European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:D000217.20170718 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 Juli 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | D 0002/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | - | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | - | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | DBA | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der Prüfungskommission auf Vorschlag des Prüfungsausschusses IV getroffene, mit Schreiben vom 31. März 2017 mitgeteilte Feststellung des Nichtbestehens der Vorprüfung der europäischen Eignungsprüfung 2017 (im Folgenden: Vorprüfung 2017) und die dieser Feststellung zugrunde liegende Benotung mit 68 Punkten.
II. Der Beschwerdeführer legte hiergegen mit Schreiben vom 2. Mai 2017, eingegangen am 3. Mai 2017, eine begründete Beschwerde ein, der die Prüfungskommission nicht abhalf. Mit Schreiben vom 2. Juni 2017 legte die Prüfungskommission die Beschwerde der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Folgenden: Beschwerdekammer) vor.
III. Zur Begründung seiner Beschwerde machte der Beschwerde-führer schwere und eindeutige Fehler bei der Beurteilung seiner Wertungen der Aussagen 7.3, 10.3, 18.4 und 20.3 geltend.
IV. Mit Schreiben vom 26. Juni 2017 beantragte der Beschwerdeführer die Beschleunigung des Verfahrens.
V. Mit Zustimmung des Beschwerdeführers lud die Beschwerdekammer am 4. Juli 2017 zu einer nicht öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18. Juli 2017. Die Verhandlung fand in Gegenwart des Beschwerdeführers sowie je eines vom Präsident des Europäischen Patentamtes (EPA) und vom Präsident des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter (epi) bestimmten Vertreters statt (Artikel 24(4) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter [VEP, Zusatzpublikation zum Amtsblatt EPA 2/2017, 2] in Verbindung mit Artikel 14 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern [Zusatzpublikation zum Amtsblatt EPA 1/2017, 127]).
VI. Die für die vorliegende Entscheidung relevante Aufgabe 18.4 der Vorprüfung 2017 lautete wie folgt:
"Nehmen Sie bei den Fragen 18 bis 20 an, dass Anspruch III ein einziger unabhängiger Anspruch ist, der mit der Patentanmeldung des Mandanten eingereicht wurde.
III. Zahnbürste mit einem Körper, wobei der Körper einen Bürstenkopf mit einer Borstenzone, von der Borstenzone gehaltene Borstenbündel, einen Griff und einen Hals zwischen der Borstenzone und dem Griff umfasst, wobei der Hals mit dem Griff durch einen Verbindungsbereich verbunden ist, und wobei der Körper eine Batterie und ein elektrisch betätigtes Element umfasst, und wobei sich die Batterie im Griff befindet,
dadurch gekennzeichnet, dass
- das elektrisch betätigte Element ein elektrisch betätigter Vibrator ist, der sich im Griff befindet;
- der Verbindungsbereich ein Verbindungsloch und einen Verbindungsvorsprung umfasst; und
- die Zahnbürste eine Gesamtlänge zwischen 18 und 25 cm hat.
Geben Sie auf dem Antwortblatt für jede der Aussagen 18.1 - 18.4 an, ob die Aussage wahr oder falsch ist:
18.4 Das technische Merkmal 'das elektrisch betätigte Element ein elektrisch betätigter Vibrator ist, der sich im Griff befindet' unterscheidet Anspruch III vom Dokument D2."
Die Aussage ist laut dem Prüferbericht mit "falsch" zu bewerten. Die Begründung lautet wie folgt:
"Obwohl die deutsche Sprachfassung leicht von der französischen und englischen Fassung abweicht, wird in Absatz [003] von D2 in allen drei Sprachen eindeutig offenbart, dass die Vibrationen über den Lautsprecher generiert werden. Die Melodie wird über den Lautsprecher des Musikmoduls abgespielt, das im Griff angeordnet ist. Der Lautsprecher wandelt das elektrische Signal um, sodass eine Melodie abgespielt wird und Luftvibrationen erzeugt werden. Daher stellt das Musikmodul 26 mit seinem Lautsprecher einen elektrisch betätigten Vibrator im Griff dar."
Absatz [003] des Dokuments D2, auf den verwiesen wird, lautet in der deutschen Fassung wie folgt:
"[003] Solange ein Kind die Zahnbürste in seiner Hand hält, ist der Sensor 27 in Kontakt mit der Haut des Kindes und erzeugt dadurch ein elektrisches Signal. Dieses Signal wird an das Steuergerät 24 übertragen, welches dann das Musikmodul 26 solange mit elektrischer Energie versorgt, wie das Steuergerät 24 das Signal erhält. Solange das Musikmodul mit elektrischer Energie versorgt wird, spielt es über seinen Lautsprecher eine Melodie ab, deren Vibrationen in Luftvibrationen umgewandelt werden. Die maximale Dauer der Melodie beträgt zwei Minuten. Kinder wollen die gesamte Melodie anhören und werden deswegen dazu motiviert, ihre Zähne lange genug zu putzen."
