziehbar zu machen, schreibt Regel 4 (1) ABVEP wie auch schon die davor geltende Regel 6 (1) ABVEP vor, dass die Bewertungsbögen Einzelheiten zur Notengebung enthalten müssen. Bei den Anforderungen dieser Vorschrift der Ausführungsbestimmungen handelt es sich nicht nur um eine Formalität, sondern um ein für die Rechte der Bewerber wesentliches Element des Prüfungsverfahrens, dessen Verletzung einen Mangel des Prüfungsverfahrens begründen kann, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach sich ziehen kann (D 1/01, Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe; D 7/05, loc. cit., Punkt 8 der Entscheidungsgründe).

Anhand des mit der Entscheidung übersandten Bewertungsbogens soll der Bewerber erkennen können, ob die einzelnen Punktbewertungen, die Notenbildung, die Notenabgleichung und die Gesamtbewertung in sich schlüssig sind (D 7/05, loc. cit., Punkt 8 der Entscheidungsgründe; ähnlich D 12/82, ABl. EPA 1983, 233, Punkt 4 der Entscheidungsgründe). In der Entscheidung D 7/05, loc. cit., Punkt 9 der Entscheidungsgründe wurde dazu ausgeführt: „Unter Einzelheiten zur Notengebung sind eine hinreichende Unterteilung der möglichen Maximalpunktzahl und der für den Bewerber vergebenen Gesamtpunktzahl in Unterpunkte zu verstehen und die Angabe, für welche Sachverhaltskomplexe, bzw. rechtliche Fragestellungen diese Unterpunkte vergeben wurden. Mit derartigen Angaben ist auch in Abwesenheit einer verbal-argumentativen Begründung der Prüfungsentscheidung die Entscheidung der Prüfungskommission über einen Bewerber für diesen in Verbindung mit den im Kompendium veröffentlichten Unterlagen nachvollziehbar. Er kann seine Antworten anhand seines Bewertungsbogens mit der "Possible Solution" und den Arbeiten der Mitbewerber vergleichen und davon ausgehend feststellen, ob und in welchem Umfang, d.h. hinsichtlich welcher Teilaspekte der Prüfungsaufgabe, seine Antworten als richtig und vollständig, bzw. als falsch oder unvollständig bewertet wurden, sowie auch, ob die Beurteilung seiner Arbeit das Ergebnis einer Fehlbeurteilung gewesen sein könnte, die von der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten in einem Beschwerdeverfahren überprüft werden kann (siehe auch D 3/03 vom 23. April 2004, unveröffentlicht, Punkt 4 der Entscheidungsgründe, in der der dortige Beschwerdeführer in vergleichbarer Weise argumentiert hatte).“

