European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2016:D000116.20160825 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 25 August 2016 | ||||||||
Aktenzeichen: | D 0001/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | - | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | - | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | DBA | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die von der Prüfungskommission auf Vorschlag des Prüfungsausschusses IV getroffene Feststellung des Nichtbestehens der Vorprüfung der europäischen Eignungsprüfung 2016 (im Folgenden: Vorprüfung 2016) und die dieser zugrunde liegende Benotung der Vorprüfung 2016 mit 68 Punkten.
II. Die Beschwerdeführerin legte hiergegen form- und frist-gerecht Beschwerde ein, der die Prüfungskommission nicht abhalf, sondern der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Folgenden: Beschwerdekammer) vorlegte.
III. Die für die vorliegende Entscheidung relevante Aufgabe 5 der Vorprüfung 2016 lautete wie folgt:
"Letzte Woche hat Greta beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) die internationale Patentanmeldung PCT-G wirksam eingereicht. Nun will sie Hassan als ihren Vertreter bestellen. Hassan ist befugt vor dem DPMA aufzutreten, aber er ist nicht zugelassener Vertreter vor dem EPA. Greta und Hassan haben ihren Wohnsitz in Deutschland.
Geben Sie für jede der Aussagen 5.1 5.4 auf dem Antwortblatt an, ob die Aussage wahr oder falsch ist:
5.4 Entsprechend den Bestimmungen des PCT kann der Vertreter nur dann eine internationale Anmeldung wirksam zurücknehmen, wenn er eine Vollmacht eingereicht hat."
Laut Prüferbericht zur Vorprüfung 2016 war die Aussage 5.4 mit "falsch" zu bewerten. Dies wurde wie folgt begründet: "... Die Erklärung über die Zurücknahme einer internationalen Anmeldung ist vom Anmelder oder von einem Vertreter (Anwalt) einzureichen, sofern dieser vom Anmelder durch Unterzeichnung des Antrags, des Antrags auf internationale vorläufige Prüfung, einer gesonderten Vollmacht oder einer allgemeinen Vollmacht bestellt wurde (Regeln 90bis.5, 90.4 a) und 90.5 a) PCT). [Hinweis: Der in Regel 90.4 e) PCT genannte Fall findet keine Anwendung, wenn der Vertreter (Anwalt) vom Anmelder durch Unterzeichnung des Antrags oder des Antrags auf internationale vorläufige Prüfung bestellt wurde.]"
Zusammen mit ihrem mit Schreiben vom 15. Juni 2016 mitgeteilten Beschluss, der Beschwerde nicht abzuhelfen, hat die Prüfungskommission bezüglich der Aussage 5.4 der Vorprüfung 2016 den folgenden Kommentar abgegeben:
"Bezüglich der Aussage 5.4 verweisen wir auf den Prüferbericht. Diese Aussage bezieht sich auf Vertreter[,] die internationale Anmeldungen im Allgemeinen bearbeiten[,] und ist nicht beschränkt auf PCT-G und einen spezifischen Vertreter."
IV. Zur Begründung ihrer Beschwerde machte die Beschwerde-führerin schwere und eindeutige Fehler bei der Beurteilung ihrer Wertungen der Aussagen 5.4 und 18.4 geltend.
In Bezug auf die Aussage 5.4 macht die Beschwerde-führerin geltend, dass die deutsche Fassung der Aussage vom französischen und englischen Text abweicht. Durch die Verwendung des bestimmten Artikels "der" vor "Vertreter" anstelle des unbestimmten Artikels in der englischen und französischen Fassung werde auf den der Aufgabe 5 zugrundeliegenden Sachverhalt Bezug genommen. Nach objektivem Verständnis habe sich daher die Aussage 5.4 auf Hassan als Vertreter bezogen. Der Prüferbericht lege der zu wertenden Aussage 5.4 folglich eine andere Problemstellung zugrunde, als sie nach objektivem Verständnis der deutschen Fassung dieser Aussage entnommen werden könne. Dies stelle einen schweren und eindeutigen Fehler dar, der ohne wertende Neubetrachtung feststellbar sei.
