D 0010/02 (Europäische Eignungsprüfung) of 11.11.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:D001002.20021111
Datum der Entscheidung: 11 November 2002
Aktenzeichen: D 0010/02
Anmeldenummer: -
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: -
Name des Einsprechenden: -
Kammer: DBA
Leitsatz: Eines der grundlegenden Prinzipien eines fairen Verfahrens ist das Prinzip der Rechtssicherheit, d. h. die Möglichkeit der Parteien, im voraus die Grundregeln eines Verfahrens feststellen zu können. Die Bestellung eines dritten Prüfers ohne eine Grundlage in den VEP oder den Ausführungsbestimmungen ist als schwerwiegender Verfahrensfehler zu beurteilen.
Relevante Rechtsnormen:
Regulation on the European qualifying examination Art004
Regulation on the European qualifying examination Art007
Regulation on the European qualifying examination Art008
Regulation on the European qualifying examination R 4 Ausführungsbestimmungen
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Beschwerdeführer hat sich der europäischen Eignungsprüfung im Jahr 2001 zum ersten Mal unterzogen und dabei, gemäß Regel 4 Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung, VEP, die folgenden Punktzahlen und Noten erzielt:

Aufgabe A: 44, Nicht bestanden, Aufgabe B: 60, Bestanden, Aufgabe C: 48, Nichtbestehen mit Ausgleichsmöglichkeit, und Aufgabe D: 60, Bestanden.

Mit Bescheid vom 27. September 2001 wurde dem Beschwerdeführer die Entscheidung der Prüfungskommission vom 19. September 2001 mitgeteilt, daß er die Eignungsprüfung nicht bestanden habe.

II. Am 5. November 2001 hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 19. September 2001 eingereicht und die Beschwerdegebühr überwiesen.

III. Der Beschwerdeführer beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die europäische Eignungsprüfung 2001 des Beschwerdeführers in ihrer Gesamtheit als bestanden zu erklären,

- hilfsweise die Bewertung der Aufgabe A durch einen 4. Prüfer durchzuführen,

- die Rückerstattung der Beschwerdegebühr sowie der für das Jahr 2002 bereits entrichteten Prüfungsgebühr.

IV. Auf Anfrage der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten hat die Prüfungskommission im Schriftsatz vom 8. Oktober 2002 folgendes vorgetragen:

- Die Endnote einer Aufgabe ergebe sich nicht automatisch aus dem Durchschnitt der Noten der beiden Prüfer, sondern aus einer Diskussion unter den Prüfern. Die Teilergebnisse, im besonderen das Ergebnis in Aufgabe A "independent claims", könnten auch eine Rolle spielen.

- Wenn die Prüfer sich nicht auf eine Bewertung einigen könnten, müsse der Ausschuß Schritte unternehmen, um diesen Konflikt zu lösen. Dies könne unter anderem dadurch geschehen, daß weitere Ausschußmitglieder die Prüfungsarbeit beurteilen.

- Wenn ein dritter Prüfer bestellt sei, werde seine Punktevergabe immer berücksichtigt, egal ob besser oder schlechter als die der beiden ursprünglichen Prüfer.

V. Sowohl dem Präsidenten des EPA als auch dem Präsidenten des Instituts wurde die Gelegenheit gegeben, sich über die Beschwerde zu äußern.

VI. Am 11. November 2002 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten statt, bei welcher sowohl der Beschwerdeführer als auch ein Vertreter des Präsidenten des EPA anwesend waren.

VII. Die Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers kann wie folgt zusammengefaßt werden:

- Für seine Leistungen in der Aufgabe A haben die zwei ursprünglichen Prüfer 44 bzw. 45 Punkte vergeben. Daraufhin sei ein dritter Prüfer hinzugekommen, der 43 Punkte vergeben hat. Dies habe zur Folge gehabt, daß der Beschwerdeführer als nicht bestanden erklärt wurde. Hätte er 45 Punkte bekommen, hätte er eine Ausgleichsmöglichkeit gehabt und wäre gemäß Regel 5 der Ausführungsbestimmungen zu den VEP 1994 bestanden zu erklären, da er sämtliche weiteren Bedingungen dieser Regel erfüllt habe.