Nach einem weiteren von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsatz ist bei der Erstellung von detaillierten, von den Beurteilern zu verwendenden Bewertungsvorlagen durch die Prüfungsorgane eine Abwägung erforderlich zwischen einerseits dem Zweck, eine gleichmäßige Bewertung der Bewerber zu gewährleisten (Artikel 6 (2) c) VEP), und andererseits der Notwendigkeit, auch eine gerechte Bewertung von vom Prüferbericht abweichenden, aber dennoch zumindest vertretbar und kompetent begründeten Antworten zu gewährleisten (siehe D 7/05, loc. cit., insbesondere 2. Leitsatz und Punkt 13 der Entscheidungsgründe; D 12/82, loc. cit., Punkt 3 der Entscheidungsgründe; bestätigt in D 7/07, Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Letztere Verpflichtung trägt dem in Artikel 1 (1) VEP festgelegten Ziel der europäischen Eignungsprüfung Rechnung, wonach durch die Eignungsprüfung festgestellt werden soll, ob ein Bewerber geeignet ist, als zugelassener Vertreter vor dem EPA aufzutreten ("fit to practice"). Die Zuerkennung von Punkten für einen (nach Meinung der Prüfungsausschüsse und/oder der Prüfungskommission) zwar unrichtigen, aber logisch und gemäß anerkannter Praxis begründeten Angriff (im Falle eines Einspruchs) ist rechtlich geboten und es ist damit nicht vereinbar, eine Prüfungsarbeit für Bewertungszwecke als eine Liste voneinander unabhängiger Einzelfragen (wie etwa bei einem Multiple-Choice-System) zu behandeln, für die es jeweils nur eine richtige Antwort gibt (D 7/07, Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Vielmehr folgt aus dem "fit-to-practice" - Kriterium die Verpflichtung der Prüfer, bei der Bewertung der einzelnen Teile der Antworten ihre Wertigkeit im Gesamtzusammenhang der Prüfungsarbeit nicht außer Acht zu lassen (D 3/00, ABl. EPA 2003, 365, Punkt 3 der Entscheidungsgründe; bestätigt in D 7/07, Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Die von den Beurteilern zu verwendenden Bewertungsvorlagen müssen daher gewisse Spielräume lassen und - lediglich - hinreichend detailliert sein, um als Einzelheiten zur Notengebung im Sinne von Regel 6 (1) ABVEP den Bewerbern anhand der veröffentlichten oder zugänglich gemachten Texte die Nachprüfung zu erlauben, ob bei der Bewertung ihrer Arbeiten gegen Bewertungsgrundsätze verstoßen wurde, deren Einhaltung von der Beschwerdekammer überprüft werden kann (siehe D 7/05, loc. cit., 2. Leitsatz und Punkt 13 der Entscheidungsgründe; D 12/82, loc. cit., Punkt 3 der Entscheidungsgründe).

3.4 In Anbetracht der oben dargestellten Grundsätze stimmt die Beschwerdekammer dem Beschwerdeführer zu, dass ein pauschaler Abzug von Punkten bei der Bewertung seiner Prüfungsarbeit ohne Rücksicht auf die Wertigkeit der einzelnen Teile der Antworten im Gesamtzusammenhang der Prüfungsarbeit ungerechtfertigt ist.

Die Beschwerdekammer möchte nicht ausschließen, dass bei der Bewertung einer Antwort zu einer Teilaufgabe der Prüfungsaufgabe A ein Abzug von Punkten vorgenommen wird oder keinerlei Punkte vergeben werden. Dies darf jedoch nicht pauschal und allein deshalb erfolgen, weil die Antwort in der Prüfungsarbeit von der im Prüfungsbericht vorgeschlagenen Lösung abweicht, z.B. wenn der Gegenstand eines ausgearbeiteten Anspruchs im Ergebnis nicht neu oder nicht erfinderisch ist. Bei der Bewertung der Prüfungsarbeit hinsichtlich der betreffenden Teilaufgabe ist nämlich nach der oben dargestellten Rechtsprechung immer auch zu berücksichtigen, ob die Antwort im Gesamtzusammenhang der Prüfungsarbeit vertretbar und kompetent begründet ist. Gerade deswegen steht den Prüfungsausschüssen in der Eignungsprüfung bei der Bewertung einer Prüfungsaufgabe ein gewisser Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum zu.

Dem Prüferbericht zu der Aufgabe A 2017 und dem von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen ist jedoch zu entnehmen, dass zumindest hinsichtlich des unabhängigen Erzeugnisanspruchs eine pauschale Bewertung vorgenommen wurde, die gegen die vorgenannten Grundsätze verstößt. In dem Prüferbericht wird auf Seite 3 angegeben, dass für den Erzeugnisanspruch 36 Punkte vergeben werden konnten. Weiter findet sich auf Seite 3: „Bei Ansprüchen, die nicht erfinderisch waren, wurden 25 Punkte abgezogen.“ Danach erfolgte ein pauschaler Punktabzug von 25 Punkten für einen „nicht erfinderischen Anspruch“ und zwar unabhängig davon, welche Begründung oder genaue Anspruchsfassung von dem Bewerber vorgeschlagen wurde. Auf Seite 5 des Prüferberichts wird hinsichtlich der Bewertung des Erzeugnisanspruchs weiter ausgeführt: „War ein Anspruch auf verschiedene Bestandteile in den Beuteln gerichtet, ohne auf unterschiedliche Foliendicken einzugehen, wurde davon ausgegangen, dass er das Problem der Freisetzung der Geschirrspül- Bestandteile in verschiedenen Schritten des Spülgangs nicht löst. Bei einem solchen Anspruch wurden 25 Punkte abgezogen.“ Dieser Aussage nach erfolgte ein weiterer pauschaler Punktabzug von 25 Punkten und zwar unabhängig davon, welche Begründung oder genaue Anspruchsfassung von dem Bewerber vorgeschlagen wurde. Folglich konnte laut Prüferbericht zweimal ein Abzug von 25 Punkten von den insgesamt möglichen 36 Punkten für diese Prüfungsfrage erfolgen. Dem von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen ist jedoch nur ein einziger Abzug von 25 Punkten, nämlich für einen „nicht erfinderischen Anspruch“, zu entnehmen.