In Bezug auf die Aussage 18.4 macht die Beschwerde-führerin geltend, der Prüferbericht beruhe auf einer falschen Auslegung der Merkmale II.2 und II.3. Das Merkmal der Bewegbarkeit des Deckels um eine senkrechte Achse in mindestens zwei Positionen sei weder in D2 noch in D3 verwirklicht. Weiter fehle in D2 der zylindrische Kragen des Deckels. In D3 sei dieses Merkmal verwirklicht. Entgegen dem Prüferbericht sei daher D3 der nächstliegende Stand der Technik. Der Prüfungsausschuss sei folglich bei der Beurteilung der Aussage 18.4 von einer technisch falschen Beurteilungsgrundlage ausgegangen.
V. Weder der Präsident des Europäischen Patentamtes (EPA) noch der Präsident des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter (epi), denen nach Artikel 24(4) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP, Zusatzpublikation zum ABl. EPA 2/2014, 2) i.V.m. Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV, Zusatzpublikation zum ABl. EPA 1/2014, 123) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, äußerten sich schriftlich zur Beschwerde.
VI. Mit Schreiben vom 28. Juni 2016 beantragte die Beschwerdeführerin Beschleunigung des Verfahrens.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt,
a) die angefochtene Entscheidung aufzuheben,
b) die Note der Vorprüfung von "nicht bestanden" in "bestanden" zu ändern;
c) zwei zusätzliche Punkte für die Aufgabe 5 zu vergeben;
d) zwei zusätzliche Punkte für die Aufgabe 18 zu vergeben;
e) im Falle der Abhilfe bzw. Stattgabe der Beschwerde eine angemessene Frist zur Anmeldung zur Hauptprüfung 2017 festzusetzen;
f) im Falle der Abhilfe bzw. Stattgabe der Beschwerde die zu diesem Zeitpunkt gezahlte Gebühren der Vorprüfung 2017 zurückzuerstatten oder alternativ mit den Gebühren der Hauptprüfung 2017 zu verrechnen;
g) die Rückerstattung der Beschwerdegebühr;
h) hilfsweise die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
1. Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
1.1 Gemäß Artikel 24(1) VEP und nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer (im Anschluss an D 1/92, ABl. EPA 1993, 357) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahin zu überprüfen, ob nicht die VEP oder die bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangiges Recht verletzt sind. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission steht nämlich im Grundsatz ein Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Nur wenn der Beschwerdeführer geltend machen kann, dass die angegriffene Entscheidung auf schweren und eindeutigen Fehlern beruht, kann dies von der Kammer berücksichtigt werden. Der behauptete Fehler muss so offensichtlich sein, dass er ohne Wiedereröffnung des gesamten Bewertungsverfahrens und ohne wertende Neubetrachtung der Prüfungsarbeit festgestellt werden kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Prüfungsaufgabe widersprüchlich oder unverständlich formuliert ist (D 13/02) oder wenn Prüfer bei ihrer Beurteilung von einer technisch oder rechtlich falschen Beurteilungsgrundlage ausgehen, so dass die angefochtene Ent-scheidung auf dieser beruht (D 2/14). Diese Rechtsprechung zum Umfang der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis, die bezogen auf die Hauptprüfung entwickelt wurde, gilt entsprechend auch für die Vorprüfung. Insoweit die Vergabe von Punkten für die Prüfungs-aufgaben der Vorprüfung anhand eines im Voraus festgelegten Schemas erfolgt, fehlt zwar der für die Bewertung der Prüfungsaufgaben der Hauptprüfung wesentliche Entscheidungsspielraum der Prüfungs-kommission, so dass die diesbezügliche Beschränkung der richterlichen Kontrolle auf eindeutig Ermessensfehler für die Vorprüfung nicht von Bedeutung ist. Doch hat die Beschwerdekammer nicht die Befugnis, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen und sich mit ihrer sachlichen Einschätzung über diejenige der Prüfungs-kommission hinwegzusetzen.