VII. Die entscheidungserheblichen Argumente des Beschwerdeführers decken sich im Wesentlichen mit den Gründen für die vorliegende Entscheidung, so dass auf die Entscheidungsgründe verwiesen werden kann.
VIII. Der Beschwerdeführer beantragte,
a) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Prüfungskommission vom 31. März 2017,
d) die Änderung der Note "nicht bestanden" in "bestanden";
c) die Rückerstattung der Beschwerdegebühr;
d) die Gewährung einer angemessenen Frist zur Anmeldung zur Hauptprüfung 2018;
e) die Rückerstattung der entrichteten Gebühr für die Anmeldung zur Vorprüfung 2018.
Für den Fall, dass seiner Beschwerde nicht schon im schriftlichen Verfahren stattgegeben werden könne, beantragte der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
2.1 Es ist unstreitig und wird auch im Prüferbericht anerkannt, dass der dritte Satz von Absatz [003] des Dokuments D2 von der englischen und französischen Fassung dieser Textstelle abweicht: Während aus dem englischen und französischen Text hervorgeht, dass Vibrationen des Lautsprechers in Luftvibrationen umgewandelt werden, sind es aufgrund des Rückbezugs "deren" in der deutscher Fassung Vibrationen der Melodie, die in Vibrationen der Luft umgewandelt werden. Die Kammer stimmt mit dem Beschwerdeführer überein, dass der Ausdruck "Vibrationen der Melodie" als solche keinen technisch anerkannten Sinn hat. Auch der Ausdruck "Vibrationen der Luft" ist ungewöhnlich und technisch unklar. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich dieser Ausdruck im Deutschen vornehmlich auf thermische Luftbewegungen bezieht.
2.2 Der Übersetzungsfehler hat sich jedenfalls, wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführte, für diejenigen Bewerber nachteilig ausgewirkt, die die Vorprüfung in deutscher Sprache absolvierten. Die Aufgabenstellung war für sie schwieriger, als für einen Bewerber, der mit dem englischen oder französischen Text gearbeitet hat: Während aus der englischen und französischen Fassung unzweideutig hervorgeht, dass der Lautsprecher Vibrationen erzeugt, fehlt dieser unmittelbare Zusammenhang in der deutschen Fassung des Absatzes [003] des Dokuments D2 gänzlich. Die Kammer schließt sich der Auffassung des Beschwerdeführers an, dass es deswegen eines Rückgriffs auf das allgemeine technische Wissen erforderte, um den Lautsprecher als Vibrator in Betracht zu ziehen. Schon damit wurden an die Absolventen der deutschen Vorprüfung höhere Anforderungen gestellt, als an die übrigen Bewerber, von denen ein Rückgriff auf allgemeines Wissen angesichts des eindeutigen Fingerzeigs in der D2 nicht erwartet wurde. Hinzu kommt, wie der Beschwerdeführer weiter argumentierte, dass für den Absolventen der deutschen Vorprüfung unklar war, ob er allgemeines technisches Wissen bei der Bewertung der Aussage 18.4 heranziehen durfte, oder ob er damit der Regel 22(3) der Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung (ABVEP, Zusatzpublikation zum Amtsblatt EPA 2/2017, 18) zuwiderhandeln würde. Regel 22(3) ABVEP bestimmt, dass die Bewerber die in den Prüfungsaufgaben genannten Tatsachen als gegeben vorauszusetzen und sich auf diese zu beschränken haben. Weiter wird vorgeschrieben, dass etwaige besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Erfindung von den Bewerbern außer Acht zu lassen sind. Die Kammer kann dem Beschwerdeführer darin folgen, dass nicht erkennbar war, ob der dritte Satz von Absatz [003] des Dokuments D2 fehlerhaft oder bewusst so abgefasst war, um das Problem einer nicht ausführbaren Offenbarung aufzuwerfen. Der Bewerber geriet daher in das Dilemma, entweder von den Vorgaben unter Rückgriff auf sein allgemeines Fachwissen abzuweichen, um dem dritten Satz von Absatz [003] des Dokuments D2 einen technisch vernünftigen Sinn zu geben, oder die Aussagen des dritten Satzes von Absatz [003] unverändert als gegeben vorauszusetzen. Bei einer berichtigenden Interpretation musste ein Bewerber zudem abwägen, ob das Wissen, dass ein Lautsprecher Vibrationen erzeugt, allgemeines technisches Wissen oder besondere technische Kenntnisse im Sinne von Regel 22(3) ABVEP darstellt.