- Es gebe keine Rechtsgrundlage, einen dritten Prüfer zu bestellen. Artikel 8 b) VEP spreche nur von einer Bewertung durch zwei Ausschußmitglieder. Wenn es für notwendig gehalten werde, weitere Prüfer zu bestellen, sollten gleich zwei weitere Prüfer die Aufgabe bewerten, wie im Bewertungsformular durch die Anwesenheit von vier Spalten angedeutet sei. Dem Formular sei auch zu entnehmen, daß die zwei weiteren Prüfer gleichzeitig zu bestellen seien, was die alleinige Bestellung eines dritten Prüfers ausschließe.

- Die Maßnahme, einen dritten Prüfer zu bestellen, stelle mangels Rechtsgrundlage einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Der Beschwerdeführer sei somit als bestanden zu erklären, da sich aus der Beurteilung der zwei ursprünglichen Prüfer ein Mittelwert von 44,5 Punkte ergebe, was mit üblicher Rundung zu 45 Punkten führen müsse.

- Sollte die Beschwerdekammer nicht in der Lage sein, ihn als bestanden zu erklären, habe der Beschwerdeführer ein Recht darauf, seine Aufgabe von zwei weiteren Prüfern bewertet zu bekommen.

- Sein Antrag auf Rückerstattung einer Prüfungsgebühr stützt sich darauf, daß er, hätte er schon im Jahr 2001 bestanden, als zugelassener Vertreter bessere Verdienstmöglichkeiten gehabt hätte.

VIII. Der Vertreter des Präsidenten hat in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

- Es gebe insgesamt drei Prüfungsausschüsse gemäß Artikel 4 VEP, einer für die Aufgaben A und B, und je einer für die Aufgaben C und D. Für die Fachrichtungen Chemie bzw. Elektronik/Mechanik würden alternative Prüfungsaufgaben A und B gestellt. Entsprechend gebe es zwei Unterausschüsse für die Aufgaben A und B, die dieselben Funktionen wie Prüfungsausschüsse ausüben. Jeder Ausschuß umfasse mindestens 30 Mitglieder. Ein Ausschuß müsse die Bedingungen der Ausgewogenheit zwischen EPA- Bediensteten und epi-Mitgliedern des Artikel 4 VEP erfüllen. Im Gegensatz dazu könnten die zwei oder mehreren Prüfer einer Prüfungsarbeit ausschließlich EPA-Bedienstete oder epi-Mitglieder sein.

- Es treffe zu, daß weder die VEP noch die Ausführungsbestimmungen eine Regelung für das Hinzuziehen weiterer Prüfer neben den gemäß Artikel 8 b) VEP vorgeschriebenen zwei Prüfern enthalte. Es bestehe aber im Rahmen von Artikel 7 VEP ein bestimmter Ermessensspielraum für die Prüfungskommission. Dies gelte für die gesamte Durchführung der Eignungsprüfung, was auch die Kompetenz umfasse, die Entscheidung zu treffen, einen dritten Prüfer in Grenzfällen zu bestellen oder andere Maßnahmen zu ergreifen.

- Die Punktzahl 45 führe nicht zwangsläufig zu der Note 'Nichtbestehen mit Ausgleichsmöglichkeit' nach Regel 5 der Ausführungsbestimmungen zu den VEP. Der Prüfungsausschuß könne auf Grund der "Kann"-Vorschrift in Regel 4 (4) der Ausführungsbestimmungen auch in dieser Situation die Note 'Nicht bestanden' der Prüfungskommission vorschlagen.