1.2 In Bezug auf das Format des Multiple-Choice ist sodann dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die von den Bewerbern vorzunehmende Bewertung der einzelnen Aussagen mit "wahr" oder "falsch" keinen Raum für von Prüferbericht abweichende Antworten lässt, selbst wenn sich diese vertretbar begründen ließen. Es ist auch nicht möglich, Hinweise oder Bemerkungen an den Prüfer zu richten. Etwaige Angaben dieser Art werden nicht berücksichtigt (siehe Anweisungen zur Vorprüfung, Nr. 1 d)). Der Formulierung der zu wertenden Aussagen kommt daher bei der Vorprüfung größte Bedeutung zu. Es muss sichergestellt sein, dass nur eine Antwort gegeben werden kann, entweder "wahr" oder "falsch". Widersprüchlich, missverständlich oder zweideutig formulierte Aussagen können nämlich zur Folge haben, dass Bewerber diese abweichend vom Lösungsschema der Prüfungskommis-sion bewerten, ohne die Möglichkeit zu haben, eine vertretbare abweichende Meinung darzulegen. Anders als bei der Eignungsprüfung können solche Mängel in der Aufgabenstellung nicht schon im Rahmen der Korrektur der Arbeiten erkannt und bei der Bewertung berücksichtigt werden, sondern lassen sich nur im Rahmen einer Beschwerde korrigieren.
1.3 Die Beschwerdeführerin macht schwere und eindeutige Fehler bei der Beurteilung ihrer Wertungen der Aussagen 5.4 und 18.4 geltend.
1.4 Aussage 5.4
1.4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Aussage 5.4 (siehe oben IV.) eine andere Aufgabestellung zugrunde lag als dem Prüferbericht zur Vorprüfung, so dass die Bewertung dieser Aufgabe auf einer falschen Prämisse aufbaut.
1.4.2 Der bestimmte (definite) Artikel "der" vor "Vertreter" hat im vorliegenden Kontext individualisierende Bedeutung. Er drückt eine Bezugnahme auf eine bestimmte Einzelperson (ein Individuum) aus. Der bestimmte Artikel im Singular lässt sich im Kontext der Aussage 5.4 entgegen dem Hinweis der Prüfungskommission in ihrem Schreiben vom 15. Juni 2016 nicht generalisierend im Sinne von "Vertreter im Allgemeinen" verstehen (wie dies beispielsweise in Artikel 134a(1)d) EPÜ der Fall ist). Die Worte "der Vertreter" stellen damit einen Zusammenhang zu einem individualisierten Vertreter her. Unter Berücksichtigung der Regel 22(3) der Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung (ABVEP, Zusatzpublikation zum ABl. EPA 2/2014, 18), die entsprechend auf die Vorprüfung anzuwenden ist (Regel 10(5) ABVEP), kommt nur der im einleitenden Sachverhalt zur Aufgabe 5 genannte Vertreter Hassan in Betracht.
Allerdings wird in der Aussage 5.4 vor "internationale Anmeldung" der unbestimmte (indefinite) Artikel "eine" verwendet. Dieser ist generalisierend im Sinne von "eine beliebige" und damit nicht als die im einleitenden Sachverhalt genannte internationale Anmeldung PCT-G zu verstehen.
Die Aussage 5.4 ist folglich in sich nicht schlüssig, da sie einerseits an einen vorgegebenen Sachverhalt anknüpft, zugleich aber von diesem abstrahiert.
1.4.3 Um zu einer in sich widerspruchsfreien Aussage zu gelangen, stand den Bewerbern zwei Möglichkeiten offen: Entweder sie gaben den Worten "der Vertreter" berichtigend die Bedeutung "ein Vertreter", oder sie interpretierten die Worte "eine internationale Anmeldung" abweichend als "die" im einleitenden Sachverhalt genannte internationale Anmeldung PCT-G. Die Aussage 5.4 selbst liefert keinerlei Anhaltspunkte, die den Ausschlag für eine der beiden Möglichkeiten geben könnten. Da innerhalb einer Aufgabe jede Aussage für sich und unabhängig von den anderen Aussagen zu beurteilen ist (siehe Anweisung zur Vorprüfung 2016 Nr. 1 a), letzter Satz), können die Aussagen 5.1 bis 5.3 keine Anhaltspunkte für das Verständnis der Aussage 5.4 liefern.
1.4.4 Aber selbst wenn entgegen den Anweisungen die Aussagen 5.1 bis 5.3 zur Behebung des inneren Widerspruchs herangezogen würden, resultierte kein eindeutiges Ergebnis. Zwar könnte im Umstand, dass "Hassan" und "PCT-G" in der Aussage 5.1, nicht aber in der Aussage 5.4 ausdrücklich genannt sind, ein Indiz gesehen werden, dass der Aussage 5.4 eine allgemeine Fragestellung zugrunde lag. Dagegen können die Formulierung der Aussagen 5.2 und 5.3 die Auffassung der Prüfungskommission nicht stützen, dass sich die Aussage 5.4 auf Vertreter bezieht, die internationale Anmeldungen im Allgemeinen bearbeiten. Denn die Aussage 5.2 spricht ausdrücklich den allgemeinen Fall an und beide Aussagen (5.2 und 5.3) verwenden in Bezug auf den Vertreter den unbestimmten Artikel "ein".