2.3 Im Ergebnis war die Aufgabe 18.4 für einen Teil der Bewerber mit erheblich größeren Schwierigkeiten verbunden, als für die übrigen Absolventen der Vorprüfung. Die Abweichung der deutschen Sprachfassung der Aussage 18.4 wirkt sich zudem auf die Frage 20.3 aus, die hinsichtlich des Offenbarungsgehalts des Dokuments D2 ebenfalls auf den fraglichen Satz abstellt. Damit war das Verhältnis zwischen der für das Bestehen erforderlichen und der maximal zu erreichenden Punktezahl gemäß Regel 6(1) und (2) ABVEP zu Ungunsten der Absolventinnen und Absolventen der Vorprüfung in der deutschen Sprachfassung verzerrt. Mithin liegt eine Verletzung des Grundsatzes der einheitlichen und gerechten Bewertung nach Artikel 6(2)c) VEP dar (D 10/16, Punkt 4.3 der Entscheidung).
2.4 Zugleich folgt aus dem Vorstehenden, dass die Aussage 18.4 als Prüfungsaufgabe nicht hinreichend klar und verständlich gestellt war, so dass nur eine Antwort, entweder "wahr" oder "falsch", gegeben werden konnte, wie dies das Format einer Multiple-Choice-Aufgabe der Vorprüfung erfordert. Vielmehr waren Zweifel berechtigt, ob die Bewerberin oder der Bewerber sich nach Regel 22(3) ABVEP an die Vorgaben zu halten hatten oder nicht. Eine unklare oder irreführende Prüfungsaufgabe ist als offensichtlicher Fehler anzusehen (vgl. D 13/02, Punkt 4 der Entscheidungsgründe).
2.5 Die angefochtene Entscheidung beruht nach dem Gesagten auf einem schweren und eindeutigen Fehler. Die vom Beschwerdeführer gerügte Bewertung ist deshalb rechtsfehlerhaft erfolgt und der Beschwerde muss stattgegeben werden. Gemäß Artikel 24(4) VEP sind die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Beschwerdegebühr zu erstatten.
2.6 In Anbetracht der Feststellung eines offensichtlichen Fehlers in Bezug auf die Aussage 18.4, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und auch zur Gutheißung der Anträge auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung führt (dazu nachstehend), erübrigt sich eine Stellungnahme der Beschwerdekammer zu den Rügen des Beschwerdeführers in Bezug auf die Aussagen 7.3, 10.3 und 20.3.
3. Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung
3.1 Der Beschwerdeführer beantragte die Änderung der Note "nicht bestanden" in "bestanden".
3.2 Im Anschluss an die Entscheidungen D 6/14 (Punkte 9 ff. der Entscheidungsgründe), D 3/14 (Punkte 12 ff. der Entscheidungsgründe) und D 4/14 (Punkte 11 ff. der Entscheidungsgründe) erachtet die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall besondere, gegen eine Zurückverweisung sprechende Gründe als gegeben, die analog zum Artikel 12 der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (Zusatzpublikation zum ABl. EPA 1/2016, 51) rechtfertigen, dass die Beschwerdekammer anstelle des zuständigen Prüfungsausschusses bzw. der zuständigen Prüfungskommission die Bewertung unter Vergabe von Einzelpunkten berichtigt und darauf basierend eine Vergabe der Noten "bestanden" oder "nicht bestanden" vornimmt.
3.3 Der Beschwerdeführer hat die Aussagen 18.1, 18.2 und 18.3 der Vorprüfung 2017 korrekt beantwortet. Eine Neubewertung der fehlerhaft formulierten Aussage 18.4 führt nunmehr dazu, dass sich dieser Fehler nicht zu Ungunsten des Beschwerdeführers auswirken darf. Die Beurteilung der Aussage 18.4 ist daher als korrekt zu werten. Der Beschwerdeführer erhält folglich für die Aufgabe 18 fünf Punkte statt drei. Damit erhöht sich die Gesamtpunktzahl seiner Arbeit von 68 auf 70 Punkte. Nach Regel 6(2)a) ABVEP ist für die Vorprüfung 2017 des Beschwerdeführers die Noten "bestanden" zu vergeben. Die Bewertung der vom Beschwerdeführer beanstandeten Aussagen 7.3, 10.3 und 20.3 ist für den Ausgang des Verfahrens unerheblich und bedarf daher keiner Entscheidung.
4. Weitere Anträge
4.1 Der Antrag des Beschwerdeführers, bei Stattgabe der Beschwerde eine angemessene Frist zur Anmeldung zur Hauptprüfung 2018 festzusetzen, bedarf keiner Entscheidung, da sich Bewerber ab dem 17. Juli 2018 bis spätestens zum 8. September 2017 anmelden können und diese Frist dem Beschwerdeführer zur Verfügung steht.
4.2 Schließlich fällt die Anordnung der Rückerstattung einer infolge der Gutheißung der Beschwerde ohne Rechtsgrund entrichteten Gebühr für die Anmeldung zur Vorprüfung 2018 nicht in die Zuständigkeit der Beschwerdekammer, sondern ist Sache des Prüfungssekretariats.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Prüfungsarbeit des Beschwerdeführers im Rahmen der Vorprüfung zur Europäischen Eignungsprüfung 2017 wird mit 70 Punkten bewertet. Nach Regel 6(2)a) ABVEP wird die Note "bestanden" vergeben.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.