- Die Prüfungskommission sei nicht an den Vorschlag oder die Punktevergabe des Prüfungsausschusses gebunden. Wie schon von der Prüfungskommission auf Anfrage der Kammer beantwortet, habe im vorliegenden Fall offensichtlich das Ergebnis im Teilabschnitt 'Independent claims' zum Endergebnis 'Nicht bestanden' geführt. Der Grund der Entscheidung, einen dritten Prüfer zu bestellen, sei wahrscheinlich auch auf diesen Teilabschnitt zurückzuführen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Prüfungskommission hat, insoweit von Bedeutung für die vorliegende Entscheidung, die folgenden Befugnisse gemäß Artikel 7 VEP:

Sie führt die Eignungsprüfung durch und gibt dabei den Mitgliedern der Prüfungsausschüsse die erforderlichen Anweisungen, prüft die Entwürfe der Prüfungsaufgaben und legt deren Fassung fest (Artikel 7 (1) VEP). Weiter nimmt sie bei der Bewertung der Leistungen der Bewerber die Notenvorschläge der Prüfungsausschüsse zur Kenntnis, benotet jede Arbeit und entscheidet darüber, ob der Bewerber bestanden hat oder nicht (Artikel 7 (3) VEP). Schließlich hat sie auch die Kompetenz, Ausführungsbestimmungen zu den VEP zu erlassen (Artikel 7 (6) VEP).

Gemäß Artikel 8 b) VEP haben die Prüfungsausschüsse die Aufgabe, die Prüfungsarbeiten zu bewerten, wobei jede Arbeit gesondert von zwei Ausschußmitgliedern (den sogenannten Prüfern) bewertet wird. Die Ausschüsse haben sodann auch die Arbeiten mit Notenvorschlägen an die Kommission zu übermitteln (Artikel 8 c) VEP).

3. Diese Befugnisse deuten darauf hin, daß der Prüfungskommission in der Tat ein Ermessensspielraum für die gesamte Durchführung der Prüfung gewährt wird, was auch die Kompetenz umfaßt, weitere Maßnahmen zu ergreifen.

4. Dies bedeutet aber nicht, daß der Prüfungskommission jede Verfügung ohne entsprechende rechtliche Grundlage freisteht, insbesondere nicht, weil der Prüfungskommission die ausdrückliche Kompetenz zukommt, Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

5. Eines der grundlegenden Prinzipien eines fairen Verfahrens ist das Prinzip der Rechtssicherheit, d. h. die Möglichkeit der Parteien, im voraus die Grundregeln eines Verfahrens feststellen zu können. Gemäß Artikel 8 b) VEP soll das Ergebnis jeder Arbeit von zwei Prüfern gesondert bewertet werden. Weder die VEP noch die Ausführungsbestimmungen dazu enthalten eine Regelung über das Verfahren in den Ausnahmefällen, wo ein Ausschuß nicht in der Lage ist, sich über die Bewertung zu einigen. Auch ein Beizug weiterer Prüfer ist in den VEP oder den Ausführungsbestimmungen nicht vorgesehen. Gerade in diesen Fällen wäre aber eine Regelung notwendig, damit ein Bewerber sich vergewissern kann, daß seine Arbeit nicht willkürlich bewertet oder das Verfahren von irrelevanten Umständen beeinflußt wurde.

6. Somit ist die Bestellung eines dritten Prüfers ohne eine Grundlage in den VEP oder deren Ausführungsbestimmungen als ein schwerwiegender Verfahrensfehler zu beurteilen. Bei der Maßnahme, einen dritten Prüfer zu bestellen, ist diesem als Mitglied des Ausschusses bereits mit seiner Bestellung bewußt, daß es bei der Bewertung Probleme gab, was ihn an sich schon beeinflussen könnte. Dies umso mehr, wenn er von der Bewertung der zwei ersten Prüfer Kenntnis hat. Dies ist ein weiterer Grund, warum diese Maßnahme als ein Verstoß gegen Grundprinzipien eines fairen Verfahrens zu beurteilen ist.

7. Innerhalb der gegenwärtig anzuwendenden Bestimmungen wäre es z. B. denkbar, daß der Ausschuß, um das Bewertungsverfahren nicht allzu umständlich und zeitaufwendig zu machen, zuerst die Bewertung des ersten der beiden Prüfer als Ausgangspunkt für die Diskussion verwendet und, sofern sich der Ausschuß über Punktzahl und Vorschlag zur Notenvergabe nicht einigen kann, die Bewertung des zweiten Prüfers beizieht. Dieser zweite Prüfer dürfte dann im Ausschuß bei der erstmaligen Diskussion mit dem ersten Prüfer nicht mitgewirkt haben.