1.4.5 Wird die Aussage 5.4 wie von der Prüfungskommission dahingehend verstanden, dass sie sich auf Vertreter im Allgemeinen bezieht, die internationale Anmeldungen bearbeiten, und nicht auf PCT-G und einen spezifischen Vertreter beschränkt, so ist unbestritten, dass die Wertung der Aussage 5.4 bei diesem Verständnis entsprechend dem Prüferbericht "falsch" ist.
1.4.6 Wird die Aussage 5.4. aber dahingehend verstanden, dass sie auf den einleitenden Sachverhalt Bezug nimmt, ist diesem lediglich zu entnehmen dass die internationale Anmeldung PCT-G von Greta eingereicht wurde, und dass sie Hassan als Vertreter bestellen wollte. Die Aussage 5.4 setzt ihrerseits voraus, dass Hassan als Vertreter bestellt wurde. Die Aussage 5.4 lässt aber offen, wie dies geschehen ist. Es gibt insbesondere keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein Antrag auf vorläufige internationale Prüfung bereits gestellt und Hassan von der Anmelderin Greta darin als Vertreter bestellt wurde. Es ist auch offen, ob ein solcher Antrag noch möglich oder gewollt ist. Nur eine Vertreterbestellung zusammen mit der internationalen Anmeldung ist klar ausgeschlossen. Beschränkten sich die Bewerber auf die in der Aufgabe 5 einleitend genannten Tatsachen (Regel 10(5) in Verbindung mit Regel 22(3) ABVEP) und den Kontext der Aussage 5.4, so erachtet es die Beschwerdekammer für vertretbar, wenn die Bewerber eine erfolgte oder noch mögliche Bestellung von Hassan als Vertreter im Rahmen eines Antrags auf internationale vorläufige Prüfung nicht in Betracht zogen. Vor diesem Hintergrund durften die Bewerber durchaus auf die Anwendung von Regel 90.4e) PCT (allenfalls auch von Regel 90.5d) PCT, wobei auch eine allgemeine Vollmacht unter den Begriff der Vollmacht der Aussage 5.4. zu subsumieren wäre) als einzig Möglichkeit ("nur dann") für eine Rücknahme schließen. Die Wertung wäre bei diesem Verständnis "wahr". <RES> Dem könnte zwar entgegengehalten werden, dass die Bewerber mit der Wendung "nur dann" aufgefordert waren, jede denkbar mögliche Sachverhaltskonstellation zu bedenken. Die Berücksichtigung einer erfolgten Bestellung von Hassan im Rahmen eines Antrags auf inter-nationale vorläufige Prüfung hätte allerdings eine Ergänzung des Sachverhalts erfordert, die der Regel 22(3) ABVEP zuwiderlaufen würde und im Rahmen einer Multiple-Choice-Aufgabe ohnehin verfehlt wäre. Die Berücksichtigung einer noch möglichen Bestellung hätte wiederum Unstimmigkeiten in Bezug auf den tatsächlichen Kontext hervorgerufen: Da nach der hier erörterten Leseart der Aussage 5.4 die Befugnis des Vertreters Hassan zur Rücknahme der internationalen Anmeldung PCT-G zu beurteilen war, konnte eine Mitwirkung von Greta ausgeschlossen werden. Zudem war Hassan laut Aussage 5.4 bereits wirksam als Vertreter bestellt. Jedenfalls ergab sich aus der Einleitung der Aufgabe 5 und dem Kontext der Aussage 5.4 keine Behauptung, die sich ohne irgendwelche Annahmen eindeutig mit "wahr" und "falsch" beantworten ließ.
1.4.7 Im Ergebnis kommt die Kammer zum Schluss, dass die Aussage 5.4 als Prüfungsaufgabe nicht hinreichend klar und verständlich formuliert war, so dass nur eine Antwort, entweder "wahr" oder "falsch", gegeben werden konnte, wie dies das Format einer Multiple-Choice-Aufgabe der Vorprüfung erfordert (siehe Anweisungen zur Beantwortung der Aufgabe und Bewertungsschema, Nr. 1. a) und c)). Eine unklare oder irreführende Prüfungsaufgabe ist als offensichtlicher Fehler anzusehen (vgl. D 13/02, Punkt 4 der Entscheidungsgründe).