Dem Beschwerdeführer ist auch dahingehend zuzustimmen, dass bei der Bewertung der Prüfungsarbeiten die besondere Struktur der Prüfungsaufgabe A der Eignungsprüfung nicht unberücksichtigt bleiben darf.

Nach den Vorschriften der Regel (2) – (5) ABVEP wird von den Bewerbern bei der Prüfungsaufgabe A erwartet, dass sie:

- auf der Grundlage eines die Beschreibung einer Erfindung enthaltenden Briefes eines Mandanten, der ein europäisches Patent begehrt, einen oder mehrere unabhängige Ansprüche abfassen, die dem Mandanten den größtmöglichen Schutzumfang gemäß dem EPÜ bieten und die Erfordernisse des EPÜ - insbesondere im Hinblick auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit sowie die Empfehlungen in den Richtlinien für die Prüfung im EPA berücksichtigen;

- abhängige Ansprüche in einer vertretbaren Zahl zu formulieren, auf die zurückgegriffen werden kann, falls die unabhängigen Ansprüche zurückgewiesen werden;

- eine Einleitung ausarbeiten, d. h. den Teil der Beschreibung, der vor den Beispielen oder vor der Erläuterung der Zeichnungen steht, wobei durch die Einleitung die Ansprüche gestützt werden müssen;

- Ansprüche und Einleitung grundsätzlich für eine einzige europäische Patentanmeldung abfassen, die den Erfordernissen des EPÜ im Hinblick auf die Einheitlichkeit entsprechen.

Anhand des oben dargestellten Inhalts der Prüfung und der Anforderungen an die Ausarbeitung der Prüfungsaufgabe A ist klar zu erkennen, dass es bei dieser Prüfungsaufgabe nicht um die Beantwortung von auf voneinander unabhängigen Sachverhalten beruhende Fragen geht, sondern dass es sich vielmehr um eine Prüfungsaufgabe handelt, die auf einem einzigen Sachverhalt beruht, nämlich der Beschreibung einer Erfindung in dem Brief eines Mandanten. Damit besteht letztlich ein innerer und u.U. auch kausaler Zusammenhang zwischen den einzelnen Elementen, die von den Bewerbern bei der Abfassung ihrer Prüfungsarbeit erwartet werden. Dies bedeutet wiederum, dass eine falsche Beantwortung eines Elements (oder eines Teils dessen) der Prüfungsaufgabe A höchstwahrscheinlich die – konsequenterweise – falsche Beantwortung der übrigen Elemente der Prüfungsaufgabe A nach sich zieht.