Damit würde sowohl ein dritter Prüfer wie auch der Vorwurf vermieden, daß der zweite Prüfer schon von der vorhergehenden Diskussion beeinflußt war.

8. Es erscheint der Kammer nicht erforderlich, Artikel 8 VEP für ein solches, vereinfachtes, aber voraussehbares Verfahren zu ändern. Dies wäre jedoch der Fall, wenn weiterhin mehr als die zwei vorgesehenen Prüfer bestellt werden sollten. Es ist jedenfalls nicht ausreichend, daß das Hinzuziehen von zwei weiteren Prüfern bloß im Bewertungsformular angedeutet wird, solange die näheren Bedingungen und Verfahrensregeln dafür fehlen.

9. Damit ein Bewerber feststellen kann, daß die Bestellung eines dritten Prüfers nicht willkürlich erfolgt ist, müßte eine solche Regelung sowohl die Bedingungen für dessen Bestellung, als auch die Bedeutung der Bewertung dieses Prüfers für die Gesamtprüfung enthalten.

10. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist somit stattzugeben. Andererseits kann die Kammer dem Hauptantrag aus folgenden Gründen nicht stattgeben: Der schwerwiegende Verfahrensfehler ist nicht so beschaffen, daß er unmittelbar korrigierbar wäre, da es sich nicht um einen Rechenfehler oder dergleichen handelt. Es ist nämlich weder ersichtlich, daß einer der beiden ursprünglichen Prüfer, noch daß der dritte Prüfer einen so offensichtlichen Fehler begangen hat, daß dieser ohne Wiedereröffnung des Bewertungsverfahrens festgestellt werden könnte.

11. Die Kammer verweist deshalb die Angelegenheit zur erneuten Bewertung der Aufgabe A an die Prüfungskommission zurück. Dabei ist sich die Kammer bewußt, daß der Beschwerdeführer die Eignungsprüfung im Jahr 2002 bestanden hat, so daß eine solche Neubewertung als gegenstandslos erscheinen könnte. Es ist aber aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht ohne Bedeutung, im welchen Jahr er als zugelassener Vertreter in die Liste des EPA hätte aufgenommen werden können.

12. Bei der Neubewertung hat die Prüfungskommission davon abzusehen, daß und wie der dritte Prüfer die Aufgabe A bewertet hat. Weiter erscheint es aus dem Prinzip der Unbefangenheit der Mitglieder eines entscheidenden Gremiums notwendig, daß er gegebenenfalls nicht als Mitglied des Ausschusses bei der Diskussion und Entscheidung über den endgültigen Notenvorschlag an die Prüfungskommission gemäß Artikel 8 c) VEP teilnimmt.

13. Dem Antrag auf Rückerstattung einer Prüfungsgebühr kann wegen mangelnder Rechtsgrundlage nicht stattgegeben werden. Aufgrund der Zurückverweisung zur erneuten Bewertung entspricht jedoch der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr der Billigkeit.

14. Weil die Angelegenheit zurückverwiesen wird, braucht die Kammer den Hilfsantrag nicht zu prüfen. Allerdings würden die angegebenen Gründe und die Schlußfolgerung der Kammer, wie oben dargestellt, auch für einen vierten Prüfer gelten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Antrag auf Feststellung, daß der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung 2001 bestanden hat, wird zurückgewiesen.

3. Die Angelegenheit wird an die Prüfungskommission mit der Auflage zurückverwiesen, eine Entscheidung gemäß Artikel 7 (3) VEP, auf der Grundlage der Bewertung der zwei ursprünglichen Prüfer für die Aufgabe A 2001, zu treffen.

4. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

5. Der Antrag auf Rückerstattung einer Prüfungsgebühr wird zurückgewiesen.

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