1.5 Die angefochtene Entscheidung beruht nach dem Gesagten auf einem schweren und eindeutigen Fehler, der ohne wertende Neubetrachtung der Prüfungsarbeit feststellbar ist. Die von der Beschwerdeführerin gerügte Bewertung ist deshalb rechtsfehlerhaft erfolgt und der Beschwerde muss stattgegeben werden. Gemäß Artikel 24(4) VEP sind die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Beschwerdegebühr zu erstatten.
1.6 Aussage 18.4
In Anbetracht der Feststellung eines offensichtlichen Fehlers in Bezug auf die Aussage 5.4, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und auch zur Gutheißung der Anträge auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung führt (dazu nachstehend), erübrigt sich eine Stellungnahme der Beschwerdekammer zu der Rüge der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Aussage 18.4.
2. Anträge auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung
2.1 Die Beschwerdeführerin beantragte, zwei zusätzliche Punkte für die Aufgaben 5 und 18 zu vergeben, und die Prüfungsarbeit auf der Basis der richtig gestellten Punktezahl mit der Note "bestanden" zu bewerten.
2.2 Im Anschluss an die Entscheidungen D 06/14 (Punkte 9 ff. der Entscheidungsgründe), D 3/14 (Punkte 12 ff. der Entscheidungsgründe) und D 4/14 (Punkte 11 ff. der Entscheidungsgründe) erachtet die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall besondere, gegen eine Zurückverweisung sprechende Gründe als gegeben, die analog zum Artikel 12 der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (Zusatzpublikation zum ABl. EPA 1/2016, 51) rechtfertigen, dass die Beschwerdekammer anstelle des zuständigen Prüfungsausschusses bzw. der zuständigen Prüfungskommission die Bewertung unter Vergabe von Einzelpunkten berichtigt und darauf basierend eine Vergabe der Noten "bestanden" oder "nicht bestanden" vornimmt.
2.3 Die Beschwerdeführerin hat die Aussagen 5.2 und 5.3 der Vorprüfung 2016 korrekt beantwortet. Eine Neubewertung der fehlerhaft formulierten Aussage 5.4 führt nunmehr dazu, dass sich dieser Fehler nicht zu Ungunsten der Beschwerdeführerin auswirken darf. Die Beurteilung der Aussage 5.4 ist daher als korrekt zu werten. Die Beschwerdeführerin erhält folglich für die Aufgabe 5 drei Punkte statt einem. Damit erhöht sich die Gesamtpunktzahl ihrer Arbeit von 68 auf 70 Punkte. Nach Regel 6(2)a) ABVEP ist für die Vorprüfung 2016 der Beschwerdeführerin die Noten "bestanden" zu vergeben. Der Antrag, auch für die Aufgabe 18 zwei zusätzliche Punkte zu vergeben, ist für den Ausgang des Verfahrens unerheblich und bedarf daher keiner Entscheidung. Von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die lediglich hilfsweise beantragt war, konnte daher abgesehen werden.
2.4 Der Antrag der Beschwerdeführerin, im Falle der Stattgabe der Beschwerde eine angemessene Frist zur Anmeldung zur Hauptprüfung 2017 festzusetzen, bedarf keiner Entscheidung, da im Entscheidungszeitpunkt ausreichend Zeit zur Anmeldung besteht. Davon abgesehen ist die Beschwerdekammer nicht zu einer solchen Anordnung befugt. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde auch keine Rechtsgrundlage für eine dahingehende Entscheidungsbefugnis der Beschwerdekammer genannt. Auch hinsichtlich des Antrags, bei Stattgabe der Beschwerde die bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Gebühren der Vorprüfung 2017 zurückzuerstatten oder alternativ mit den Gebühren der Hauptprüfung 2017 zu verrechnen, fehlt der Beschwerdekammer die Entscheidungsbefugnis.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Prüfungsarbeit der Beschwerdeführerin im Rahmen der Vorprüfung zur Europäischen Eignungsprüfung 2016 wird mit 70 Punkten bewertet. Nach Regel 6(2)a) ABVEP wird die Note "bestanden" vergeben.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.