Diese besondere Struktur dieser Prüfungsaufgabe ist nach Ansicht der Beschwerdekammer bei dem Aufstellen eines Bewertungssystems zu berücksichtigen, wobei die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Gemäß Regel 6 (1) ABVEP ist jede Prüfungsarbeit vom betreffenden Prüfungsausschuss unter Zugrundelegung einer Punkteskala vom null bis 100 zu bewerten, wobei unter Heranziehung der Regel 21 und Regel 6 (3), (6) ABVEP davon auszugehen ist, dass eine mit 100 Punkten bewertete Prüfungsarbeit die beste zu erzielende Note, d.h. die Note 1 erhält. In diesen Vorschriften ist von einem Punktabzug jedoch nicht die Rede. Die Beschwerdekammer hält es daher für äußerst fraglich, ob nach dem Wortlaut dieser Vorschriften beim Aufstellen eines Bewertungssystems für eine Prüfungsarbeit grundsätzlich von insgesamt maximal 100 Punkten, die in jeweils maximal erreichbare Punkte für Teile der Prüfungsarbeit aufgeteilt sind, ausgegangen werden kann, von denen dann sukzessive Punkte abgezogen werden können. Es scheint wohl viel dafür zu sprechen, dass bei der Bewertung zunächst von 0 Punkten ausgegangen werden sollte und dann für die jeweils richtige Antwort oder Teilantwort in der Prüfungsarbeit Punkte vergeben werden, die dann addiert werden, um festzustellen, welche Note gemäß Regel 6 (6) ABVEP vergeben werden darf.

Abgesehen davon, konnte es dem Prüferbericht zu der Prüfungsaufgabe A 2017 und dem von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen zufolge beim Erzeugnisanspruch insgesamt zu mehreren, z.T. auch hohen Punktabzügen bei nicht richtigen Antworten kommen, so dass von den maximal zu erzielenden 36 Punkten insgesamt mehr als 145 Punkte theoretisch abgezogen werden konnten. Ähnliches gilt für die Verfahrensansprüche: bei den maximal zu erzielenden Punkten konnte es auch zu mehreren, z.T. sehr hohen Punktabzügen kommen, so dass von den maximal 32 Punkten insgesamt mehr als 87 Punkte theoretisch abgezogen werden konnten. Es scheint demzufolge so zu sein, dass bei der Prüfungsaufgabe A 2017, für die nach der Punkteskala gemäß Regel 6 (1) ABVEP insgesamt maximal 100 Punkte erreicht werden konnten, bereits für das Abfassen der unabhängigen Erzeugnis- und Verfahrensansprüche, für die laut Prüferbericht insgesamt maximal 68 Punkte vergeben werden konnten, mehr als 240 Punkte abgezogen werden konnten. Die Beschwerdekammer hält ein Bewertungssystem, bei dem es zu Punktabzügen kommen kann, die insgesamt weit höher liegen als die maximal erreichbaren Punkte (vorliegend nahezu vierfach höher als die erreichbaren Punkte), insbesondere wegen der oben dargestellten besonderen Struktur der Prüfungsaufgabe A grundsätzlich für nicht vertretbar, wenn es um die von der Rechtsprechung geforderte faire Bewertung einer Prüfungsarbeit geht. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die vorgesehenen Punktabzüge nicht kumulativ vorgenommen werden, sondern unterschiedliche und sich gegenseitig ausschließende falsche bzw. unvollständige Antwortmöglichkeiten betreffen. Mit anderen Worten: wenn ein Bewertungssystem Punktabzüge ausgehend von 100 Punkten vorsieht und die jeweiligen Punktabzüge bei der Bewertung der jeweiligen Antwort oder Teilantwort nicht über die maximal erreichbaren Punkte für diese Antwort oder Teilantwort hinausgehen, liegt wohl eine von der Rechtsprechung geforderte faire Bewertung einer Prüfungsarbeit vor. Im vorliegenden Fall kann die Beschwerdekammer jedoch nicht erkennen, wie bei der Bewertung der Prüfungsarbeit die Punktabzüge erfolgen sollten. Insbesondere kann die Beschwerdekammer nicht ausschließen, dass die jeweiligen Punktabzüge bei der Bewertung der jeweiligen Antwort oder Teilantwort der Prüfungsaufgabe über die maximal erreichbaren Punkte für diese Antwort oder Teilantwort hinausgingen.

3.5 Darüber hinaus ist die vorliegende Prüfungsentscheidung auch hinsichtlich der Verfahrensansprüche nicht nachvollziehbar.

Im Prüferbericht zu der Aufgabe A 2017 ist hinsichtlich der Vergabe von Punkten für Verfahrensansprüche folgende Aussage auf Seite 5 zu finden:

„Neben Erzeugnisansprüchen sollten Verfahrensansprüche formuliert werden, die auf das Verfahren zur Herstellung des Geschirrspül-Produkts gerichtet sind. Die folgenden beiden Verfahren sollten beansprucht werden: das in D2 beschriebene Verfahren mit mehreren Folien unterschiedlicher Dicke und ein Verfahren, bei dem eine Folie verschiedene Dicken aufweist. Für diese beiden Verfahren konnten 32 Punkte vergeben werden. Die volle Punktzahl konnte für einen unabhängigen Verfahrensanspruch mit abhängigen Ansprüchen oder (in diesem Jahr) für zwei unabhängige Ansprüche erreicht werden. Gemäß Regel 43 (2) EPÜ waren zwei unabhängige Ansprüche eindeutig vertretbar.“

Aufgrund dieser Aussage im Prüferbericht ist davon auszugehen, dass bei der Bewertung einer Antwort zu der betreffenden Teilaufgabe der Prüfungsaufgabe A eine Lösung mit einem Verfahrensanspruch mit abhängigen Ansprüchen und eine Lösung mit zwei unabhängigen Verfahrensansprüchen als gleichwertig anzusehen sind.

In dem von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen ist jedoch nur die Variante von zwei unabhängigen Verfahrensansprüchen aufgeführt. Damit scheint nur bei einer Lösung mit zwei unabhängigen Verfahrensansprüchen die volle Punktzahl von 32 Punkten (10 Punkte für das allgemeine Verfahren und 22 Punkte für das Walzverfahren) erzielbar. Es ist aber nicht nachvollziehbar, ob die im Prüferbericht als gleichwertig angesehene Lösung mit einem Verfahrensanspruch mit abhängigen Ansprüchen ebenfalls die maximale Punktzahl von 32 Punkten erhalten konnte, oder ob für die abhängigen Anspruche lediglich die laut Bewertungsbogen höchstens insgesamt 15 Punkte erzielt werden konnten. Letzteres würde jedoch bedeuten, dass ein Bewerber mit dieser Lösung maximal eine Punktzahl von 25 Punkten (10 Punkte für das allgemeine Verfahren und 15 Punkte für die abhängigen Ansprüche) erhalten konnte.

Damit steht der von den Korrektoren benutzte detaillierte Bewertungsbogen im Widerspruch zu der betreffenden Aussage im Prüferbericht. Entsprechendes gilt, wenn ein Bewerber nur einen einzigen unabhängigen Verfahrensanspruch von gleichem Schutzumfang wie 2 unabhängige Ansprüche, jedoch ohne abhängige Ansprüche, abgefasst hat, denn ein derartiger Anspruch hat möglicherweise entweder nur maximal 10 oder 22 Punkte erhalten.

3.6 Bereits aus den oben genannten Gründen ist dem Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Entscheidung der Prüfungskommission stattzugeben.

3.7 Was die weiteren Rügen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer etwaigen „Doppelbestrafung“ und hinsichtlich der Bewertung der Beschreibung betrifft, vertritt die Beschwerdekammer folgende Auffassung:

3.7.1 Aufgrund der oben dargestellten besonderen Struktur der Prüfungsaufgabe A kann es durchaus dazu kommen, dass eine falsche Antwort eines Bewerbers zu einem Element in einem Teil der Prüfungsaufgabe sich auch auf die Beantwortung eines anderen Teils der Prüfungsaufgabe auswirkt und dass es damit für ein und denselben Fehler zweifach zu einem Verlust von zu erzielenden Punkten kommen kann („Doppelbestrafung“). Die Beschwerdekammer ist jedoch der Ansicht, dass ein derartiges Vorgehen nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine faire Bewertung genügt. Das zeigt sich exemplarisch auch im vorliegenden Fall. Dem Prüferbericht zu der Aufgabe A 2017 und dem von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen ist zu entnehmen, dass bei einem Verfahrensanspruch, der nicht zu einem erfindungsgemäßen Produkt führt, 6 Punkte abgezogen wurden. Falls jedoch ein Bewerber in dem Anspruch auf ein „Verfahren zum Herstellen eines Geschirrspülprodukts .......“ die bereits im Erzeugnisanspruch gemachten Fehler wiederholt hat, dann führte das möglicherweise zu einem weiteren Punktabzug für denselben Fehler, für den bereits bei der Bewertung des Erzeugnisanspruchs Punkte nicht vergeben werden konnten bzw. abgezogen wurden. Sollte dies der Fall gewesen sein, dann hält die Beschwerdekammer eine derartige Vorgehensweise jedoch für nicht gerechtfertigt, und zwar unabhängig davon, ob die Antwort, d.h. die vom Bewerber vorgeschlagene Lösung, im Gesamtzusammenhang der Prüfungsarbeit als eine in sich schlüssige und konsequente Beantwortung der Frage angesehen werden kann.

3.7.2 Was die Bewertung der Beschreibung betrifft, so ist es aus Sicht der Beschwerdekammer für die Bewerber nicht nachvollziehbar, was unter dem auf Seite 10 des Prüferberichts angegebenen Satz („Schließlich waren für die Formulierung einer Beschreibung anhand des Schreibens des Mandanten 5 Punkte zu vergeben.“) zu verstehen ist. Es ist insbesondere nicht nachzuvollziehen, welche Elemente des Briefs des Mandanten in die Einleitung der Beschreibung aufgenommen werden mussten, um eine volle Punktzahl erzielen zu können. Entsprechende gilt auch für den von den Korrektoren benutzten detaillierten Bewertungsbogen, wo es heißt: „making letter into description 5“. Diese Vorgehensweise verstößt damit gegen den Grundsatz der notwendigen Nachvollziehbarkeit einer Prüfungsentscheidung.

4. Zurückverweisung

Der Beschwerdeführer beantragte die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungskommission mit der Anordnung, eine neuerliche Bewertung der Prüfungsarbeit A der europäischen Eignungsprüfung 2017 des Beschwerde-führers durch den betreffenden Prüfungsausschuss zu veranlassen, und der Benotung der Prüfungsarbeit A des Beschwerdeführers das Ergebnis der neuerlichen Bewertung zugrunde zu legen und auf Grundlage dieser Benotung zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung 2017 bestanden hat.

Da die Überprüfungsbefugnis der Beschwerdekammer auf eindeutige Rechts- und Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler beschränkt ist und die Beschwerdekammer eine neuerliche Bewertung der Prüfungsarbeit A der europäischen Eignungsprüfung 2017 des Beschwerdeführers vorliegend für erforderlich hält, ist eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungskommission vorliegend gerechtfertigt. Die Beschwerdekammer sah in dem zeitnah bevorstehenden Prüfungstermin für die Prüfungsaufgabe A 2018 keinen gegen eine Zurückverweisung sprechenden Grund im Sinne von Artikel 12 der ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des EPA (VOBKD, Zusatzpublikation 1, ABl. EPA 2018, 51 ff.). Da auch kein anderer gegen eine Zurückverweisung sprechender Grund für die Beschwerdekammer ersichtlich war, konnte dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zurückverweisung stattgegeben werden.

5. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Da der vorliegenden Beschwerde stattzugeben ist, entspricht es der Billigkeit, die Rückzahlung der ganzen Beschwerdegebühr gemäß Artikel 24 (4) letzter Satz VEP im vorliegenden Fall anzuordnen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung der Prüfungskommission wird aufgehoben.

2. Der Prüfungskommission wird aufgetragen,

a) eine neuerliche Bewertung der Prüfungsarbeit A der europäischen Eignungsprüfung 2017 des Beschwerdeführers durch den betreffenden Prüfungsausschuss zu veranlassen, und

b) der Benotung der Prüfungsarbeit A des Beschwerdeführers das Ergebnis der neuerlichen Bewertung gemäß a) zugrunde zu legen und auf Grundlage dieser Benotung zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung 2017 bestanden hat.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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